Protocol of the Session on September 6, 2012

(Zuruf von der Regierungsbank: Die Politik!)

Ich kann es Ihnen sagen: Dann bilden sich Tugendwächter, die jedes Forschungsthema moralisch bewerten. Es werden sich moderne Jakobiner bilden, die einen modernen Wohlfahrtsausschuss bilden. Hessische Forscher hätten am Anfang, wenn sie das genau genommen hätten, alles Militärische abzulehnen, noch nicht einmal das Internet benutzen dürfen; denn wir wissen, dass das Internet auf einer militärischen Entwicklung basiert.

Die Freiheit von Forschung und Lehre würde in einem solchen gut gemeinten System erdrückt werden, und die Freiheit würde der Vergangenheit angehören, eine Freiheit, die wir in modernen Demokratien zu Recht mit Verfassungsrang haben. Dazu kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen. Wir brauchen kein modernes Jakobinertum. Wir brauchen auch keine wissenschaftliche Gedankenpolizei. Wir brauchen auch nicht das Verbot bestimmter Forschung aus angeblich hehren Prinzipien. Ich sehe darin nämlich einen Dammbruch.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was habt ihr da bloß beantragt!)

Das ist so ein Dammbruch wie ein Index von Büchern, die angeblich schädlichen Inhalts sind. Wer Freiheit will, muss auch Wahrheiten aushalten. Er muss nur auch moralisch integer mit diesen Wahrheiten umgehen und kann diese Verantwortung nicht abgeben.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen greift der Vorschlag in fundamentale Prinzipien der freien Gesellschaft ein, was mich von der Linkspartei nicht wundert. Hier sage ich wirklich: Wehret den Anfängen. Und überhaupt – Herr Schneider hat es auch erwähnt –: Wir arbeiten uns eigentlich an einem Problem ab, das es, streng genommen, gar nicht gibt.

(Günter Rudolph (SPD): Wo ist denn Herr Schneider?)

Zielgerichtete militärische Forschung findet an hessischen Hochschulen so gut wie gar nicht statt. Das mag in anderen Staaten anders sein, und ganz sicher war das – lassen Sie mich auch einmal zur Geschichte greifen – in der DDR, in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Staaten ganz anders. Da hieß der Zweck offiziell nicht Militär, sondern Weltrevolution. Zum Glück ist das überwunden. Dass aber gerade DIE LINKE heute einen solchen Antrag zur Zivilklausel stellt, ist schon sehr grotesk.

(Beifall bei der FDP)

Herr May, ich verstehe Ihren Versuch, irgendwie damit umzugehen, weil Ihre Gruppen vor Ort für die Zivilklausel stimmen, aber dieser Antrag ganz offensichtlich nicht zustimmungsfähig ist. Aber eine Ermunterung benötigen unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unseren Universitäten wirklich nicht. Da tun Sie ihnen wirklich unrecht. Gehen Sie mal häufiger hin, so wie ich das tue, dann werden Sie sehen, dass es wirklich nicht notwendig ist, dass Sie die Wissenschaftler belehren.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, damit will ich mit etwas sehr Grundsätzlichem schließen. Ich habe mich selbst ein bisschen angegriffen gefühlt, weil ich als Privatdozent Mitglied einer Universität, der Justus-Liebig-Universität Gießen, bin und weil ich dort im Rahmen meiner wissenschaftlichen Vita feierlich gelobt habe, die Wahrheit zu suchen und die Freiheit von Forschung und Lehre zu verteidigen. Dies möchte ich in dieser Frage heute und in Zukunft ganz klar und deutlich tun. Ich erwarte mir hierbei die Unterstützung aller Demokraten in diesem Hause. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind doch überhaupt nicht an einer ethischen Diskussion interessiert!)

