Protocol of the Session on April 28, 2010

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Franz. – Als Nächster spricht Herr van Ooyen für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren! Ja, es ist an der Zeit, die Debatte, die seit Monaten im Unterausschuss Heimatvertriebene hin- und hergeschoben wird, nunmehr hier zu führen. Dass wir Ihren Vorschlag, den vorliegenden Antrag in den Ausschüssen weiter zu behandeln, ausdrücklich begrüßen, weil wir für die Unterstützung aller Unterdrückten eintreten, will ich hier festhalten.

Bevor ich jedoch zum vorliegenden Antrag komme, gestatten Sie mir eine Bemerkung.Wir, DIE LINKE – Herr Franz hat darauf hingewiesen –, haben einen gemeinsamen Antrag mit eingebracht.Aber in diesem Antragsverfahren wurde vonseiten der Stahlhelmfraktion darauf geachtet, dass keine Gemeinsamkeiten zustande kamen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich darf Ihnen versichern: Wir sind kein Abnickverein, weshalb wir uns bei diesem Antrag enthalten wollen.

Die Bewertung der Vergangenheit kann und wird im Grunde genommen nie abgeschlossen sein, da sie immer wieder auch in der Gesellschaft gerade mit Blick auf die Zukunft neu angeeignet werden muss. Daher ist natürlich klar, dass es in diesen Bewertungen bei allen unterschiedlichen Auffassungen und im gesellschaftlichen Diskurs auch unterschiedliche Haltungen geben wird. Davon abgesehen: Unvergessen bleibt das, was in der Realität geschehen ist und was Menschen widerfahren ist.

Lassen Sie mich Folgendes festhalten:Die DDR hatte den Anspruch – und ihre Führung behauptete ihn im Gegensatz zur mehrheitlichen Meinung bis zum Schluss –, eine neue, eine demokratische, eine solidarische, eine republikanische Gesellschaft und ein entsprechendes Staatswesen zu schaffen und geschaffen zu haben.

(Dr.Walter Arnold (CDU): Ja, mit Stacheldraht!)

Die Fakten sprechen eine andere Sprache.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben doch das System unterstützt!)

Die SED/PDS 1989/90 und dann die PDS, spätestens beginnend mit ihrem außerordentlichen Parteitag, hat sich immer wieder auch mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Freizügigkeit fehlte in der DDR völlig, und wer das Land dennoch verlassen wollte, wurde durch Mauer, Stacheldraht und Schüsse daran gehindert.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Mit denen haben Sie zusammengearbeitet! – Weitere Zurufe von der CDU)

Meinungsfreiheit bestand – makaber genug – in der Zustimmung zur Politik von Partei und Regierung und somit überhaupt nicht, ganz zu schweigen von der Möglichkeit einer demokratisch zu etablierenden politischen Opposition. Kritik an Umständen und Zuständen wurde unterdrückt in der allgemeinen Öffentlichkeit und natürlich auch in den Medien.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Warum haben Sie das damals nicht gesagt?)

Aber ohne Zweifel waren soziale Menschenrechte in der DDR weitgehend vorhanden und können zum Teil auch aus heutiger Sicht positiv bewertet werden.Dennoch wurden wesentliche individuelle Freiheitsrechte missbraucht und damit im Übrigen auch diskreditiert.

Dies alles forderte Opfer, weil Biografien gebrochen wurden, Lebensläufe verändert und bedroht, Leben bedroht und, ja, auch vernichtet wurde. Die Rehabilitierung und, soweit das Wort zutreffen kann, Entschädigung dieser Opfer muss eine dauerhafte Aufgabe sein, worauf ich noch zurückkommen werde.

Zugleich – dies möchte ich hier ebenfalls hervorheben – sind viele Biografien aus der DDR-Zeit davon bestimmt gewesen, sich dem ursprünglichen Anspruch, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit gewidmet zu haben. Sie haben

sich mit ihrem persönlichen Wirken über Jahrzehnte engagiert und dabei für viele Menschen in diesem Land partiell auch positiv gewirkt, und zwar ohne zu wissen, dass dieses Wirken im Prinzip zum Scheitern verurteilt war. Dies will ich hier insbesondere als Politiker sagen, der einen demokratischen Sozialismus, der soziale Gerechtigkeit, der auch Sozialismus im weiteren Sinn als Alternative zu einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung weiter anstrebt. Ich weiß, soziale Gerechtigkeit und Solidarität sind ohne Demokratie, ohne Menschenwürde und Freiheit eben nicht denkbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube, das ist die ganz zentrale Lehre aus dem Scheitern der DDR. Betrachtet man nun die heutige Situation, so ist ganz deutlich: Unrecht und Menschenrechtsverletzungen in der DDR dürfen nicht vergessen werden. Sie müssen Mahnung und Verpflichtung zugleich sein, alles dazu beizutragen, damit sich Derartiges niemals wiederholt.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Warum haben Sie das nicht vor 20 Jahren gesagt?)

Schon deshalb verbietet sich in diesen Fragen jeder Schlussstrich zur Debatte und zu den notwendigen Handlungen.

Eine weitere Ursache ist – nicht nur aus unserer Sicht – die immer wieder auftretende einseitige Fixierung nicht nur auf das Sicherheitssystem, sondern fast ausschließlich auf die Stasiakten und den Umgang damit. So wurde und wird die DDR heute oftmals nur anhand der Akten des MfS erläutert und die Deutung daraus für allgemeingültig erklärt. Die fehlende Rechtsstaatlichkeit der DDR hat zu Unrecht und zu Menschenrechtsverletzungen geführt. Indem dies zugelassen wurde, war die DDR von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Haben Sie da Ihre Meinung geändert?)

