Sie haben gesagt, Sie wollten Wahlfreiheit und die Betreuungsangebote bedarfsgerecht ausbauen. Dabei wollen Sie sowohl quantitative als auch qualitative Fortschritte erzielen. Wo sind die denn? – Sie haben das gemacht, was Sie von der Bundesgesetzgebung als Auflage bekommen haben. Wir werden ab diesem Sommer eine Betreuungsregelung haben. Das haben Sie noch nicht einmal so gemacht, dass es wirklich abgesichert ist. Wo sind denn da Ihre eigenen Impulse?
Sie wollten ein Netz von Familienzentren. Ja, Sie haben welche geschaffen. Von einem Netz kann aber keine Rede sein. Das Ziel war, die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme der Erziehungsberatung abzusenken und unkompliziert über die Angebote der Elternberatung der öffentlichen Hand und bei den Privaten zu informieren.
Dann schaue ich mir einmal an, wie die Situation bei den Jugendämtern ist und wie viele Herausnahmen es gibt. Ich schaue mir an, wie viel unterstützende Hilfe gebraucht wird. Da kann man nur sagen: Da sind Sie noch weit davon entfernt, diese Ziele auch nur annähernd erreicht zu haben. Es gibt nach wie vor eine Menge Familien, die Sie nicht erreichen, bei denen die Hilfe erst einsetzt, wenn es eigentlich schon zu spät ist, weil kein Kontakt zu diesen Familien besteht. Denn da, wo der Kontakt am leichtesten herzustellen möglich wäre, nämlich bei der Schulsozialarbeit, ist es so, dass zu wenig Sozialarbeit vorhanden ist. Wenn der Kontakt besteht, bleibt letzten Endes oft nur noch die Herausnahme, weil in den Familien schon alles vor die Wand gefahren wurde. Da sind Sie doch von einem Netz und früher Hilfe ganz weit entfernt.
Sie haben gesagt, Sie wollten die Maßnahmen zum Schutz der Kinder verstärken. Was meinen Sie denn damit? Haben Sie die Mittel für den Schutz der Kinder erhöht? – Nein, das haben Sie nicht. Haben Sie die Kommunen so ausgestattet, dass sie die Jugendämter und andere Beratungseinrichtungen mit guten Arbeitsbedingungen und Angeboten unterlegen konnten? – Nein, das haben Sie nicht. Aber dafür, wie Sie mit den Finanzen der kommunalen Ebene um
gegangen sind, haben Sie heute eine ordentliche Klatsche bekommen. Dazu kann man nur sagen: Das ist so richtig.
Das familienpolitische Programmpapier der CDU besagt: Sie wollen besonderen Augenmerk auf die Fürsorge für die Schwachen legen. – Sagen Sie das einmal den 130.000 Kindern in Hessen, die von Hartz IV leben müssen.
Sie haben ein Programm für ein Mittagessen für Kinder aufgelegt, die wirtschaftlich schwach gestellt sind. Sie haben das über die Karl Kübel Stiftung organisiert und dafür richtig Geld in den Haushalt eingestellt. Das Geld ist in den ersten Jahren überhaupt nicht abgerufen worden, weil das nicht ordentlich kommuniziert wurde und weil Sie es zu einer totalen Goodwillaktion gemacht haben. Anstatt zu sagen: „Wir machen es so, dass es den Kindern, die es brauchen, mit Sicherheit zugutekommt“, haben Sie darauf gesetzt, dass die Lehrerinnen und Lehrer schon wissen, welche Kinder der Hilfe bedürfen. Über die Meldung der Lehrer, die das schon wissen, sind die Kinder möglicherweise an ein Essen gekommen, vielleicht aber auch nicht.
Das ist doch keine Art, wie man mit Kinderarmut umgeht. Wenn man schon Mittel einstellt, dann sollte man das so machen, dass das Geld bei den Kindern ankommt und am Ende des Jahres nicht noch im hessischen Haushalt liegt.
