Protocol of the Session on June 28, 2012

Deswegen haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der sich mit dieser Thematik beschäftigt. Abgesehen davon, dass dies ein „Glanzstück“ der hohen Kunst der Diplomatie war,

(Holger Bellino (CDU): Waren Sie schon einmal da?)

ist es doch so: Wenn sich ein Landespolitiker im Ausland öffentlich zu einem Thema äußert, welches in die Verantwortung des Bundes fällt, gilt es, Folgendes festzuhalten. Dass in den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union noch viele Fragen geklärt werden müssen, weiß eigentlich jeder oder könnte jeder, wenn er sich damit beschäftigt, wissen. Dass auch noch große Probleme gelöst werden müssen, ist jedem bekannt, der sich damit beschäftigt.

(Holger Bellino (CDU): Wenn wir gefragt werden, geben wir Antwort!)

Ich frage: War das Statement des Ministerpräsidenten Bouffier eigentlich mit dem Koalitionspartner, von dem ich andere Äußerungen kenne, abgestimmt?

(Zuruf von der CDU: Ja!)

In welcher Funktion hat sich Herr Bouffier geäußert? Tat er das als stellvertretender Bundesvorsitzender, als Lan

desvorsitzender oder als Regierungschef einer schwarzgelben Koalition in Hessen?

(Minister Michael Boddenberg: Herr Kollege, das kann man nicht immer trennen!)

Genauso wie wir die kategorische Ablehnung des Beitritts zur Europäischen Union ablehnen, kritisieren wir auch deren Begründung.

(Beifall der Abg. Torsten Warnecke und Timon Gremmels (SPD))

Herr Bouffier, nach Presseberichten haben Sie Bursa als eine europäische Topregion bezeichnet, welche aber nicht repräsentativ für das gesamte Land sei. Es ist richtig, dass es in der Türkei gut entwickelte und weniger gut entwickelte Regionen gibt.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist wie überall!)

Aber gibt es diesen Befund nicht in fast allen Ländern der Europäischen Union? Ich möchte da nur an Italien mit seinem industrialisierten Norden und einem weniger gut entwickelten Süden erinnern. Es sind gerade die heterogenen und regional unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Staaten der EU, die dieses Europa auszeichnen.

Auch die Schuldenkrise, so war in der Presse zu lesen, muss für die ablehnende Haltung des Herrn Bouffier herhalten. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man darüber schmunzeln.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Wo haben Sie das gelesen?)

In der „Frankfurter Neuen Presse“.

(Zurufe)

Herr Reuter, Sie haben das Wort.

Ich bin gefragt worden. Ich kann Ihnen nachher den Artikel geben.

Wir wissen doch alle, dass der Beitritt zur Europäischen Union nicht heute und auch nicht morgen auf der Tagesordnung steht. Es müssen noch mindestens 20 Kapitel während der Beitrittsverhandlungen zu einem Abschluss gebracht werden. Bis heute ist gerade ein Kapitel abgeschlossen, nämlich das, was Wissenschaft und Forschung betrifft.

Ich kann für uns alle und ich kann für ganz Europa nur hoffen, dass, wenn der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union zur Entscheidung ansteht, die Schuldenkrise Geschichte ist. Falls dies nicht der Fall sein sollte, hätten wir in Europa, sofern es dann noch ein Europa als Staatengemeinschaft geben sollte, ungleich größere Probleme.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Ich komme zu meinen letzten Sätzen. – Das wollen wir aber alle nicht hoffen.

Falls Sie unseren Änderungsantrag ablehnen, werden wir uns bei Ihrem Entschließungsantrag der Stimme enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das hätten Sie doch gleich sagen können!)

Herr Reuter, schönen Dank. – Für die FDP-Fraktion erhält jetzt Herr Kollege Mick das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Blick auf die Uhr möchte ich es kurz machen. Ich denke, die Positionen sind im Wesentlichen ausgetauscht.

Wir haben als erstes Bundesland eine Partnerregion in der Türkei. Das ist Bursa. Das ist in jeglicher Hinsicht eine tolle Partnerregion. Wir sind auf diese Partnerregion stolz und arbeiten jetzt daran, diese Partnerschaft zu vertiefen.

