Protocol of the Session on November 20, 2012

Das ist überhaupt kein Nonsens, sondern das ist das, wie ich Politik verstehe.

(Holger Bellino (CDU): Sie verstehen doch gar nichts von Politik!)

Wenn Sie der Meinung sind, das ist Nonsens, dann ist es offensichtlich so, dass Sie Politik auf die Art und Weise verstehen: Was haben wir in der Kasse? Und so machen wir Politik. – Das ist ein Armutszeugnis, und zwar ein sehr erbärmliches. Das ist nämlich nur noch verwalten und nicht mehr gestalten. Aber das beschreibt die Arbeit dieser Regierung präzise. Ich finde, Sie haben es gerade deutlich gemacht.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Sie brauchen Rettungsdienstkräfte!)

Ich brauche in diesem Moment ganz sicher keine Rettungsdienstkräfte. Allerdings habe ich Beschreibungen von Menschen, die in der Rettung arbeiten, wie von jemandem: Bei einer Einlieferung in ein Krankenhaus hat ein Patient ein Desinfektionsmittel abgerissen und damit auf den Kopf des Rettungsdienstlers eingedroschen. – Mir kann doch keiner erzählen, diese Leute seien in ihrer Arbeit nicht gefährdet.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Die haben häufig eine ganz schwierige Situation. Rechtlich sind sie im Rahmen der sogenannten Garantenstellung zur Hilfe und Behandlung verpflichtet, wenn diese erforderlich sein sollte.

Andererseits reagieren die potenziellen Hilfe- und Behandlungsbedürftigen manchmal mit Aggression oder sogar Gewalt. Das können die Menschen in so einer Situation auch nicht so genau vorhersehen. Das ist eine andere Situation als die, wenn die Polizei kommt. Sie ist innerlich darauf vorbereitet, dass man sich nicht nur darauf freut, dass sie kommt.

Wir begrüßen deshalb diesen Gesetzentwurf, auch wenn wir an ganz vielen Stellen noch sehr nachdenklich sind. Denn die Rettungskräfte bewegen sich bei ihren Einsätzen in einem juristischen und rechtsphilosophischen Span

nungsfeld. Aufgrund der Garantenstellung sind sie einerseits aufgrund juristischer Regelungen zur Hilfe verpflichtet. Das gilt auch dann, wenn der Hilfeempfänger das in dem Moment gar nicht haben will oder nicht erkennt, dass er das braucht.

Andererseits räumt das Strafgesetzbuch die Möglichkeit ein, sich gegen eine Handlung gegen seinen Willen notfalls sogar mit Gewalt zu wehren. In einer Studie aus Nordrhein-Westfalen wurde dazu Folgendes festgestellt:

Wird also jemand gegen seinen Willen behandelt, hat er im Rahmen der Notwehr … das Recht, sich dagegen (notfalls auch durch Anwendung körperli- cher Gewalt) zu wehren.

Ich denke, dass beide Intentionen, nämlich zum einen, Hilfe auch dann zu geben, wenn der Hilfebedarf durch die betroffenen Personen nicht anerkannt wird, und zum anderen das Selbstbestimmungsrecht der potenziellen Patienten, ihre Berechtigung haben.

Was die Rettungskräfte unter anderem zu Leistungsträgern macht, ist, dieses Spannungsfeld bei ihren täglichen Einsätzen, von denen keiner wie der andere ist, angemessen auszutarieren. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf sehe ich die Gefahr – das ist wahrscheinlich gar nicht beabsichtigt –, den Punkt des Austarierens von der richtigen Stelle in Richtung weniger Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu verschieben. Das liegt aus meiner Sicht an zwei Punkten.

In der Begründung des Gesetzentwurfs werden als einzige Ursache des Problems Angriffe der Patientinnen und Patienten angegeben. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs werden die Inhalte der Schulung dann so umrissen:

… insbesondere Techniken der Deeskalation und Selbstverteidigung, weil … bei … Patientinnen und Patienten nicht mit rationalen Reaktionen gerechnet werden kann.