Meine Damen und Herren, wir dürfen aber gerade deswegen, weil wir heute wieder in einem geeinten Deutschland miteinander leben können, und gerade deshalb, weil sich die Verhältnisse grundlegend gewandelt haben, nicht übersehen, wenn wir über die Geschichte reden, dass es die Einbettung in die deutsch-deutschen Wechselwirkungen, in die internationalen Beziehungen und in den sogenannten Kalten Krieg gegeben hat. Wenn wir heute daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen wollen, dann müssen wir auch wieder über gewisse Dinge diskutieren, die aktuell sind,die wir nicht mit einem Tabu belegen können und die wir nicht einfach damit abtun können, dass es einmal unseriöse Zeitungsmeldungen gegeben hat. Ich will deutlich sagen: Es tut dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland nicht gut, wenn man weiß, dass es zumindest den begründeten Verdacht gibt, dass sich im Grunde genommen am politischen Ausgangspunkt der Situation des Kalten Krieges nicht viel geändert hat. Es muss in diesem Land eine Debatte geben, wenn die Bespitzelungspraktiken, die wir aus früheren Jahrzehnten kennen und mit Recht kritisieren, hier einfach fortgeführt werden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Es ist unglaublich! Sie haben nichts gelernt, Herr van Ooyen! – Hans-Jürgen Irmer (CDU):Wo leben Sie eigentlich? – Weitere Zurufe von der CDU)

An dieser Stelle will ich Friedrich Schorlemmer zitieren, mit dem ich in den Neunzigerjahren in der Initiative „Er

furter Erklärung“ zusammengearbeitet habe. Friedrich Schorlemmer sagt:

Als einer, der den kommunistischen Tschekismus glücklicherweise hinter sich weiß, frage ich deshalb umso nachdrücklicher: Welche verbrecherischen Praktiken gab und gibt es im Namen der Freiheit, welche dunkle Verselbstständigung der Geheimdienste selbst in demokratischen Staaten – besonders in den USA?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Was für ein Stuss!)

Fast überall ein stinkender Pfuhl im staatlichen Auftrag. Die Menschenrechte und das Recht an sich oft außer Kraft gesetzt, wenn es um höhere Staatsinteressen ging oder geht. Wer abmildernde oder verschärfende Vergleiche zwischen westlichen und früheren östlichen Diensten von sich weist, sollte bedenken: Die Demokratie beansprucht weitaus höhere moralische Maßstäbe als jede Form der Diktatur.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie haben nichts gelernt!)

Und die Nähe von Geheimdiensten zu Menschenzerstörung und Menschenverachtung ist fraglos groß.

Darüber hinaus wird nicht einmal ansatzweise die Verantwortung der Blockparteien im damaligen System DDR thematisiert, die ruchlos in das neue System übernommen wurden. Ich wollte damit nur bekräftigen:Wir müssen uns der geschichtlichen Auseinandersetzung in diesem Land in seiner Gänze und auch mit Blick auf die heutige Politik stellen. Dies müssen wir tun, damit wir den Menschen in diesen Fragen glaubwürdig gegenübertreten. Gerade das sehe ich bei Ihrem Antrag nicht.

Zu den Bemerkungen zur Rehabilitierung von Opfern der DDR und zu Opferpensionen. Meine Fraktion unterstützt dieses Ansinnen. Hier komme ich noch einmal auf die Frage zurück, um was es eigentlich geht. Geht es um Schaufensteranträge oder um eine wirkliche Befriedigung der Interessen? DIE LINKE in Hessen wird sich für die Rehabilitierung aller Opfer der Politik des Kalten Krieges einsetzen, denn diese wurde nie einseitig von der DDR betrieben. Es geht um die Verfolgung Andersdenkender, auch hier in Hessen.

(Zurufe von der CDU: Was? – Dr. Christean Wag- ner (Lahntal) (CDU): Nennen Sie ein konkretes Beispiel! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ob es um die Unterdrückung politischer Meinungen in der Phase der Restaurierung in den Fünfzigerjahren durch Faschisten ging, die auch diesem Parlament angehört haben,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wo leben Sie eigentlich? – Wolfgang Greilich (FDP): Wollen Sie Hessen mit der DDR vergleichen? – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

ob es um Postboten, Lokomotivführer oder um Lehrerinnen und Lehrer geht, die unter Berufsverboten leiden mussten: All dies gilt es aufzuarbeiten. Daran werden wir uns engagiert beteiligen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unsägliche Rede!)

Wir hätten in dieser Frage weiter sein können.Wir werden uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten, weil die

Entstehung des Antrags der aktuellen Situation nicht gerecht wird, sondern dem Geist des Kalten Krieges verhaftet bleibt.

(Zurufe von der CDU)

Wie eingangs gesagt: Wir hätten trotz der großen Tragik der Problematik eine gemeinsame Debatte führen können,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ein Glück, dass wir das nicht gemacht haben!)

wir hätten zeigen können, dass wir uns nach der geschichtlichen Auseinandersetzung für die konkret betroffenen Menschen, die Opfer politischer Verhältnisse in der DDR geworden sind,einsetzen,und wir hätten zugleich in diesem Land ein Zeichen setzen können, dass wir bei aller politischen Auseinandersetzung an einer demokratischen Kultur im Meinungsstreit festhalten wollen, die im Interesse der Bürger ist und sich letzten Endes lohnt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Peter Beuth (CDU): Schämen Sie sich! – Weitere Zurufe von der CDU)

Danke, Herr van Ooyen. – Herr Beuth hat sich zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet. Herr Beuth, Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle für die CDU-Fraktion bedauernd fest, dass DIE LINKE aus den Anhörungen und Debatten offensichtlich nichts gelernt hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)