Protocol of the Session on November 17, 2010

Ich war immer in Frankfurt, Herr Boddenberg. Sie kennen mich. Spätestens seit den Siebzigerjahren war ich immer da.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben das früher nicht hauptberuflich gemacht!)

Ich demonstriere auch nebenberuflich weiter. Die außerparlamentarische Arbeit ist mir sehr wichtig.

(Holger Bellino (CDU): APO-Opa! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Die können Sie auch besser!)

Die parlamentarischen Fragen werden wir hier jetzt bearbeiten müssen, weil es um den Haushalt geht.

Während die Banken wieder Milliardengewinne einfahren, dürfen die Beschäftigten weiter auf eine Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu Billiglöhnen hoffen. Das ist die traurige Realität jahrzehntelanger neoliberaler Politik. Die systemische Krise des entfesselten Finanzmarktkapitalismus ist ein Offenbarungseid Ihrer neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben.

(Florian Rentsch (FDP): Was für ein Blödsinn!)

Die willkürliche Streichung staatlicher Leistungen ist ein Beleg Ihrer Beratungsresistenz.

(Holger Bellino (CDU): Hat das heute Morgen im „Neuen Deutschland“ gestanden? – Karlheinz Weimar (CDU): Die harte Drohung!)

Das habe ich heute noch nicht bekommen, das kam nicht an. – Hätten Sie Konsequenzen aus der Krise gezogen, würden Sie nicht in der gegenwärtigen Situation die „Operation sichere Zukunft“ oder, wie wir sie nannten, „düstere Zukunft“ wiederholen. Denn eines hat diese Operation sicher nicht erreicht: eine sichere Zukunft.

Stattdessen setzen Sie einfach Ihren sozialstaatsfeindlichen Kurs fort und wischen jede Kritik mit einer Mischung aus Zynismus, Marktreligiosität und Ignoranz weg. Sie bleiben bei Ihrem Glauben an den Markt und vertreten die Interessen der oberen Zehntausend. Nehmen wir einige Beispiele aus dem Landeshaushalt:

Die beabsichtigte Förderung der EBS durch das Land und die schwarz-grün-gelb regierte Stadt Wiesbaden ist das beste Beispiel dieser Politik. Einerseits haben Sie, Herr Bouffier, über die Jahre durch Einführung von Studiengebühren die Studentinnen und Studenten geschröpft und dem Hochschulstandort Hessen geschadet, und nun subventionieren Sie zur „Aufwertung der hessischen Hochschullandschaft“ zum ersten Mal in der hessischen Geschichte eine Privatuniversität.

Wer aus öffentlichen Kassen Elitenschmieden bezuschusst, während Hessen in der Bildungsfinanzierung weiter zurückfällt, signalisiert, dass er zurück in eine Ständegesellschaft will.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist ein politischer Skandal. Auffällig ist die Tatsache, dass die EBS in etwa die Förderung bekommen hat, die bei den öffentlichen Hochschulen nun gekürzt wird: über 30 Millionen €. Man bekommt den Eindruck, dass dies Ihre Vorstellung ist, wie Hochschulfinanzierung zukünftig aussehen soll: privat vor öffentlich.

Bei allem Zynismus ist der Höhepunkt Ihrer Kürzungen bei den hessischen Kommunen. Denen nehmen Sie 360 Millionen € weg, obwohl Sie wissen, dass es gerade die Kommunen sind, die ganz wesentlich für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft sorgen. Das ist aber nichts anderes, als einen Landeshaushalt auf Kosten der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu sanieren. Mit Ihrer Zustimmung zu Steuergeschenken für Reiche ruinieren Sie weiterhin das Land Hessen.

Da helfen Ihre Taschenspielertricks auch nichts, wenn Sie beispielsweise mit der Spitzabrechnung etwas vorziehen, was den Gemeinden sowieso zusteht. Sie bekommen das Geld ein bisschen früher. Ohne die Kürzung des KFA hätten Städte, Gemeinden und Landkreise in Hessen 360 Millionen € mehr, um in für die Menschen spürbare öffentliche Daseinsfürsorge zu investieren.

