Frau Lannert, „Millionäre“ ist offensichtlich Ihr Stichwort. – Erstmals haben wir in Deutschland eine dreistellige Zahl von Milliardären. Angesichts solch immensen Reichtums wollen Sie den Menschen erzählen, es sei kein Geld für Soziales, für Gesundheit oder eben auch für anständige Löhne vorhanden.
Meine Damen und Herren, prekäre Beschäftigung und die Leiharbeit nehmen zu. Der gegenwärtige bejubelte Aufschwung geht wieder einmal an den Lohnabhängigen, im Übrigen auch an den Rentnerinnen und Rentnern und an den Erwerbslosen vorbei. Und zu den Wachstumszahlen, die hier bejubelt werden, möchte ich einmal sagen, dass dem ein Einbruch von 5 % des Bruttoinlandsproduktes vorausgegangen ist. Deshalb sind wir noch lange nicht auf Vorkrisenniveau. Wir haben ein Wachstum; das ist richtig. Aber um die Krise auszugleichen, reicht dieses Wachstum noch lange nicht.
Der sogenannte Aufschwung ist abhängig von einer Exportorientierung auch der hessischen Wirtschaft, die die Unternehmen von der Entwicklung in anderen Ländern völlig abhängig macht. Statt einseitig auf Exporte zu setzen, wäre es notwendig, steigende Löhne im Inland zu haben. Vor allem wäre es notwendig, dass der Staat als Nachfrager und Investor auftritt.
Herr Blum, hören Sie gut zu – in Hessen liegt bei 0,9 % des Inlandproduktes, was noch unter der erbärmlichen Quote liegt, die wir in Deutschland insgesamt haben, nämlich von 1,5 %. Herr Blum, Hessen liegt noch einiges darunter.
Ich fühle mich auch als Hessin; das sei mir gestattet. – Aber das Problem bei Ihrem Konjunkturprogramm ist, dass es viele Investitionen erst nachgeholt hat, die all die Jahre ausgeblieben sind. Deswegen waren es keine notwendigen Zukunftsinvestitionen, sondern Sie haben Investitionen getätigt, die die ganzen letzten Jahre aufgrund einer völlig falschen Wirtschaftspolitik ausgefallen sind.
Die Investitionsquote in Deutschland und ganz besonders in Hessen ist im Hinblick auf die öffentliche Infrastruktur deutlich zu gering. Wir haben beispielsweise einen Investitionsstau im ÖPNV. Der fährt auf Verschleiß. Einer Studie zum Finanzierungsbedarf in diesem Bereich kann das entnommen werden. Wir haben leider keine hessenspezifische Aufstellung, was natürlich sehr interessant wäre.
Die Kommunen und die Infrastrukturbetreiber können heute schon nicht mehr die turnusmäßigen Reinvestitionen in dem erforderlichen Umfang leisten. Auch die vom Verkehrsministerium beschlossene Erhöhung der Mittel zur Förderung des ÖPNV-Angebots bleibt weit hinter dem Notwendigen zurück. Damit wird ein qualitativer Ausbau des ÖPNV in diesem Bereich überhaupt nicht möglich.
Meine Damen und Herren, die Beteiligten – Verbünde, Verkehrsunternehmen und Gemeinden – müssen sich Jahr für Jahr einen viel zu kleinen Topf teilen und sich darum streiten, wer die Lasten trägt, die durch die Kürzung von Bund und Land auf sie zukommen. Das Konzept der Landesregierung ist der sogenannte hessische Weg. Er besteht aus einer verfehlten Privatisierungspolitik in dem Glauben, dass mehr Markt und mehr Wettbewerb höhere Effizienz erreichen ließen.
Das Ergebnis dieser Politik ist ein Massensterben mittelständischer Verkehrsunternehmen, die bei Ausschreibungen nicht mehr zum Zuge kommen, weil zum einen die Lose zu groß sind, die ausgeschrieben werden, und weil zum anderen EU-weit ausgeschrieben wird, was für ein mittelständisches Verkehrsunternehmen mit enormem Aufwand verbunden ist.
Die Gewinner dieser Ausschreibungen sind in der Regel international tätige Großunternehmen, die reihenweise hessische Mittelständler aus dem Markt gedrängt oder aufgekauft haben. Von Wettbewerb kann in diesem Bereich überhaupt keine Rede mehr sein. Wenn heute pro Ausschreibung drei bis fünf Angebote eingehen, kommen diese Angebote immer von denselben drei bis fünf großen Verkehrskonzernen. Von Wettbewerb und Förderung des Mittelstands kann wirklich keine Rede mehr sein.
