Meine Damen und Herren, mit den hier vorgelegten Änderungen gehen wir einen entscheidenden Schritt weiter und verbessern die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft in Hessen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Mick. – Als Nächster hat Herr Dr. Jürgens das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Novellierung des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes, die heute nach dem Willen der Mehrheit beschlossen werden soll, geht in vielen Punkten durchaus in die richtige Richtung. Das wurde auch in der Anhörung klar, es gab dort durchaus einige Zustimmung zu einzelnen Punkten. Sie bleibt aber aus unserer Sicht hinter den Anforderungen an eine moderne Behindertenpolitik deutlich zurück.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP und von der Landesregierung, Sie kommen mir vor wie ein 400-mLäufer, der nach 200 m sagt: „Das reicht eigentlich auch.“ Dort, wo Sie zum Endspurt ansetzen müssten, geben Sie auf.Aus unserer Sicht ist das nicht hinreichend.
Schon frühzeitig hatte meine Fraktion weiter gehende Vorschläge unterbreitet. Die waren dann auch Gegenstand der Anhörung.
Durch diese Anhörung fühlen wir uns in unseren weiter gehenden Vorstellungen, die wir formuliert haben, außerordentlich bestätigt. Fast alle Sachverständigen haben sie für besser gehalten, weil sie konkreter und weiter gehend sind als das, was die Landesregierung vorgeschlagen hat.
Das betrifft vor allem einen Konstruktionsfehler, den Ihr Gesetz von Anfang an hatte. Das Behinderten-Gleichstellungsgesetz in Hessen gilt nämlich nicht für die Kommu
nen: nicht das Benachteiligungsverbot, nicht die Barrierefreiheit und nicht der Anspruch auf Kommunikation in einer für die Betroffenen wahrnehmbaren Form.
Um einmal ein Beispiel zu nennen: Sie wollen jetzt – völlig zu Recht, wie ich finde – den Diskriminierungsbegriff um den Satz erweitern:
Eine Benachteiligung liegt auch vor, wenn Menschen mit Behinderungen die Mitnahme oder der Einsatz benötigter Hilfsmittel verweigert wird.
Um einmal ein praktisches Beispiel zu wählen: Wenn ein blinder Mensch seinen Blindenführer nicht mitnehmen darf, so ist das künftig eine Benachteiligung – allerdings nur, wenn der Weg ihn zufällig in ein Landesministerium oder in ein Regierungspräsidium geführt hat, aber nicht, wenn er auf dem Weg ins Rathaus, Sozialamt, Wahlamt vor Ort oder ins Wohnungsamt ist.
Das aber sind die Wege, die für die Betroffenen wesentlich häufiger vorkommen. Da haben sie keine Rechte. Und das ist aus unserer Sicht dringend änderungsbedürftig.
Wir haben das schon beim Inkrafttreten des Gesetzes vor fünf Jahren kritisiert; und auch die Landesregierung sieht da durchaus Änderungsbedarf. Sie sehen selbst, dass die gegenwärtige Regelung unzureichend ist: Es gibt gerade einmal eine Handvoll Kommunen, die die Regelungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes durch freiwillige Beschlussfassung für sich selbst anwenden;und es gibt eine andere Handvoll, die Zielvereinbarungen abgeschlossen hat. Es gibt da also Änderungsbedarf.
Sie wollen die Kommunen jetzt lediglich verpflichten, dafür eine Planung vorzulegen. Wir sagen: Es ist doch sehr viel einfacher, gleich die gesamten Regelungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes auf die Kommunen zu erstrecken.
Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen haben behinderten Menschen in einer weltweiten und schon mehrfach erwähnten UN-Konvention wirksame Rechte eingeräumt, die sie aus der Rolle der Bittsteller herausholen. Das Grundgesetz enthält seit 1994 das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen. Der Bund hat das Behindertengleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschaffen. Im Land gilt immerhin das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz. Aber bei den hessischen Kommunen bleibt überhaupt nichts übrig, diese sind sozusagen ein weißer Fleck auf der Landkarte der Gleichstellung. Das kann aus unserer Sicht nicht richtig sein.
Wir hatten auch vorgeschlagen – Herr Mick hat es schon erwähnt –, dass in die Zielsetzung des Gesetzes und in die Vorschrift zur Bildung behinderter Menschen ein deutlicher Bezug zur UN-Konvention aufgenommen wird.Wir haben vorgestern im Ausschuss dazu auch tatsächlich einstimmig einen Beschluss gefasst, wo wir das entsprechend umsetzen wollen. Das Behinderten-Gleichstellungsgesetz kann natürlich – Herr Mick, da haben Sie vollkommen recht – die Umsetzung nicht allein leisten.Wenn man aber andererseits so tut, als hätte das Gesetz in Hessen wiederum mit der UN-Konvention gar nichts zu tun, weil man sie noch nicht einmal erwähnt, dann sind Sie wirklich nicht auf der Höhe der Zeit. Es bleibt dabei: Die Behin
dertenpolitik in Hessen bleibt leider deutlich hinter dem zurück, was rechtlich möglich und politisch notwendig wäre.