„Familienhebammen“ ist das Zauberwort aus den Mündern dieser Regierung. Aber zu der Situation der Hebammen, die die hohen Haftpflichtprämien nicht mehr zahlen können, haben Sie in Ihrer Regierungserklärung kein Wort gesagt. Wie sollen denn die Hebammen angesichts dieser Problematik weiter arbeiten können und weiterhin eine gute Arbeit verrichten? – Während einer Ausschusssitzung hat der Minister dazu gesagt: Na ja, das ist halt so. Wenn es viele Schadensfälle gibt, gehen die Prämien hoch. – Wenn das seine Lösung für so ein Problem ist, kann ich nur sagen: Die Hebammen sind von dieser Regierung jedenfalls ziemlich verlassen worden.
Sie sagen: Die Familienkarte wird angenommen. – Das wurde heute hier mehrfach wiederholt. Ja, die Familienkarte wird angenommen. Aber die Rabattmarkenheftchen in meinem Supermarkt werden von den Kunden auch angenommen. Dazu brauchte es keine Unterstützung der Landesregierung.
Sie loben sich auch nicht dafür, eine gute Familienpolitik zu machen. Nein, da geht es um Kundenbindung. Sie haben mit Ihrer Unterstützung ganz viele Unternehmen dazu gebracht, die Kundenbindung zu verbessern. Ich weiß nicht, warum Sie das Familienpolitik nennen. Aber vielleicht hängt bei den meisten Supermärkten, bei denen ich einkaufe, demnächst draußen auch ein großes Schild, auf dem steht: Wir haben Rabattmärkchen, wir machen gute Familienpolitik.
(Heiterkeit und Beifall der Abg. Janine Wissler und Hermann Schaus (DIE LINKE) – Minister Michael Boddenberg: Tata, tata!)
Ja, Sie können ruhig dazu „Tata“ sagen. Denn zum Teil hat das, worüber Sie sich hier auslassen und sagen, es sei eine tolle Familienpolitik, nichts anderes als Karnevalscharakter.
Es passiert tatsächlich etwas beim quantitativen Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren. Das ist so, auch wenn wir heute bereits wissen, dass der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz für Kinder unter drei Jahren ab August 2013 in Hessen nicht verwirklicht sein wird, jedenfalls nicht flächendeckend.
Schlecht aussehen tut es bei der Qualität. Es geschieht ein bisschen bei der Beratung der Eltern. Das Stichwort dazu lautet Familienzentren. Es passiert ein bisschen bei der Verbesserung des Wiedereinstiegs der Frauen nach der Familienpause. Bei der Qualifizierten Schulvorbereitung passiert ein bisschen. Aber das sind bestenfalls alles Modellprojekte, die keine Breitenwirkung entfalten.
Eltern sind die Leistungsträger der Gesellschaft. …Wir wollen erreichen, dass Familienarbeit muss stärker anerkannt und auch finanziell honoriert wird.
Frau Wiesmann, Sie haben das Papier damals zusammen mit Herrn Wagner vorgestellt. Sie wissen, dass wir in Hessen etwa 1 Million Kinder unter 18 Jahren haben. Etwa 130.000 davon leben in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. Hinzu kommen knapp 15.000 Kinder, deren Eltern Kinderzuschlag bekommen.
