Protocol of the Session on September 4, 2013

Wir wissen natürlich auch, dass es schon seit Jahrzehnten Bereiche gibt, in denen sich Schüler, Studenten oder Rentner nebenbei als Aushilfe in der Kneipe oder mit dem Austragen von Zeitungen ein kleines Zubrot oder Taschengeld verdienen, die Haushaltshilfe ist eingeschlossen; alles okay so weit. Wir wollen hier auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Aber die Minijobs dürfen nicht länger das Einfallstor für Niedrigstlöhne, Lohndumping und dauerhafte prekäre Beschäftigung sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Uns geht es vor allem darum, den Missbrauch der Minijobs einzudämmen. Uns geht es vor allem darum, der Umwandlung und Aufsplittung von ehemals sozialversicherungspflichtigen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen einen Riegel vorzuschieben.

Die Zahl der Minijobs auf inzwischen konstant hohem Niveau ist also kein wirksames arbeitspolitisches Instrument. Vielmehr ist es eine Belastung für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine Belastung für den Arbeitsmarkt, und es ist eine Belastung für die Volkswirtschaft. Vor allem ist es kein Grund, heute hier zu jubeln und zu feiern, wie Sie das mit Ihrem Antrag versuchen.

Zum Schluss noch eines: Nehmen Sie dieses unsägliche Betreuungsgeld zurück, und investieren Sie das Geld in Betreuungsplätze. Dann finden nämlich auch sehr viele Frauen wieder einen anständigen Job oder Beruf, von dem sie leben können. Wir jedenfalls werden das tun. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Irmer, in einigen schulpolitischen Diskussionen habe ich Sie so kennengelernt, dass Sie durchaus bestimmte Fakten nutzen, die auch eine Grundlage haben – nicht immer, aber recht häufig. Ich möchte Ihren Antrag, Drucks. 18/7679, zur Grundlage meiner Antwort machen. Herr Irmer, es gibt Grenzen des Anstands. Es sollte mindestens einer Grundlage bedürfen, Behauptungen aufzustellen.

Gehen wir Ihren Antrag einmal Schritt für Schritt durch. Dort steht im zweiten Punkt, die GRÜNEN wollten 450€-Jobs abschaffen. – Das ist falsch. Unter dem dritten Punkt steht dort, wir wollten gerade bei Jüngeren, Älteren, Studenten oder Rentnern diese Minijobs abschaffen. – Auch das ist falsch. Im Gegenteil, wir wollen sie beibehalten. Im vierten Punkt schreiben Sie über Vereine, Kultur und Sport. – Genau dort aber wollen wir sie beibehalten. Schließlich schreiben Sie, dass diese Abschaffung – die hier tatsächlich niemand will – ein Anschlag auf Familien sei. – Erstens ist das falsch, und zweitens sind Sie der Einzige, der einen Anschlag auf die Familien begeht, wenn Sie Kinderbetreuung nicht so durchführen, wie es notwendig wäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- ruf von der CDU)

Wir halten fest: Die Aussagen sind falsch, falsch, falsch. Ziehen Sie diesen Antrag zurück, das wäre ein Zeichen politischer Kultur, wie ich finde. Man kann nicht einfach Dinge behaupten. Wir haben uns parlamentarisch darauf verständigt, das Wort „Lüge“ nicht zu benutzen. Aber mit einem Antrag, bei dem von A bis Z alles falsch ist und an dem bestenfalls das Datum stimmt, überschreiten Sie die Grenzen der politischen Kultur, meine Damen und Herren. Das ist unerträglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie es nachlesen wollen, lesen Sie auf den Seiten 94 und 95 des Bundeswahltagsprogramms nach: Keine Ihrer Behauptungen wird auch nur eine Zehntelsekunde überleben können. Herr Irmer, ich kenne Sie ziemlich gut. Machen Sie das, und wir unterhalten uns noch einmal. So aber kann man keinen Wahlkampf machen, nach dem Motto: Wir schmeißen mit Dreck, irgendwas wird schon hängen bleiben. – Das ist keine saubere Methode, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- rufe von der CDU)

Wir haben nun einen zehnminütigen Setzpunkt. Dazu will ich Ihnen etwas sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Bei der FDP hat man die Hoffnung auf sozialpolitisches Gewissen aufgegeben. Aber Sie von der CDU, die die Bundesministerin für Familie und Jugend stellt, die im Jahr 2012 eine Studie in Auftrag gibt, können nicht darüber hinweggehen, was man dort schwarz auf weiß an Resultaten erhält. Dort wird gesagt, dass die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des Minijobs ursprüng

lich für spezifische Zwecke und Zielgruppen geschaffen wurden. Minijobs sollten erstens eine Brücke zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis sein. Zweitens sollten Nebenverdienste auch für Azubis und Rentnerinnen und Rentner mit wenig bürokratischem Aufwand verbunden sein. Drittens waren sie explizit auch ein Instrument zur Bekämpfung von Schwarzarbeit.

