Protocol of the Session on November 22, 2012

Auf der anderen Seite wurde aber auch deutlich, dass vereinzelte Missstände in Bereichen des kirchlichen Arbeitsrechtes, zum Teil durch Lohndumping und der Ausweitung von Leiharbeit und Outsourcing hervorgerufen, genau dieses Selbstverständnis der diakonischen Gemeinschaft im Kern gefährden und somit dringend abgestellt werden müssen.

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE gibt, trotz seiner Länge, den gesamten Sachverhalt sehr einseitig wieder. Schon die Überschrift „Der ‚Dritte Weg‘ dient zur Lohnabsenkung …“ ist falsch. Dies ist nicht richtig und verzerrt die Absichten, die hinter dem „Dritten Weg“ stehen. Die Kirchen sind eben nicht einfach Unternehmen, die im sozialen Sektor tätig sind. Für Christen gibt es eine besondere Motivation, warum sie sich im sozialen Bereich engagieren. Es geht nicht ums Geldverdienen, sondern um eine konkrete Umsetzung des Evangeliums. Jesus hat seine Botschaft im Doppelgebot der Liebe zusammengefasst: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken“, und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

(Holger Bellino (CDU): Das habe ich schon einmal gehört!)

Die Nächstenliebe ist somit Verpflichtung für jeden Christen und jede Christin, doch der Einzelne kommt mit seinen Kräften schnell an Grenzen. Im Hessischen Landtag ist es sicherlich angemessen, in diesem Zusammenhang einmal an die heilige Elisabeth zu erinnern.

(Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ja, dann freuen sich auch die Marburger.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ich finde es gut!)

Nach dem Tod ihres Mannes widmete sich die Landgräfin der Krankenpflege in Marburg und gründete ein Hospiz.

Dabei opferte sie sich so sehr für Bedürftige auf, dass sie bereits nach relativ kurzer Zeit an Entkräftung starb. Schon im Mittelalter wurde also klar, dass die Krankenversorgung einer komplexen Organisation bedarf und der Einzelne schnell überfordert ist. Stiftungen und Klöster fungierten als Träger von Einrichtungen. Seit dieser Zeit hat sich die grundlegende Motivation nicht geändert. In karitativen und diakonischen Einrichtungen arbeiten Christen gemeinsam, um Nächstenliebe konkret umzusetzen.

Der „Dritte Weg“ ermöglicht es den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden, die religiöse Dimension ihres Wirkens auch in der Form des Arbeitsrechts zu leben und ihren Auftrag, die Verkündigung von Gottes Wort, die Feier des Gottesdienstes und tätige Nächstenliebe, zu erfüllen. Unabhängig von ihrer beruflichen Position und Stellung haben alle in der Kirche Tätigen an diesem Auftrag Anteil. Sie arbeiten deshalb nach dem Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft zusammen. Dieses Leitbild beruht auf dem gemeinsamen Auftrag von Dienstgeber und Dienstnehmer. Es schließt die Existenz unterschiedlicher Interessen nicht aus, gibt aber Wege für eine partnerschaftliche Lösung vor.

Streik und Aussperrung sind für viele in der Kirche mit dem gemeinsamen Auftrag nicht vereinbar. Wenn eine Einbindung der Gewerkschaften in die paritätischen und konsensorientierten Verhandlungen stattfindet, haben die Gewerkschaften kein Recht, zum Streik aufzurufen, so das Bundesarbeitsgericht am Dienstag. Es stimmt nicht, dass Kirchen und kirchliche Einrichtungen grundsätzlich schlechter bezahlen. Bei Vergleichen wird z. B. gern übersehen, dass es oft eine bessere zusätzliche Altersversorgung gibt.

Noch kurz zu dem kleinen Disput, was 100-%-Dinge angehen. Dazu kann ich aus der eigenen Erfahrung berichten. Unser Kindergarten, ein kirchlicher Kindergarten, besteht aus vier Gruppen. Eine Gruppe ist eine sogenannte 100%-Gruppe, wo kommunale und staatliche Träger die gesamten Kosten tragen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha, Herr Minister! – Gegenruf des Ministers Stefan Grüttner: Das ist nur eine Gruppe, das ist kein ganzer Kindergarten!)