In der bereits erwähnten Studie aus Nordrhein-Westfalen wird hingegen zweimal darauf hingewiesen, dass die Aggression gegen die Rettungskräfte möglicherweise der Versuch der Abwehr der Behandlung gegen den Willen der zu Behandelnden sein könnte. Bei diesem Gesetzentwurf wird die Möglichkeit, auf eine Diagnose und Behandlung eventuell auch zu verzichten, wenn sie nicht gewünscht wird, nicht in Betracht gezogen. Die vorliegende Fassung ermöglicht daher folgende Lesart – ich betone: das ist sicherlich nicht so gemeint, aber man könnte es so interpretieren –: Zweck der Schulung ist es, die Rettungskräfte in die Lage zu versetzen, in jedem Fall eine Behandlung vorzunehmen. – Ich habe es schon gesagt: Das ist wahrscheinlich gar nicht gemeint. Ich glaube, man muss deswegen an dieser Stelle den Text noch einmal präzisieren.

Bei einer Untersuchung, die für Hessen angestrebt wird, sollte nicht einfach das Untersuchungsdesign der Studie aus Nordrhein-Westfalen auf Hessen übertragen werden. Grundsätzlich sollte bei der Gefährdungsanalyse die gesamte Situation vor und während eines problematischen Einsatzes untersucht werden. Es geht also um die Fragen: Wer alarmiert die Rettungskräfte? Was machen die Rettungskräfte wie? Wie reagieren sie auf einen – in Anführungszeichen – „renitenten“ Patienten, der keine Behandlung wünscht oder einzelne Behandlungsschritte infrage stellt?

Vor allem sollte erhoben werden, ob die Rettungskräfte von den Hilfebedürftigen selbst oder von einem Dritten angerufen wurden. Damit könnte man noch einmal der Frage nachgehen, ob es unter Umständen so ist, dass dann, wenn Dritte anrufen, eher Widerstand gegeben ist, weil derjenige selbst gar nicht erkennt, dass er eigentlich Hilfe braucht. Dann wäre es unserer Ansicht nach wichtig, dass die Leitstelle schon einmal einen Hinweis gibt: Hier wurde durch einen Dritten alarmiert, achtet bitte darauf.

Ich glaube, dass das Problem insgesamt eigentlich größer als das ist, was mit dem Gesetzentwurf betrachtet wird. Einer der Rettungsdienstler, mit dem ich in diesem Zusammenhang im Vorfeld gesprochen habe, hat dazu Folgendes gesagt:

Während in meiner Jugend bei Konflikten auf dem Schulhof Schluss war, wenn einer am Boden lag, wird heute noch auf die Opfer eingetreten.

Ich glaube, wir haben ein Problem mit zunehmender Gewalt, mit Drogen und mit Alkohol. Das hat tiefere Ursachen. Das ist ein möglicher Weg, mit den Konsequenzen umzugehen. Eigentlich sollten wir uns aber an die Bekämpfung der Ursachen wagen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Schott, vielen Dank. – Ich darf Herrn Mick für die FDP-Fraktion als Nächstem das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin in der Reihenfolge der Redner der Vorletzte. Deswegen möchte ich nicht all das wiederholen, was gesagt wurde. Ich möchte nur noch einen kurzen Abriss geben.

Ich denke, wir sind uns alle in der großen Wertschätzung einig, die wir für die Arbeit der Menschen haben, die täglich im Rettungsdienst arbeiten. Das gilt natürlich auch für uns als Liberale. Wir sind ihnen für die Arbeit, die sie leisten, sehr dankbar.