Letzteres ist richtig und muss auch beibehalten werden. Die Brückenfunktion muss überprüft werden. Jetzt kann ich nur feststellen, dass die CDU – die hier diesen Setzpunkt mit Falschbehauptungen einbringt – und die FDP auf Bundesebene im Jahr 2009 in ihren Koalitionsvertrag hinein geschrieben haben, dass sie die Notwendigkeit der Prüfung der geltenden Minijobregelungen sehen und eine Stärkung der Brückenfunktion wollen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Hört, hört! – Das wollen Sie? Dann machen Sie es doch auch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wo ist denn da der Widerspruch? – Zurufe von der CDU)

Herr Irmer, natürlich ist das ein Widerspruch. Sie wollen doch auch, dass beispielsweise das Finanzsystem neu geregelt wird. Deswegen würde ich Ihnen nicht unterstellen, dass Sie Banken verstaatlichen wollen. Mir fallen noch viele andere Beispiele ein, wie man etwas überziehen kann. Sie selbst sind doch vor vier Jahren, 2009, zu der Meinung gekommen, dass etwas falsch läuft bei der Brückenfunktion. Wenn die CDU auf Bundesebene diesen Erkenntnisstand endlich hat, warum müssen Sie in Hessen immer die Allerletzten sein, die endlich zu Reformen kommen, die dringend notwendig sind? Sie sind immer die Letzten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Diese Studie, aber auch der einstimmige Beschluss des Deutschen Bundestages anlässlich des Internationalen Frauentages, sagt, dass gerade für Frauen der Übergang von Mini- und Midijobs in existenzsichernde, voll versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nicht zu erreichen und weiterhin zu unterstützen ist.

Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung aus CDU und FDP kommt zu dem Schluss:

Problematisch sind Minijobs vor allem, wenn sie die ausschließliche Form der Erwerbsarbeit darstellen. … Minijobs haben nur selten eine Brückenfunktion zur Vollzeitbeschäftigung und zu einem existenzsichernden individuellen Erwerbseinkommen.

Das sagen CDU und FDP auf Bundesebene, und sie haben recht. Wann haben Sie es in Hessen endlich erkannt, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir lassen es Ihnen auch nicht durchgehen, dass Sie Minijob und Minijob in einen Topf rühren. Auch da würde ein Blick in die Studie helfen. Ich würde Ihnen gern eine Kopie zur Verfügung stellen. Was ist der Umfang von Minijobs? Wir haben rund 7 Millionen Beschäftigte in Minijobs – Achtung! – in gewerblichen Unternehmen. Im Verhältnis

dazu gibt es 230.000 Beschäftigte in Minijobs in privaten Haushalten und in ehrenamtlichen Vereinen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Aha, stellen Sie etwas fest? Lesen hätte geholfen. Zu behaupten, Minijobs beträfen immer nur die armen Ehrenamtlichen in Vereinen, die privaten Haushaltshilfen oder aber Studierende, geht an der Realität vorbei. Die gewerblichen Minijobs sind weitaus der größte Teil: 7 Millionen. Aber Sie rühren das in einen Topf und unterstellen uns, das, was wir reformieren wollen, betreffe vor allem den armen Studenten. – Das ist falsch, das ist massiv die Unwahrheit. So macht man hier keine Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Janine Wissler (DIE LINKE): Er geht schon raus und schämt sich!)

Herr Irmer, es ist gut, dass Sie den Saal verlassen. Ich würde auch einen puterroten Kopf bekommen. – Ich weiß, wenn man sich in bestimmte Sachverhalte einarbeitet, führt das dazu, dass man einen Erkenntnisstand gewinnt. Von der FDP ist mir zugeraunt worden, wir GRÜNEN und die SPD hätten doch die Hartz-Reformen mit beschlossen. – Ja, aber wir haben die Größe, nach zehn Jahren zu evaluieren und festzustellen: Es gibt einen Nachjustierungsbedarf, es gibt Reformbedarf. – Das hat Ihre Bundesregierung auch einmal gesagt.