Drei Gruppen – jetzt kommt es – sind unter dem Normalvorhalt. Das heißt, mehr als 15 % werden aus Kirchensteuermitteln dazugegeben, und in einem Kindergarten gibt es eben beides, deshalb diese 100 %. Man muss immer schauen, wie das in der Praxis aussieht.

Die Frage ist nun: Warum beschäftigt sich die Fraktion DIE LINKE mit diesem Thema? – Die „FAZ“ sagt heute: „Möglicherweise ist sie einer Kampagne von ver.di aufgesessen, denen es vor allen Dingen um Mitgliedergewinnung geht.“

(Holger Bellino (CDU): Ja klar, die schreiben denen sogar die Gesetzentwürfe!)

Es gibt drei Gründe, warum es vielleicht besser und klug ist, den Antrag abzulehnen.

(Holger Bellino (CDU): Was, nur drei?)

Drei Hauptgründe. – Erstens. In aller Regel, finde ich, sollten sich ein Parlament und eine Regierung nicht in die inneren Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft einmischen. Das steht dem Grundrecht auf Religionsfreiheit und kirchliche Selbstbestimmung, Art. 4 und 140, entge

gen. Gerade wir Deutsche haben schlechte Erfahrungen gemacht, wenn sich der Staat in kirchliche Angelegenheiten einmischt.

Zweitens. Es kann natürlich zu Konflikten zwischen verschiedenen Rechtsgütern kommen, eben z. B. auch in der Frage der Koalitionsfreiheit, aber ich finde, dass wir in Deutschland eine gute Geschichte haben. Wir haben in der Bundesrepublik nämlich die Erfahrung gemacht, dass man bei widerstreitenden Rechtsgütern die Entscheidung den Gerichten überlassen sollte. Die machen das in aller Regel viel weiser und klüger als manche politische Entscheidung.

Drittens ist der vorliegende Antrag doch sehr einseitig, da er nur die eine Seite der Argumente wiedergibt.

Herr Kollege Utter, Sie müssen zum Ende kommen.

Ich komme zum Ende. – Er blendet die Argumente für den „Dritten Weg“ eigentlich aus. Deshalb wird die CDU den Antrag ablehnen.

Dennoch freue ich mich, dass Ihr Antrag es ermöglicht hat, dass Jesus Christus und die heilige Elisabeth Eingang in das Landtagsprotokoll gefunden haben. – Danke.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie des Abg. Marius Weiß (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Utter. – Als nächster Redner hat sich Herr Dr. Spies von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Dr. Spies, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe den Verlauf dieser Debatte mit großem Interesse verfolgt, insbesondere die hohe Bedeutung, die an dieser Stelle kirchenpolitischen Fragen zugestanden wurde.

Ich glaube, dass wir hierbei nur sehr bedingt über eine kirchenpolitische Frage sprechen. Wir reden auch in der Ausrichtung des Antrags der LINKEN – zu dem ich gleich noch komme – nur sehr bedingt über eine kirchenpolitische Frage, sondern über eine andere. Dann aber trifft der Antrag die Richtung, um die es eigentlich geht, allenfalls peripher, touchiert sie vorsichtig, umgeht aber die eigentliche, der politischen Auseinandersetzung zuzuführende Frage.

Es ist nicht immer glücklich, wenn sich Politik unmittelbar in tarifliches Verhandlungsgeschehen einmischt. Das ist in der Regel nicht glücklich, und letztendlich – darauf zielt der Antrag – reden wir auch hier über eine tarifrechtliche Frage. Umso mehr, als vor zwei Tagen ein Urteil ergangen ist – das konnte man vorher nicht wissen, das will ich gerne zugeben –, das gerade das spezifische Verhältnis zwischen Kirchenrecht und Tariffragen sowie den Status der Gewerkschaften zur Wahrnehmung der Rechte der Beschäftigten neu definiert hat. Die Begründung liegt noch gar nicht vor. Vielleicht wäre es hilfreich, vor einer Vertiefung der Debatte einmal dort hineinzuschauen, in welchem Rahmen man sich bewegt.