Danke, Herr Dr. Büger. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Grumbach von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Grumbach, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe ein bisschen ein Problem mit dem letzten Diskussionsbeitrag, weil er eigentlich eine Schablone aufgezeigt hat und keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen. Herr Büger, ich würde Sie gern daran erinnern, dass es die Täter waren, die die Debatte aufgemacht haben, nämlich diejenigen, die wie Oppenheimer und andere Verantwortung getragen haben, weil sie ihre Forschung genauso begonnen haben, wie Sie gerade einen Forscherstandpunkt beschrieben haben, die aber, als sie die Ergebnisse ihrer Forschung sahen, festgestellt haben, dass sie das nicht mehr können. Oppenheimers Zitat lautet unter anderem: „Mit diesem, was wir getan haben, hat die Forschung für immer ihre Unschuld verloren.“

(Beifall des Abg. Michael Siebel (SPD))

Sie versuchen, eine Unschuld wieder herzustellen, die es politisch nicht mehr gibt, und damit müssen wir uns auf allen Ebenen auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite spannende Punkt ist – da bin ich bei dem Kollegen Schneider –: Ich merke einfach, dass wir ein Stück weit schauen müssen, wie sich die Welt seit der Gründung der Bundesrepublik verändert hat, weil ich glaube, dass es ganz wichtig ist, darauf einmal zu schauen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten eine sehr klare Auffassung davon, was nicht passieren darf. Das findet sich im Grundgesetz wieder, nicht nur in der Präambel, sondern auch in Art. 26: kein Angriffskrieg, keine Störung des

friedlichen Zusammenlebens, Verstöße dagegen sind strafbar Produktion und Handel mit Kriegswaffen nur mit Genehmigung. Die sind davon ausgegangen, dass Deutschland bestimmte Dinge nicht mehr tut.

Herr Schneider hat hier eine Position vorgetragen, mit der er im Kern gesagt hat: „Wir haben in bestimmten Situationen auch politische Optionen, die militärisch sind“, mit einer Unbefangenheit, die mich ehrlich gesagt ein bisschen erschreckt hat. Für Menschen einer Generation zwischen beiden Generationen, also denen, die die Veränderung genau gesehen haben, die den ersten Schritt sozusagen noch als Jugendlicher erlebt haben, nämlich die Tatsache, dass wir in der Bundesrepublik Militär aufgebaut haben, Strauß mit der ersten Atomdebatte, und denen, die dann gesehen haben, wie es in Deutschland im Prinzip durch die Veränderung der politischen Debatten plötzlich möglich war, nicht nur Verteidigung im klassischen Sinne, sondern auch Einsätze weit weg von den deutschen Grenzen zu machen, ist das problematisch, weil das alles nicht mehr mit reflektiert wird.

Ich bin den LINKEN insofern eher dankbar, weil ich glaube, dass es wichtig ist, dieses Thema wieder auf die Tagesordnung zu holen, weil uns Maßstäbe wegrutschen, von denen ich glaube, dass wir sie weiterhin brauchen, Maßstäbe, die etwas damit zu tun haben, wie man Frieden erhält oder nicht erhält.

(Beifall bei der SPD)

Dann komme ich zur internationalen Politik. Es gibt in den Vereinten Nationen ziemlich klare Ideen darüber, was man machen muss, und die Ideen heißen nicht Ausweitung von Rüstungsforschung und -produktion, sondern sie lauten: Rüstungskontrolle, Begrenzung der Produktion, Ausschaltung eines Produktionsbereichs nach dem anderen. Wir reden nicht nur über den Atomwaffensperrvertrag. Ich darf Sie einmal an die Initiative gegen die Verbreitung von Handfeuerwaffen erinnern. Diese haben, hochtechnisch aufgerüstet, die Konflikte, die wir in den Ländern der sich entwickelnden Welt haben, durch ihre Verfügbarkeit angeheizt.

