Protocol of the Session on November 21, 2012

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)

Ich finde es gut, Herr Greilich, dass jetzt auch die FDP Herrn Hahn nicht mehr in dem ernst nimmt, was er sagt. Es besteht also selbst bei Ihnen noch Hoffnung,

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie klagen, dass alles so schwierig sei. Ich dachte eigentlich, die Klagemauer stehe woanders. Am Ende der Veranstaltung in der letzten Woche war aber klar: Seit Volker Bouffier in der Staatskanzlei in Wiesbaden regiert, gibt es auch dort eine Klagemauer.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Ach Gott! Er- zählen Sie doch mal was zur Sache!)

Sie sollten sich einmal ein bisschen damit beschäftigen, worüber wir in den letzten Wochen, Monaten und Jahren und auf dem Energiegipfel eigentlich gesprochen haben. Wir haben Ihnen prophezeit, dass der Block 6 am Standort Staudinger niemals kommen wird, weil nämlich unflexible Kohlekraftwerke nicht mehr in eine völlig veränderte Energielandschaft, zu den erneuerbaren Energien passen. Das war völlig klar. Wer sich ein bisschen mit der Sache beschäftigt, der weiß, so etwas wird in Zukunft nicht mehr gebaut. Wir brauchen eine andere Form der Energieerzeugung. Wir brauchen flexible Gaskraftwerke und keine Dinosaurier-Kraftwerke aus dem letzten Jahrtausend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Man hätte es wissen können. Herr Ministerpräsident, Sie schienen mir in der letzten Woche aber ernsthaft überrascht zu sein, als mitten in die Sitzung die Nachricht platzte, dass sich E.ON von Staudinger 6 verabschiedet

hat. Herr Ministerpräsident, wenn alles so schwierig ist, wenn Sie nicht so genau wissen, wo Sie hin wollen, wenn Sie gar nicht so genau wissen, wie man die Probleme eigentlich lösen soll, und immer sagen, die anderen seien schuld, dann lassen Sie doch einfach diejenigen die Energiewende machen, die sie wollen und die sie auch umsetzen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Ministerpräsident Vol- ker Bouffier: Ich lache mich tot! Was können Sie denn – außer Preiserhöhungen?)

Ich höre von halbrechts hinter mir den Satz: „Ich lache mich tot“. Ich hoffe, das ist nicht wahr geworden.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Natürlich nicht! Aber ich warte auf Ihre Vorschläge!)

Die Wende ist eine Herausforderung, eine Anstrengung, aber auch eine Chance für Hessen – für mehr Arbeitsplätze, für eine größere Unabhängigkeit von Rohstoffimporten, für mehr Wertschöpfung im ländlichen Raum, für Gewinne bei Kommunen, nicht bei Energiekonzernen. Sie sind aber schon wieder im Blockade- und Klagemodus angekommen – falls Sie ihn jemals verlassen haben.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt: Wir ziehen heute Bilanz. – Auch ich ziehe jetzt Bilanz und stelle fest: Hessen ist bei den erneuerbaren Energien im Vergleich aller Flächenländer weiterhin auf dem letzten Platz. Sie haben vorhin den Satz gesagt, Sie würden eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik betreiben. Können Sie sich erinnern, dass Ihr Vorgänger im Jahre 2008 an diesem Pult gestanden und erklärt hat, das Land Hessen werde jetzt eine Nachhaltigkeitsstrategie in Gang setzen? Vier Jahre später stellen wir fest: viele Stellen, viele hauptamtliche Mitarbeiter, viele Konferenzen, viele Broschüren. Ich kann mich sogar an einen Nachhaltigkeitssong erinnern, der bei der Zweitplatzierten irgendeiner Castingshow in Auftrag gegeben wurde.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Schauen Sie einmal in den Haushaltsplan. Leider haben Sie so viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht und so viel Personal zur Verfügung gestellt, dass für die Umsetzung der Maßnahmen im Haushalt für die nächsten zwei Jahre kein Cent vorgesehen ist. Das nennen Sie eine „erfolgreiche Klimaschutzpolitik“. Man könnte verrückt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Auch in der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik sprechen Sie von einer „erfolgreichen Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik“. In der letzten Woche flatterte uns – ich nehme an, auch Ihnen – der „Bundesländerindex Mobilität 2012“ ins Postfach. Sie dürfen einmal raten, welchen Platz Hessen belegt: den 16. unter 16 Bundesländern. Die Überschrift lautet: „Rote Laterne im Fach ‚nachhaltige Mobilität‘“.

