Zu guten Lernbedingungen gehören auch aktuelle Unterrichtsmaterialien. Es mag zwar für Gesprächsstoff in Familien sorgen,wenn Kinder sehen,dass bereits ihre Eltern mit demselben Schulbuch gearbeitet haben; für aktuelle Informationen und moderne Unterrichtsmethoden ist das allerdings nicht geeignet. Hessen ist daher das einzige Bundesland, das die Ausgaben für Lernmittel um 6 Millionen c auf jetzt 34 Millionen c erhöht hat.
Wenn wir einen Blick über den Rhein nach RheinlandPfalz und Mainz werfen, dann muss man feststellen, dass es dort keine Lernmittelfreiheit gibt. Im Gegenteil: Manche Eltern müssen mit Schuljahresbeginn 800 c auf den Tisch legen, um überhaupt die Ausstattung für die Schülerinnen und Schüler zu finanzieren.
Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, welch hervorragende Bücher die Schulen mit diesem Geld angeschafft haben und dass damit auch eine gute Grundlage für die doppelten Oberstufenjahrgänge gelegt wurde.
Die Schulen haben also, wie versprochen, bessere Rahmenbedingungen erhalten. Sie sind so ausgestattet, dass sie die Reise zu dem großen Ziel der „Selbstständigkeit“ beginnen können. Die selbstständige Schule soll in Hessen in dieser Legislaturperiode Fahrt aufnehmen können. Dafür wollen wir ihr einen Fahrplan erarbeiten. Ich habe die einzelnen Wagen eines solchen Zuges schon als Abgeordnete beschrieben. Als Ministerin bin ich nun angetreten, diese Züge in Fahrt zu bringen.
Ganz bewusst spreche ich von verschiedenen Zügen;denn es wird für bestimmte Schulen einen Sprinter geben, für manche einen Intercity, für andere Schulen den Nahverkehrszug. Jeder Fahrgast braucht ein anderes Angebot, das auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. So soll es auch für die Schulen sein.
Meine Damen und Herren, Selbstständigkeit von Schule ist kein Selbstzweck, sondern die Chance für jede Schule, das Beste aus sich selbst zu machen.
Das geschieht zum Wohle der Kinder, die ihr anvertraut sind. Das Ziel bei allen Veränderungen ist, die Qualität des Unterrichts zu steigern und damit jede Schülerin und jeden Schüler besser und individueller,ganz entsprechend ihren oder seinen persönlichen Talenten und Fähigkeiten zu fördern.
Wir müssen in Hessen bei der selbstständigen Schule nicht bei null starten. Wir können vielmehr bereits vorhandene Elemente als einzelne Wagen zu einem Zug zusammensetzen. Lassen Sie mich einzelne Wagen benennen:
Zur selbstständigen Schule gehört die freie Entscheidung über die Organisation ihrer Bildungsgänge. Es war daher ein wichtiger Schritt, kooperative Gesamtschulen zwischen G 8 und G 9 wählen zu lassen. Diese Wahlfreiheit führt zu einer einzigartigen hessischen Lösung für G 8.Sie
Auch die innere Organisation der Bildungsgänge Hauptund Realschule sollen die Schulen zukünftig stärker selbstständig regeln können. Hier gibt es bereits erfolgreiche Beispiele in Hessen; sie sollten Schule machen.
Zur selbstständigen Schule gehört die eigene Personalauswahl. Dass Schulen hiervon im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits heute Gebrauch machen,zeigt,dass sich das Verfahren der schulbezogenen Stellenbesetzungen gegenüber dem unflexiblen Ranglistenverfahren etabliert hat.
In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Einstellungen nach dem Bedarfsprofil der jeweiligen Schule beträchtlich gestiegen.Ich finde die Steigerung von 18 % auf mittlerweile durchschnittlich 30 % sehr beeindruckend.