Ich denke, das ist der Konsens, auf den wir uns alle einigen können. Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Kollege Mick, schönen Dank. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Cárdenas.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das war heute die bes te Rede!)

Ich wollte, ich könnte es auch so kurz machen. Aber leider müssen Sie mir etwas länger zuhören.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Weitere Zurufe)

Aber ich rede schnell. – Meine Damen und Herren! Die Regionalpartnerschaft des Landes Hessen mit der türkischen Region Bursa wird auch von unserer Fraktion begrüßt und unterstützt. Ich habe selbst erleben und sehen können, wie motiviert man sich in Bursa für das Zustandekommen der Partnerschaft eingesetzt hat. Dort gibt es nicht nur eine entwickelte Wirtschaft und vielfältige touristische Möglichkeiten, dort gibt es auch eine selbstbewusste Zivilgesellschaft, starke Gewerkschaften und aktive Menschenrechtsvereine. Das sind gute Voraussetzungen, die wir nutzen wollen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP benennt weitere Punkte. Darunter befindet sich zu Recht, dass sich der Hessische Landtag für eine Intensivierung der Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei aussprechen sollte.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das fehlte noch!)

Denn die im Jahr 2004 hoffnungsvoll begonnenen Verhandlungen stagnieren gegenwärtig. Es mehren sich die Stimmen in der Bundesregierung, die die Beitrittsverhandlungen insgesamt ablehnen und nur noch von einer privilegierten Partnerschaft sprechen wollen.

Daher unterstützen wir den Antrag der SPD, in dem Ministerpräsident Bouffier dafür gerügt wird, dass er den EU-Beitritt der Türkei kategorisch ablehnt und die türkischen Provinzen aufspaltet

(Beifall bei der LINKEN)

in solche wirtschaftsstarken wie Bursa und in solche, die dieses Kriterium nicht erfüllen. Die von uns damals z. B. vorgeschlagene, weiter östlich gelegene Region Diyarbakir ist tatsächlich weniger für wirtschaftliche Blüte bekannt. Aber das hängt vor allem mit der systematischen Unterentwicklung des Ostens durch die türkische Regierung zusammen. Stattdessen zeichnet sie sich durch nicht enden wollende Demokratie- und Menschenrechtsverletzungen an den kurdischen und anderen Minderheiten aus. Die Verweigerung elementarer Menschenrechte wie dem Recht auf eigene Sprache und die politische Repression gegenüber der kurdischen Minderheit sind real. Natürlich leben auch in Bursa kurdische Familien.

Das muss unseres Erachtens bei einer ernst zu nehmenden Regionalpartnerschaft ebenfalls sehr deutlich benannt und gegenüber der Türkei kritisiert werden.

An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass von den 180.000 in Hessen lebenden Türkischstämmigen ca. 50.000 Kurdinnen und Kurden sind, die inzwischen zu einem ansehnlichen Teil über einen deutschen Pass verfügen. Sie stellen eine große und auch sehr heterogene Gruppe von Migrantinnen und Migranten dar.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Können Sie nicht einen Absatz Ihrer Rede überspringen?)

Herr Irmer, ich werde meine Redezeit von fünf Minuten fast ausnutzen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das habe ich befürchtet! – Gegenruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE): Das ist eine Unverschämtheit!)

Wollen Sie so lange sitzen bleiben?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das geht von Ihrer Zeit ab! – Weitere Zurufe)

Sie stellen eine große und auch sehr heterogene Gruppe von Migrantinnen und Migranten dar, die anderen Migrantengruppen noch nicht gleichgestellt sind. Diese 50.000 werden ebenfalls genau beobachten, welche Signale von dieser Partnerschaft ausgehen und wie wir sie hier ausgestalten.

Das gilt übrigens auch für die größte religiöse Minderheit der Aleviten wie auch für die Gewerkschaften, die ebenfalls ihre Rechte in der Türkei nicht ausreichend wahrnehmen können.