Protocol of the Session on November 18, 2010

Ich füge als Berichterstatter hinzu: Wir haben uns zwischenzeitlich schon auf Teilerfolge verständigt, was die gemeinsamen Änderungsanträge angeht. Deswegen mussten wir ein Verfahren wählen, wie wir eine Empfehlung für die zweite Lesung abgeben. Das wurde mit Mehrheit von CDU und FDP gemacht. SPD und GRÜNE haben sich ausdrücklich enthalten, zur Vermeidung einer vorläufigen Entscheidung in der Sache selbst. – Das sage ich als Berichterstatter, denn wir waren alle daran beteiligt.

Herr Präsident, ich würde dann gerne auch für die Fraktion vortragen.

Schönen Dank, Herr Berichterstatter. – Herr Kollege Milde hat sich auch gleich für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Die Geschäftsführer haben sich auf eine Redezeit von siebeneinhalb Minuten geeinigt. Bitte schön, Herr Milde.

(Holger Bellino (CDU): Es geht auch weniger!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte daran erinnern, dass wir am 29. Mai 2008 im Haushaltsausschuss die Beschlussempfehlung zu einem gemeinsamen Antrag gefasst haben, den damals zunächst CDU und FDP eingebracht hatten, zum Umgang mit finanzwirksamen Anträgen und dazu, wie Finanzpolitik in Hessen in Zukunft aussehen soll. Es gab Alternativanträge von SPD, GRÜNEN und LINKEN. Wir haben uns am Ende auf einen gemeinsamen Antrag verständigt.

Ich sage vor der Klammer: Wir hatten damals Zeitabläufe, die zu optimistisch waren; denn wir wollten bereits im Jahr 2011 einen ausgeglichenen Haushalt und danach keine Haushalte mehr mit einer Neuverschuldung. Da ist die Wirtschaftskrise dazwischengekommen. Ich denke, das ist unstreitig. Aber die damalige gemeinsame Entscheidung des Hauses war, dass wir uns verständigt haben auf eine wirksame, intelligente Schuldenbremse, die verbindlich

verankert werden soll. Im Übrigen haben wir damals auch schon davon gesprochen, dass das in der Verfassung verankert werden sollte. Damals haben sich alle Fraktionen im Landtag dafür entschieden.

Ich möchte auch sagen, warum: Weil wir uns im Jahr 2008, in dem besondere hessische Verhältnisse gegolten haben, als Abgeordnete zusammengesetzt und überlegt haben, wie es mit den Finanzen weitergehen soll. Es gab sehr unterschiedliche Voraussetzungen, warum wir die jeweiligen Anträge eingebracht hatten. Aber die Entscheidung war doch, dass wir uns überlegt haben, dass 40 Jahre in Deutschland eine andere Politik gemacht wurde. Immer stand im Vordergrund, dass zunächst einmal die Ausgaben gesichert werden müssen, und wenn die Einnahmen nicht gereicht haben, wurden immer Schulden gemacht. Das geschah ausnahmslos seit ungefähr 1970, und das wollten wir gemeinsam beenden. Das sollten wir auch gemeinsam beenden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich bin z. B. dem Bund der Steuerzahler, der hier durch Herrn Fried prominent vertreten ist, sehr dankbar dafür, dass er eine Interessenvertretung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Hessen darstellt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Aber nicht von allen!)

Man kann sie nicht immer beschimpfen, wenn man das gerade braucht. – Grundsätzlich ist es richtig, dass es eine Interessenvertretung der Steuerzahler gibt. Ich glaube, das ist auch notwendig. Die Interessenvertretung der Steuerzahler setzt sich dafür ein, dass in Hessen in Zukunft keine neuen Schulden gemacht werden, verbindlich ab dem Jahr 2020, und dass das auch in der Verfassung geregelt wird.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen die Zahlen nennen. Ich habe es mir gerade herausgesucht. Seit 2002 sind die Schulden der öffentlichen Haushalte in Deutschland, quer über alle Ebenen, von 1,28 Billionen €, also 1.280 Milliarden €, gestiegen auf 1,695 Billionen €, also 1.695 Milliarden €. So ging das immer seit 1970.