Sie haben,und das ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch ein Kernproblem, nach meinem Eindruck das paternalistische Denken gegenüber Menschen mit Behinderungen noch nicht überwunden. Das wird in einem Punkt deutlich, der jetzt auch Gegenstand der Änderung in dem Gesetz sein soll. Es soll eingefügt werden – ich zitiere –: „Das Land unterstützt die Arbeit der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen und wirkt darauf hin, dass deren Rolle ausgebaut und gefestigt wird.“ Mit dieser Unterstützung, die dort drinsteht, ist allerdings nur die ideelle Unterstützung gemeint. Im Haushalt des Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit gibt es keinen weiteren Cent für eine materielle Unterstützung, also mit anderen Worten: warme Worte in Sonntagsreden, aber keine Taten. Das kennen die Menschen mit Behinderungen zu Genüge. Sie aber wollen die paternalistischen Sonntagsreden sogar mit Gesetzeskraft versehen. Das ist aus unserer Sicht wenig sinnvoll.Wir hätten uns da ein bisschen mehr gewünscht.
Die gemeinsam getragene ausdrückliche Erweiterung der Ansprüche für hör- und sprachbehinderte Eltern, die Herr Mick erwähnt hat, finden wir außerordentlich wichtig und gut. Das hatten wir auch selbst vorgeschlagen.
Um zum Abschluss zu kommen: Dieser Gesetzentwurf geht in vielen Punkten in die richtige Richtung. Deshalb werden wir ihn auch nicht ablehnen. Er greift auf der anderen Seite aber viel zu kurz, und deswegen können wir ihm auch nicht zustimmen. Das heißt, dass wir uns im Ergebnis der Stimme enthalten werden.
Meine Damen und Herren, mit der heutigen Beschlussfassung ist die Diskussion um das Behinderten-Gleichstellungsgesetz nicht beendet.Wir werden auch im nächsten Jahr Anregungen, die wir in der Anhörung erhalten haben, weiterhin verfolgen und in parlamentarische Initiativen umsetzen. Herr Mick hat völlig zu Recht den Punkt der medialen Berichterstattung und der Nutzbarkeit der Medien für Menschen mit Behinderungen erwähnt. Es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Punkten,die dort erwähnt worden sind.Wir werden uns, glaube ich, auch im nächsten Jahr und in den nächsten Jahren weiterhin mit diesem Thema beschäftigen und dann vielleicht auch zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe finden, die von allen Teilen des Hauses getragen wird. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Ich darf darauf hinweisen, dass das Fotografieren auf der Zuschauertribüne nicht erlaubt ist. Ich hoffe, dass das alle gehört haben und dass sich diejenigen angesprochen fühlen, die das eben nicht beachtet hatten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bilde mir ein,heute Morgen gehört zu haben,dass heute der Tag der
Menschenrechte sei. Wenn das so ist und ich mich nicht verhört habe, ist dieser Tag selbstredend auch der Tag der Rechte für Menschen mit Behinderungen – einen Unterschied gibt es Gott sei Dank schon lange nicht mehr.
Meine Damen und Herren, Gesetze werden nicht dazu gemacht, Almosen zu verteilen, sondern rechtliche Grundlagen zu schaffen, die für jeden Gültigkeit haben, die jedem Schutz bieten und die begründete Ansprüche durchsetzbar machen.
Wir haben darum in unserem Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen,dem ich Sie bitte zuzustimmen,in § 1 sehr wohl den Inhalt und die Intention der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen aufgenommen. Dieser Resolution hat auch der Hessische Landtag zugestimmt. Die Interpretation und die Auswirkungen des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes müssen sich am Inhalt dieser Resolution messen lassen.
Meine Damen und Herren, neben einigen redaktionellen Änderungen beinhaltet unser Änderungsantrag im Wesentlichen noch die stärkere Einbindung der Kommunen, die Sie, Herr Dr. Jürgens, wie ich meine, auch zu Recht angemerkt haben.Unser Entwurf sieht vor,dass Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern eine oder einen Behindertenbeauftragten einsetzen sollen. Dies kann auch auf ehrenamtlicher Basis geschehen. Die Arbeit von Behindertenbeauftragten wird sich dort, wo sie bereits eingesetzt werden, und das ist an vielen Stellen in den Kommunen der Fall, immer hilfreich und konstruktiv auswirken. Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, bringen Sachkenntnis und Empathie ein, die immer nützen und konstruktiv wirken.