Die schulbezogene Stellenbesetzung trägt dazu bei, dass Schulleiter Lehrkräfte auswählen können, die zur Schule und ihrem Profil passen. So erreichen sie ein gut funktionierendes Kollegium, das als Team arbeitet. Denn Teamarbeit ist ein wichtiger Faktor für die Qualitätsentwicklung des Unterrichts und für eine verbesserte individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler. Der Vorteil von dieser Art Teamteaching an den Schulen ist, dass Unterrichtsinhalte besser abgestimmt und Projektarbeit verstärkt werden. So wird dann gemeinsam am Profil der Schule gearbeitet. Nur auf diese Weise können besondere Schwerpunkte im Bildungsangebot einer Schule herausgestellt werden, z. B. bei den Schulen mit dem Schwerpunkt MINT, Sport und Musik. Es kann aber auch Unterricht anders gestaltet werden, wie z. B. bei der Aufhebung des 45-Minuten-Taktes.
Zur selbstständigen Schule gehört auch die Budgethoheit. Schulen benötigen Mittel, über die sie frei verfügen können. Hier haben wir ihnen mit dem 10-%-Erlass eine erste Möglichkeit gegeben, Mittel selbstständig einzusetzen, um Unterricht eigenverantwortlich sicherzustellen.
Das ist der erste kleine Schritt. Wir machen uns nun von Landesseite her auf den Weg, den Schulen ein tatsächliches Gesamtbudget zur Verfügung zu stellen. In einem intensiven Dialog mit den Schulträgern wollen wir Kooperationsverträge erarbeiten, mit dem Ziel, auch deren Finanzmittel in Form eines Gesamtbudgets der Schule zur Bewirtschaftung anzuvertrauen.
Um all die bereits vorhanden positiven Elemente der selbstständigen Schule zusammenzufügen, habe ich eine Stabsstelle in meinem Haus eingerichtet. In ihr werden Fachleute aus der Schulpraxis nun einen Fahrplan für die selbstständige Schule ausarbeiten, der alle Schulformen berücksichtigen soll. Diese Stabsstelle hat wichtige Steuerungs- und Koordinierungsfunktionen. Es sind auch noch alle da, die da waren. Ihre Experten werden in intensiver Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen, den Mitarbeitern und der Hausspitze des Ministeriums das Projekt „selbstständige Schule“ auf die Schiene setzen.
Zur selbstständigen Schule gehört ebenfalls die zentrale Rolle des Schulleiters und der Schulleiterin. Die oder der pädagogisch Verantwortliche einer selbstständigen Schule muss in seiner Verantwortung und als Führungspersönlichkeit gestärkt werden.Alle Vorhaben müssen je
doch eng mit den gewählten schulischen Gremien abgestimmt werden. Es ist nämlich wichtig und für Veränderungen unerlässlich, die Schulkonferenz, die Gesamtkonferenz, den Personalrat, den Elternbeirat und auch die Schülervertretung eng in Entscheidungsprozesse einzubinden.
Schulleiterinnen und Schulleiter sind d a s Führungspersonal im Bildungsland Hessen. Sie müssen auf ihre neue Rolle gut vorbereitet sein. Wir werden daher eine Führungsakademie unter dem Dach des Amtes für Lehrerbildung einrichten. Sie soll die Schulleiterausbildung den Anforderungen der selbstständigen Schule anpassen. Außerdem soll sie die Mitglieder der Schulleitungen für ihre Führungsaufgaben bestmöglich aus- und fortbilden.
Auch ist es die große Herausforderung der Zukunft, frühzeitig den Nachwuchs an Führungskräften in den Schulen zu finden und dann diese Personen gezielt zu fördern. Damit ist langfristig die Besetzung von Schulleiterstellen mit hohem Qualitätsanspruch gesichert.
Zur selbstständigen Schule gehört ein landesweit einheitliches Qualitätsniveau. Auch wenn Schulen in Zukunft selbstständig arbeiten, erwarte ich, dass landesweit einheitliche Qualitätsmaßstäbe vorherrschen.
Für Sie anscheinend schon. – Darauf haben Schülerinnen und Schüler in ganz Hessen einen Anspruch. Die Schulen erhalten die nötige Unterstützung und Begleitung, um dieses vergleichbare Niveau zu sichern.
Die Schulinspektionen sind ein wichtiges Instrument der externen Qualitätskontrolle. Dieses wird in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen. Die Ergebnisse der ersten Inspektionsrunde, die wir im März vorgestellt haben, belegen deutlich die positive Wirkung der Inspektionen. Die Inspektionen sind erfreulicherweise auf hohe Akzeptanz bei den Schulen gestoßen. Die Inspektorenteams wurden als „kompetent wertschätzend“ empfunden. Diese Offenheit der Schulen ist eine wichtige Ausgangsbasis für ihre Qualitätsentwicklung.
