Protocol of the Session on June 24, 2010

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wichtig, dass wir das Thema Atom immer wieder auf die Tagesordnung des Hessischen Landtags setzen. Denn wir müssen erkennen, dass in den Reihen von CDU und FDP immer noch das Wort vom Energiemix gebraucht wird – d. h. Atomenergie plus erneuerbare Energien plus Kohle. Das ist noch immer der falsche Weg, das ist der falsche Zungenschlag. Deswegen ist es notwendig, dass wir Sie immer wieder mit Fakten konfrontieren. Meine Damen und Herren, das will ich auch heute tun.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gleich zu Herrn Kollegen Stephan.Wenn Sie sich hierhin stellen und sagen, der Weltenergierat sagt, wir brauchen weiter die Atomenergie, dann sage ich Ihnen,

(Peter Stephan (CDU): Das habe ich gar nicht gesagt!)

schauen Sie sich doch einmal an, wer die Mitglieder des Weltenergierats sind. Dann sehen Sie: Da ist E.ON drin, EnBW, RWE, BP und das Deutsche Atomforum. Klar haben die Interesse daran, die Atomkraftwerke weiter am Netz zu halten: Das ist ihr Geschäftsbereich. Der geht sonst flöten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Deswegen empfehle ich Ihnen einen Blick in Richtung Bundesregierung. Sehen Sie sich einmal die Aussagen des Sachverständigenrates für Umweltfragen an. Der sagt ganz deutlich, eine hundertprozentige Stromversorgung durch erneuerbare Energien ohne Laufzeitverlängerung der AKWs und ohne den Neubau von Kohlekraftwerken kann bis zum Jahr 2050 klimaverträglich, sicher und bezahlbar realisiert werden.

Kommen Sie uns doch nicht immer mit der Mär, wir bräuchten den Atomstrom. Bereits seit Jahren verzeichnen wir in Deutschland Exportüberschüsse bei Strom.Allein im Jahr 2009 hatten wir an der Leipziger Strombörse 18-mal Überkapazitäten durch die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien. Es ist nicht so, wie Sie das immer darstellen. Bitte stellen Sie sich doch der Realität. Führen Sie nicht Begründungen an, die nachweislich falsch sind.

Ich sage Ihnen: Die Bürgerinnen und Bürger stehen bei der Atomenergie nicht an Ihrer Seite. Sie haben doch gesehen, welch einen Massenprotest wir am 24.04. hatten. Da waren mehr als 150.000 Menschen auf der Straße: gegen die Laufzeitverlängerung der alten, risikoreichen Atomkraftwerke. In Biblis fand an diesem Tag die größte Demonstration seit 20 Jahren statt.

Ich sage Ihnen auch: Was die großen Stromkonzerne machen, ist eine krasse Unverschämtheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg.Timon Gremmels (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Kaum dass die Tinte trocken war, haben sie schon dagegen gearbeitet. Im Jahr 2000 wurde diese Vereinbarung geschlossen. Danach hat man ständig versucht, gegen diese Vereinbarung zu verstoßen.

Sich jetzt hinzustellen – der Kollege Gremmels hat es schon angesprochen – und zu sagen, aber in der Vereinbarung wurde doch festgehalten, dass keine Belastungen durch Steuern auf sie zukommen, meine Damen und Herren, das ist tatsächlich eine Unverschämtheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Timon Gremmels (SPD))

Man will das eine, aber das andere will man nicht einhalten. Es stimmt, was gesagt wurde: Pacta sunt servanda. Verträge müssen einfach gehalten werden.

Meine Damen und Herren, kommen wir doch einmal zur Sicherheit des Atomkraftwerks. Biblis A und B sind nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert. Wir haben dort keine

unabhängige verbunkerte Notstandswarte. Mittlerweile sind dort über 850 Meldungen nach der Störfallverordnung zu verzeichnen. Ich habe auch eine Aussage von Norbert Röttgen lesen können, der sagt: Keines unserer 17 Kernkraftwerke hat den Stand der Technik, den es hätte, wenn es neu gebaut würde. – Das sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

So viel zu Ihrer Aussage über die sicheren Kernkraftwerke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie sich doch auch einmal das Thema Defekte an. Meine Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat bei Herrn Röttgen angefragt, wie es bei den Bauteildefekten ausschaut. Daraus kann man Rückschlüsse ziehen, in welchem Sicherheitsstandard sich die Reaktoren befinden.