Wir wissen wohl, dass gesetzliche Vorgaben, die die kommunale Selbstverwaltung berühren, von den Kommunen mit Skepsis und nicht in allen Fällen freudig akzeptiert werden. Trotzdem halten wir es für sinnvoll und notwendig,dass auf Landes-,Kreis- und kommunaler Ebene Zielvereinbarungen zur Umsetzung des Gesetzes getroffen werden, deren Umsetzung schrittweise regelmäßig kontrolliert werden soll. Der Schutz der Gesundheit, das Recht auf Bildung, das Recht auf Hilfe, die Teilhabe am sozialen Leben, an Kultur- und Arbeitswelt sind Menschenrechte.
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Cárdenas zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kurz noch eine Anmerkung zu Herrn Mick. Ich denke, wir sind uns darin einig, dass die UN-Konvention, beispielsweise die inklusive Bildung, noch in anderen Gesetzen umgesetzt
werden muss, wie im Schulgesetz und im Hessischen Lehrerbildungsgesetz. Wir haben aber auch gedacht, dass es gut wäre, wenn es im Behinderten-Gleichstellungsgesetz als dem übergeordneten, allgemeineren Gesetz enthalten wäre, damit mehr oder weniger eine Aufforderung an die anderen, spezielleren Gesetze ergehen kann, dass das entsprechend hineingenommen wird. Das war unser Hintergrund, und von daher kann ich nicht ganz nachvollziehen, dass dies bei Ihnen strittig war. Ich freue mich natürlich, dass es wenigstens strittig war, aber vielleicht kann Sie doch noch überzeugen, was ich jetzt noch einmal zu dem Thema sage.
Das neue Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz muss vor dem Hintergrund der ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gesehen und ergänzt werden. Diese UN-Konvention fordert die volle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen gesellschaftlichen Teilbereichen als Menschenrecht.
Das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz, sowohl in seiner bisherigen Fassung als auch mit den heute zur Abstimmung stehenden Änderungsanträgen, zielten primär allerdings auf Barrierefreiheit. Eine umfassende Integration und Partizipation von Menschen mit Behinderungen in diesem Sinne sind jedoch mehr und zielen auf mehr als Barrierefreiheit.
Die Teilhabe am Arbeitsleben ist bei dieser Partizipation im umfassenden Sinne einer der zentralen und wichtigsten Bereiche – auch und gerade für die soziale Stellung einer Person. So ist die zweite oder dritte Frage beim Kennenlernen bekanntlich die nach der beruflichen Tätigkeit. Die Berufstätigkeit schafft weiterhin die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Einzelnen. Sie eröffnet den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und weiterführender Qualifikation. Schließlich bietet sie Gelegenheit zu wichtigen sozialen Kontakten.Sie bietet eine wichtige Gelegenheit,soziale Kontakte zu anderen Menschen herzustellen, und spielt damit auch bei der individuellen Persönlichkeitsentwicklung eine außerordentlich wichtige Rolle.
Die Mütter und Väter der Hessischen Verfassung waren sich dieser Bedeutung der Arbeit für die individuelle Entwicklung sehr genau bewusst. Sie haben deshalb in Art. 28 Abs. 2 der Hessischen Verfassung das individuelle Recht auf Arbeit entsprechend den individuellen Fähigkeiten festgeschrieben.Dieses Recht auf Arbeit ist überdies auch in Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben.
Unser Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung sieht vor diesem Hintergrund drei Punkte vor. Erstens sind Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen, die in Beschäftigung sind, auch in Beschäftigung zu halten, sowie Menschen mit Behinderungen,die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen,in Beschäftigung zu bringen, sofern sie das wünschen.
Zweitens zielt unser Änderungsantrag auf die inklusive Erziehung und Bildung.Wir wollen – und sind seit der Ratifizierung der UN-Konvention dazu auch verpflichtet – Separation abbauen und vermeiden – auch deshalb, weil wir Phänomene der Ausschließung von Menschen mit Behinderungen aus der Gesellschaft und von der Arbeit von vornherein verhindern wollen.
Drittens sieht unser Änderungsantrag vor, diese ergriffenen Maßnahmen regelmäßig zu evaluieren, also daraufhin zu untersuchen, ob sie geeignet sind, den Zielen, die in der UN-Konvention sowie in der Hessischen Verfassung formuliert sind, zu entsprechen, und auf der Basis dieser Untersuchungsergebnisse Verbesserungsvorschläge zu machen.