Meine Damen und Herren, der Druck zur Privatisierung hat vor allem dazu geführt, dass das Tarifgefüge im ÖPNV ausgehöhlt wurde. Die öffentlichen Tarife wurden abgelöst durch die Tarife der privaten Anbieter, die deutlich darunter liegen.
Das Phänomen haben wir in Frankfurt. Hier in Wiesbaden, in der Landeshauptstadt, verdient ein Busfahrer bei der outgesourcten Stadtwerketochter 11 € brutto in der Stunde. Zuschläge gibt es praktisch keine mehr – und das bei Ausbildungskosten, die bei etwa 10.000 € liegen. Da überlegt sich natürlich jeder zweimal, ob er 10.000 € in die Ausbildung investiert, wenn er danach ein Nettogehalt hat, von dem er vielleicht kaum noch leben kann.
Deshalb macht sich die Branche auch ernste Sorgen darüber, ob sie überhaupt noch genug Nachwuchs findet.
Daraus schließe ich: Beim ÖPNV fährt man nicht nur bei den Fahrzeugen, sondern auch beim Personal auf Verschleiß.
Die Verlagerung von Straßenverkehr auf die Schiene ist leider kein Anliegen dieser Landesregierung. Kollegin Müller hat das schon angesprochen. Ökonomisch und ökologisch ist die Schiene der Straße weit überlegen. Das gilt auch für den Gütertransport.
… dass eine weitere Verlagerung des Güterverkehrs auf den Verkehrsträger Schiene ein ökologisch wie ökonomisch sinnvolles Ziel darstellt.... Eine hochwertige Eisenbahninfrastruktur ist für den grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Schienenverkehr auf europäischer Ebene von zentraler Bedeutung.
Das ist einer der ganz wenigen Anträge in diesem Haus, der auf einhellige Zustimmung gestoßen ist und von allen Fraktionen begrüßt wurde.
Aber im Einzelplan heißt es dann konsequenterweise – Frau Kollegin Müller hat schon darauf hingewiesen –:
Die Förderung von Schieneninfrastruktur für den Güterverkehr wurde mit Ablauf des Haushaltsjahres 2010 eingestellt.
Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein Widerspruch: Als Regierungsfraktionen stellen Sie schöne Schaufensteranträge, aber als Regierung tun Sie das genaue Gegenteil. Das ist wirklich unglaubwürdig, was Sie da tun.
Dann stellt sich die Regierung hin und streicht die Förderung der Erstausbildung zusammen. Sie sagen, die Lage auf dem Ausbildungsmarkt habe sich derart verbessert, dass die Schaffung neuer Ausbildungsplätze nicht mehr vorrangiges Ziel sein müsse.
Dementgegen beklagen die Arbeitgeberverbände und die Kammern den Fachkräftemangel. Aber die Landesseite stiehlt sich aus der Verantwortung und fährt die Landesprogramme herunter.
Ich sage Ihnen: Solange es noch Jugendliche gibt, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, so lange steht auch das Land in der Verantwortung, sich darum zu kümmern und diese Jugendlichen zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, das aber tun Sie nicht und rechnen stattdessen die Zahlen schön. Bei der Bundes
agentur für Arbeit waren im August über 11.000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz gemeldet. Viele andere suchen, die sich nicht gemeldet haben. Ihnen stehen 7.700 freie Ausbildungsplätze gegenüber.
Frau Lannert, natürlich stimmen diese Zahlen. Sie kommen von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. Sie können das ja noch einmal nachschauen. Ich weiß nicht, mit welchen Zahlen Sie operieren.
Ende Oktober galten offiziell weiter 740 Bewerber als unversorgt. Hinzu kommt – und das ist natürlich das Entscheidende –: 6.300 junge Menschen haben keine Stelle gefunden und sind auf ein Qualifizierungsangebot der Arbeitsagentur oder auf eine weiterbildende Schule ausgewichen.
Wir reden hier von Tausenden Einzelschicksalen junger Menschen, die einen Einstieg ins Arbeitsleben suchen und dabei auf Betriebe stoßen, die sich aus dem einen oder anderen Grund weigern, auszubilden.
Deshalb gehört es auch zur Verantwortung der Landesregierung, Betriebe zu unterstützen, die nicht ausbilden können, weil sie zu klein sind oder aus anderen Gründen keine eigene Ausbildungsplätze anbieten können. Viele dieser Betriebe wollen ausbilden und können das nicht. Deswegen sind Ausbildungsverbünde natürlich eine sinnvolle Einrichtung. Sie bieten Ausbildung für junge Menschen und haben hohe Übernahmequoten. Deshalb werden sie aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert – wenn die Landesseite die Kofinanzierung bereitstellt.