Protocol of the Session on September 15, 2009

Wir haben auch nichts über Ihre Absicht gehört, die Lehrerzuweisung durch einen Sozialindex zu ergänzen. Die Schulen müssen endlich die personelle Ausstattung erhalten,die die familiäre Situation ihrer Schüler und die damit verbundenen Anforderungen an die pädagogische Arbeit berücksichtigt. Dann haben die Kinder bessere Chancen, und auch die einzelne Schule kann besser werden. Auch da warten wir darauf, dass Sie eigene Aussagen realisieren und endlich ein Konzept dafür auf den Tisch legen.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion erwartet darüber hinaus, dass endlich die Chancen der UN-Konvention ergriffen werden und unser Schulsystem Stück für Stück zu einem inklusiven System weiterentwickelt wird, in dem jedes behinderte Kind die Möglichkeit hat,in einer Regelschule beschult zu werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage dazu: Wir kämen dann auch ein Stück weiter auf dem Weg zu längerem gemeinsamem Lernen – endlich. Längeres gemeinsames Lernen ist ebenfalls ein Baustein für mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in unseren Schulen. Ich gebe die Hoffnung noch nicht ganz auf, obwohl ich Sie immer nur von der Vielfalt unserer Schulformen reden höre. Wenn jetzt sogar die sächsische FDP im Landtagswahlkampf die Forderung vertreten hat, dass die Kinder sechs Jahre gemeinsam in die Schule gehen sollen, dann könnte sich diese Bewegung vielleicht ein bisschen nach Westen bewegen und auch Sie hier in Hessen zum Nachdenken bringen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Gerechte Bildungschancen – dieses Ziel kommt weder in Ihrer Regierungserklärung noch in Ihrer Programmatik vor.

Lassen Sie mich jetzt noch zu Ihrem Herzensanliegen kommen, zur Selbstverantwortung von Schule. Der Weg dorthin bleibt weiterhin verschwommen. Sie hätten mit dieser Regierungserklärung besser gewartet, bis Sie auch ein Umsetzungskonzept vorlegen können. Um ein einheitliches Budget für Schulträger und Kommunen durchzusetzen – das verlangen wir als SPD-Fraktion seit Jahren –, müssen Sie mit den Spitzenverbänden reden. Das haben

Sie jetzt zwar gemerkt, aber noch nicht getan. Um die Schulen für die Selbstverantwortung fit zu machen, müssen Sie ihnen Ressourcen zur Verfügung stellen. Das tun Sie aber nicht. Das gilt insbesondere für die Ausdehnung des Modellprojekts „Selbstverantwortung plus“ auf weitere Schulen. Auch da finde ich im Einzelplan 04 für das nächste Jahr nichts, was die Schulen motivieren könnte, sich auf diesen Weg zu begeben.

Lassen Sie mich nur einen Satz zu Ihrer Stabsstelle sagen: Offensichtlich ist es für die Kultusministerin ganz schwierig, die Stabsstellen überhaupt mit qualifizierten Menschen zu besetzen, und danach wird es noch eine Weile dauern, bis ein entsprechender Output bei uns ankommt.

Frau Kultusministerin, wenn Sie die Schulen zur Übernahme von Eigenverantwortung motivieren wollen, dann sollten Sie auch fortschrittliche pädagogische Konzepte zulassen – ein Profil zulassen, wie Sie gerade gesagt haben – und unterstützen. Sie tun aber das Gegenteil und gehen als Bremser auf die Lok, wenn eine Schule ein Konzept entwickelt, bei dem sie auf Noten verzichtet und die individuelle Förderung in den Vordergrund stellt.Was das mit Selbstverantwortung zu tun hat, können Sie uns gerne noch einmal erklären.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich einen Satz zur Schulleiterakademie sagen. Ich glaube, wir brauchen nicht in erster Linie eine Schulleiterakademie. Das ganze Kollegium einer Schule muss mitgenommen werden. Für uns bedeutet selbstverantwortliche Schule, dass in dieser Schule demokratische Strukturen vorherrschen, dass alle, die mit Schule zu tun haben, an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden und dass sich die Führung in ganz andere Ebenen aufteilt, als das bisher der Fall ist. Das Kollegium, die Lehrkräfte und alle die, die sonst noch mitmachen, haben Sie in Ihren Ausführungen völlig vergessen.

