Protocol of the Session on September 30, 2010

(Zuruf von der CDU)

Das ist doch unglaublich.

Aber dieses Rabattmärkchensystem,mit dem Sie sich hier loben, zeigt den traurigen Zustand dieser Landesregierung. Ich hätte versucht, es zu verschweigen, und hätte meine Unfähigkeit, gute Familienpolitik zu machen, nicht auch noch unterstrichen. Wenn ich mir diese gepriesene Karte mit ihren Angeboten näher anschaue, erfahre ich, dass Eltern und Kinder jetzt telefonisch bei Problemen beraten werden können.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hatten wir vorher schon!)

Als Sozialpädagogin packt mich da das Grausen, denn ich weiß, dass telefonisch zwar eine Notfallintervention statt

finden kann, Beratung aber anders geht. Beratung hat etwas mit langfristigen Prozessen zu tun.

(Anhaltende Unruhe – Florian Rentsch (FDP): Also ich höre Ihnen zu, Frau Kollegin!)

Das ist schön. – Es hat etwas mit langfristigen Prozessen und damit zu tun, dass man Beratungsleistungen kontinuierlich annehmen kann, dass es dafür geschützte Räume und qualifiziertes Fachpersonal gibt.

(Anhaltende Unruhe – Florian Rentsch (FDP): Frau Schott, ich kann nichts dafür, dass Ihnen keiner zuhört!)

Ehrlich? – Ich habe auch noch einen praktischen Lerntipp für Schüler zur Frage gefunden: Wie lerne ich Vokabeln und baue dafür ein Karteikästchen? Also ich habe das in der Schule gelernt,

(Zurufe von der CDU: Oh!)

aber vielleicht verlagern wir bald auch noch den Unterricht auf diese Webseite und sparen da dann auch noch ein bisschen ein oder vergeben dafür Rabattmärkchen.

(Helmut Peuser (CDU):Teilzeitbeschäftigte!)

Familienpolitik geht jedenfalls anders, und Familienpolitik für Kinder erst recht. Der Nationale Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“ basiert auf der UN-Konvention für Kinderrechte.Art. 27 dieser Konvention schreibt fest:

...das Recht jedes Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard...

Sie verpflichtet

Die Vertragsstaaten... Maßnahmen [zu treffen], um den Eltern und anderen für das Kind verantwortlichen Personen bei der Verwirklichung dieses Rechts zu helfen...

Wenn die Landesregierung versucht, diese Aufgabe mit der Familienkarte zu erfüllen, sollten wir hier ernsthaft über den Zustand dieser Regierung diskutieren.

Auf der Webseite der Hessischen Landesregierung bekommen wir einen Babysitterdienst der ÖRAG Service GmbH angeboten. – Warum gerade diesen Servicedienst? Diese Frage meine ich nicht rhetorisch.Ich hätte gern eine ernsthafte Antwort. Wieso empfiehlt die Hessische Landesregierung diesen und keinen anderen Dienst? Auf der Seite der Hessischen Landesregierung macht sich dann eine Seite von Partnern auf, die aussieht wie die Werbebeilage in einer kostenlosen Wochenzeitung, die es allenthalben gibt: REWE, HIPP, Fraport, „Focus“.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Keine Schleichwerbung!)

Ist das die neue Wirtschaftsförderung der Landesregierung, für die sie jetzt den Werbepart übernimmt? – Herr Minister Hahn, Sie haben vorhin in die Rede von Herrn Bocklet hineingerufen: „keine Werbung“! – Ich wünsche mir, die Regierung würde sich an diese Aufforderung des Justizministers halten, denn sie macht auf einer Landesseite Werbung für diese Firmen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verantwortung für Kinder und ihre Familien im Sinne der UN-Kinderkonvention für Kinderrechte geht anders. Die Regelsätze der Bundesregierung für Kinder im Hartz-IV

Bezug beinhalten vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr für Nahrung und Trinken täglich 2,72 c.Da würde ich auch Rabattmärkchen in Anspruch nehmen. Mit nicht einmal 3 c sollen Eltern ihr Kind satt bekommen, von einer gesunden Ernährung gar nicht zu sprechen. 6,09 c im Monat für die Gesundheitspflege von Kleinkindern sollen diesen einen „körperlichen“ und „sittlichen... Lebensstandard“ sichern. Mit 40 Cent am Tag für Verkehrsmittel für Jugendliche wollen Sie eine „körperliche, geistige, seelische, sittliche und soziale Entwicklung“ sicherstellen oder auch nur ermöglichen. Dass Sie sich angesichts dieser Wahrheiten dafür loben müssen, Rabattmärkchen zu verteilen, verstehe ich.

