Wenn Sie jetzt mit Ihrem genialen Mittel Eurobond kommen, dabei aber selbst sagen, nur 60 % seien in Ordnung, dann müssen Sie eine Antwort auf die Frage geben, wie Sie den nächsten Sommer ohne die weiteren 60 % oder im Falle von Griechenland ohne die weiteren 90 % Verschuldung erreichen wollen.
Ich komme jetzt zu der zweiten Antwort. Auch die finde ich ganz spannend. Da geht es um das Stichwort Souveränitätsverzicht.
Auf den Hinweis: „Herr Steinmeier, Sie wissen, dass der europäische Grundlagenvertrag, der Vertrag von Lissabon, eine solche Regelung nicht hergibt“, antwortet Herr Steinmeier:
Wissen Sie, wie lange die 27 europäischen Länder für den Vertrag von Lissabon gebraucht haben? – Das waren zehn Jahre. Jetzt kommt da einer daher
und empfiehlt uns großmundig, da müssten wir einmal nachsteuern, weil das, was sie als geniale Idee propagieren, erstens rechtswidrig ist. Zweitens reicht es, ökonomisch gesehen, nicht aus. Denn damit könnten nur 60 % der 150 % abgedeckt werden. Deshalb muss also „nachgesteuert“ werden.
Ich finde, es ist richtig, dass wir das Thema so intensiv diskutieren. Ich spreche niemandem die Sorge um die Europäische Union und die Entwicklung unseres Landes ab. Aber von jemandem, der so vollmundig draufhaut und schon bei den ersten zwei oder drei Fragen keine vernünftige Antwort mehr hat, brauchen jedenfalls wir keine Belehrung.
Ich will eine zweite Bemerkung machen, damit wir die Debatte in Zukunft noch intensiver führen können. Gestern konnte man überall lesen, es gebe ein Geheimpapier von Herrn Schäuble. Bis in meine eigene Partei hinein gab es großen Aufruhr. Ich will jetzt die öffentliche Bühne nutzen, um einmal zu erklären, um was es da geht.
Ich mache jetzt einen Strich. Ich spreche jetzt nicht als Ministerpräsident. Als stellvertretender Vorsitzender der CDU Deutschlands habe ich gerade die große Freude, in einer großen Präsidiumskommission zusammen mit wichtigen anderen Persönlichkeiten für den Bundesparteitag einen Antrag vorzubereiten.
Das ist eine harte Arbeit. Da gebe ich Ihnen recht. – Da ging es um die spannende Frage: Was ist das eigentlich? – Das ist der Rohling des Textes der Europäischen Kommission in Englisch zu der Gestaltung des europäischen Finanzmarktstabilisierungsfonds.
Da haben immer alle gesagt: Wir wollen das nicht alles aus der Zeitung erfahren. – Was hat er gemacht: Er hat an die Damen und Herren Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages und an wichtige Abgeordnete geschrieben. Man kann die Uhr danach stellen. Über dem Ganzen stand „Streng vertraulich – nur für den persönlichen Gebrauch“. Das tat er, damit nicht alles wieder zerredet wird. Das hält aber maximal eine Stunde.
Um was geht es da? Es gibt Vorschläge der Europäischen Kommission, wie diese Einrichtung arbeiten soll. Da steht unter anderem, dass das Direktorium, das noch zu bilden ist, sich selbst eine Art Geschäftsordnung geben soll, die beinhaltet, nach welchen Regeln sie was auch immer machen. Das kann man für richtig oder für falsch halten.
Das können Sie heute in der „Frankfurter Rundschau“ lesen. Ich finde es bemerkenswert, wie der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der SPD diesen Sachverhalt aufgearbeitet hat. Auf die spannende Frage, wie sich denn die Opposition im Deutschen Bundestag hinsichtlich des EFSF-Vertrages – das ist dieses Ding – verhalten werde,
antwortet SPD-Experte Carsten Schneider, es sei natürlich wichtig, die Beteiligung des Parlamentes in einem nationalen Gesetz zu regeln. Eine konkrete Bedingung nannte er nicht – nur so viel: Die Einbeziehung der Abgeordneten müsse „den Entscheidungsmöglichkeiten des EFSF angemessen sein“.
Wir haben aber auch verstanden, dass die auf europäischer Ebene irgendwie handeln können müssen. – Damit das niemand so genau merkt, sagen sie: Wir gucken einmal, wie wir das beantworten.
Ich mache dem Mann keinen Vorwurf. Denn es ist genau das Dilemma, das wir haben. Es muss auf europäischer Ebene rasch gehandelt werden, gelegentlich sogar über Nacht. Dabei sind aber die Souveränitätsrechte der nationalen Parlamente und der einzelnen Abgeordneten zu achten.
Lieber Herr Rudolph, das habe ich gesagt, um zu zeigen, warum wir ein Interesse daran haben, dass der Bundesrat mit dabei ist.
Jetzt stellen Sie sich einmal vor, das, was Herr Steinmeier und andere uns empfehlen, würde Wahrheit: Souveränitätsverzicht. Glaubt irgendjemand, dass es in diesem Friedensprojekt Europa möglich wäre, dass wir Regelungen bekommen, die für alle gelten, nur nicht für Deutschland? Ich glaube, das können wir ausschließen.