Ich denke, wir alle in diesem Hause sind uns auch in der Ablehnung und in der Verurteilung einer Entwicklung einig, die darin besteht, dass nicht nur die Rettungskräfte, sondern auch die Beamtinnen und Beamten der Polizei und die Mitglieder der Feuerwehren bei ihren Einsätzen immer öfter Zielscheibe der Aggression oder sogar für Gewaltakte werden.

(Beifall der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wir als Liberale sind immer offen, wenn es um Maßnahmen geht, die den Schutz der Rettungskräfte verbessern. Das ist keine Frage.

Ich denke, hier sind mehrere Akteure gefordert. Auf der einen Seite betrifft das die staatlichen Akteure. Auf der anderen Seite betrifft das natürlich auch die Träger und die Leistungserbringer im Rettungsdienst.

Deswegen hat die Koalition auf Bundesebene bereits den Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte geändert. Das Strafmaß wurde erhöht. Die Geltung wurde auf die Angehörigen der Feuerwehr und der Rettungskräfte ausgedehnt. Zur Bewältigung dieser Probleme und der Gewaltphänomene hat man auf Bundesebene an

einer Stellschraube gedreht und mit diesen Maßnahmen das Strafrecht geändert.

(Beifall der Abg. Wolfgang Greilich (FDP), Holger Bellino und Alexander Bauer (CDU))

Die SPD-Fraktion will mit ihrem vorgelegten Gesetzentwurf die Weiterbildung der Rettungskräfte anpacken. So will ich es einmal ausdrücken. Die Weiterbildung der Rettungskräfte ist jedoch zuallererst Aufgabe der Leistungserbringer. Auch die haben bereits gehandelt – das möchte ich hier noch einmal betonen – und verschiedene Maßnahmen ergriffen, um dem Ziel, das die SPD-Fraktion mit dem Gesetzentwurf verfolgt, Rechnung zu tragen.

Die Organisationen des Rettungsdienstes, wie z. B. das Rote Kreuz oder der Arbeiter-Samariter-Bund, bieten bereits verschiedene Schulungen an, die von der SPD-Fraktion gefordert werden. Zum Beispiel gibt es eine Kooperation des Roten Kreuzes mit der hessischen Polizei. Zum Beispiel bietet der Malteser Hilfsdienst im Lahn-Dill-Kreis Weiterbildungen zum Thema Deeskalation und Umgang mit Gewaltsituationen an. Das ist genau das, was hier gefordert wird.

Sogar die Gefährdungsanalyse, die auch mehrfach angesprochen wurde, gibt es bereits. Diese hat der Arbeiter-Samariter-Bund bereits mit dem TÜV SÜD durchgeführt.

Was die Finanzierung angeht, kann ich Folgendes sagen: Die Kosten für die Schutz- und Weiterbildungsmaßnahmen werden von den Leistungserbringern als Arbeitgebern des Rettungsdienstpersonals natürlich getragen. Diese legen das auf die Benutzungsentgelte um. Die werden von den Krankenkassen getragen.

Das heißt, es gibt bereits diese Maßnahmen, und auch die Finanzierung durch die Krankenkassen ist bereits gesichert. Das heißt, der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion bietet im Vergleich zur jetzigen Situation, so dringend das Problem auch ist, überhaupt keinen konkreten Mehrwert. Deswegen werden auch wir den Gesetzentwurf ablehnen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Mick, vielen Dank. – Ich gehe davon aus, dass die Regierung jetzt durch Herrn Staatsminister Grüttner das Wort ergreift. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sommer 2011 war ein Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen, dem zufolge sich einige Rettungsdienstkräfte in Nürnberg auf eigene Kosten mit stichfesten Rettungswesten ausgestattet haben sollen, um sich vor den zunehmenden Gewaltausbrüchen zu schützen. Seitdem wird das Thema in der Presse, aber auch im Fernsehen und bei anderen Diskussionen regelmäßig in den Blickpunkt gestellt.