Wir führen eine Diskussion übrigens auch, weil der Hessische Ministerpräsident dazu eingeladen hat, einen Weg zu finden, wie wir gemeinsam, über die Parteigrenzen hinweg, eine Lösung finden können, dieses für die künftigen Generationen so wichtige Thema gemeinsam in der Hessischen Verfassung zu verankern und damit gemeinsam um ein Bekenntnis der hessischen Bürgerinnen und Bürger bei der Volksabstimmung am 27. März zu werben.

Dort stand eindeutig im Vordergrund, dass am Ende ohne neue Schulden ausgekommen werden muss. Es gibt unterschiedliche Diskussionen darüber, ob man mehr auf die Ausgabenseite oder mehr auf die Einnahmenseite schauen muss. Man versucht jetzt, irgendwie Lösungen zu finden, dass man beides miteinander verbindet. Aber wenn man sich die Zahlen, die ich eben genannt habe, noch einmal vor Augen führt, dann muss vor der Klammer doch eines ganz klar sein: Wenn wir nicht die Kraft aufbringen, zunächst einmal zu sagen, dass wir ohne Wenn und Aber ab 2020 keine neuen Schulden machen wollen, dann wird die Politik auch nicht die Kraft aufbringen, ab 2020 keine neuen Schulden zu machen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, in der Anhörung haben wir sehr deutlich von den Sozialverbänden gehört: Das geht

nur, wenn ihr sicherstellt, dass Einnahmen da sind. Ihr müsst die Steuern erhöhen. – Ich will Ihnen sagen: Wir haben in Deutschland in den letzten zehn Jahren – ich will die Diskussion nicht wieder anfangen, wer das gemacht hat; wir haben auch zugestimmt – den Spitzensteuersatz von 53 % auf 42 % gesenkt. Die Vermögensteuer ist in Deutschland abgeschafft worden. Aber wir hatten das alles. Wir hatten 53 % Spitzensteuersatz, und wir hatten eine Vermögensteuer in Deutschland gehabt, und das hat alles nicht dazu geführt, dass wir ohne neue Schulden ausgekommen sind.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Die Einnahmen haben nie gereicht. Man hat immer das Maß der Ausgaben daran bemessen, was man politisch in dem Jahr für richtig hält, und nie danach geschaut, was man in der Kasse hat.

Deswegen muss über allem stehen, Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. Es obliegt der politischen Auseinandersetzung eines jeden Jahres bis 2020 und darüber hinaus, ob wir das erreichen, indem wir hart einsparen, ob wir das erreichen, indem wir Steuern senken, um die Wirtschaft anzukurbeln und damit mehr Steuereinnahmen zu haben, ob wir das erreichen, indem an der einen oder anderen Stelle Steuern erhöht werden. Das muss jede politische Generation für sich selbst entscheiden.

Deswegen ist es verkehrt, wenn wir aus heutiger Sicht schon Bedingungen dafür stellen, wie die Schuldenbremse eingehalten werden soll. Vielmehr müssen wir heute klar das Bekenntnis abgeben: Wir wollen ab 2020 keine neuen Schulden machen, und das steht über allem anderen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Natürlich haben wir einen ersten Erfolg in den Gesprächen gehabt. Das kann man sagen. Es obliegt mir als ers tem Redner, darauf hinzuweisen. Denn es waren auch Anträge der Oppositionsfraktionen. Es stand vor allem auch im Gesetzentwurf der GRÜNEN, dass Art. 137 Abs. 5, in dem in der Verfassung bereits die Finanzausstattung der Kommunen gesichert wird, zukünftig ausdrücklich auch in Art. 141 der Hessischen Verfassung Erwähnung finden soll – das war der Wunsch aller Kommunalen Spitzenverbände –, um sicherzustellen, dass wir in Zukunft einen Schutz für die Kommunen haben, damit wir nicht alle Aufgaben auf die Kommunen abladen.

