Da brauchen Sie gar nicht zu lachen. Wir haben den Antrag 2007 in diesem Hause gestellt. Nun arbeiten Staats
anwaltschaft, Polizei und Jugendgerichtshilfe in Frankfurt-Höchst und in Wiesbaden jeweils eng unter einem Dach zusammen.
Für die Sozialdemokratie ist die Gewährung der inneren Sicherheit Voraussetzung für den Erhalt des sozialen Friedens in unserem Land. Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf Sicherheit. Hierzu leistet die Polizei in Hessen einen wesentlichen Beitrag. Innere Sicherheit bedeutet aber auch die Beachtung der Freiheits- und Bürgerrechte und rechtsstaatliches Handeln der Polizei nach innen und nach außen. Die Bürgerrechte in Hessen sind heute mehr als stiefmütterlich behandelt worden. Sie sind nämlich noch nicht einmal erwähnt worden. Bei einer Generalregierungserklärung zur inneren Sicherheit haben Sie die Bürgerrechte der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht einmal erwähnt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Bei der Videoüberwachung spielen die Persönlichkeitsrechte keine Rolle. Mit dem HSOG wird munter in die persönlichen Freiheitsrechte durch Kennzeichenlesegeräte eingegriffen, und es gibt eine unterschiedliche Behandlung der Berufsgeheimnisträger. Ärzte und Psychologen genießen entgegen der Regelung in der Strafprozessordnung keinerlei Schutz in der hessischen HSOG – im Gegensatz zu Abgeordneten. Dafür sind Sie uns bis heute die Begründung schuldig geblieben. Das ist ein Zustand, der rechtsstaatlich so nicht haltbar ist. Wir werden dem weiter nachgehen und da für eine rechtsstaatliche Regelung sorgen.
Es geht aber auch darum – und dazu haben Sie heute gar nichts gesagt –, wie man die Polizeibeamtinnen und -beamten im letzten Jahr hier in Hessen behandelt hat. Wie ist man denn mit dem Personal in Hessen im Bereich der Polizei umgegangen? – Zunächst wurde 2004 unter diesem Ministerpräsidenten die 42-Stunden-Woche eingeführt. Dann hat man das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen. Daneben wurde Personal abgebaut. Das waren 1.200 Beamtinnen und Beamte, die sie bis heute spüren. Da ist bis heute immer noch ein Rückgang zu verzeichnen. Der Druck auf die einzelnen Beamten wurde erhöht und gleichzeitig das innere Klima bei der Polizei durch Führungsmängel massiv verschlechtert. Das Ergebnis dieser Entwicklungen sind heute unter anderem die zahlreichen Polizeiaffären, die das Parlament und die Öffentlichkeit seit Monaten immer wieder beschäftigen und das Ansehen der Polizei beeinträchtigen. Sorgen Sie endlich dafür, Herr Innenminister, dass im Bereich der Polizei wieder Ruhe einkehren kann und die Polizeibeamtinnen und -beamten anständig behandelt werden. Für eine Verbesserung der Führungskultur haben Sie bislang nichts getan.
Im Gegenteil: Es sind Hinweise aufgetaucht, dass schwarze Akten über Polizeibeamte geführt wurden. Es gab psychologische Gutachten über Polizeibeamte nach Gutdünken. Die Begutachtung wurde genutzt, um unliebsame Polizeibeamte loszuwerden, um sie je nach Bedarf dienstunfähig oder -fähig zu schreiben, und ich nenne Ihnen hier nur die Spitze des Eisbergs.