(Beifall bei der LINKEN)

So aber werden weiter freiwillige Leistungen gestrichen und Unterstützungen für Vereine und soziale Einrichtungen gekürzt.

Dass Sie weiterhin – trotz erheblicher Zweifel und zunehmender Kritik, selbst in Ihren Reihen – an PPP-Infra strukturprojekten festhalten und durch die Ausweitung der PPP-Projekte die Privatisierung durch die Hintertür

betreiben, öffentliche Kassen belasten und Privatfinanziers bereichern, ist modernes staatliches Raubrittertum.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Präsidenten der Landesrechnungshöfe haben unlängst von PPP-Projekten abgeraten, da deren Wirtschaftlichkeit oft nur zum Vorteil der privaten Seite läuft. Aber diese Kritik können und wollen Sie nicht wahrnehmen. Sie sind Opfer und Täter Ihres eigenen Privatisierungswahns. Jährlich steigende Mieten sind der Preis. Der private Betrieb an der Universität Gießen zeigt noch einmal deutlich, dass plötzlich, obwohl das Gebäude schon nicht mehr dem Land Hessen gehört, die Sanierungen dort mit immerhin 2 Millionen Mark finanziert werden sollen.

(Zurufe: Mark?)

Euro. 2 Millionen € zusätzlich für die Sanierung der Universität – es geht um die Zahnklinik dort – sollen vom Land Hessen finanziert werden, obwohl dieses Gebäude gar nicht mehr dem Land Hessen gehört. – Das sind Beispiele dafür, dass der Steuerzahler immer weiter zusätzlich belastet wird und die Privaten entlastet werden.

Statt Investitionen im Bildungsbereich, wie etwa den Ausbau von Kindertagesstätten, nachhaltige und energieschonende Bauweise oder den Aufbau von Ganztagsschulen, zu forcieren, kommen Sie uns mit einer Schuldenbremse.

Statt die nächste Krise zu verhindern, bereiten Sie Hessen darauf vor, dass für viele der Staat keine Hilfe mehr bedeuten wird. Sagen Sie den Menschen dieses Bundeslandes endlich, dass Sie ab jetzt jedes Jahr Haushalte wie diesen aufstellen wollen, Haushalte, die davon geprägt sind, dass immer weniger bis gar nichts mehr geht. Ich glaube, diese Tendenz sollte öffentlich werden, dass Sie darauf aus sind, das Land weiter arm zu machen.

Angesichts der Erfahrungen mit den Konjunkturprogrammen ist es geradezu aberwitzig, jetzt brachial in eine restriktive Haushaltspolitik einzusteigen. Eines hat die Krise bewiesen, was jahrelang immer wieder von den Marktapologeten bestritten wurde: Konjunkturprogramme können wirken.

(Minister Michael Boddenberg: Das sind jetzt wie- der die Bausteine aus Berlin!)

Der Staat ist noch in der Lage, die wirtschaftliche Entwicklung mitzugestalten. Das heißt aber auch, dass der Staat in der Verantwortung ist, Politik zu gestalten. Um das Land zukunftsfähig zu machen, stellen Sie es endlich sicher. Stellen Sie sich dieser Verantwortung.

Stattdessen leistet sich diese Regierung weiterhin eines der sozial ungerechtesten Bildungssysteme. Seit Jahren herrschen trotz der gestiegenen Lehrerzahlen an den hessischen Schulen struktureller Lehrermangel und Bildungsnotstand. Die jetzt eingeplanten zusätzlichen 500 Lehrerstellen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für eine auskömmliche Personalausstattung von 105 % sind dringend weitere Lehrerstellen unerlässlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Schaffen Sie diese, und investieren Sie endlich mehr Geld auch in die Ausbildung von Lehrkräften. Diese Landesregierung ist weiterhin eine Gefahr für den Bildungsstandort Hessen. PISA-Studien zeigen, dass das Land Hessen trotz seines gesellschaftlichen Reichtums und der guten Voraussetzungen im Bildungsvergleich nicht einmal im Mittelfeld ist. Die hessische Bildungspolitik zementiert

die sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich, statt sie aufzubrechen.