Herr Rudolph, meine Damen und Herren, ich erkläre es Ihnen jetzt ganz haarklein. Wer erklärt, Souveränitätsverzicht sei der Preis für europäische gesamtwirtschaftliche Hilfe, der sollte doch nicht vor sich hinträumen, dass das für alle anderen gilt, aber für uns nicht. Dann werden auch wir diese Frage miteinander zu diskutieren haben. Wenn wir über Verschuldungsgrenzen nach dem Bruttosozialprodukt miteinander sprechen, dann sind wir immer mit dabei.
Wenn wir dann mit so lockerer Hand über Souveränitätsverzicht reden, bedeutet das im Klartext, dass wir eines Tages vor der Frage stehen, ob sich der Hessische Landtag noch mit dem Landeshaushalt beschäftigen muss oder ob irgendeine Regierungskommission es nach Brüssel schickt, es von dort in irgendeiner Art und Weise beantwortet wird und ich es Ihnen anschließend mitteile. Genau darum geht es.
Meine Damen und Herren, ich will noch eines hinzufügen, damit Sie sehr deutlich sehen, warum das eine falsche Position ist – nicht nur, weil sie ökonomisch nicht trägt. Wir müssen eine europäische Wirtschaftsregierung hinbekommen. Deshalb war es richtig, was die Kanzlerin und Sarkozy auf den Weg gebracht haben:
eine europäische Wirtschaftsregierung durch die Regierungschefs. Hinzu kommt – allein die Tatsache, dass Frankreich und Deutschland in eine Richtung marschieren, ist für Europa existenziell – aber etwas, was in der Debatte noch keiner gesagt hat: Sie haben zum Dritten auch einen Sanktionsmechanismus beschlossen, der nicht als Erstes bedeutet, Souveränitätsrechte wegfallen zu lassen.
Gehen Sie nach Spanien, gehen Sie nach Italien, gehen Sie nach Portugal, in irgendein Land, und erklären Sie den dortigen Abgeordnetenkollegen: Passt einmal auf, das Einzige, was ihr in Zukunft sein lassen könnt, ist, in irgendeiner Weise darüber abzustimmen, was in eurem Land passiert. – Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht. Ich bin gelegentlich erstaunt, mit welcher Leichtigkeit da Forderungen erhoben werden. Dann gehen Sie doch einmal in ein solches Land und erklären den Abgeordneten im Parlament: Das gebt ihr einfach ab. – Das ist doch nicht die Realität. Europa war immer eine große Vision, aber sie war eine Summe vieler kleiner Schritte.
Deshalb ist die angestrebte Wirtschaftsregierung richtig, und deshalb ist dieser Sanktionsmechanismus richtig. Worin besteht er? Ich finde, wer sich nicht an die Regeln hält, die wir vorher ausgemacht haben, der muss es auch spüren, z. B. im Europäischen Regionalfonds. Ich halte es nicht für richtig, dass wir dort Gelder auszahlen, völlig ungeachtet, ob die sich anstrengen oder nicht. Das muss man doch einfach einmal sagen.
Noch eines, das wird Sie vielleicht überraschen. Aber ich finde, es gebietet die Fairness, dass wir hier nicht gelegentlich so hochmütig diskutieren, was andernorts geschehen soll.
Meine Damen und Herren, Sie haben es wahrscheinlich auch alle verfolgen können. Ein Land wie Portugal, dem durch den Rettungsschirm geholfen wurde, hat durch nationalen Parlamentsbeschluss die Gehälter der Angestellten und Beamten des öffentlichen Dienstes um ein Drittel gekürzt, hat den Rentnern 20 % ihres Einkommens gekürzt. Stellen Sie sich einmal vor, das wäre in Deutschland, was hier los wäre. Deshalb finde ich, wir werden in Europa weiter kommen, wenn wir auch die Anstrengungen respektieren, die dort unter größten Schwierigkeiten unternommen wurden.
Deshalb wird man in Europa nicht weiterkommen, wenn die Hauptbotschaft Souveränitätsverzicht ist und man immer die anderen meint. Glauben Sie im Ernst, dass das weiterführt? Das wird nicht weiterführen. Wir müssen schon ein paar Grundlinien beibehalten.
Die große Vision Europa, die nicht nur dieser Ministerpräsident und sein Vertreter, der Kollege Hahn, so vertreten, sondern die ganze Regierung, verpflichtet uns, um den besten Weg zu ringen. Aber ein paar Grundlinien gelten. Weil wir heute fast historisch diskutieren, passt es vielleicht ganz gut. Ich finde, das stimmt immer noch. Abraham Lincoln hat vor vielen, vielen Jahren einmal formuliert:
Ihr werdet denen nicht helfen, auf die Beine zu kommen, jetzt einmal frei übersetzt, indem ihr das für diejenigen tut, was die, die es selbst können und wollen müssen, tun können.
Deshalb ist unsere Linie ganz klar. Wir sind solidarisch, und Solidarität und Solidität gehören zusammen. In unserem eigenen Interesse für Europa einzustehen, dafür sind wir.