In der Antwort können Sie erkennen, dass es eine Zunahme gibt, gerade bei den alten Reaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Unterweser. Biblis A hat 78 Defekte zu verzeichnen, Biblis B 66. Die jüngeren AKWs haben innerhalb dieser 15 Jahre – für diesen Zeitraum wurde der Rückblick vorgenommen – am wenigsten zu verzeichnen, und dazu zählt Neckarwestheim 2. Das heißt also, mit zunehmendem Alter treten in diesen Atomkraftwerken immer mehr Probleme auf.

Meine Damen und Herren, für uns ist das schon immer ein Grund gewesen, zu sagen, diese Risikotechnologie muss vom Netz. Wir haben die Chance, die erneuerbaren Energien auszubauen. Nutzen Sie diese Chance. Streiten Sie für eine andere Energiepolitik, nicht für die Gewinne der großen Stromkonzerne.

(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Diesen großen Stromkonzernen sind ihre Gewinne wichtiger als die Moral.– Meine Damen und Herren,ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg.Timon Gremmels (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das Wort hat Herr Kollege Sürmann für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist das Thema immer wieder da. Ich habe auch nicht schlecht gefrühstückt. Herr Wagner, diesmal ist es das Mittagessen, das mir hochkommt, wenn es immer so langweilig ist. Wir müssen uns aber nun einmal damit beschäftigen – die Anträge sind gestellt –, auch wenn bisher in den Vorträgen auf das eigentliche Thema des Antrags der SPD gar nicht eingegangen wurde. Ich komme dazu. Zum Glück haben die LINKEN den Antrag gestellt, das Atomkraftwerk in Biblis gleich abzuschalten. Das eröffnet eine etwas allgemeinere Diskussion.

Ich beginne meine Ausführungen wie gewohnt.

(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich finde es erstaunlich, dass unter allen großen Industriestaaten der Welt – von den USA bis China, Japan und Russland – die Deutschen die Einzigen sind, die glauben, sie könnten ohne Kernkraft auskommen. Wir haben praktisch unseren Kohlebergbau aufgegeben, wir haben so gut wie kein Öl in unserem Boden, auch nicht vor unseren Küsten. Deshalb liegt es nahe, dass Deutschland einen Teil seiner Energie aus Kernkraft bezieht. Natürlich hat Kernkraft ihre Risiken. Es gibt aber keine Energie und nichts auf der Welt ohne Risiken, nicht einmal die Liebe.

Das war Helmut Schmidt im Interview mit der „Zeit“ vom 24.07.2008.

Es wäre also an der Zeit,nachdem Sie heute in Ihrem Entschließungsantrag Drucks. 18/2580 Herrn Schmidt über alles gelobt haben und die Kollegin Waschke in einem Presseartikel in der „Fuldaer Zeitung“ wortwörtlich gesagt hat: „Diesen Sachverhalt hat wohl der geehrte Altkanzler Helmut Schmidt vor Augen gehabt, als er sagte: ,Die Regierenden und die Bürger müssen in Zeiten der Krise zu einer Mannschaft zusammenwachsen’“,zu sagen: Ja, recht hat er. – Auch in dieser Frage sollte das langsam einmal der Fall sein.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Herr Schmidt fragt, ob wir es uns leisten können, auf diese Technik zu verzichten,dann hilft noch einmal ein Blick auf die Gesamtstrommengenproduktion der Atomkraftwerke in der Welt. Da liegen wir von 1980 bis 2009, außer in vier Fällen, mit jeweils über 12 TWh immer an der Spitze in der Welt, was die Effektivität unserer Kraftwerke angeht. Sie wollen auf diese Technik verzichten. Sie wollen auf eine Technik verzichten, die offensichtlich die beste der Welt ist, wie ich Ihnen gerade nachgewiesen habe. Sie wollen auf eine Technik verzichten – –

