Was passiert nun? Wir haben nun eine Situation in Berlin, in der man die Chance hätte nutzen können, dieses System der Freiwilligendienste völlig neu zu konzipieren.
Wir haben ein Bundesamt für den Zivildienst mit vielen Hundert von Stellen, mit einem äußerst großen Etat, und in vielen Bundesländern haben wir freiwillige soziale Dienste: Wir haben das freiwillige ökologische Jahr, wir haben „weltwärts“, wir haben „kulturweit“, wir haben Plätze in der Denkmalpflege und im europäischen Freiwilligenjahr. Wir haben den „Freiwilligendienst aller Generationen“.
Wir haben einen großen Strauß unterschiedlicher Freiwilligendienste, auf Bundesebene wie auf Länderebene. Außerdem haben wir einen Etat von mehr als 180 Millionen € im Etat des Bundesamtes für den Zivildienst zur Verfügung. Angesichts dieser Situation hätten wir die historische Chance gehabt, eine Neukonzeptionierung in der Bundesrepublik herbeizuführen und Freiwilligendienste unter einem Dach neu zu konzipieren und dabei zugleich eine Vielfalt verschiedener Freiwilligendienste zu erhalten.
Unser Vorschlag dazu war recht einfach. Wir haben gesagt, die Bundesfamilienministerin könnte sich mit den Länderfamilienministerinnen oder den zuständigen Ministern gemeinsam an einen Tisch setzen und sagen: Wir schaffen ein bundesweites Dach, und darunter werden wir eine Struktur einführen, bei der der Bund die Rahmengesetzgebung macht, die Richtlinien setzt, die Länder ausführend sind, die Plätze anerkennen und auch die Gelder auszahlen. – Das wäre eine einfache Sache gewesen.
Genau deshalb haben wir das auch in einem Entschließungsantrag formuliert. Denn die Pläne der Bundesfamilienministerin sind unbefriedigend.
Sie sind deshalb unbefriedigend, weil sie faktisch einen Bundesfreiwilligendienst schafft. – Im Gespräch war ein freiwilliger Zivildienst. Dieses Etikett hat man jetzt begraben. Jetzt aber kommt heraus: Es wird einen bundesweiten Freiwilligendienst geben – aber als zweite Säule neben der Vielzahl der Länderfreiwilligendienste, die es schon gibt.
Das ist eine absurde, teure Doppelstruktur. Sie ist intrans parent und viel zu teuer. Das lehnen wir GRÜNE ab.
Angesichts dieser bundesweiten Doppelstrukturen frage ich: Stehen wir GRÜNE mit unserer Kritik daran alleine? Sagen alleine wir GRÜNE, dass das Quatsch ist und man aufhören soll, Doppelstrukturen einzuführen, anstatt jetzt zu sagen: eine einzige Adresse, eine gute gleiche Finanzierung für alle Freiwilligenjahre? – Nein, wir stehen nicht allein. Wir haben an unserer Seite die FDP.
Die FDP wehrt oder wehrte sich gegen die Zukunftspläne der Familienministerin Kristina Schröder. „Die FDP wird keiner Regelung zustimmen, die künftig ein Zweiklassensystem bei Freiwilligendiensten schafft“, sagt der Experte Florian Bernschneider; für seine Partei habe der Ausbau bestehender Angebote eindeutig Priorität. Er fügte hinzu: Die unterschiedlichen Förderungen, die noch kommen werden – nämlich dass ein Land wie Hessen sein freiwilliges soziales Jahr nur mit 200 € fördert, der Bundesfreiwilligendienst für einen Platz aber eine Förderung von 500 € erhält –, ein solcher Unterschied sei völlig untragbar, sagt Herr Bernschneider von der FDP; und wir GRÜNE sagen: Recht hat er.
Ich komme zum Schluss. – Ich freue mich, dass auch Herr Grüttner das so gesagt hat – dass es nämlich Doppelstrukturen gibt, die er ablehnt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Entschließungsantrag zielt darauf ab, noch einen Versuch zu unternehmen, diese historische Chance zu nutzen, um Doppelstrukturen zu vermeiden und eine einheitliche Struktur für Bundesfreiwilligendienste unter einem Dach zu schaffen – gleiche Förderung und gleiche Bedingungen für alle. Das macht es attraktiver und interessanter für viele Freiwillige, die wir jetzt dringend benötigen. – Herzlichen Dank.
