Hierzu wurde Aussprachebedarf angekündigt und eine getrennte Abstimmung zu bestimmten Petitionen gewünscht; ich sage nachher, welche das sind. Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Die erste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Öztürk für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr verehrte Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren! Wie bereits gesagt worden ist, haben wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Aussprache zu den Petitionen beantragt. Sie bekommen im Plenum öfter mit, dass bei der Abstimmung der Beschlussempfehlungen zu Petitionen manche Petitionen herausgenommen werden und gegen die Beschlussempfehlung gestimmt wird. Wir werden heute bei drei Petitionen gegen die Beschlussempfehlung stimmen. Der Grund, warum wir GRÜNE meinen, dass dazu eine politische Aussprache geführt werden soll, ist, weil diese Petitionen – es handelt sich um Petitionen von Roma aus dem Kosovo – exemplarisch für viele andere Petitionen sind, die sich noch im Verfahren befinden und über die wir irgendwann abstimmen müssen, aber als Petitionsausschuss an die Grenzen unserer Handlungsmöglichkeiten gestoßen sind.
Meine Damen und Herren, wir kommen als Parlament und als Petitionsausschuss einfach an die Grenzen des gesetzlich Machbaren und müssen als GRÜNE die Handlung des Innenministers einfordern, und zwar einen Abschiebestopp zu erlassen und sich im Rahmen der Innenministerkonferenz für eine gruppenspezifische Bleiberechtsregelung einzusetzen. Das wollen wir heute von Innenminister Rhein fordern.
Sie werden sich daran erinnern, dass wir bereits im Dezember über die Kosovo- und über die Roma-Petitionen gesprochen haben. Innenminister Rhein hatte uns dazu mitgeteilt, dass die Situation vor Ort nicht so schwierig ist und wir in Hessen faktisch gar keine Abschiebung vollziehen. Umso verwunderter waren wir GRÜNE, als im Februar auf der Tagesordnung des Petitionsausschusses fast zwölf Petitionen von Roma aus dem Kosovo zur Entscheidung anstanden. Das sind nicht nur Einzelpersonen, sondern teilweise Familien. Wenn man das hochrechnet, wären das unter Umständen vielleicht 30 Personen, die von der Situation der Abschiebung betroffen wären.
Wir GRÜNE haben damals, im Dezember, gesagt, die Situation ist im Kosovo vor Ort schwierig. Das bestätigen sowohl die Berichte von Flüchtlingsorganisationen als auch der aktuelle Bericht vom Auswärtigen Amt. Genau darin wird gesagt, dass das Land noch sehr destabil ist, dass man dorthin keine Rückführung vollziehen soll, speziell nicht von Minderheiten. Genau diese Aufforderung wollen wir heute erneuern.
Herr Innenminister Rhein, wenn wir im Dezember darüber gesprochen haben, dass faktisch keine Abschiebungen durchgeführt werden sollen, und wir im Februar im Petitionsausschuss eine andere Situation vor uns haben, zeigt das für uns GRÜNE, es besteht Handlungsbedarf. Bitte handeln Sie als Innenminister des Landes Hessen.
Es gibt natürlich unterschiedliche Hintergründe der Familien. Ich möchte aus Datenschutzgründen hier nicht auf die einzelnen Situationen der Petitionen und der Familien eingehen. Wenn Sie die lokale Presse bei sich vor Ort beobachten oder sich heute beispielsweise eine sehr weit verbreitete Zeitung ansehen, sehen Sie doch viele Beispiele von jungen Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, die ihren Lebensmittelpunkt in diesem Land haben und nicht verstehen, warum sie jetzt in ein
Land abgeschoben werden sollen, dessen Sprache sie nicht sprechen, wo sie von Wohnungsnot bedroht sind und wo die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist.