Ich fordere die Fraktionen von CDU und FDP auf: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück,

(Lachen der Abg. Judith Lannert (CDU))

oder erklären Sie jetzt und hier, dass Sie diesem Verarmungsprogramm für Kinder und ihren erwerbslosen Eltern im Bundesrat nicht zustimmen werden.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Gott- fried Milde (Griesheim) (CDU))

Werfen Sie einen kurzen Blick auf die sechs Kernpunkte des Nationalen Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland...“ und lassen Sie uns dabei fragen, bei welchen Bevölkerungsgruppen es jeweils am meisten Probleme gibt,um zu erreichen:Chancengleichheit durch Bildung, frühe individuelle Förderung, Überwindung der Selektivität des Bildungssystems usw., ein Aufwachsen ohne Gewalt, Förderung eines gesunden Lebens und gesunder Umweltbedingungen – das finde ich im Umfeld des Frankfurter Flughafens in Bezug auf Kinder eine ganz spannende Frage –, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, die Entwicklung von Qualitätsstandards für die Beteiligten, die Entwicklung eines angemessenen Lebensstandards für alle Kinder, und dazu gehört für mich auch die Bekämpfung der Ursachen von Kinderarmut als internationale Verpflichtung.

(Zuruf von der Regierungsbank: freie Rede!)

Es gilt, glaube ich, die Regel, dass die Regierungsbank nicht dazwischenreden sollte.

Die Aufzählung macht deutlich,

(Holger Bellino (CDU): Wer schreibt denn diese Reden, die Sie da ablesen?)

was wir in erster Linie brauchen. Wir brauchen ein Programm zur Bekämpfung von Kinderarmut, ein Programm zur Unterstützung arbeitsloser Eltern und der mit niedrigem Einkommen, und das gilt auch für Hessen.

Das aktuelle Kinderbarometer Hessen erfasst im Auftrag des ehemaligen Ministers Banzer unter anderem, dass 18 % der Kinder in Hessen von Arbeitslosigkeit in der Familie berichten. Ich finde, das sind die Punkte, denen wir uns annehmen und für die wir ein Programm entwickeln müssen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn Kinder sind in Deutschland leider noch immer ein Armutsrisiko. Vermutlich ist auch das einer der Gründe, weshalb zwar der Kinderwunsch gewachsen ist, die Zahl der Kinder andererseits tatsächlich nicht wirklich wächst, sondern im Gegenteil eher rückläufig ist.

An der Stelle, denke ich, sollten Sie sich endlich einmal überlegen, was Sie wirklich für Kinder tun wollen, statt diese ausgesprochen peinliche Nummer hier auch noch mit einem Setzpunkt in den Vordergrund zu stellen.

Ich glaube, man muss genau schauen: Was bietet man an Frauenförderung an? Was tut die Landesregierung dafür, dass wir endlich eine Angleichung der Löhne von Männern und Frauen bekommen? Was tut die Landesregierung dafür, dass wir endlich mehr Frauen in Chefetagen haben? Was tut die Landesregierung an diesen Stellen? Das müssen Sie sich fragen lassen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das hat Frau Lautenschläger abgegeben!)

Ach, richtig, Frau Lautenschläger. Ich vergaß.

Ich denke, es gäbe viele Punkte, wo wir sinnvoll etwas für Familien tun könnten. Ich möchte auch, ehrlich gesagt, diese Karte nicht weiterentwickeln.

Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Ja, das mache ich sofort.

Über eine Karte können wir reden. Aber dieses kleine Werbeprogramm weiterzuentwickeln, damit Menschen sich dann auch noch Bildung,Teilhabe an kulturellen Dingen einkaufen können – ich weiß nicht, ob ich das ernsthaft weiterentwickeln möchte. Ich glaube, eher nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank.– Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Wiesmann das Wort. Bitte schön, Frau Wiesmann.

(Helmut Peuser (CDU): Ihr habt eine schöne Koalition! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ja, sie hat es schon schwer!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist heute mein Schicksal, dass ich aufgrund einer Fehlinformation und schlechter Orientierung meinerseits die Rednerreihenfolge durcheinandergebracht habe. Das tut mir ausdrücklich leid.

(Holger Bellino (CDU): Alles Gute kommt zum Schluss!)

Familie ist auch Schicksal. Familie ist Schicksal für jeden von uns, die wir mindestens einmal von Eltern erzogen, geprägt, geliebt und geleitet wurden. Wo das alles nicht stattgefunden hat, ist es auch eine Prägung. Schicksal ist Familie aber auch für uns alle zusammen. Sie ist der Kern einer jeden sozialen Ordnung. In ihr beginnt das Zusammenleben mit anderen. Sie ist die erste Erfahrung von Abhängigkeit und Geborgenheit, von Ähnlichsein und Anderssein, von allein und gemeinsam, von Freiheit und Zwang. Sie ist die erste und wichtigste Schule für Gemeinschaft. In ihr wurzelt fast alles, was uns wert ist: Nächstenliebe, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein, Mitmenschlichkeit.