An dieser Stelle gilt noch ein dritter Aspekt. Im öffentlichen Sektor treten wir nicht nur als Rahmensetzer des Tarifrechts auf, wie es im Bereich der Industrie der Fall wäre, wo die Aufgabe der Politik vor allem darin besteht, Waffengleichheit zwischen den Akteuren herzustellen, die dann autonom verhandeln. Wir sind zugleich selbst Akteur, Auftraggeber, Steuerer von finanziellen Flüssen – es ist gerade angesprochen worden, dass gerade die Aufgaben und Arbeitsbereiche, um die es in dem Antrag geht, keineswegs Gegenstand freier Verhandlungen zweier autonom agierender Akteure sind. Deshalb ist die politische Aufgabe auch nicht der Druck auf einzelne Partner, jedenfalls nicht als Erstes.

(Ministerin Lucia Puttrich fallen einige Akten zu Boden.)

Die Umweltpolitik in Hessen liegt am Boden.

(Heiterkeit – Minister Jörg-Uwe Hahn: Nein, nur die entsprechenden Papiere!)

Deshalb ist politische Aufgabe auch nicht die Einflussnahme auf einen der beiden Partner, sondern zunächst die Klärung der gesellschaftlichen, politisch zu beeinflussenden Punkte, also die Frage, welchen politischen, möglicherweise gesetzgeberischen Handlungsbedarf es gibt. An welcher Stelle müssten wir denn etwas ändern, wenn das von der LINKEN beschriebene Problem tatsächlich ein solches Problem ist?

Wie sieht dieses Problem eigentlich tatsächlich aus? Dem hat sich eine Kommission der Ebert-Stiftung vor einiger Zeit sehr ausführlich gewidmet, nämlich der Frage der Steuerung im sozialen Sektor. Darüber reden wir; denn der soziale Sektor steht wie kein anderer seit Jahren unter einem extremen Kosten- und Rechtfertigungsdruck. Ich würde mir wünschen, dass nur 10 % der Subventionen im Wirtschaftsbereich annähernd so gut begründet wären, wie es nahezu jede Maßnahme im sozialen Sektor ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir reden über einen Arbeitsbereich, der schlecht bezahlt ist und dessen Arbeitnehmer vor allem aus einer hohen intrinsischen Motivation heraus arbeiten, die gar nicht so viel mit der Bezahlung zu tun hat, und der überwiegend von Frauen geprägt ist. Dieser Druck entsteht aus einer gefährlichen Gemengelage und betrifft den gesamten Sektor, nicht nur einzelne Akteure. Er resultiert aus fiskalischen Erwägungen – also der Selbstverarmung der öffentlichen Auftraggeber – und aus pseudofiskalischen Aktionen der Auftraggeber im Bereich der Sozialversicherungen. Gerade im Zusammenhang mit Pflege und Krankenhäusern ist das Problem hinreichend bekannt, es gilt ja keineswegs nur für Kindertagesstätten, sondern gerade auch für soziale Dienstleistungen bzw. die Leistungen, die aus den gesetzlichen Sozialversicherungen bezahlt werden. Auch da gibt es einen massiven Druck.

Die Übernahme einer an anderer Stelle sehr erfolgreichen Steuerungskonzeption – die Sozialpartnerschaft – funktioniert im produzierenden Gewerbe, bei Chemie, und Metall. Keiner wird das ernsthaft bestreiten können. Aber weder die Steuerungslogik noch die daraus resultierenden Auseinandersetzungslogiken sind 1 : 1 auf den sozialen Sektor zu übertragen, weil der Mensch, um den es geht und für den sich die Beschäftigten einsetzen, eben kein Stück Metall ist, das man bearbeitet. Deshalb wird diese Steuerungslogik der Aufgabe nicht gerecht.

Das aber führt dazu, dass die einfache Übernahme auch der tariflichen Gedankenkonstruktion ebenfalls nicht so ohne Weiteres funktioniert. Genau an dieser Stelle scheitert der Antrag der LINKEN.