Doch was tut diese Landesregierung? – Sie schleift die Gesamtschulen und steigert die Förderung von Privatschulen. Diese Politik organisiert die Flucht der Menschen aus dem öffentlichen Bildungssystem und päppelt dann die privaten Schulen auf. Statt eines guten öffentlichen Schulsystems wird das Bildungssystem weiter zergliedert. Ihrem Konzept des Zweiklassenbildungssystems – öffentliche und private – setzen wir unser Modell des gemeinsamen Lernens entgegen. Nötiger denn je sind deshalb der Ausbau von Ganztagsschulen und die Einführung längeren gemeinsamen Lernens, wie sie von vielen Schülerinnen und Schülern und Wissenschaftlern gefordert werden.

(Torsten Warnecke (SPD): Und der SPD!)

Und der SPD; gut, da sind wir es gemeinsam.

(Günter Rudolph (SPD): Torsten, wir haben eigene Vorschläge!)

Na ja. Das war mal so, mal so, lieber Günter. Das ist immer sehr schwierig mit der SPD.

Auf dem Rücken von Schülerinnen und Schülern verspielen Sie Hessens Zukunft und zementieren die soziale Ungleichheit. Diese Landesregierung vernachlässigt die Bekämpfung von Arbeits- und Langzeitarbeitslosigkeit. Gerade Langzeitarbeitslosen bieten Sie keine ernsthafte Möglichkeit, sie wieder in das Berufsleben zu bringen.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Haben Sie sich schon einmal die Statistik angeguckt?)

Vorgestern hat die Liga eine Pressekonferenz durchgeführt, in der sich vor allem diejenigen, die sich bemühen, Langzeitarbeitslose ins Berufsleben zurückzuführen, bitter über die Politik sowohl des Bundes als auch der Landesregierung beschwert haben.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die wollen aber die Ein-Euro-Jobs beseitigen!)

Ich bin nicht mehr Geschäftsführer der Werkstatt Frankfurt. Deshalb kann ich das durchaus kritisch sehen. Ich will diese Ein-Euro-Jobs auch nicht, damit das eindeutig klar ist. Das ist keine wirkliche Perspektive. Das sagt auch der Bundesrechnungshof, wie wir in den letzten Tagen gehört haben. Von daher ist das kein Punkt, der mich besonders nachdenklich macht. Es geht darum, wirklich vernünftige Arbeitsplätze zu schaffen.

Gerade Langzeitarbeitslosen bieten Sie keine ernsthaften Möglichkeiten, wieder in das Berufsleben zu finden. Wir wollen sinnvolle zusätzliche Arbeit, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Ein Wort zum Lohnabstandsgebot. Man kann das sicher aufrechterhalten. Das bedeutet allerdings, dass wir deutliche Lohnerhöhungen brauchen. Dann wären wir ein ganzes Stück weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade jetzt ist es unerlässlich, den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit aufzunehmen. Unsere Fraktion wird deshalb Initiativen für ein Antiarmutsprogramm, eine Hessen-Card für finanziell schlechter gestellte Menschen und ein öffentliches Beschäftigungsprogramm in die Beratungen einbringen, damit soziale Gerechtigkeit wieder eine Heimat in Hessen hat und diese Menschen nicht nur unter die schwarzen Geier fallen.

(Zuruf von der CDU: Schwarze Geier?)

Auch leidet der öffentliche Dienst weiterhin unter Ihrer Fuchtel. Weiterhin sperren Sie die Beschäftigten aus der Tarifgemeinschaft der Länder aus und verspielen die Chance nachhaltiger Stärkung öffentlicher Nachfrage. Allein dieser Akt hätte die Binnenkaufkraft um mehr als 200 Millionen € gestärkt, neue Arbeitsplätze und eine leistungsfähige Verwaltung geschaffen. Aber auch dies war von Schwarz-Gelb nicht gewollt.

Meine Damen und Herren, auch nach der Kabinettsumbildung lässt sich nur ein Fazit ziehen. Das System Koch heißt jetzt zwar System Bouffier, aber steht weiter für eine Politik der Zementierung sozialer Ungerechtigkeit, des Ausverkaufs staatlichen Reichtums und der Umverteilung von unten nach oben.