Protocol of the Session on May 22, 2013

Wir brauchen eine stärkere Kontrolle und eine anders aufgestellte Parlamentarische Kontrollkommission. In dem Entwurf der SPD-Fraktion sind gute Vorschläge dazu enthalten. Ich glaube auch – diese Frage ist gerade angesprochen worden –, was das Führen, Ausbilden und Auswählen von V-Leuten angeht, brauchen wir eine grundständige Debatte und auch die Erkenntnisse, die in Berlin zusammengetragen werden, damit wir auf vernünftiger Basis über einen – dann hoffentlich gemeinsamen – Entwurf reden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube aber nicht, dass die Arbeit, die Sie hier gemacht haben, von Erfolg gekrönt sein wird. Wir haben es gerade gemerkt: Manchmal muss man nicht mit demselben Kopf ein weiteres Mal vor dieselbe Wand rennen. Wir haben gemerkt – Herr Greilich hat es eben deutlich gemacht –, dass bei CDU und FDP der Reformwille nicht besonders ausgeprägt ist.

Ich glaube, dass es eine große Aufgabe des neu gewählten Landtags sein wird, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Ein wichtiger Aspekt ist auch, sich mit dem auseinanderzusetzen, was der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zu dieser Frage festgestellt hat. Ich glaube, das ist eine gute Basis, auf der man dann arbeiten sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich anschaut, wie in der Presse über die letzten öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses berichtet wurde – ich will hier nur einiges zitieren –, erkennt man, dass man noch einiges erwarten kann:

Über Fraktionsgrenzen hinweg sprechen die Abgeordneten von einem „Totalversagen der Sicherheitsbehörden“.

Ich will noch einmal daran erinnern: Es wird auf der Bundesebene von einem „Totalversagen der Sicherheitsbehörden“ geredet. In Hessen hören wir dagegen, es sei kein Versagen der Sicherheitsbehörden zu erkennen. Clemens Binninger, der Obmann der CDU in diesem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, sagt:

Wir haben deutlich gemacht, dass das Parlament die Exekutive kontrolliert.

Das ist auch etwas, was man im Hessischen Landtag vielleicht einmal erwähnen sollte: dass das Parlament die Regierung kontrolliert. Das ist hier auch nicht besonders ausgeprägt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zum Abschlussbericht wird in der „tageszeitung“ gesagt:

In den kommenden Monaten wird der Ausschuss seinen Abschlussbericht erarbeiten. Die Abgeordneten wollen nicht nur beschreiben, was schiefgelaufen ist, sondern auch gemeinsame Schlussfolgerungen treffen.

Meine Damen und Herren, ich erhoffe mir von diesen gemeinsamen Schlussfolgerungen, dass wir die dann auch in ein Verfassungsschutzgesetz einarbeiten werden, das aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, das den Verfassungsschutz des Landes neu aufstellt, was die Frage des Umgangs mit V-Leuten und auch was die Analysefähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht. Davon erhoffe ich mir mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sehen Sie es mir nach. Ich glaube, dass wir das nach dem 22. September erledigen müssen. Da ist ein neuer Landtag gefordert, diesen Reformprozess anzufangen. Ich glaube, dann kommen wir auch weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Frömmrich. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Schaus von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ohne die schrecklichen NSU-Morde, das Versagen und die Verstrickungen von Geheimdiensten und Behörden würden wir die heutige Debatte wahrscheinlich gar nicht führen. Diese schrecklichen Ereignisse haben erstmals in der jüngsten deutschen Geschichte einen kleinen Einblick in das Innere der Geheimdienstarbeit gebracht, und der ist mehr als erschreckend. Eigentlich müssten aus den jetzt schon gewonnenen Erfahrungen weitreichende Konsequenzen gezogen werden, Konsequenzen in unserer Gesellschaft, besonders im Umgang mit Neonazis, und grundlegende Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden und die Geheimdienste selbst.

Es ist aber in Deutschland und in Hessen augenscheinlich, dass CDU und FDP überhaupt kein Interesse an einer solchen Debatte haben. Grundlegende Konsequenzen wollen Sie schon gar nicht ziehen, dient Ihnen und dem Innenminister doch die stete Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse zur Begründung Ihrer Law-and-Order-Politik, die natürlich niemand aus der Opposition mangels detaillierter, weil geheimer Informationen widerlegen kann.

Meine Damen und Herren, es ist doch eigentlich ein Treppenwitz, dass ausgerechnet die Geheimdienste nach dem NSU-Versagen noch weitere Kompetenzen erhalten haben. Man kann in diesem NSU-Sumpf kaum unterscheiden, wer wann was wusste oder wer ein staatlich bezahlter NeonaziV-Mann war. Gerade in Hessen, wo ein hauptamtlicher Mitarbeiter des sogenannten Verfassungsschutzes bei dem NSU-Mord in Kassel sogar anwesend war, darf man wohl zu Recht fragen: Was sind das für Leute, die da arbeiten?