In den Berichten wurden drei Schwächen der Schulen in Hessen deutlich, und diese gilt es zu bearbeiten: Die individuelle Förderung steht noch nicht im Mittelpunkt des Unterrichts. Die Kultur der internen Evaluation ist noch zu wenig ausgeprägt.Die Schulleiterinnen und Schulleiter haben ihre Rolle in Bezug auf Führung und Management noch nicht vollständig gefunden.
Im Herbst 2010 startet die zweite Inspektionsrunde. Dann werden alle hessischen Schulen einmal inspiziert sein. Damit die Schulen die Inspektionsergebnisse in Ruhe gemeinsam mit den Staatlichen Schulämtern aufarbeiten können und die Verbesserungen sich im Schulalltag auswirken, werden wir den Abstand zwischen den Inspektionen um ein Jahr von vier auf fünf Jahre erhöhen, wie es in den meisten anderen Bundesländern ebenfalls üblich ist.
Zur selbstständigen Schule gehört eine neue Schulaufsicht.Auch die Staatlichen Schulämter müssen sich in eine neue Rolle finden.Als regionale Qualitätsagenturen müssen sie die Schulen bei der Umsetzung der Inspektionsergebnisse beraten und unterstützen.
Ich halte die Aufgabenteilung zwischen externer und interner Qualitätsentwicklung für sehr wichtig. Da ist zunächst die Diagnose durch das Institut für Qualitätsentwicklung. Schließlich folgt, quasi als Therapie, die interne Begleitung bei der Aufarbeitung der Inspektionsergebnisse durch die Staatlichen Schulämter.Wir werden in enger Rückkopplung mit den Schulämtern diese in ihre wichtige neue Rolle hineinführen.
Meine Damen und Herren,ich möchte alle Beteiligten bei der Umsetzung der selbstständigen Schule in Hessen mitnehmen. Deshalb lade ich Sie alle ein, sich aktiv in den Gestaltungsprozess einzubringen.
Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern und die Schülervertretung werden wir über die wesentlichen Schritte informieren. Wir werden offen sein für einen intensiven Dialog. Die Selbstständigkeit soll gemeinsam erarbeitet werden und zentral aus den Schulen heraus wachsen, damit sie eine möglichst große Akzeptanz erfährt. Es ist mir bewusst, dass es sich um eine große Herausforderung handelt. Deshalb möchte ich ausdrücklich betonen, dass diese Selbstständigkeit kein Zwang für die Schulen ist. Sie bedeutet vielmehr ein Öffnen von Türen, durch die jeder gehen kann, aber nicht gehen muss.
(Michael Siebel (SPD): Sagen Sie doch einmal etwas zur Schulsozialarbeit! – Gegenruf des Abg. Horst Klee (CDU):Bleib doch einmal ruhig,Siebel! Wir haben doch Zeit!)
Lassen Sie mich noch einmal auf das Bild der Eisenbahn zurückkommen. Wir werden für die Schulen einen Fahrplan ausarbeiten und die Weichen stellen,damit sie in dem Zug ihrer Wahl von einem Bahnhof zum anderen in die Selbstständigkeit fahren können. Bis die selbstständige Schule fahrplanmäßig in ganz Hessen fährt, wird es noch eine Weile dauern. Es ist auch nicht auszuschließen, dass auf dem Weg einige Beeinträchtigungen auftreten werden und dadurch die Fahrt ins Stocken gerät.Dann werden wir die Mängel im engen Austausch mit allen Beteiligten beheben.Ich versichere Ihnen,das Kultusministerium mit all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist jederzeit bereit für eine Rückmeldekultur.
Die selbstständige Schule wird in diesem Schuljahr in Hessen nicht nur auf das Gleis,sondern auch in Bewegung gesetzt. Sie bringt mehr Unterrichtsqualität und damit bessere Chancen für alle Kinder und Jugendlichen in Hessen.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Mathias Wag- ner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spärlicher Beifall!)