Protocol of the Session on May 18, 2010

Herr Koch, es ist doch völlig absurd, wenn Sie vom Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten sprechen. Sie sind in Hessen doch nicht einmal bereit, für einen ordentlichen Steuervollzug zu sorgen, und behindern die Arbeit der Steuerfahndung. Das ist eine verkehrte Welt.

(Dr.Walter Arnold (CDU): Das ist jetzt wohl peinlich! – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Bitte?)

Der globale Finanzmarkt ist doch in Wirklichkeit ein globaler Schwarzmarkt. Und Sie tun nichts, aber auch gar nichts, um außer mit schönen Worten diesen globalen Schwarzmarkt zu bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Koch, Sie haben erklärt, der Schlüssel des Problems zur Lösung der Krise liege in Griechenland. Ist das wirklich so? – Die Griechen sollen 13 % des Bruttoinlandsprodukts in drei Jahren wegkürzen. Rechnen wir das einmal auf Deutschland um.

Das würde bedeuten, dass wir in Deutschland innerhalb von drei Jahren 313 Milliarden c streichen müssten. Das entspricht fast dem Bundesetat für ein ganzes Jahr. Das wäre auch für das wirtschaftlich viel stärkere Deutschland auf keinen Fall zu schaffen. Es zeigt aber, wohin die Reise geht, wenn wir in Hessen bald an der Bildung sparen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Damit werden Sie die Konjunkturkrise verlängern, die Arbeitslosigkeit erhöhen und die Grundlagen der Staatseinnahmen zerstören.

In der Konsequenz zerstören Sie damit letztlich auch die Demokratie. Und genau das ist in Griechenland schon zu sehen. Dort haben wir jetzt eine Situation, in der alle unter der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte stehen. Die Demokratie ist erledigt. Die europäischen Parlamente und Regierungen sind nur noch Marionettenparlamente und Marionettenregierungen, die den Finanzmärkten hinterherhecheln und Riesensummen beschließen, ohne zu wissen, was sie eigentlich machen.

Deshalb sagen wir, DIE LINKE, zu Recht: Wir sind eine Bewegung der demokratischen Erneuerung,

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Ihre Erneuerung ist auch notwendig! – Lachen bei der CDU)

denn wir, die angeblich wirtschaftsinkompetente Partei, die Populisten und Ideologen, sind die Einzigen, die die modernen Antworten auf die Finanzkrise und auf die Weltwirtschaftskrise schon lange gegeben haben, weil wir auch Karl Marx’ „Kapital“, Band 3, gelesen haben.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Gott- fried Milde (Griesheim) (CDU) – Lachen des Abg. Helmut Peuser (CDU))

Das sind Antworten, wie sie auch andere europäische Politiker schon gefordert haben. So weit war Jacques Delors, als er bei der Einführung des Euro eine europäische Wirtschaftsregierung und eine koordinierte europäische Finanz-, Steuer- und Lohnpolitik forderte, weil sonst der Euro auseinanderbrechen würde. Das hätte man sich einmal merken können.

Wir,DIE LINKE, waren die Einzigen, die das schon lange gefordert haben.Als wir ein europäisches Wirtschaftsprogramm forderten, als die Krise sichtbar wurde, da hieß es, jeder kehre vor seiner eigenen Tür – als ob der Euro nicht in Gefahr geraten würde. Wer aber, wie wir, die Demokratie erneuern will,muss den Begriff von Demokratie erklären.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Sie wollen die Demokratie erneuern? Sie wollen sozialisieren! – Zurufe der Abg. Gottfried Milde (Griesheim) und Helmut Peuser (CDU))

Herr Milde, hören Sie zu. – Wir haben die anderen Parteien immer mit dem Satz konfrontiert: Demokratie ist eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. – Wir haben dann gesagt: Wenn die Löhne auf breiter Front sinken und wenn die Renten auf breiter Front sinken, wenn die Sozialleistungen auf breiter Front sinken,dann setzen sich in Deutschland die Interessen der Mehrheit nicht mehr durch.

Das gilt auch für die Finanzkrise. Es ist ja wohl ein Witz, wenn man behauptet, Hunderte von Milliarden Euro zur Rettung der Banken würden im Interesse der Mehrheit bereitgestellt. Deshalb müssen wir darangehen, die Demokratie wieder neu aufzubauen, damit es wieder möglich wird, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

Die von der CDU/FDP-Politik geforderte imperiale und gleichzeitig protektionistische Politik fördert in ganz Europa nationalistische und rassistische Bewegungen und Parteien.

(Leif Blum (FDP):Ach du liebes bisschen!)