Damit erfolgt in der Gesellschaft die notwendige Diskussion darüber, wie wir mit den Frauen und Männern umgehen, die zum Teil mit ihrem eigenen Leben das Leben anderer retten oder schützen wollen und die nicht nur unsere Hochachtung erhalten sollten, sondern die auch unserer besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Ihnen muss von der

Gesellschaft immer wieder der entsprechende Dank ausgesprochen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist das eine ernst zu nehmende Frage unter dem Gesichtspunkt: Wie können wir mit solchen Fragestellungen oder Problemlagen umgehen? – Wie schon ausgeführt, hat das dazu geführt, dass bereits im August 2011 in der Sitzung der Arbeitsgruppe „Qualitätssicherung im Rettungsdienst“ die Leistungserbringer im Rettungsdienst, nämlich der Arbeiter-Samariter-Bund, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser Hilfsdienst, vom Hessischen Sozialministerium um die Darstellung ihrer Wahrnehmung zum Thema Gewalt gegen das Rettungsdienstpersonal gebeten wurden. Die Vertreter der Leistungserbringer im Rettungsdienst berichteten, dass leider auch im Rettungswesen eine Zunahme der Verrohung der Sitten und ein Sinken der Hemmschwelle wie auch im allgemeinen öffentlichen Leben feststellbar seien. Allerdings – so berichteten die Leistungserbringer auch – seien in Hessen bisher keine eklatanten Fälle bekannt geworden. Ich sage: Zum Glück sind keine eklatanten Fälle bekannt geworden.

Das gilt, nach einer Umfrage dort, auch für die Leistungserbringer im Rettungsdienst. Sie hat ergeben, dass es keine signifikanten Fälle gegeben hat.

Mit dem Rettungsdienstgesetz wenden wir uns natürlich an die Träger des Rettungsdienstes, die – wie hier vollkommen richtig dargestellt wurde – die Landkreise und die kreisfreien Städte sind. In diesem Falle ist es aber so, wie es Kollege Mick dargestellt hat: Für den Schutz ihrer Mitarbeiter sind die Leistungserbringer verantwortlich, weniger die Träger des Rettungsdienstes.

Wir müssen also unterscheiden. Ein Gesetz wendet sich an den Träger des Rettungsdienstes. Dieser ist hier aber nicht verantwortlich, sondern der Leistungserbringer. Deswegen führt an dieser Stelle ein Gesetz überhaupt nicht weiter.

Wir dürfen auch nicht so tun, als ob die Leistungserbringer im Rettungsdienst hierfür nichts tun. Ganz im Gegenteil: Sie setzen sich in vernünftiger Weise eher damit auseinander, wie sie deeskalierend wirken können, wie sie beispielsweise die Verwendung von Schutzwesten, Pfefferspray oder Ähnlichem vermeiden können, weil es eher provozierend wirken kann – damit sie dem Grundvertrauen, das dem Rettungsdienst in den unterschiedlichsten Lebenslagen entgegengebracht wird, gerecht werden können, statt so martialisch ausgerüstet zu sein. Die den Rettungssanitätern anvertrauten Menschen müssen ein Vertrauen in die Helfer aufbringen können.

Letztendlich müssen wir dafür sorgen, dass die Rettungsdienstmitarbeiter als das wahrgenommen werden, was sie in der Tat sind: als Helfer, und zwar als Helfer in Notlagen.

Deswegen hat das Sozialministerium extra die Themen „Umgang mit Patienten, Angehörigen und Dritten im Rettungsdienst“ oder „Familiäre Gewalt im Rettungsdiensteinsatz“ in den Fortbildungskatalog des neuen Rettungsdienstplans des Landes Hessen vom April 2011 aufgenommen. Inzwischen wird dieses Thema in den rettungsdienstlichen Fortbildungen behandelt und insbesondere im Zusammenhang mit den Einsätzen bei häuslicher Gewalt oder anderen gewaltgeneigten Einsatzsituationen diskutiert.