Schönen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr van Ooyen das Wort. Bitte schön, Herr van Ooyen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um es kurz zu sagen: Kollege Bocklet, wir stimmen eurem Antrag zu.
Aber ich will doch noch ein wenig den Hintergrund beleuchten, denn es ist nicht klar, warum das Ganze jetzt in zwei Systemen funktioniert.
Es ist natürlich so: Wenn man die Wehrpflicht aussetzt und die Zwangsdienste nicht abschafft, dann hat man zwangsläufig das Problem, dass man, wenn man sie wieder einführen will, beide Strukturen erhalten muss. Ich bin nicht ganz sicher, ob die derzeitige Bundesregierung wirklich die Abschaffung der Wehrpflicht will oder ob sie ganz andere Entwicklungsprozesse begleitet.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, wie das Ganze zustande kam. Für die Friedensbewegung war ein wichtiger Faktor, dass wir in diesem Land an der jährlich steigenden Zahl der Kriegsdienstverweigerer messen konnten, wie sich die pazifistische Entwicklung in diesem Land manifestiert hat. Inzwischen verweigert mehr als die Hälfte eines Jahrgangs den Kriegsdienst. Das ermutigt uns. Wir müssen sicherlich noch mehr werden, damit der Krieg in Afghanistan und der weltweite Kriegseinsatz ein Ende haben.
Es ist erfreulich, dass auch zunehmend Soldaten das Kriegshandwerk ablehnen. Doch wir wissen: Der Gegner schläft nicht.
Frau Henzler will in den Schulen die Kriegsbegeisterung durch einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr zurückerobern. Ausbildungsmessen sollen für die Uniformierung unserer Jugend genutzt werden. Arbeitslosigkeit ist schon jetzt die Basis für eine ökonomische Wehrpflicht. Ich selbst habe eineinhalb Jahre Zivildienst geleistet, und ich empfand dies besser, als mich zum Töten ausbilden zu lassen.
Auch wenn die Dienstpflicht genutzt wurde, um uns in den Sechziger- und Siebzigerjahren als Drückeberger zu diffamieren und in kasernenähnliche Einrichtungen zusammenzupferchen, haben wir etwas daraus gemacht. Der sogenannte Ersatzdienst sollte Arbeitsdienst werden. Da
gegen haben wir Widerstand geleistet und den bisher einzigen Streik der Zivildienstleistenden im April 1971 organisiert.
Der damalige Kampf hat mit dazu beigetragen, die Einsatzmöglichkeiten des Zivildienstes auszuweiten und eine hohe gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen. Es war eine Möglichkeit, eigene Fähigkeiten zu erkennen, sich im Leben zu orientieren und dabei Menschen zu helfen. Eines durfte und darf aber nicht passieren: Arbeit, die eine bestimmte Qualifikation und auch berufliche Erfahrung erfordert, darf nun nicht einfach jungen Menschen übertragen werden, um entsprechendes Fachpersonal einzusparen.
Wenn ab dem kommenden Jahr die Wehrpflicht ausgesetzt wird, dann haben wir es mit einer Situation zu tun, in der wir eine Parallelstruktur aufrechterhalten müssen. Ich befürchte, dass dann genauso schnell, wie Sie jetzt die Wehrpflicht abschaffen wollen, diese Regierung wieder in der Lage sein wird, die Wehrpflicht wieder einzusetzen.
Es geht darum, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht einerseits davon gesprochen wird, die Dienste attraktiver zu machen. Bundesfamilienministerin Schröder verkündet andererseits, die negativen Effekte des Auslaufens des bisherigen Zivildienstes minimieren zu wollen. Dann läuten bei mir alle Alarmglocken. Es ist nämlich durchaus möglich, dass die Regierenden diese Strukturen aufrecht erhalten, um einen gravierenden Strukturwechsel herbeizuführen. Es kann nicht angehen, dass beispielsweise auf diese Art und Weise die Statistik der Arbeitslosenzahlen ein bisschen durchmengt wird und sich Arbeitslose zukünftig in einem sogenannten Freiwilligendienst wiederfinden.