Ich möchte einige wenige Beispiele nennen. Die „FAZ“ schreibt in einem Artikel vom 25.02.2011, also vor wenigen Tagen: „Polizeiaffäre weitet sich wieder aus“. Gemeint ist dabei der gesamte Ermittlungsprozess um die Präsidentin des Landeskriminalamtes. Dort sind neue Details bekannt geworden. Ich erinnere daran, dass gegen die Präsidentin des LKA wegen Verfolgung Unschuldiger und falscher uneidlicher Aussage staatsanwaltlich ermittelt wird. Ich erinnere an den Fall Z., der die Medien lange beschäftigt hat. Herr Z. war Leiter der Fahndung in Frankfurt und war wegen einiger Vorwürfe sage und schreibe vier Jahre suspendiert. Inzwischen ist nicht nur das Ermittlungsverfahren, sondern auch das disziplinarrechtliche Verfahren abgeschlossen, und alle Vorwürfe wurden ausgeräumt. Dieser Mann war vier Jahre lang umsonst suspendiert.
Da ist es zwischen dem Leiter der Polizeidirektion und seiner Stellvertreterin zu bösen gegenseitigen Anschuldigungen gekommen. Auch hier warten wir noch auf abschließende Ergebnisse.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein! – Zuruf von der CDU: Aber Gott sei Dank, dass wir es noch einmal erwähnt haben!)
Das ist allerdings extrem empörend. Herr Kollege Reißer, das müssten Sie allerdings auch so sehen. Das ist der Fall Bergstedt. Ich erinnere daran, dass er zu Unrecht vier Tage in Polizeigewahrsam war. Dieser Freiheitsentzug ist vom Oberlandesgericht als rechtswidrig beschieden worden. Als wir nun in einem Berichtsantrag gefragt haben, wie es denn sein kann, dass Bergstedt in Gewahrsam genommen wurde, Herr Kollege Reißer, obwohl er zeitgleich vom gleichen Polizeipräsidium polizeilich überwacht wurde – er wurde polizeilich überwacht und gleichzeitig festgenommen –, da bekamen wir völlig unzureichende Antworten. Angeblich soll der Polizeipräsident von beiden Tatsachen gewusst haben. Dieser kann sich aber nicht mehr erinnern, weil es so lange her ist. Dass es überhaupt zu dieser rechtswidrigen Ingewahrsamnahme kam, bezeichnet das Innenministerium als Organisationsversehen. Wir reden hier von einem viertägigen rechtswidrigen Freiheitsentzug, der durch Polizeibehörden veranlasst wurde. In einem Rechtsstaat kann kaum Schlimmeres passieren.
Herr Innenminister, von Ihnen kommt kein Wort dazu. Im Gegenteil: Hier wird vertuscht und verharmlost. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das sage ich Ihnen. Wir werden diesen Fall restlos aufklären, und wenn es das Letzte ist, was wir hier tun. Diesen Fall lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
All diese Konflikte muss man sehr gründlich aufarbeiten. Vor allen Dingen braucht es eine neue Führungskultur
des Vertrauens und des Respekts innerhalb der hessischen Polizei. Dafür wurde nämlich nichts getan – im Gegenteil: Man glaubt, dass mit der Entlassung des alten Landespolizeipräsidenten alles getan sei. Das System Nedela und Bouffier hat sich aber in allen Polizeipräsidien in Hessen breitgemacht, und dadurch hat sich an den Strukturen und den Führungspositionen überhaupt nichts geändert. Das heißt, wir haben noch immer die gleiche Führungskultur wie unter Bouffier und wie unter Nedela.
Herr Innenminister, Sie haben bislang die Chance verpasst, die Polizeiaffären aufzuarbeiten. Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Sie haben vorhin auf Herrn von Plottnitz hingewiesen. Sie hätten uns in Hessen mit solchen Polizeiaffären vom Hof gejagt, wenn das ein sozialdemokratischer Innenminister wäre. Wir hätten keine einzige Sitzung, in der das nicht Thema wäre.
Wir bemühen uns um sachliche Aufklärung und bitten, dass auch Sie das tun. Dann hätten Sie nämlich auch unsere Unterstützung. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Hessen ist noch sehr weit davon entfernt, eine erfolgreiche Sicherheitspolitik zu betreiben.