Frau Kultusministerin, Sie haben das Bild einer Eisenbahn und Metaphern mit Zügen und Loks bemüht. Deswegen lasse ich mich zum Schluss noch einmal auf dieses Bild ein. Was Sie uns heute erzählt haben, steht vielleicht in Ihrem Fahrplan. Die Streckenabschnitte sind aber überhaupt noch nicht gebaut. Im Schuljahr 2009/2010 werden keine neuen Gleisabschnitte in Betriebe genommen. Im Gegenteil, Ihre neuen Weichenstellungen blockieren oder führen direkt aufs Abstellgleis. Frau Kultusministerin, was Sie den Schulen als Perspektive zu bieten haben, reicht noch nicht einmal für die Inbetriebnahme eines Bummelzugs. Es genügt eben nicht, dass Sie sich freuen, Ministerin zu sein. Es gehört etwas mehr dazu, gute Bildungspolitik zu machen. Es gehören Konzepte dazu – und auch die Fähigkeit, diese durch- und umzusetzen. Wenn es darum geht, diese beiden Voraussetzungen zu erfüllen, haben Sie entschieden Nachholbedarf, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteilte Herrn Abg. Irmer für die CDU-Fraktion das Wort.

(Lothar Quanz (SPD): Jetzt kommt erst einmal etwas zu Holzapfel!)

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Herr Kollege Quanz, der Kollege Holzapfel kommt heute nicht vor. Ich muss Sie enttäuschen.

(Heiterkeit – Zurufe von der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss mich zugleich bei meinem Kollegen Dr. Rolf Müller entschuldigen. Ich wollte nämlich mit den Worten beginnen: same procedure as every year, Frau Kollegin Habermann.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist das erste Mal, dass ich bei Ihnen klatsche!)

Das, was Sie uns hier erzählt haben, ist nun wirklich nichts Neues.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sagen Sie uns erst einmal:Was will Miss Sophie jedes Jahr? – Große Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin ein höflicher Mensch, Herr Kollege Frömmrich. Das beantworte ich jetzt nicht.

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die letzten zehn Jahre Revue passieren zu lassen, was die Reden zu Schuljahresanfängen betrifft. Ich zitiere jetzt nichts, keine Sorge, aber es gibt eine Quintessenz aus allen Ihren Reden. Seit zehn Jahren, das fing an, als der geschätzte Kollege Quanz schulpolitischer Sprecher war, heißt es: Es funktioniert im Grunde genommen nichts,

(Heike Habermann (SPD): Das habe ich nicht gesagt!)

wir haben zu wenige Lehrer, wir haben zu wenige Ganztagsangebote, wir haben zu wenige Ganztagsschulen, die Klassen sind zu groß, die Eigenverantwortung fehlt, Mogelpackung bei der Betreuung, zu hohe Belastung der Pädagogen, fehlende Schulsozialarbeit usw.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Bei Frau Wolff war es auch so! Bei Herrn Banzer war es ein bisschen besser! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kurz gesagt: zu wenig Mittel, alles schlecht, und unter einer SPD-Regierung würde alles besser.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die Quintessenz – zwar nicht wirklich originell, aber das kann man aus zehn Jahren schulpolitischer Debatten zu Regierungserklärungen herauslesen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich einige wenige Fakten ansprechen. Frau Kollegin Habermann, zunächst einmal dazu, dass Sie erneut wahrheitswidrig behaupten, wir würden Lehrerstellen streichen bzw. hätten 1.000 Lehrerstellen gestrichen. Ich möchte Ihnen nur einmal diese Grafik zeigen; ich erläutere sie Ihnen.

(Der Redner hält eine Zeitung hoch. – Janine Wiss- ler (DIE LINKE): Das ist der „Wetzlar Kurier“!)

Nein, das ist nicht der „Wetzlar Kurier“; dort steht aber die gleiche Wahrheit. Sie können also davon ausgehen, dass das identisch ist.

Wir hatten im Schuljahr 1994/1995 43.800 Lehrerstellen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Irmer, 1846 ist der Bezugspunkt!)