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist das für ein Verfassungsschutz? Warum schützen und finanzieren wir mit Steuergeld ein hoch kriminelles VLeute-System, wenn am Ende damit keine Verbrechen verhindert werden? Man muss sich auch vor Augen führen, dass es die Geheimdienste in Deutschland waren und noch sind, die wesentliche Aufklärung blockiert, V-Leute verborgen, Straftaten verdeckt oder Akten geschreddert haben. Zur Erinnerung: Wir reden von den staatlichen deutschen Sicherheitsbehörden und der Aufklärung einer bundesweiten Mord- und Terrorserie mit zehn Toten und Dutzenden Schwerverletzten.

Einzige Konsequenz bisher: Auf Bundesebene wurde das sogenannte Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus gegründet. Dieses GAR gibt ausgerechnet den Geheimdiensten neue Kompetenzen. So sollen der Austausch zwischen den Länderbehörden endlich klappen und die Geheimdienste Zugriff auf alle Daten erhalten.

Aber ich will noch auf den Gesetzentwurf der SPD eingehen. Denn immerhin bringt die SPD das Thema erneut in den Landtag. Nur, die Vorschläge der SPD wie auch die der GRÜNEN, die wir kennen, halte ich angesichts des eigentlichen Problems auf Bundes- und Landesebene für Augenwischerei. Denn wir können uns weder aus der Geschichte noch vor dem Hintergrund der NSU-Debatte sicher sein, was in diesen Diensten wirklich läuft. Kollege Frömmrich hat darauf hingewiesen und zitiert: Das Totalversagen wird im NSU-Ausschuss zum Begriff, das Totalversagen aller Dienste.

Deshalb sagen wir: Die Geheimdienste sind demokratisch eben nicht kontrollierbar. Die Geheimdienste sind in den vergangenen zwölf Jahren zu einer enormen Größe herangewachsen: immer mehr Sachmittel, immer mehr Personal, immer weiter gehende Kompetenzen. Selbst in Polizeikreisen können Sie hören, wie völlig abgehoben und unerreichbar der sogenannte Verfassungsschutz inzwischen ist. Man muss dazu natürlich nachfragen und zuhören wollen.

Wenn SPD wie auch GRÜNE vor dem Hintergrund sagen: „Wir lassen alles, wie es ist, die Größe, die Kompetenzen, sogar das V-Leute-System, das machen wir jetzt aber demokratisch und transparent“, dann ist das erneut Augenwischerei. Wenn Geheimdienste demokratisch und transparent wären, dann wären sie keine Geheimdienste mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen: Die Geheimdienste verdienen aufgrund ihres Versagens, ihrer Verstrickungen und ihrer Vertuschungen unser Vertrauen nicht. Sie verdienen vielmehr unser uneingeschränktes Misstrauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatssekretär Koch. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schaus, so, wie Sie mit unserem Verfassungsschutz, einer Institution unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, umgehen,

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

dafür habe ich, das muss ich ganz ehrlich sagen, keinerlei Verständnis. Das weise ich zurück und stelle mich ausdrücklich vor die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Denn die Probleme können nicht mit einer bundesweiten Verallgemeinerung der Probleme der Arbeit des Verfassungsschutzes gelöst werden.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich bedarf der Verfassungsschutz einer Neuausrichtung. Es geht – das haben wir gehört – unter anderem um Ausbildungsfragen, um Standards, um Informationskanäle, Informationsstränge. Es geht um V-Leute. Das ist richtig. Aber genauso richtig ist die Einschätzung der Vorredner von CDU, FDP und auch von Herrn Frömmrich, dass es ein falscher Ansatz zum falschen Zeitpunkt ist. Liebe Frau Faeser, die Forderungen der SPD sind nicht neu. Vor einigen Monaten lagen sie schon einmal auf dem Tisch.

(Günter Rudolph (SPD): Deswegen bleiben sie trotzdem richtig!)

Ich bestreite auch gar nicht, dass das eine oder andere dabei ist, was diskutiert wird. Da sind wir an manchen Ecken schon ein Stück weiter. Ich komme noch darauf.