Wenn man bedenkt, dass die Zahl der ausreisepflichtigen Roma-Kosovaren in Hessen 224 beträgt, dann muss man sich fragen, ob man nicht eine Lösung finden kann. Die Lösung kann nicht im Petitionsausschuss allein gefunden werden, solange nicht – wie gesagt – ein Abschiebestopp erlassen wird und solange nicht die gruppenspezifische Bleiberechtsregelung im Rahmen der Innenministerkonferenz beantragt wird.
Ich wiederhole mich, weil das die einzigen Instrumente sind, die ein Innenminister hat. Wenn er sie nutzen würde, würden wir vielen Personen einen Schutz aus humanitären Gründen geben können.
Ich habe eben den Lagebericht vom Auswärtigen Amt genannt. Darin wird klar gesagt, dass aktuell die Regierung im Kosovo versucht, eine Integration der Roma und anderer Minderheiten zu vollziehen. Er sagt aber auch aus, weil das Land noch in der Aufbauphase ist, und aufgrund interner Koordinierungsschwierigkeiten – so wird es formuliert – sei die Regierungsstrategie kaum umgesetzt, diese Personen zu integrieren.
Das heißt de facto für die Menschen, die abgeschoben werden, wie beispielsweise die Roma: Wenn sie vor Ort nie registriert waren – viele von denen sind nicht registriert –, haben sie weder die Möglichkeit, eine Wohnung zu beantragen, noch, die Gesundheitsversorgung oder die Bildung ihrer Kinder zu gewährleisten.
In einem Land, wo fast 50 % Arbeitslosigkeit herrscht und unter den Roma sogar fast 90 % Arbeitslosigkeit besteht, würde eine Abschiebung eine besondere Härte darstellen, die wir GRÜNE nicht in Ordnung finden. Wir wollen deshalb im Rahmen der Aussprache noch einmal an den Innenminister appellieren, eine andere Regelung zu finden, als sie bisher gesetzlich möglich ist.
Ich erinnere an Herrn Christian Schwarz-Schilling, der im letzten Jahr, am 8. April, am Internationalen Tag der Roma, daran erinnert hat, dass die Roma in Europa und in anderen Ländern einer dramatischen Situation ausgesetzt seien. Er plädierte aus humanitären Gründen für ein Bleiberecht für diese Personen, damit sie endlich eine Perspektive haben und für sich und ihre Kinder eine Zukunft aufbauen können. Von daher bitte ich den Herrn Innenminister, als Vorsitzender der Innenministerkonferenz tätig zu werden und nicht die Rede vom Dezember zu wiederholen. Es stünde uns in Hessen gut an, hier eine Lösung zu finden. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wallmann für die CDU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Öztürk, Sie haben es eben schon angesprochen: Wir reden nach nicht einmal vier Monaten erneut über das Thema der ethnischen Minderheiten im Kosovo. – Das Problem ist aber, an der Sachlage als solche
hat sich nichts geändert. Es sind keine neuen Fakten auf den Tisch gekommen. Sie beziehen sich – das haben Sie zum Schluss getan – auf eine überparteiliche Pressemitteilung, die vor über einem Jahr entstanden ist. Die hätten Sie auch im Dezember anführen können. Möglicherweise haben Sie das damals vergessen.
Worüber reden wir? Wir reden über ein Land, das wie kaum ein anderes unter der Beobachtung der Staatengemeinschaft steht. Die Republik Kosovo ist kein unkontrolliertes Land am Ende der Welt, sondern ist auf dem Weg nach Europa. Ihre Verfassung garantiert einen umfassenden Schutz der Minderheiten, selbstverständlich auch für Roma, Ashkali und Ägypter. Sie garantiert deren Teilhabe am öffentlichen Leben und gesteht ihnen im kosovarischen Parlament 20 Sitze zu. Im Büro des Staatspräsidenten ist ein sogenannter Konsultativrat eingerichtet. Der dortige Menschenrechtskoordinator kontrolliert sogar die Einhaltung des Antidiskriminierungsgesetzes. Sogar das gibt es bereits im Kosovo.