Das heißt, wir reden nicht abstrakt über große Waffensysteme, sondern wir reden über ganz kleine Dinge, die dafür sorgen, dass Konflikte, die früher nicht bewaffnet ausgetragen wurden, leichter ausgetragen werden können, weil die Waffen in einer technischen Perfektion verfügbar sind, die im Prinzip dafür sorgen, dass jemand mit ganz wenigen Menschen in einer bestimmten Region in der Lage ist, plötzlich Gewalt als Option gegen Mehrheiten zu ergreifen. Ich glaube, dass wir an der Stelle nicht so ganz einfach darüber reden können, als sei der technische Fortschritt der Waffenproduktion belanglos. Im Gegenteil, das ist ein Teil des Unfriedlicher-Werdens bestimmter Regionen der Welt, und es ist ein richtiger Ansatz, sich damit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Aber es gibt auch den Aspekt der Abschreckung!)

Ja, über den Traum der Abschreckung können wir einmal länger debattieren. Aber das wäre eine Debatte, die meinen ganzen Redebeitrag füllen würde.

Ich sage schon: Gerade wenn wir über die Rolle von Kleinwaffen reden, und zwar nicht auf der Ebene der Atomwaffen, sondern auf der Ebene ganz konventionellen Waffenguts, dann macht mir die Rolle der Bundesre

publik in dem internationalen Kontext als drittgrößter Waffenexporteur schon ein Problem. Das will ich ganz deutlich sagen. Das Argument: „Wenn wir es nicht machen, machen es andere“, Entschuldigung, das akzeptiere ich für keinen Bereich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Wenn es nicht richtig ist, sondern das Gegenteil von dem erreicht, was man will, dann muss man darüber nachdenken.

Dass Frau Wissler Helmut Schmidt zitiert, finde ich nicht zu beanstanden, und zwar weniger, weil es sich um Helmut Schmidt handelt. Jeder, der meine persönliche Biografie kennt, weiß, dass ich mit ihm schon ganz andere Debatten geführt habe. Aber der Text, auf den sie sich bezieht, ist ein kluger Text, der die Probleme – dass wir vorläufig, auf lange Zeit vorläufig, nicht ohne Militär auskommen werden, aber dass uns die stärkere Entwicklung militärischer Optionen politisch in den Abgrund führt – in einer Differenziertheit beschreibt, wie ich sie gerne in dieser Debatte noch an mehreren Stellen gehört hätte. Wir haben also ein Dilemma – die Frage Abschreckung spielt schon eine Rolle –, aus dem wir herauskommen müssen. Insofern ist der Text von Herrn Schmidt ein kluger Text.

Die Sozialdemokraten gehören zu denen, die ein bestimmtes Wissenschaftsbild und ein bestimmtes Bild von Hochschulen haben. Dazu gehört, dass Forschung und Lehre für uns nicht trennbar sind. Das bedeutet im Kern, dass wir davon ausgehen, dass an allen Forschungsprojekten an Hochschulen grundsätzlich Studierende beteiligt sein können, nein, sogar beteiligt sein sollen.

Damit sind wir beim zweiten Punkt. Studierende haben nicht die Stellung des freien Wissenschaftlers, der entscheidet, was er tut oder was er nicht tut, sondern sie sind in einer anderen Situation. Vor allem deswegen halten wir an Hochschulen entwickelte Zivilklauseln für einen Fortschritt und nicht für einen Rückschritt; denn sie binden die Forschung wieder in die Gesellschaft ein und schützen die Studierenden davor, in Projekte zu geraten, in denen sie nichts zu suchen haben. Zivilklauseln sind eine kluge Idee.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Dann komme ich zu den Ausführungen des Kollegen May. Liebe Kollegin Wissler, es gibt da ein Problem. Ich glaube, wir müssen über den Weg dahin nachdenken. Eine Zivilklausel, die entstanden ist aus einer gesellschaftlichen Debatte unter hoher Beteiligung, durch viele Menschen, die sich Gedanken darüber gemacht haben: „Was heißt das konkret, was heißt das nicht nur als Überschrift?“, ist besser als eine Klausel, die wir weit weg von den Hochschulen beschließen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich glaube, da macht ihr einen Fehler. Ich fände es gut, wenn ihr euch dem Antrag der GRÜNEN anschließen würdet; denn an der Stelle haben sie die bessere Idee. Auf diesem Weg kommen wir nämlich zu etwas, was die Reflexion und die Transparenz an den Hochschulen befördert. Das ist nicht einfach nur ein aufgesetztes Regelungsinstrument, mit dem wir von hier aus etwas erreichen wollen. Ich glaube, die Beteiligung an der gesellschaftlichen

Debatte zu mehr Transparenz an den Hochschulen ist der bessere Weg, als das im Gesetz festzulegen.

