(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Es liegt mir echt auf der Seele: Ich muss etwas zu diesem Gesetzgebungsverfahren sagen. Wir haben eine Regierung, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, den Gesetzentwurf selbst einzubringen, wahrscheinlich um sich eine geordnete vorgezogene Beteiligung zu ersparen. Diese Regierung schreibt einen Entwurf, den die Fraktionen von CDU und FDP einbringen. Ich selbst finde das bei meinem möglicherweise altmodischen Verständnis von Gewaltenteilung per se schon merkwürdig. Aber richtig ist, dass ab diesem Zeitpunkt der Einbringung dieser Gesetzentwurf einzig und allein eine Angelegenheit der beiden Koalitionsfraktionen war.
Meine Damen und Herren, was wir aber danach erlebt haben, ist nach meinem Verständnis von Parlamentarismus vollkommen inakzeptabel. Wir haben erlebt, dass die Landesregierung mit einer beispiellosen Massivität, die gar nicht beteiligte Landesregierung, in diese Debatte hineingegangen ist. Es verging keine Woche, ohne dass irgendein Minister der Landesregierung nicht irgendjemandem einen Brief geschrieben hätte, meistens gleich an Hunderte oder Tausende von Adressaten, an Eltern, an Einrichtungen, an Träger, an Gott und die Welt.
In einem Fall waren es gleich drei Minister, was allerdings die Verbindlichkeit und Richtigkeit der Aussage, in diesem Fall nämlich zum Zusammenhang von Kitas, Standards und Schutzschirm, nicht wirklich erhöht hat.
Am Schluss sah sich der Minister Grüttner veranlasst, noch einen Brief an die Kommunalen Spitzenverbände und die Liga der Freien Wohlfahrtspflege zu schreiben, in einer Angelegenheit, von der er bis dahin mit der ihm eigenen Widerborstigkeit behauptet hat, dass sie ihn nichts angehe, nämlich in der wesentlichen Frage der Berücksichtigung von Inklusion in der frühkindlichen Bildung. Es war übrigens auch der Minister, der während der Anhörung wie ein Buddha mitten unter den CDU-Kollegen saß und die Fragen verteilte, die Sie dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Sachverständigen gestellt haben. Das war auch ein Schauspiel ganz besonderer Art.
Zu diesem Teil des Spiels gehört die Schaltung einer Telefon-Hotline durch die Landesregierung zum KiföG. Dazu gehört, dass die Landesregierung selbst über das Land zog, um den Entwurf, der nicht der ihre war, zu verteidigen. Dazu gehört zum schlechten Schluss, dass die Änderungen zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen im Wesentlichen von der Landesregierung, diesmal sogar vom Herrn Ministerpräsidenten höchstselbst, präsentiert wurden, was dann zu solchen Schlagzeilen führte: „Regierung ändert Gesetz“. Man kann das auf den Kopf stellen, aber das Verhältnis von Legislative und Exekutive kann man nicht prägnanter ausdrücken als so.
Ich sage Ihnen, dies wird noch einmal ein Nachspiel haben, denn wir werden wissen wollen, was das den Steuerzahler alles gekostet hat.
Die Änderungen, die die Landesregierung verkündet hat und die die Koalitionsfraktionen dann ins Verfahren eingebracht haben, haben an unserer grundsätzlichen und scharfen Ablehnung des Gesetzentwurfs nichts geändert. Es handelt sich mit einer einzigen Ausnahme um kosmetische Korrekturen oder um Verschlimmbesserungen.
Erstens. Reine Kosmetik ist die gefundene Formulierung für das Vorhalten zusätzlicher Zeiten für die mittelbare pädagogische Arbeit und Leitungstätigkeiten in § 25a. Was Sie damit im Klartext sagen, ist Folgendes: Das geht uns nichts an, das soll uns nichts angehen, und ihr sollt auch wissen, dass uns das nichts angeht. – Liebe Frau Kollegin Wiesmann, was das übrigens im Zusammenhang mit der eigenständigen Ausgestaltung und Umsetzung des Auftrags des Bildungs- und Erziehungsplans zu suchen hat – das ist der Gehalt des Satzes, in dem das steht –, wird Ihr Geheimnis bleiben.
Zweitens. Eine Verschlimmbesserung ist nach unserer festen Überzeugung die Einführung eines weiteren Betreu
ungsmittelwerts. Dieser wird zur Schaffung eines bedarfsdeckenden Angebots an Ganztagsbetreuungsplätzen, die den realen Bedürfnissen von immer mehr Eltern entsprechen, nichts beitragen. Der Betreuungsmittelwert ist eine Größe, die zur Ermittlung des Personalbedarfs nach § 25c Abs. 2 herangezogen wird. Mit der Einführung dieses neuen Mittelwerts erhöht sich der notwendige Personaleinsatz. So weit, so richtig, und so weit, so gut.
Das wäre also insofern nicht zu beanstanden, wenn dem auf der Finanzierungsseite auch etwas entspräche. Es ist und bleibt aber so, dass die in § 32 auch nach Betreuungszeiten gestaffelten Pauschalen bei 35 Stunden enden, sodass der Träger, die Einrichtungen und die Kommunen nach wie vor, und diesmal auf einer größer werdenden Differenz, nämlich zwischen 35 und 50 Stunden, hängen bleiben. Das wird man kaum eine Verbesserung der Finanzierung nennen können. Das ist doch ganz einfach.
