Herr Wagner, deswegen sage ich in aller Klarheit: Ich werde in dieser Debatte nicht länger auf Frau Lötzsch eingehen. Sie hat großen Unsinn verzapft, unhistorisch und unaufgeklärt. Es ist unsere Angelegenheit, das klar und deutlich zu sagen. Es ist Angelegenheit der Linkspartei, dies zu klären. Manche Kommentierung, auch aus der Linkspartei, war dabei sehr hilfreich. Ein Schlussstrich für die notwendige Klärung kann das allerdings noch nicht sein.
Der Versuch, den Artikel meiner Kollegin Ypsilanti damit gleichzusetzen, ist allerdings ein albernes Ablenkungsund Wahlkampfmanöver, mit dem Sie den Landtag beschäftigen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) und Peter Beuth (CDU))
Herr Wagner, dass dieser Artikel Sie intellektuell überfordert, kann ich verstehen. Aber das Problem müssen Sie selbst lösen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beuth (CDU): „Gesellschaftsverändernde Reformen“: Erklären Sie das einmal, Herr Schäfer-Gümbel!)
Ihr Beitrag zur innerparteilichen Debatte der SPD ist Ausdruck von Meinungsfreiheit und Pluralismus. Herr Wagner, das ist das Wesen von Demokratie. Nicht jeder und jede in unserer Partei würde jeden dieser Sätze unterschreiben, wie im Übrigen jedes anderen Artikels, der zur Analyse geschrieben wurde. Aber Denk-, Sprech- und Schreibverbote mag es bei Ihnen geben. Bei uns gibt es die nicht. Herr Wagner, das ist gelebte Demokratie und Meinungsfreiheit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Peter Beuth (CDU): Was sagen Sie zum Thema: „Terror der Ökonomie“?)
Zweiter Punkt. Demokratischer Sozialismus. Sie greifen in Ihrem Antrag das Thema demokratischer Sozialismus auf. Ich sage Ihnen voller Selbstbewusstsein: Für diese Vorstellung von demokratischem Sozialismus sind im Bismarckreich, im Nationalsozialismus und in der kommunistisch regierten DDR viele Sozialdemokraten in Haft und oft sogar in den Tod gegangen. Ihr Umgang mit diesem Thema verhöhnt die Opfer und ist ahistorisch.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Holger Bellino und Peter Beuth (CDU))
Herr Wagner, damit komme ich zur historischen Einordnung. Seit Wilhelm Liebknecht gilt für uns Sozialdemokraten – jetzt kommt ein wörtliches Zitat;
Sozialismus und Demokratie sind nicht dasselbe, aber sie sind nur ein verschiedener Ausdruck desselben Grundgedanken; sie gehören zueinander, ergänzen einander, können nie miteinander in Widerspruch stehen.
Kurt Schumacher hat den demokratischen Sozialismus als harte Abgrenzung zum Sowjetkommunismus ins Godesberger Programm geschrieben. Herr Wagner, das sollten wenigstens Sie zur Kenntnis nehmen.
Aber seit Gründung der SPD haben die reaktionären Kräfte versucht, uns als staatsgefährdend, als vaterlandslose Gesellen zu diffamieren. Immer dann, wenn es für die CDU schwierig wird, greift sie in die reaktionäre Mottenkiste.
Bitte sehr. Machen Sie nur so weiter, Herr Reif, Herr Irmer und Konsorten. Offensichtlicher kann man seine eigenen Probleme nicht zur Schau stellen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer, Holger Bellino und Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU))
Sein Gedankengut lebte zumindest teilweise im Arbeitnehmerflügel der CDU fort. Aber dieses Flügels hat sich die hessische CDU inzwischen entledigt.
Herr Wagner, deswegen will ich abschließend die Gelegenheit nutzen, das Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, beschlossen am 28. Ok tober 2007 in Hamburg, hier noch einmal zu zitieren. Dieser Tagesordnungspunkt gibt uns die Möglichkeit dazu. Wörtliches Zitat:
Unsere Geschichte ist geprägt von der Idee des demokratischen Sozialismus, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der unsere Grundwerte verwirklicht sind. Sie verlangt eine Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, in der die bürgerlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte für alle Menschen garantiert sind, alle Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, also in sozialer und menschlicher Sicherheit führen können.
Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt.
Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.
Dritte Bemerkung. Sie bekennen sich in Ihrem Antrag zur sozialen Marktwirtschaft. Ich sage Ihnen: Das ist ein Täuschungsmanöver. Es geht Ihnen nicht um die soziale Marktwirtschaft, sondern um Marktradikalismus. Dem muss man sowohl theoretisch als auch politisch-praktisch entgegentreten.
Ich gehe davon aus, dass keiner der 66 Koalitionsabgeordneten das Buch „Terror der Ökonomie“ von Viviane Forrester gelesen hat. Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre. Für diejenigen, denen das Buch zu lang ist, empfehle ich die Kurzfassung in der „Neuen Zürcher Zeitung“ aus dem Jahr 1997. Im Kern hat sie sich mit der Frage des Primats der Politik beschäftigt, das allerdings von den Marktradikalen immer in das Gegenteil verkehrt wird.
Es wundert uns auch nicht. Eine Koalition, die sich wahlweise als Erfüllungsgehilfe der Atomwirtschaft, der Hoteliers oder jeder anderen finanzstarken Lobbygruppe versteht, kann diesem Gedanken natürlich nichts abgewinnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So ein Schmarrn! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
Dort sitzen diejenigen, die der sozialen Marktwirtschaft am liebsten das Soziale austreiben wollen. Das sind diejenigen, die im Kern eine Systemänderung wollen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wir haben gegen eure Stimmen für die soziale Marktwirtschaft gekämpft!)
Dreißig Jahre der Deregulierung hätten das System und das Verhalten der Teilnehmer an den Finanzmärkten verändert.
Die wahren Systemveränderer sind die Marktradikalen, die jede Regulierung bekämpfen und die Krisen heraufbeschwören. Das ist die Wahrheit, über die wir hier zu reden haben.
Letzter Punkt. Bekenntnis zur Freiheit und Demokratie. CDU und FDP fordern in ihrem Antrag ein Bekenntnis zur Freiheit und Demokratie. Ich kann nur sagen: Hört mal, wer da spricht. – Ich werde mich nicht dazu versteigen, Ihrer Fraktion das Eintreten für Freiheit und Demokratie abzusprechen. Insofern zahle ich Ihnen Ihre ziemlich dümmlichen Angriffe auf die hessische Sozialdemokratie nicht mit derselben Münze zurück. Ich überlasse es Ihnen, sich in der untersten Schublade der parlamentarischen Auseinandersetzung wohlig einzurichten und mache Ihnen diesen Platz nicht streitig.