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wollen Sie sie verkaufen? In den Iran, oder wohin? Seien Sie doch bitte einmal so wach, um zu erkennen, dass wir mit einer solchen Technik vernünftig umgehen und sie hierbehalten müssen, statt sie hinterher irgendwo im Ausland zu verscherbeln.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Gremmels, zu den Gutachten, die Sie vorgetragen haben: Sie selbst haben schon eingeräumt, dass es da nicht stimmt, denn es gibt unterschiedliche Gutachten. Sie wissen auch, dass sowohl Rupert Scholz als auch ein weiterer Autor, der nicht ganz unbekannt ist, nämlich der Kollege Christoph Moench, auch ein Staatsrechtler aus Frankfurt, der Meinung sind, dass das mit der Zustimmung zum Bundesrat Quatsch ist. Aber Sie haben recht: Wir sollten keine juristischen Wortklaubereien machen. Wir sollten das politisch entscheiden. Wir werden das auch politisch entscheiden. Da werden unsere Berliner Freunde auch eine Linie finden.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Insofern habe ich keine Sorge, dass wir eine verantwortungsvolle Verlängerung der Laufzeiten bekommen werden.

Herr Gremmels, Sie kritisieren in Ihrem Antrag, diese Übertragungen von Strommengen sollten nicht stattfinden. Ich hätte gern Herrn Schmitt hier gehabt, denn dann

hätte ich sagen können: „Herr Schmitt, hören Sie doch endlich einmal auf Herrn Schmidt“, aber das geht jetzt nicht, aber vielleicht nehmen Sie das so entgegen. – Die Begründung lautet,das sei alles Trickserei.Ich betone hier noch einmal: Es ist überaus rechtmäßig, was da geschieht. Das ist nach dem Atomvertrag so. Wenn Sie das kritisieren, können Sie das tun.Aber dann kritisieren Sie den eigenen Atomkonsens, den Sie mit Rot-Grün damals ausgehandelt haben. Dieser Vortrag ist unglaublich.

Frau Hammann, wenn Sie sagen „Pacta sunt servanda“, dann müssen Sie immer sehen, dass ein Vertrag von den Vertragsparteien geändert werden kann. Wenn dieser Vertrag jetzt geändert wird, dann ist das eine gute Sache und völlig in Ordnung. Es ist auch im juristischen Bereich häufig so, dass Verträge geändert werden.Wenn das nicht der Fall wäre, würde es im Leben auch nicht weitergehen.

Sie sprachen die Meinung der Bevölkerung an. Ich habe mir dann auch einmal eine Demoskopie von Allensbach angeguckt. Sie kommt zu folgenden Ergebnissen: 37 % der Deutschen lehnen die Kernenergie ab. 44 % befürworten sie,zumindest teilweise.Das wird noch einmal aufgesplittet, wenn die Frage um den Hinweis ergänzt wird, dass mit der Hälfte der dadurch erzielten Gewinne erneuerbare Energien wie die Windkraft und Sonnenergie gefördert werden. Dann erhöht sich die Zahl derjenigen, die dafür sind, auf 46 %, immerhin. Nur 23 % der Deutschen fordern bei Kernkraftwerken die sofortige Stilllegung. 26 % wollen die Kernenergie noch eine lange Zeit nutzen. 43 % sind sogar dafür, dass das langfristig genutzt wird.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das waren jetzt aber mehr als 100 %!)

Das Meinungsbild ist offensichtlich sehr unterschiedlich.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

56 % der Deutschen sind der Meinung,dass die deutschen Kernkraftwerke die sichersten in der Welt sind. – Ich komme sofort zum Schluss. Ich komme jetzt auch zu meinem letzten Punkt.

Die Politik wird noch sehen müssen,dass sie eine Antwort auf die Entsorgungsproblematik findet. Da gebe ich Ihnen recht. Da dürfen wir nicht technologiefeindlich sein, sondern wir müssen wieder in die Forschung einsteigen. Wir müssen Transmutationstechnologie, Kernfusion und ähnliche Dinge wieder in den Fokus nehmen. Wir dürfen nicht technologiefeindlich und unverantwortlich sein, denn es ist egal, ob wir den Atomausstieg machen oder nicht – wir müssen die Entsorgungsfrage lösen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)