Wir wollten heute Bilanz ziehen. Seit 1999 haben wir eine Landesregierung, die bei der Verkehrspolitik nur an Autobahnen und Flughäfen denkt. Im Ergebnis haben Sie, was die A 44 betrifft, eine Strecke von ungefähr 6 km ins

Nichts gebaut: ohne Anschluss nach rechts oder links an irgendeine andere Autobahn. Wir sind das Schlusslicht.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich beklage mich an der Stelle nicht. Ihr habt eine andere Position dazu. Aber wenn man sich anschaut, was in einem Zeitraum von 14 Jahren geschafft worden ist, muss man schon sagen: Autobahnen bauen muss man nicht nur wollen, man muss es auch können.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind auch bei den Investitionen in die Schieneninfrastruktur das Schlusslicht unter den Bundesländern. Beschleunigung der Bahnstrecke Hanau – Fulda: nichts passiert. Neubau und Beschleunigung der Bahnstrecke Frankfurt – Mannheim: nichts passiert. Der öffentliche Personennahverkehr in Hessen steuert auf eine dramatische Finanzlücke zu.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Herr Müller, Sie kennen sich da ausnahmsweise sogar ein bisschen aus. – Maßnahmen aus Frankfurt RheinMain plus: nichts passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich das anschauen und sich dann vergegenwärtigen, was für ein Transitland wir auch beim Schienenverkehr sind, können Sie wahnsinnig werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe gesagt, der ÖPNV in Hessen steuert auf eine dramatische Finanzlücke zu. Es gibt keinerlei Ideen, wie die Mobilität im ländlichen Raum für Leute ohne Auto – das werden im Zuge des demografischen Wandels immer mehr sein – sichergestellt werden soll. Das Jahr 2015 rückt für diejenigen bedrohlich nah – nicht für uns –, die das Projekt „Staufreies Hessen 2015“ beschlossen haben. Ich empfehle, eine Umfrage bei Autofahrern auf der A 5 vorzunehmen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich würde mich beteiligen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Verkehrspolitik ist von vorgestern. Wir brauchen endlich eine Mobilitätspolitik, die diesen Namen auch verdient. Wenn Sie sich fragen, warum Sie in Umfragen so schlecht dastehen und warum die Hessische Landesregierung die bei ihrem Volk unbeliebteste in der Bundesrepublik Deutschland ist, könnte ich Ihnen hiermit ein Paradebeispiel für Ihre arrogante Politik nennen, die die Leute so auf die Palme bringt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verkehrsminister Florian Rentsch hat zum Jahrestag der Inbetriebnahme der Nordwestbahn im hr ein Interview gegeben und dort gesagt, dass der Flughafenausbau ein Erfolg sei und dass es wegen des Nachtflugverbots auch leiser geworden sei.

Ich stelle fest: Erstens. Sie mussten erst von dem höchsten deutschen Verwaltungsgericht zur Einhaltung des von Ihnen selbst gegebenen und dann gebrochenen Versprechens eines Nachtflugverbots gezwungen werden. Glauben Sie eigentlich, die Leute haben das vergessen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens – Stichwort: Erfolgsgeschichte Ausbau –: Die Nordwestbahn ist selbst für diejenigen, die immer für den Ausbau waren, an der falschen Stelle geplant worden. Sie haben ein Chemiewerk übersehen und deshalb die für einen Flughafen dieser Größenordnung teuerste Landebahn gebaut, die es jemals gegeben hat. Sie haben damit die längsten Rollzeiten auf einem europäischen Flughafen produziert. Die versprochenen Arbeitsplätze sind in weite Ferne gerückt. Schauen Sie sich einmal die Statistiken an. Lesen Sie den Winterflugplan, und Sie werden erkennen, dass die Zahl der Flugbewegungen sogar zurückgeht.