(Beifall des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In den letzten zwei Minuten komme ich zu dem Punkt, wo die Welt komplizierter ist – das haben alle gesagt –, zu den Dual-Use-Gütern. Ich nenne etwas Zweites, was noch viel schwieriger ist. Wir erleben, dass die Entfesselung der Forschung auf militärischem Gebiet auf Bereiche übergegriffen hat, die nuklearer Bewaffnung durchaus gleichkommt. Das, was wir an biologischer, was wir zum Teil an chemischer Waffenentwicklung haben, ist vom Aspekt der Massenvernichtung her tendenziell vergleichbar.

Jetzt haben wir das schlichte Problem, dass wir als ein Land, das dem Frieden verpflichtet ist, immer versucht haben, einen Beitrag dazu zu leisten, dass es Gegenmittel gibt. Diese Frage ist nicht abstrakt zu lösen. Denn wer das Gegenmittel für eine biologische Kampfwaffe entwickeln will, der muss mit dieser Kampfwaffe umgehen können, der muss mit dem biologischen Bakterienstamm, Virenstamm umgehen und ihn beforschen können, damit er das Gegenteil erreichen kann.

Das ist ein Dilemma, das nicht per Gesetz auflösbar ist. Diese Dilemmata sind nur per Diskussion und konkret auflösbar. Das heißt, wir setzen darauf, dass diese Debatte eine Auseinandersetzung an den Hochschulen anstößt. Denn es ist nicht abstrakt entscheidbar. Sonst muss Forschungsprojekt für Forschungsprojekt geschaut werden: Was passiert dort, und wohin führt das? – Abstrakt führt das zu unsinnigen Entscheidungen, dass man entweder sagt, es ist alles zulässig, weil Forschungsfreiheit, oder, es ist nichts zulässig, weil alles missbraucht werden kann.

Ich glaube, dass wir den GRÜNEN-Antrag unterstützen sollten, weil er die Hochschulen in die Situation bringt, in die wir sie bringen müssen. Sie müssen sich gesellschaftlich dafür verantworten, übrigens in jedem Forschungsbereich, nicht nur beim Militär, und sie müssen dafür sorgen, dass an Hochschulen nicht alles stattfinden kann, was der Gesellschaft schadet. Hochschulen sind vielmehr für den Fortschritt der Gesellschaft mit zuständig und haben dafür Verantwortung. Dafür steht ein Stück weit der GRÜNEN-Antrag. Deswegen finde ich ihn gut. – Danke.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. Das war eine Punktlandung. – Vonseiten der Landesregierung spricht jetzt Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

(Günter Rudolph (SPD): Wo ist der CDU-Redner? Erst reden und dann aus dem Plenum gehen! – Holger Bellino (CDU): Er ist entschuldigt! Er hatte einen Termin!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorredner haben schon viel gesagt. Deswegen will ich auf einzelne Aspekte eingehen. Herr Kollege May, Sie haben sehr ausführlich darauf hingewie

sen, wie ideologisch überfrachtet der LINKEN-Antrag ist. Da teile ich alles, was Sie gesagt haben. Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass dieser Antrag andere Zwecke verfolgt, als zunächst intendiert waren. Es ist schon erstaunlich, dass die LINKEN zu dem Thema eine Große Anfrage gestellt haben, die am 08.06.2009 beantwortet worden ist, über die seinerzeit noch nicht einmal im Plenum debattiert worden ist. Ich glaube, auch das gehört zum Verfahren dazu.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))