Was haben Sie und was hat diese Landesregierung getan, um die Situation dieser in Armut lebenden Kinder und ihrer Eltern zu verbessern? Was haben Sie und was hat diese Landesregierung getan, als die schwarz-gelbe Bundesregierung und deren aus Hessen stammende Ministerin Schröder ab Januar 2012 das Elterngeld für Hartz-IV-Bezieher gestrichen haben? Was haben Sie und was hat diese Landesregierung getan, als vor gut einem Jahr die Caritas die Folgen dieser Streichung untersucht hat und zu folgendem Ergebnis kam? Die Streichung des Elterngeldes hat Familien mit Hartz-IV-Bezug sehr geschadet. Ich zitiere:
Die Familien erlitten schwere finanzielle Einbußen und fühlten sich insgesamt gesellschaftlich isolierter. … Über die Hälfte der Befragten, (53 %) gaben an, hierdurch stärkeren „finanziellen Stress“ zu erleiden. Meist fehle der Betrag, um für die Kinder im ersten Lebensjahr gesunde Lebensmittel oder Arzneien zu erwerben. Viele Familien können zudem keine Spiel- oder Elternkurse besuchen. Jeder dritte Befragte gab an, die Streichung des Elterngeldes habe eine schwerwiegende finanzielle Situation geschaffen, in der viele Probleme auch innerhalb der Partnerschaft auftraten. Viele Familien und Alleinerziehende sagten zudem, sie hätten das Gefühl, dass ihre Kinder von der Gesellschaft nicht gewollt und demnach „auch nichts wert sind“.
Planen Sie oder die Landesregierung, sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass an dem Elend der 140.000 hessischen Kinder mit Hartz-IV-Bezug etwas geändert und das Elterngeld nicht auf Hartz IV angerechnet wird?
Der Ministerpräsident hat in der Regierungserklärung gesagt, er wolle Mut zur Familie machen. Die Eltern von 130.000 Kindern in Hessen haben das Gefühl, dass die Gesellschaft ihre Kinder nicht will und sie demnach auch nichts wert sind. Ich denke, das ist etwas, bei dem Sie tatsächlich etwas tun könnten. Sie könnten dafür Sorge tragen, dass diese Eltern auch das Gefühl bekommen, dass ih
Ich sage das nur noch einmal zur Erinnerung: Das Elterngeld wurde im Jahr 2007 eingeführt. Gleichzeitig wurde das Erziehungsgeld gestrichen. Mit dem Erziehungsgeld wurden allen Familien in gleicher Höhe und unabhängig vom Einkommen der Familie gefördert. Das Elterngeld jedoch sah vor, dass gut verdienende Familien 67 % ihres Erwerbseinkommens, bis maximal 1.800 €, pro Kind und Monat bekommen. Familien mit geringem oder gar keinem Einkommen wurden mit 300 € pro Kind und Monat abgespeist. Diese soziale Schieflage gab es also von Anfang an. Sie wurde von der Großen Koalition gemeinsam getragen. Proteste der GRÜNEN und der FDP gegen diese Schieflage sind mir nicht bekannt.
Meine Damen und Herren, eine repräsentative Befragung von Eltern im vergangenen Frühjahr ergab: 89 % fordern, der Staat solle mehr Wert darauf legen, benachteiligte Familien zu unterstützen.
DIE LINKE steht und kämpft für eine Politik, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht, ohne Angst vor der Zukunft zu haben. Dafür brauchen wir eine Kindermindestsicherung, die wirksam Kinderarmut verhindert. Die Hartz-IV-Sätze müssen verfassungsgerecht berechnet und demgemäß erhöht werden. Der Bedarf für Kinder und Jugendliche ist eigenständig neu zu ermitteln und anzuheben.
Wir brauchen eine gebührenfreie öffentliche Kinderbetreuung für Kinder aller Altersgruppen, mit flexiblen Öffnungszeiten.
Dazu gehört für uns ein flächen- und bedarfsdeckendes ganztägiges Schulangebot. Die Organisation der Arbeit muss verändert werden, um kinderkompatibel zu sein. Eltern brauchen erweiterte Arbeitnehmerinnenrechte, um trotz Arbeit genug Zeit für ihre Kinder zu haben. Die gesellschaftliche Arbeit in Beruf und Familie muss auch auf dem Weg kollektiver Arbeitszeitverkürzung umverteilt werden.
Statt Steuerbegünstigungsmodelle wie das Ehegattensplitting wollen wir die individuelle Besteuerung. Die tatsächlichen Betreuungs- und Pflegeleistungen sowie das Zusammenleben mit Kindern sollen steuerlich gefördert bzw. es sollen entsprechende Unterhaltszahlungen berücksichtigt werden. Das Betreuungsgeld aber ist zu streichen,
weil es gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien von frühkindlicher Förderung fernhält. Stattdessen ist das Geld in den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung zu stecken.