Das Bewusstsein für diese Problematik der Minderheiten ist so groß, dass es in jeder Kommune ein eigenes Büro für Minderheiten gibt. Ombudsleute berichten regelmäßig dem Parlament über die aktuelle Situation. Ebenso flächendeckend ist die OSZE-Mission mit Feldbüros in allen Regionen im Kosovo vertreten. Eine ihrer Hauptaufgaben ist gerade der Minderheitenschutz. Im Kosovo gilt die allgemeine Schulpflicht, die natürlich auch für die Minderheiten, wie Roma und Ashkali, den Besuch von Bildungseinrichtungen ermöglicht und gewährleistet. Meine Damen, meine Herren, Rückkehrer in den Kosovo stehen nicht vor dem Nichts. Sie werden dort erwartet.
Unterbringungsmöglichkeiten für zurückkehrende Angehörige – Sie haben es eben erwähnt – wurden und werden an verschiedenen Orten geschaffen, und zwar von der internationalen Gemeinschaft. Wir reden jetzt nicht von Zeltstädten, sondern wir reden von Ein- und Mehrfamilienhäusern. Außerdem wurde im Rahmen der Umsetzung des Action Plan for Reintegration im Januar dieses Jahres das sogenannte Büro für Reintegration geschaffen. Dort ist ein Team von sieben Mitarbeitern für die Durchführung von Reintegrationsmaßnahmen tätig. Auch Nichtregierungsorganisationen sind in einem außerordentlichen Maß damit beschäftigt, ein geordnetes Zusammenleben im Kosovo zu ermöglichen, insbesondere was die ethnischen Minderheiten angeht. Es geht speziell auch darum, Rückkehrer zu integrieren. Auch das Diakonische Werk bietet beispielsweise Ausbildung in Handwerksberufen für Rückkehrer an, gerade auch für Roma.
Auch das muss man erwähnen: Die Sicherheitslage im Kosovo hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert. Sie beziehen sich bei der Behauptung einer Überforderung des Aufnahmelandes mangels Kapazitäten augenscheinlich auf den Bericht des Kommissars für Menschenrechte des Europarates. Sie überschlagen dabei aber, dass dieser vor einer massenhaften Abschiebung warnt. Davon kann, mit Verlaub, überhaupt keine Rede sein.
Jetzt schauen wir uns einmal die Zahlen an. Im vergangenen Jahr waren es 17 Rückführungen von Minderheitenangehörigen aus Hessen, davon zehn Roma. In diesem Jahr wurden bis zum Stand 1. April noch gar keine Rückführungen vorgenommen. Jetzt haben wir zwölf Einzelfälle vorliegen, die aber im Ausschuss von den Abgeord
neten sorgfältig geprüft wurden. Das ist eine Entscheidung, die jeder mit seinem Gewissen ausmachen muss. Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es dort keine andere Entscheidungsmöglichkeit gibt. Angesichts dieser Zahlen die Gefahr von sozialen Unruhen durch Zwangsabschiebungen heraufzubeschwören, wie Sie es in Ihrem Antrag tun und wie es dort nachzulesen ist, übersteigt wirklich jegliche Vorstellungskraft.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Frank Blech- schmidt (FDP) – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Ganz ehrlich: Sie verschieben Maßstäbe. Natürlich ist das kein Quatsch. Hören Sie sich die Zahlen an.
Sie reden doch selbst von zwölf Einzelfällen. Um es noch einmal festzuhalten: In Deutschland werden Minderheitenangehörige nicht massenhaft abgeschoben, sondern in Minischritten, und dies unter Beteiligung der kosovarischen Seite und immer unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazitäten.