Aber ich sage zum Schluss auch ganz deutlich – wir haben ja nur 7,5 Minuten Redezeit –: Ja, wir wollen, dass die Kommunen am Ende nicht die Verlierer sind. Aber der von den GRÜNEN zu Recht beschriebene Dreiklang zwischen Einsparungen, Effizienzsteigerungen und Einnahmeerhöhung ist notwendig. Wie auch immer man zu Einnahmeerhöhungen kommt – dass wir Wachstum brauchen, ist jedenfalls klar. Das heißt aber nicht, dass wir auf der anderen Seite diesen Dreiklang nicht auch von den hessischen Kommunen abverlangen. Gespart werden muss auf allen Ebenen. Schulden dürfen nirgends gemacht werden. Die Fehler der letzten 40 Jahre müssen der Vergangenheit angehören.

Deswegen werben wir ausdrücklich dafür, mit den Stimmen aller dafür zu sorgen, dass die hessischen Bürgerinnen und Bürger am 27. März nächsten Jahres dafür stimmen, dass ab 2020 keine neuen Schulden mehr gemacht werden dürfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Milde. – Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Herr Kollege van Ooyen das Wort.

(Florian Rentsch (FDP): Jetzt kannst du noch auf den Zug aufspringen!)

Herr Rentsch, ich bin mir immer treu geblieben und das schon eine ganze Zeit lang. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, Sie wollen tatsächlich mit dem Kopf durch die Wand und hoffen, dass es nicht so sehr wehtut. Sie wissen ganz genau, dass der Plan einer Schuldenvermeidung nicht aufgeht und auch nicht aufgehen kann. Das haben die Experten bei der parlamentarischen Anhörung überzeugend begründet. Herr Milde, Sie sind darauf eingegangen, vor allem auf die Nachdenklichkeit der Sozialverbände und der Gewerkschaften. Diese haben sehr deutlich gesagt, das wird nicht erreichbar sein. Sie haben zusätzlich zu Recht Angst vor dem, was auf sie zukommt.

Sie hätten nur zuzuhören brauchen, um herauszufinden, welche Argumentationspositionen auch wir als LINKE eingenommen haben. Wir sind nicht der Meinung, um das gleich vorweg zu sagen, dass wir Schulden ohne Ende machen. Es soll sicherlich einen ausgeglichenen Haushalt geben, der aber – das war immer unsere Position, auch im Jahr 2008 – deutlich von der Einnahmenseite her bestimmt wird. Argumente interessieren Sie anscheinend nicht, weil Sie eher in Panik geraten als zuhören.

Ihre politischen Themen ziehen nicht mehr. Das war so bei den Ausländerfragen, das verbietet sich derzeit. Also haben Sie sich aus Ihrer Sicht ein Thema gewählt, von dem Sie glauben, es sei ein Gewinnerthema, die Schuldenbremse. Sie wissen, die Leute mögen keine Schulden, wer Schulden hat, würde sie gern schnell wieder loswerden. Dabei ist Schuldenmachen nicht unbedingt ehrenrührig. Denken Sie daran, wenn man ein Haus baut oder bauen will, um Miete zu sparen, nimmt man einen Kredit auf. Wer als Unternehmer seine Marktposition stärken will, macht das ebenso. Es handelt sich um Investitionen in die Zukunft. Der Merksatz muss lauten: Nicht die Verschuldung gefährdet die Zukunft unserer Kinder, sondern das Unterlassen von Zukunftsinvestitionen gefährdet sie.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schulden müssen auch wieder abbezahlt werden!)