Schließlich brauchen wir eine Situation, in der auch Pflege mehr Wertschätzung erfährt. Das ist in dieser Regierungserklärung am Rande angesprochen worden. Aber auch dort fehlt natürlich genau das, womit man es hinterlegen muss: Man muss das mit geeigneten Arbeitsbedingungen für die Menschen hinterlegen, die in der Pflege tätig sind, Arbeitsbedingungen, die so sind, dass Menschen dort auch arbei
ten wollen. Wir müssen ein flächendeckendes Angebot haben, damit die Menschen, die ihre Angehörigen – oder Freunde oder andere Nachbarn – zu Hause pflegen, tatsächlich Entlastung erfahren. In diesem Falle heißt Entlastung nicht: Morgens und abends kommt eine völlig gehetzte und überlastete Pflegekraft, die eben schnell die notwendigsten körperlichen Dinge regelt. Nein, Entlastung heißt hier auch, die Menschen, die zu Hause insbesondere einen dementen Menschen betreuen, müssen die Chance haben, auch ein Stück eigenes Leben leben zu können, eine Stunde am Tag für sich Zeit zu haben, um einkaufen zu gehen, abzuschalten und einmal den Kopf für etwas anderes frei zu haben. Denn nur so kann man eine solch belastende Situation auf die Dauer durchhalten.
Es hilft uns nicht, an diesen Hilfen zu sparen und dann im Ergebnis eine Situation zu erhalten, in der Familien so überlastet sind, dass sie die Pflege nicht mehr leisten können und dann doch manchmal deutlich vor der Zeit, zu der es eigentlich notwendig wäre, Menschen in eine Pflegeeinrichtung gebracht werden müssen, weil die Familie nicht mehr anders kann.
Hierzu haben wir flächendeckend überhaupt keine Strukturen, und wir haben überhaupt keine Möglichkeiten, das wirtschaftlich zu unterlegen. Denn die pflegenden Angehörigen sind häufig wirtschaftlich nicht in der Lage, sich eine solche Leistung zuzukaufen, die sie bräuchten, um eine solche Situation aufrechtzuerhalten. Es gibt weder Strukturen, die das anbieten, noch gibt es die wirtschaftliche Hinterlegung, um das zu finanzieren. An dieser Stelle haben wir Niemandsland. Auch dazu aber haben Sie keine Ideen. Sie haben kein Programm. Es passiert nichts – außer dass wir Ankündigungen erhalten, dass Sie Tagungen und Veranstaltungen organisieren.
Sie brauchen keine Kongresse. Sie brauchen keine Tagungen. Sie brauchen hierzu keine Veranstaltungen. Sie sind die Regierung. Tun Sie das, was eine Regierung zu tun hat: Sorgen Sie dafür, dass das, was gebraucht wird, umgesetzt wird.
In der Ihnen noch verbleibenden Zeit werden Sie das kaum schaffen können. Ansonsten würde ich Ihnen vorschlagen: Geben Sie dann zu diesem Thema wieder eine Regierungserklärung ab, wenn Sie dazu etwas zu erklären haben. – Herzlichen Dank.
Ich freue mich, auf der Besuchertribüne den früheren Kollegen Herrn Dr. Jürgens begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen.
Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das grüne Krokodil hier wieder seinen Auftritt hatte, mit vielen Krokodilstränen, und Herr Merz von der SPD dafür plädiert hat, mit allem nochmals ganz von vorne anzufangen, ohne sich darauf festzulegen, wie denn das Ergebnis konkret aussehen soll, hat jetzt auch Frau Schott einen ganzen Flickenteppich von Erwägungen geboten, über den ich am besten einfach hinweggehe und dem ich damit wahrscheinlich auch am ehesten gerecht werde. Stattdessen versuche ich, die Debatte nochmals auf ihren Kern und auf das Grundlegende zurückzuführen.