Dagegen setzen wir auf antinationale, internationalistische Bündnisse, die gegen die Rechtsentwicklung aktiv werden.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich will daran erinnern, dass bei den Regionalwahlen in Frankreich – allerdings nicht in meiner anderen Heimat, in der Aquitaine, wo die nationale Front nicht mehr vertreten ist –, wenn ich nach Süden schaue, Le Pen mit 24 % gewählt worden ist.

(Leif Blum (FDP): Dafür können wir doch nichts!)

Wenn ich nach Italien schaue, entdecke ich, dass der Nationalismus als Erscheinungsform auch durch eine solche Politik reaktiviert wird. Wenn ich an Ungarn denke – das sind alles Erscheinungen, über die wir in Europa nachdenken müssen, damit wir eine Gegenstrategie entwickeln.Wir sind dabei, das zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Leif Blum (FDP): Wer ist denn gegen Europa?)

Der Satz des „kommunistischen Manifestes“ hat für uns immer noch Gültigkeit:

Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

(Beifall bei der LINKEN – Leif Blum (FDP): Dass wir uns das nach 20 Jahren noch anhören müssen!)

Hören Sie zu. – Deshalb werden wir am kommenden Wochenende in Istanbul eine breite europäische Widerstandsbewegung gegen Ausbeutung und Verarmung entwickeln. Wir werden europaweite Widerstandsaktionen

gegen die bedrohlichen Pläne der Herrschenden vorbereiten.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir mobilisieren mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen eine große Demonstration in Stuttgart am 12. Juni 2010 unter der Losung: „Wir sind alle Griechen“.Wir wollen verhindern,dass das griechische Modell europaweit durchgesetzt wird. Wir brauchen ein Europa von unten, das nicht durch Konkurrenz, Ausbeutung und Krieg gekennzeichnet ist, sondern ein Europa der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Dr.Arnold für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Euro, den wir in Deutschland zum 01.01.2002 als gültige Währung bekommen haben, der die D-Mark abgelöst hat – diese Währungsunion der 16 Staaten im Euroland ist für viele Menschen in unserem Land das Symbol für die Einigung und die Einheit Europas.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das steht heute auch im Mittelpunkt unserer Diskussion. Ministerpräsident Koch hat seine Regierungserklärung mit „Gemeinsam für ein starkes und stabiles Europa – gerade jetzt“ überschrieben. In dieser Regierungserklärung hat er erklärt, warum die Staaten der Europäischen Union von dem Art.127 der Lissabon-Erklärung abgewichen sind, warum es zu diesem Paradigmenwechsel kam, dass man zunächst vereinbart hatte, jeder tritt für seine eigenen Schulden ein, keiner haftet für den anderen, und jetzt ein Rettungsschirm mit über 720 Milliarden c gespannt worden ist.

Das ist die Frage, die im Moment die Leute draußen beschäftigt:Wie sicher ist dieser Euro, wie verlässlich ist das, was damals Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher zur Stabilität dieser Währung gesagt haben?

Genau das ist auch Thema der heutigen Diskussion – zumindest sollte es das sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Leider sehe ich Herrn Schäfer-Gümbel nicht.

(Günter Rudolph (SPD): Der ist gleich wieder da!)

Ich hätte ihm gerne gesagt und will das nochmals ansprechen: Das, was wir hier von der SPD gehört haben, war vielleicht für eine Generaldebatte des Hessischen Landtags passend.

(Widerspruch der Abg. Axel Wintermeyer und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das war eine Rede, die vielleicht gepasst hätte, wenn man über bestimmte Entscheidungen debattiert. Sie hat aber nicht zu Europa gepasst. Ich persönlich – und ich glaube, das geht den Kollegen von der FDP genauso – weiß nicht: Wo steht eigentlich die SPD? Ist sie nun für diesen Rettungsschirm?

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das, was Sie im Deutschen Bundestag entschieden haben – sich an der Abstimmung über die Griechenlandhilfe nicht zu beteiligen –, ist für mich unverständlich.

(Günter Rudolph (SPD): Herr Schäfer-Gümbel hat Ihnen erläutert, warum! Sie haben es nicht verstanden!)

Ich sage es Ihnen doch gerne. Ich möchte auch einmal Ihren Kollegen Michael Roth, Ihren hessischen Generalsekretär, anführen, der im „Spiegel“ sehr deutlich dargestellt hat, warum er dafür gestimmt hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da hat er recht!)

Warum hat er dafür gestimmt? Weil er Verantwortung für einen stabilen Euro in Europa empfunden hat. Meine Damen und Herren, diese Verantwortung sehe ich bei Ihnen nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)