Die Finanzierung wichtiger Aufgaben des Gemeinwohls muss dann ausbleiben, so die öffentlichen Investitionen in Bildung, Soziales, Gesundheit, Umwelt oder in den Ausbau erneuerbarer Energien. Die Folge Ihrer Schuldenbremsenpolitik wären zudem die weitere Erhöhung – das merken wir jetzt schon bei den Kommunen, die sich nicht anders wehren können – von Gebühren und der Verkauf öffentlichen Eigentums an profitorientierte Kapitalisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das träfe vor allem Menschen mit geringem Arbeitseinkommen, Rentner, Arbeitslose, Auszubildende. Genau darauf läuft Ihr Unternehmen Schuldenbremse hinaus. Wenn Sie als Landesregierung weniger Schulden machen wollen, dann machen Sie doch weniger Schulden. Aber behelligen Sie damit nicht die Bürger.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie vor allen Dingen die Hände von der Verfassung, die nun wirklich nichts mit Ihren Schulden zu tun hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Immer haben Sie als eine der größten Schuldenmacherinnen der Neuzeit 38 Milliarden € Schulden angehäuft. Mit Ihrer Hilfe wurden Milliarden Euro von Steuergeldern durch überflüssige Steuersenkungen verschenkt. Sie unterstützen fragwürdige Objekte. Wir haben immer gesagt, dass es im hessischen Haushalt Sparmöglichkeiten gibt. Ich erwähne es ganz kurz: Kassel-Calden, der gesamte Flughafenausbau in Frankfurt, die Privatisierung des Bildungsbereichs, der von Ihnen forciert wird. Erfolgreichen Steuerfahndern, die auch vor großen Firmennamen nicht haltgemacht haben, haben Sie den Stuhl vor die Tür gestellt. Wir wollen den Sozialstaat erhalten, das ist unser Prinzip.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen, die Vermögenden brauchen keinen starken Staat, er ist ihnen eher lästig. Vermögende stört es auch nicht sonderlich, wenn eine Schuldenbremse Länder und Kommunen ihrer Handlungsfähigkeit beraubt. Ebenso wenig stört es sie, dass eine Schuldenbremse die demokratische Gestaltung unserer Gesellschaft und das Budgetrecht einschränkt. Das Land Hessen wie der Bund und viele kapitalistische Länder haben angesichts der Krise erfolgreich Kredite aufgenommen, also Schulden gemacht. Es wurde gegengesteuert, indem Konjunkturprogramme aufgelegt wurden, nicht nachhaltig, das haben wir immer gesagt, aber immerhin. Das trug dazu bei, dass die Wirtschaft einigermaßen in Schwung gehalten wurde und manche Arbeitsplätze erhalten werden konnten. In der nächsten Krise wäre das mit der Schuldenbremse unmöglich.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)

Die Definition des Begriffs der wirtschaftlichen Normalzeit ist historisch in Deutschland ein fragwürdiges Unterfangen. Ich will nur an Thüringen erinnern.

Das Problem der Verschuldung muss man klein halten durch die Erhöhung der Einnahmen der öffentlichen Kassen. Geld muss man dort holen, wo es ist, bei den Reichen, den Millionären, durch Vermögensteuer und Erbschaftsteuer.

Herr Milde, wenn Sie sagen, die öffentliche Hand hat 1,7 Billionen € Schulden – in der Größenordnung liegen wir –, dann sagen wir natürlich auch, dass es 4,8 Milliarden € Geldvermögen bei den reichen Menschen in diesem Land gibt. Aus diesem Grund kann man über Umverteilung nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN – Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU): Bei allen! Ihr Haus in Frankreich auch!)

Das liegt aber nicht an der Grenze, bei der wir die Erbschaftsteuer einführen wollen. – Die Schuldenbremse schränkt die Handlungsspielräume für eine aktive Wirtschaftspolitik ein, die Krisen und Arbeitslosigkeit entgegenwirkt. Sie führt zu sozialen und kulturellen Verlusten, weil Investitionen in die Zukunft mit hoher Rendite über Kredite nicht mehr vorfinanziert werden können. Es droht ein weiterer Abbau des Sozialstaats; Personalabbau und Lohndrückerei, besonders im öffentlichen Dienst,

sind vorgesehen. Dies stellt eine unzulässige Einschränkung der künftigen Willens- und Entscheidungsbildung gewählter Parlamentarier dar.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Das Problem besteht nicht zwischen den Generationen, zwischen Alt und Jung, wie Sie uns immer als Begründung zur Schuldenbremse weismachen wollen, sondern aufgrund der Rolle der Staatseinnahmen und der Zinszahlungen zwischen Arm und Reich, und zwar in der jetzigen Generation.