Ich will das nicht beklagen. Aber sich hierhin zu stellen und zu sagen: „Das ist eine Erfolgsgeschichte“, zeugt angesichts der Tatsache, dass man damit eine ganze Region verlärmt und 100.000 Menschen zusätzlich zu vom Fluglärm Betroffenen gemacht hat, von einer Arroganz und einer Ahnungslosigkeit, was die realen Verhältnisse im Rhein-Main-Gebiet betrifft, die ihresgleichen suchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sage ich immer wieder nicht nur an SchwarzGelb, sondern auch an die hessische Sozialdemokratie gerichtet

(Holger Bellino (CDU): Sie vernichten Arbeitsplätze!)

ach, Herr Bellino –: Die Belastungen durch den Frankfurter Flughafen haben ein erträgliches Maß überschritten. Wir brauchen eine Begrenzung der Zahl der Flugbewegungen. Wir brauchen einen Lärmschutz, der seinen Namen wirklich verdient. Wir brauchen auch ein echtes Nachtflugverbot. Die Nacht dauert in Deutschland übrigens nicht von 23 bis 5 Uhr, sondern von 22 bis 6 Uhr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Dann haben wir einen Regionalflughafen!)

Die Interessen der Bewohner des Rhein-Main-Gebiets müssen endlich Vorrang bekommen vor denen der Lobbyisten der Luftverkehrswirtschaft, die hier auf der Regierungsbank sitzen.

Wir wollten heute Bilanz ziehen. Auch die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Roland Koch wollte 1999 Hessen zum Land des Südens machen. Ein Jahr später haben wir gedacht, dass er damit vielleicht etwas anderes gemeint hat. Er hat offiziell an die Arbeitslosenstatistiken der Länder Bayern und Baden-Württemberg anknüpfen wollen.

Ich kann Ihnen 14 Jahre später sagen: Sogar das Land Rheinland-Pfalz, ein damals hoffnungsloser Fall, hat uns inzwischen, was die Arbeitslosenquote betrifft, überholt. Im Oktober 2012 betrug die Arbeitslosigkeit in Bayern 3,4 %, in Baden-Württemberg 3,8 %, in Rheinland-Pfalz 5 % und in Hessen 5,5 %. Herr Ministerpräsident, eine Arbeitslosenquote von 5,5 % ist nicht schlecht; aber um einschätzen zu können, ob man gut oder schlecht war, muss man sich das im Vergleich zu den anderen anschauen. Die aber haben uns inzwischen abgehängt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde es toll – vielleicht war das auch eine Form der Wirtschaftsförderung –, dass Sie in Ihrer Rede zweimal aus der „Frankfurter Rundschau“ zitiert haben. Aber als Sie die Überschrift „Die Hessen verdienen am meisten“ zitiert haben, haben Sie die Unterzeile vergessen. Herr Ministerpräsident, „im Durchschnitt“ hieß es da.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Ja, was denn sonst?)

Natürlich, was denn sonst? Aber Sie können nicht sagen, das Land Hessen blüht, und die Hessen verdienen im Durchschnitt am meisten. Das ist zwar richtig, aber es hilft weder den entlassenen Schlecker-Mitarbeiterinnen noch den Mitarbeitern von Manroland oder denen von Neckermann. Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht sehen, was im Niedriglohnsektor los ist, sind Sie nicht nah bei den Menschen, sondern das Gegenteil davon: Dann sind Sie völlig abgehoben.