Ein vierter Punkt ist, dass der persönliche Anspruch der Akteure – also die intrinsische Motivation, die aus dem Anspruch entsteht, Menschen zur Hilfe zu eilen – gerade im kirchlichen Bereich auch noch durch das christliche Bewusstsein einer religiösen Überzeugung und den persönlichen Glauben in besonderer Weise verstärkt wird. Gerade das hat einen ganz anderen Effekt. Dieser persönliche Anspruch führt dazu, dass die Betroffenen weitaus weniger Konflikt führen wollen, weitaus weniger Konflikt führen können und in vielen Fällen auch weitaus weniger Konflikt führen dürfen, weil man einen pflegebedürftigen Menschen nicht einfach liegen lassen und rausgehen kann.

Weil das so ist und wir dabei über andere Leute reden – das ist ein Grund, warum der gewerkschaftliche Organisationsgrad dort so beunruhigend schlecht ist, und zwar im gesamten sozialen Sektor, keineswegs nur in kirchlichen Einrichtungen –, ist die kirchliche Einrichtung dabei besonders gefordert; gerade aus der Doppelmotivation, aus intrinsischer Motivation, hilfreich und nützlich zu sein, und dem religiösen Aspekt. Daraus resultiert eine hohe Erpressbarkeit der Beschäftigten. Das beobachten wir nun im gesamten sozialen Sektor, und zwar ständig.

Die Selbstausbeutung, aber auch die zu geringe Möglichkeit, sich für seine Interessen einzusetzen, hat ja etwas mit der Tätigkeit und der persönlichen Motivation zu tun. Zu Recht ist angemerkt worden, dass das auch eine besondere Verantwortung des Arbeitgebers bedeutet, aber keineswegs nur eines kirchlichen Arbeitgebers.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Auch das gilt für alle Arbeitgeber im sozialen Sektor: Die Anständigkeit der Beschäftigten, die ihre Betroffenen nicht einfach liegen lassen, darf man nicht ausbeuten. Das ist unanständig, meine Damen und Herren.

Vielmehr entspricht es gerade der Handlungsweise auch vieler Betroffener, zunächst nach Ausgleichen zu suchen. Der „Dritte Weg“ ist ja lange Zeit sehr breit akzeptiert worden. Denken wir einmal zurück: Mit Ausnahme der frühen Siebzigerjahre waren auch Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst im Wesentlichen dadurch geprägt, dass man sich gemeinsam sehr vernünftig verständigt hat. Das ist ein Merkmal des öffentlichen Sektors, dass Tarifauseinandersetzungen anders stattfinden, als sie in den frühen Phasen der Arbeiterbewegung stattfinden mussten, weil man ganz anders verständig miteinander umging.

Es stehen alle Wohlfahrtsverbände unter erheblichem Druck. Das Problem der Steuerungslogik ist es gerade, dass sie den wohlfahrtlichen Anspruch, den moralischen Anspruch, die Getragenheit aus Glauben und die Unabweisbarkeit der Aufgabe ignoriert und damit diejenigen Träger, von denen hier noch gar nicht die Rede war – nämlich die, die vorrangig aus kommerziellen Gründen in diesem Sektor einen Ertrag zu erzielen versuchen und sich nicht von solchen Regeln leiten lassen –, privilegiert. Das löst doch das ganze Problem aus.

Deshalb wäre die richtige Zielrichtung, hier nicht über Feinheiten des Kirchenrechts zu diskutieren. Die richtige Zielrichtung wäre es, eine politische Debatte über die poli

tische Steuerung des sozialen Sektors zu führen; denn das ist das Problem, das dahintersteht: die Frage, ob es tatsächlich angemessen ist, Methoden der Produktionswirtschaft auf die Steuerung des sozialen Sektors zu übertragen. Die Antwort ist natürlich Nein.

Was muss also getan werden? Was wir brauchen, sind differenzierte Standards, die sicherstellen, dass die Leistung angemessen erbracht werden kann.

Zumindest über den Kindergartenbereich haben wir ausführlich im Plenum diskutiert. Warum es in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen nicht genauso ist, kann man eigentlich keinem Menschen erklären.