Drittens. Ich nenne auch die sogenannte Deckelung der Gruppengrößen bei U 3 eine Verschlimmbesserung. Damit reagieren Sie – das haben Sie im Grunde zugegeben – interessanterweise auf ein Problem, das es nach Ihrer bisherigen Lesart gar nicht hätte geben können, nämlich Gruppengrößen von bis zu 16 Kindern. Etwas, was es nicht gibt, wird jetzt abgestellt; das lassen wir jetzt aber einmal sein, als zu den üblichen Widersprüchen gehörend.
Ich halte hier fest: Das ist eine tatsächliche Erhöhung der zulässigen Gruppengröße von bisher acht bis zehn Kindern auf maximal zwölf Kinder. Das nenne ich eine Absenkung von Standards.
Dann gibt es noch den Volltreffer: die Änderung der Vorschrift über die Notwendigkeit einer Mittagsversorgung bei einer täglichen Öffnungszeit von mehr als sechs Stunden – Glückwunsch, Kollege Bocklet. Das folgt wirklich der berühmten Redewendung – es stand in der „Bild“-Zeitung, und es ist bekanntlich alles wahr, was in der „Bild“-Zeitung steht; das haben wir heute schon bei anderer Gelegenheit gehört –: „Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu“. Das muss man einfach einmal sagen.
Ich weiß nicht, was bei japanischen Kindertagesstätten des Landes jetzt wirklich Brauch ist. Was ich aber weiß, ist: Wenn in einem Gesetz, jedenfalls in diesem Handlungsfeld – glauben Sie mir, davon verstehe ich als ehemaliger Jugenddezernent wirklich etwas –, nicht „muss“, sondern „soll“ steht, dann ist bei denen, die am Ende über die Finanzen entscheiden, für juristische Feinheiten kein Platz mehr. Dann wird aus einem „soll“ die Aussage: Das kann man machen, wir können es aber auch lassen. – Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.
Dann bleibt als einzige substanzielle Änderung zum Guten nur die Streichung des berüchtigten Passus in § 25b Abs. 2 Nr. 4, die Streichung der Geschichte mit den fachfremden Fachkräften, jener begrifflichen Wiedervereinigung von Pferd und Hindernis,
Man kann Ihnen aber auch das nicht gutschreiben, denn erstens sind Sie hier nur dem sehr starken Druck des öffentlichen Protests gewichen. Zweitens sind Sie, das haben sie heute wieder dargestellt, in der Sache selbst vollkommen unbußfertig geblieben. Sie halten das nach wie vor für eine gute Idee, die die Menschen nur falsch verstanden haben, weil die Menschen überhaupt alles nur falsch verstanden haben bzw. von der SPD, insbesondere von mir, verhetzt worden sind.
Sie verstehen nicht oder wollen nicht verstehen, dass es hier um nichts Geringeres geht als um die Aushebelung des Fachkräftegebots, das in der Kinder- und Jugendhilfe eine der tragenden Säulen ist und bleiben muss.
Menschen, die anderen Menschen oder Institutionen ihre Kinder anvertrauen, egal, welchen anderen Menschen und welchen anderen Institutionen, müssen sicher sein können, dass es dort nach den Regeln des jeweiligen Standes der Professionalität zugeht.
Wir haben für den Bereich der Kinderbetreuung einen Stand der Professionalität. Der ist wohldefiniert. Den kann man reformieren, er ist aber wohldefiniert und darf im Kern nicht getroffen werden. Aber genau das hatten Sie hier vor, und genau das haben die Menschen, insbesondere die Fachleute, gemerkt. Deshalb stimmen wir diesem Punkt als einzigem zwar zu, aber Sie können dafür keinen Kredit beanspruchen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es bleibt dabei: Dieses Gesetz ist ein schlechtes Gesetz. Es ist zwischen der ersten und zweiten Lesung nicht besser geworden. Sie haben eine von uns beantragte weitere schriftliche Anhörung abgelehnt. Wir wollten die Gelegenheit haben und Ihnen die Gelegenheit geben, mit der engagierten und fachkundigen Öffentlichkeit auch die Änderungsvorschläge zu diskutieren. Dann machen wir das eben außerhalb eines formellen Anhörungsverfahrens, und deshalb beantrage ich namens der SPD-Fraktion eine dritte Lesung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ein Merz im April spricht, dann wird es so. Ich ertrage es nicht mehr.
Ich habe vor Kurzem einen Artikel gelesen und mich, ehrlich gesagt, noch darüber gefreut, denn es sagte der Abg. Merz: Diese Regierung hat nichts mehr zu sagen, weil sie
Ich sage auch ganz bewusst: Was Sie hier eben abgeliefert haben, ist der Inbegriff der unglaublichen Arroganz eines Mannes, der es im Leben immer nur zu einem Politiker geschafft hat, aber nie in irgendeiner Form Verantwortung für all die anderen Dinge getragen hat. Ich sage das ganz bewusst.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist eine Unverschämtheit! Sie haben „Autist“ gesagt! Ich glaube, jetzt geht es los!)
und andere, kann ich verstehen. – Wenn Sie einmal Ihren Lebenslauf ansehen, werden Sie feststellen, dass dies schon immer so gewesen ist. Das ist nicht schlimm; man kann über ein Langzeitstudium und andere Dinge dann irgendwann einmal Politiker werden.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ändert das an einem einzigen Argument von Herrn Merz?)
Ach, Herr Wagner, schauen wir uns einmal Ihren Lebenslauf an. Sie haben eine Berufserfahrung, die mit Berthold Beitz wirklich zu vergleichen ist.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ich glaube, jetzt geht es los! – Anhaltende Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)