Selbst die Reduktion der bisherigen 90.000 Stellen im Bereich des Zivildienstes auf 35.000 wird natürlich Folgewirkungen haben. Wir werden vor grundsätzlichen Entwicklungen und der Frage stehen, wie diese Dienste neu zu organisieren sind und wie die Menschen hier auch beteiligt werden können.
Viele ambitionierte Projekte, die es überall im Land gibt und die große Beachtung finden, sind ein Beleg dafür, dass immer wieder gute Arbeit geleistet wird. Die Einsatzbereiche für den Freiwilligendienst sollten ausgeweitet werden. Damit sind wir beim Antrag der GRÜNEN.
Wir wollen aber auch, dass diese Freiwilligendienste – sowohl ihre Dienstbereiche als auch deren Arbeitsabläufe – der Mitbestimmung in Einrichtungen durch die Betriebsräte und die Gewerkschaften unterliegen.
Liebe GRÜNE, Sie haben lediglich die Vertreter der Wirtschaft benannt, die in einem Beirat mitwirken sollen. Ich hoffe, Sie haben damit auch die Gewerkschaften gemeint. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist immer wieder interessant, wie es DIE LINKE
schafft, in fünf Minuten bei so einem Thema das Thema Bundeswehreinsatz in Afghanistan und die angebliche Fälschung der Arbeitslosenzahlen unterzubringen. Das ist immer wieder hochinteressant. Aber gut.
Die Bundesregierung hat sich dazu entschieden, die Wehrpflicht auszusetzen. Die Bundesministerin für Soziales hat die große Herausforderung, sich mit dem Thema Ersatz für den Zivildienst zu beschäftigen. Ich glaube, mit der Gesetzesvorlage, die Frau Dr. Schröder gestern im Kabinett vorgelegt hat, hat sie einen guten Gesetzesvorschlag gemacht. Dafür möchte ich ihr von hier aus ganz herzlich danken.
Wenn ich mich daran erinnere, wie die Diskussion zu Beginn des Jahres angefangen hat – da war von Untergang der Sozialsysteme und allem Möglichen die Rede, was da kolportiert wurde –, dann glaube ich, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen richtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben.
Über das Gesetz kann man lange diskutieren. Wir haben hier nicht sehr viel Zeit. Aber wir werden im Ausschuss auch noch einmal darüber sprechen.
Zwei oder drei Punkte möchte ich trotzdem erwähnen, die ich an diesem Bundesfreiwilligendienstegesetz sehr spannend finde. Das ist zum einen, dass auch ältere Menschen die Gelegenheit bekommen sollen, sich im Freiwilligendienst zu betätigen. Ich kenne viele rüstige Rentner, die mit 60 aus der Arbeit aussteigen und sich gern sozial engagieren. Hier bekommen sie vielleicht eine Gelegenheit, sich noch mehr zu engagieren und auch für die Allgemeinheit etwas zu tun.
Es gibt einen weiteren interessanten Punkt, den ich noch erwähnen möchte. Das ist das Konzept zur Integration von Migranten. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass hier eine Gelegenheit geschaffen wird, Migranten in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das ist ein sehr spannender Punkt. Ich bin wirklich gespannt, wie sich das entwickeln wird.
Neben dem Bundesfreiwilligendienstegesetz wird es auch eine höhere Förderung der anderen Freiwilligendienste geben. Ich freue mich, dass für diese Freiwilligendienste auf Länderebene weitere 300 Millionen € zur Verfügung stehen werden. So werden die Zuschüsse für die Freiwilligen, die hier eine tolle Arbeit leisten, erhöht. Deswegen ist auch in unserem Antrag der Passus enthalten, dass wir die Landesregierung bitten, zu prüfen, wie man auch in Hessen den Freiwilligendienst ausbauen kann, der jetzt schon existiert. Es soll geprüft werden, wie er auch in anderen Bereichen ausgebaut werden kann, wie z. B. Kultur oder Politik. Ich bin gespannt, was wir da erleben werden. Ich hoffe, dass wir da einen Ausbau erleben werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns alle einig, dass der Zivildienst nicht komplett durch die neue Gesetzgebung ersetzt werden kann. Aber ich bin frohen Mutes, dass wir einen Großteil hier auffangen werden.