Das verwundert auch nicht, wenn man sich beispielsweise die Zahlen zur Polizeidichte anschaut. Auch dazu haben Sie heute nichts gesagt.
Die Sozialdemokratie in Hessen hat im letzten Dezember die Polizeidichte in allen Polizeipräsidien und im Land Hessen abgefragt. Inzwischen liegt das drei Monate zurück; wir haben aber leider nur in zwei Fällen eine Antwort. Offenbar ist dieser Minister nicht bereit, offenzulegen, wo sich Hessen im Vergleich befindet. Vielmehr hat man uns in der Beantwortung der Anfrage zu der Polizeidichte die Vergleichszahlen zu anderen Bundesländern mit der Begründung verweigert, dass man diese Zahlen seit 1998 gar nicht mehr erhebe. Aber wir hatten Glück – der Finanzminister geht gerade –, dank Herrn Dr. Schäfer.
Denn Herr Dr. Schäfer hat in seinem Bericht der Haushaltsstrukturkommission diese Zahlen veröffentlicht, und zwar von 2008.
Herr Innenminister, dann scheint die Antwort auf unsere Fragen offensichtlich schlicht falsch zu sein. Woher hat der Finanzminister denn die Zahlen von 2008, obwohl Sie uns die Zahlen mit der Begründung verweigert haben, seit 1998 gebe es überhaupt keine mehr?
Aber ich habe eine Vermutung, warum Sie uns die Zahlen nicht gegeben haben. Herr Innenminister, damit haben wir nämlich jetzt den Vergleich. Da sieht es für Sie nicht so gut aus. Deswegen haben Sie sie uns auch nicht überreicht.
Der Tabelle des Statistischen Bundesamtes ist nämlich zu entnehmen, dass Hessen mit 1 : 431 insbesondere hinter allen Stadtstaaten, hinter Bayern und dem Saarland zurückliegt und sich damit ein Negativtrend bestätigt, der sich parallel zu dem seit 1999 betriebenen Personalabbau bei der Polizei immer weiter fortsetzt.
Im Gegenteil: Sie haben vorhin auf 1998 hingewiesen. Das mache ich jetzt auch, mit großem Vergnügen. 1998 hatten wir laut Bundeszentrale für politische Bildung ein Verhältnis von 1 : 413. 2002 war das Verhältnis noch 1 : 419. Wir sehen also eine dramatische Verschlechterung von 1998 bis heute, von 1 : 413 auf 1 : 431.
Frau Lannert, das sind Ihre Zahlen. – Wir haben von Ihrem Innenminister bislang nur diese Anfrage beantwortet bekommen.
(Abg. Florian Rentsch (FDP) unterhält sich an der Regierungsbank mit Minister Boris Rhein. – Günter Rudolph (SPD): Herr Präsident!)
Den Kollegen aus Nordhessen muss ich leider sagen: Im Jahr 2003 – das wurde uns von dieser Landesregierung so beantwortet – standen im Polizeipräsidium Kassel noch 1.653 Stellen zur Verfügung. Heute – das sind Ihre Zahlen aus der Beantwortung unseres Berichtsantrags – stehen in Nordhessen nur noch 1.514,5 Stellen zur Verfügung. Das sind sage und schreibe 138,5 Stellen weniger. Das bedeutet bei der Polizeidichte in der Fläche in Nordhessen ein Verhältnis von nur noch 1 : 584 – im Vergleich zu 1 : 413. Meine Damen und Herren, erfolgreiche Sicherheitspolitik in Hessen sieht anders aus.
Besonders abenteuerlich war allerdings die Darstellung des Innenministers auf der Pressekonferenz, dass bei der Polizei jährlich rund 550 Anwärter zusätzlich eingestellt würden. Tatsächlich aber gehen – das wissen Sie eigentlich sehr genau – jährlich zwischen 360 und 400 Beamte in den Ruhestand oder wandern in andere Bundesländer ab, die dann ersetzt werden müssen.