Noch eines muss gesagt werden: Es ist schon dreist, wie Sie die vielfältigen Bemühungen der internationalen Organisationen, besonders von NGOs, mit Ihren Forderungen konterkarieren. Es ist nach Ihrer Ansicht also den Betroffenen nicht zuzumuten, in ihre Heimat zurückzukehren, obwohl dort alles Mögliche getan wird, um ihre Rückkehr möglich zu machen.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Es ist unglaublich! – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN))
Auch das müssen Sie sich fragen lassen: Wäre eine Bleiberechtsregelung nicht auch eine Anerkennung der Vertreibung, eine Anerkennung des geschehenen Unrechts? Ich finde, wir sollten alles dafür tun, um eine Rückkehr zu ermöglichen. Die nötige Unterstützung vor Ort wird geleistet. Diesen Bemühungen haben Sie mit Ihrem Antrag leider keinen Dienst erwiesen. Ich sage es noch einmal: Es sind zwölf Einzelfälle. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Wallmann. – Das Wort hat Frau Kollegin Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich spreche jetzt nicht als Vorsitzende des Petitionsausschusses, sondern als Abgeordnete meiner Fraktion.
Die LINKE hat sich bereits in der letzten Wahlperiode und ein weiteres Mal im Oktober für einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht insbesondere für Roma aus dem Kosovo eingesetzt, und zwar noch bevor die bundesweiten Abschiebungen von Roma aufgenommen wurden – leider vergeblich. Für das Thema hat sich im letzten Jahr dankenswerterweise eine durchaus große und vor allem kriti
sche Öffentlichkeit entwickelt, sodass wir auch heute angesichts der vermuteten Ablehnung der drei Petitionen vehement erneut die Forderung nach einem Bleiberecht für die Roma aus dem Kosovo im Hessischen Landtag stellen.
Wir begrüßen daher ausdrücklich den Antrag der GRÜNEN und auch die Thematisierung der Abstimmungspraxis im Petitionsausschuss. Der Änderungsantrag meiner Fraktion zum Antrag der GRÜNEN befürwortet, den Abschiebestopp über den Kosovo hinaus auf alle Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien auszuweiten, da auch dort, besonders in Serbien, Roma-Siedlungen regelmäßig überfallen werden und Roma-Kinder oft keine Schule besuchen dürfen. Wir wollen, dass straffällig gewordene Roma oder Angehörige anderer Minderheiten ihre Strafe hier verbüßen können, und wir wollen den Antrag der GRÜNEN um einen neuen Absatz zum Thema Kontin gentflüchtlinge ergänzen.
Für die Angehörigen der Roma-Minderheit in Deutschland, darunter auch diese drei Roma-Familien aus Hessen, auf die sich die Petitionen beziehen, würde eine Abschiebung bedeuten, dass sie nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland aus ihren sozialen Beziehungen gerissen werden. Kinder, die hier geboren sind und Deutschland als ihre Heimat ansehen, wollen nicht gehen. Alte und Kranke würden in medizinische Unterversorgung und damit in letzter Konsequenz in den Tod abgeschoben. Für viele, die von ihrer erzwungenen Flucht vor Jahren noch traumatisiert sind, bedeutet die Abschiebung eine Art zweite Vertreibung mit allen psychologischen Folgen.
Es gibt eine Vielzahl von Studien und Berichten von Nichtregierungsorganisationen, der OSZE, dem UNHCR, dem Menschenrechtskommissar des Europarates usw. über die schlimme Situation gerade der Minderheitenangehörigen der Roma im Kosovo. Es gibt eine Legion von Berichten von engagierten Journalistinnen und Journalisten, die das unerträgliche Schicksal von Abgeschobenen für Zeitungen, Radio und Fernsehen dokumentiert haben. Trotzdem werden Roma weiter in den Kosovo und die anderen Nachfolgestaaten deportiert. Gegebenenfalls gibt es eine sogenannte Einzelfallprüfung.
(Horst Klee (CDU): „Deportiert“, das ist eine Unverschämtheit! Sie müssen einen anderen Begriff wählen! Das ist eine Katastrophe, was Sie da formulieren! „Deportiert“, das würde ich aus dem Protokoll streichen! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
Frau Kollegin Cárdenas, ich darf Sie bitten, bei Ihrer Wortwahl im parlamentarischen Gebrauch zu bleiben.