Ich kann zwar nachvollziehen, dass man angesichts der schrecklichen Mordtaten, die aufs Schärfste zu verurteilen sind

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aufs Allerschärfste!)

auch aufs Allerschärfste; das ist richtig –, geneigt ist, vermeintliche Sicherheit in schnellen Forderungen zu suchen. Aber das ist nicht immer der beste Weg. Ich halte dies im Moment nicht für zielführend im Sinne der Sache. Gegenwärtig gibt es noch keine neuen Erkenntnisse für ein solches Gesetz. Die erwarte ich, die erwarten wir unter anderem aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Ein erster Schritt ist im vergangenen Jahr mit dem LfVGesetz von CDU und FDP gemacht worden. Es hat für mehr Transparenz und Kontrolle gesorgt. Unabhängig davon bin ich auch selbst ein Stück weit betroffen, wenn gesagt wird: „Da ist keine größtmögliche Transparenz“. Herr Frömmrich, wir arbeiten gemeinsam – darauf will ich nicht näher eingehen – in einem Gremium dieses Hessischen Landtags. Ich habe eigentlich immer den Eindruck gehabt, dass Sie mir abgenommen haben, dass ich um größtmögliche Transparenz – das Wort „bemüht“ ist schon ein falsches Wort – bestrebt bin. Das werde ich auch in Zukunft in diesem Gremium so halten.

Vertrauen zu schaffen, ist im Bereich der inneren Sicherheit durchaus wichtig. Wir sind gerade in diesem Bereich auf das Vertrauen der Bevölkerung angewiesen. Das ist angesprochen worden. Aber es geht auch darum, die Hintergründe des Komplexes NSU gründlich aufzuarbeiten und die Bereiche herauszuarbeiten, die beim Verfassungsschutz oder bei den Sicherheitsdiensten geändert werden müssen.

Meine Damen und Herren, aus diesem Grund ist das Innenressort damit befasst, nicht zuletzt im Rahmen des eingerichteten und bundesweit in dieser Art und Weise wohl einmaligen Projekts „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes“, das mir unterstellt ist, Antworten auf die Frage einer die Sicherheit erhöhenden Neuausrichtung in Form

von Leitlinien, sinnvoller Umorganisation und Entwürfen zur Neufassung einzelner gesetzlicher Vorschriften zu formulieren.

All diese Ergebnisse werden wir Ihnen dann in Form eines fertigen Konzepts präsentieren, wenn wir die gegenwärtig noch nicht vorliegenden Ergebnisse und Empfehlungen des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu Rechtsterrorismus, der Bund-Länder-Kommission sowie die abschließenden Ergebnisse der Arbeitskreise II und IV der Innenministerkonferenz in den Händen halten und berücksichtigen können. Auch die aktuell stattfindende Innenministerkonferenz – Frau Faeser hat darauf hingewiesen – wird sich wieder mit der Thematik befassen. Nur, Frau Faeser, eines ist auch klar: Wir leben nicht auf einer Insel.

(Nancy Faeser (SPD): Genau!)

Wir müssen uns allein schon, wenn es um Informationen geht, gegenseitig abstimmen und gemeinsam mit den anderen Bundesländern und den Bundesbehörden einen Weg finden, wie wir die entsprechende Abstimmung durchführen werden.

(Günter Rudolph (SPD): Das hat doch in der Vergangenheit gut geklappt! Da bin ich optimistisch!)

Es ist gesagt worden, dass wir bereits Ende vergangenen Jahres mit der Neufassung des Gesetzes verschiedene Befugnisse und Kontrollrechte eingeführt haben. Ich halte nichts davon – auch das ist ein Punkt, den ich mir näher angeschaut habe –, wenn jetzt in dem Gesetz der Weg darin gesucht wird, dass eigentlich von vornherein schon mehr kontrolliert wird, als gearbeitet werden kann. Das ist, glaube ich, ein Punkt, den wir uns noch einmal vor Augen führen müssen.

Darf ich Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern?

Ich komme zum Schluss. – Die Kontrollmechanismen müssen sensibel an den richtigen Stellen verortet werden. Nicht die Masse macht es, sondern die Qualität.

Darüber hinaus haben Sie die Punkte angesprochen: Befragungsrecht, unmittelbares Eingaberecht und vieles andere. Sie kennen die Positionen unseres Ministers. Ich kann nur anfügen, dass dagegen z. B. auch Geheimhaltungsvorschriften sprechen, die wir mit Sicherheit nicht aufgeben sollten, Zuständigkeitskompetenzen anderer Gremien, die berücksichtigt werden müssen. Von daher ist das nicht mit einem Schnellschuss zu machen. Ich bitte daher darum, die Sache gemeinsam in aller Ruhe anzugehen, damit die bestmöglichen Ergebnisse herauskommen. Zu diesem Gesetzentwurf kann ich im Namen der Landesregierung allerdings keine befürwortende Stellungnahme abgeben. – Herzlichen Dank.