(Beifall des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Wenn man diesen Fehler erkannt hat, muss man es verbessern. Deswegen stehen wir dazu, dass die Minijobs einer Reform bedürfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen komme ich gerne zu dem, was wir wollen. Ja, es ist richtig, Studierende, Rentnerinnen und Rentner sowie Schülerinnen und Schüler sollen auch weiterhin unbürokratisch über Zuverdienstmöglichkeiten verfügen. Auch die vereinfachten Verfahren für Privathaushalte sollen weiter möglich sein – nur damit man der Panik, die Sie bei vielen Menschen in diesem Land schüren wollen, entgegenwirkt. Aber es kann nicht sein, dass das bei den Minijobs so bleibt.

Das sagt auch die Studie der Bundesregierung. Ich zitiere hier doch nur Ihre CDU-Studie. Nehmen Sie die doch wenigstens zur Kenntnis, wenn Sie uns nicht glauben. Über die Hälfte der Minijobs liegt unter einem Mindestlohn von 8,50 €. Deswegen muss man im ersten Schritt an dieser Stellschraube etwas verändern, und deswegen wollen wir die Einführung eines Mindestlohns auch für die Minijobs.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu der Informationspflicht und den Betriebskontrollen haben wir schon etwas gesagt.

Wenn wir in einem zweiten Schritt sagen, wir müssen über den Niedriglohnsektor diskutieren, über Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, Mini- und Midijobs, dann haben wir die Größe, wenigstens die Studien der Bundesregierung, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und vieler anderer – damit kann man ganze Büros füllen – zu beachten. Sie sagen: Wenn wir uns um die prekäre Beschäftigung keine Sorgen machen, werden wir Menschen haben, die radikal in die Altersarmut rauschen. Wir werden eine weite

Spaltung haben in Menschen, die sehr viel Geld haben, und Menschen, die kaum Teilhabe an dieser Gesellschaft haben.

Wenn man diese Studien zur Kenntnis nimmt, muss man sich in einem zweiten Schritt die Frage stellen, wie man mit den Tarifpartnern, mit vielen Expertinnen und Experten diesen Niedriglohnsektor reformiert, wie man massive Schritte unternimmt, damit es tatsächlich mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt.

Aber wenn Sie sich hinstellen und sagen, die GRÜNEN – der Antrag bezieht sich vor allem auf die GRÜNEN – wollen Minijobs abschaffen, und es gibt überhaupt keine Probleme bei den Minijobs, haben Sie die Realitäten nicht erkannt. Sie leben in einer Parallelwelt, und Sie wollen auch nichts unternehmen.

Da ist die CDU-Bundesregierung einen Schritt weiter. Deswegen empfehle ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU und der FDP: Man kann vor einer Landtagswahl gewiss Schaum vor dem Mund haben, aber man muss den Kopf, der dahinter ist, trotzdem nicht zum Aussetzen bringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat Frau Abg. Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! CDU und FDP haben einen Antrag zu Minijobs vorgelegt und loben hier ausdrücklich eine Form der Beschäftigung, von der Menschen überhaupt nicht leben können.

Auch die Erhöhung der Verdienstgrenze bei den sogenannten Minijobs ist überhaupt kein Grund zum Feiern. Die Erhöhung zum 1. Januar dieses Jahres ist lediglich eine ungefähre Anpassung an die allgemeine Teuerungsrate, nachdem die Verdienstgrenze seit 2003 zehn Jahre lang unverändert geblieben war. Die schwarz-gelbe Bundesregierung gibt damit vor allem zu verstehen, dass sie an den Minijobs festhalten möchte und hier offensichtlich keinen Reformbedarf sieht.

Meine Damen und Herren, bundesweit üben – das wurde bereits gesagt – 7,4 Millionen Menschen einen Minijob aus. Das ist mittlerweile jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis. Ich will darauf hinweisen, dass es 2002 noch 4,2 Millionen waren. Herr Irmer, Sie sagten, es habe keine Steigerung gegeben.

Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat mit Hartz II die Minijobregeln liberalisiert, und das hat in der Tat zu einer massiven Zunahme von Minijobs geführt. Mit Hartz II wurde die Begrenzung der zulässigen wöchentlichen Arbeitszeit bei den Minijobs aufgehoben. Seitdem darf sie 15 Stunden in der Woche übersteigen, was sie bei einer Mehrzahl der Minijobber tut.