Bis zu Ihrem Abgang, 1998/1999, ist diese Zahl auf 43.400 heruntergefahren worden. Das heißt, Sie haben 400 Lehrerstellen gestrichen. Seit dem Regierungsantritt von CDU und FDP – auch während der alleinigen Verantwortung der CDU – sind aus den 43.400 Stellen rund 48.000 geworden: konsequent, kontinuierlich Jahr für Jahr erhöht. Das kann sich sehen lassen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Heike Ha- bermann (SPD))

Diese positive Entwicklung ist einem auch dann deutlich geworden, wenn man sich zum Schuljahresbeginn in diesem Jahr ein wenig mit den Fakten beschäftigt hat. Das Staatliche Schulamt für den Main-Taunus-Kreis und den Landkreis Groß-Gerau hat öffentlich erklärt, alle Lehrerstellen seien besetzt. Das Staatliche Schulamt Kassel erklärt, der Unterricht sei zu 100 % garantiert. Das Staatliche Schulamt für den Rheingau-Taunus-Kreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden erklärt, die Schulen seien gut gerüstet. Das Staatliche Schulamt für den Landkreis Marburg-Biedenkopf erklärt, der Trend zu kleineren Klassen sei unverkennbar. Das Versprechen, 1.000 Lehrer einzustellen, komme bei ihnen an. Das Staatliche Schulamt für den Landkreis Darmstadt-Dieburg und die Stadt Darmstadt erklärt, es gebe keinen Unterrichtsausfall im neuen Schuljahr. Schließlich erklärt das Staatliche Schulamt für den Kreis Bergstraße und den Odenwaldkreis – die haben ein bisschen kritisiert –, vier Lehrerstellen hätten sie noch nicht besetzen können, weil die Bewerber gefehlt hätten. Vier Stellen von 2.687 – das sind weniger als 0,2 %.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, hätten Sie in Ihrem Leben jemals eine solche Erfolgsbilanz aufzuweisen gehabt,hätten Sie Kopfstände gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben heute die Stellen. Manchmal fehlen in der Tat geeignete Bewerber.Früher allerdings – das ist jetzt an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet – gab es die Bewerber, aber Sie haben die Stellen nicht zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben in den Achtzigerjahren Tausende ausgebildete Lehrer in die Arbeitslosigkeit entlassen,weil Sie trotz steigender Schülerzahlen Lehrerstellen abgebaut haben.

(Peter Beuth (CDU): Tausende von Unterrichtsstunden sind ausgefallen!)

Sie haben keinen Einstellungskorridor geschaffen, sodass wir heute die Situation haben, dass sich Lehrer, die Mangelfächer studiert haben und früher gern in den Schuldienst gegangen wären,logischerweise beruflich umorientiert haben.

Frau Kollegin Habermann, Sie haben zu Beginn dieses Schuljahres die Landesregierung – die Frau Ministerin – pflichtgemäß kritisiert: kein Fortschritt bei der Einrichtung von Ganztagsschulen, kein Fortschritt beim individuellen Lernen. Ich sage Ihnen: Dass es 1.000 zusätzliche Stellen gibt und wir z. B. die Sternchenregelung in den Eingangsklassen beseitigt haben, bedeutet, es gibt kleinere Klassen. Je kleiner aber die Klasse ist – das ist die pä

dagogische Logik –, desto größere Chancen gibt es auf eine individuelle Förderung. Das passt also ohnehin nicht zusammen.

Liebe Frau Kollegin, wenn wir schon von einer Leistungsbilanz reden, darf ich darauf hinweisen, dass wir die Zahl der Ganztagsangebote fast verfünffacht haben, seitdem Sie – zum Glück – nicht mehr regieren. Die Betreuungsangebote an den Grundschulen sind vervierfacht worden. Ich will gar nicht mehr von dem Stundenausfall sprechen, den Sie zu verantworten hatten:150.000 Stunden sind Woche für Woche ausgefallen. Das gehört der Vergangenheit an. Diese Stunden werden heute unterrichtet. Es gibt so gut wie keinen Unterrichtsausfall mehr. Selbst bei einem kurzfristigen Unterrichtsausfall sind genügend Mittel vorhanden.

(Beifall bei der CDU)