Protocol of the Session on March 29, 2012

Frau Kultusministerin Henzler, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist sehr schön, wenn man zitiert wird, wenn vorgelesen wird, was man früher gesagt hat. Ich weise nur darauf hin: Wenn man das macht, dann muss man auch ganz genau hinschauen, was ich gesagt habe. Ich habe immer gesagt: Wenn man die Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung als Ganztagsschulen bezeichnet, dann ist es eine Mogelpackung. Sie sind nicht Ganztagsschulen, sondern sie sind Ganztagsangebotsschulen.

(Heike Habermann (SPD): Frau Ministerin, das war ein wörtliches Zitat!)

Genau so wörtlich habe ich es gesagt.

In der neuen Ganztagsschulrichtlinie haben wir die Begriffe endlich klargestellt: Zum einen gibt es die Ganztagsschulen. Das sind gebundene Ganztagsschulen mit der Anwesenheitspflicht aller Kinder bis 16 oder 17 Uhr mit rhythmisierter Aufteilung. Zum anderen gibt es die Ganztagsangebotsschulen. Das sind Schulen, die nachmittags Angebote machen, die nicht für alle Kinder verpflichtend sind.

Es gibt Ganztagsangebotsschulen in Hessen – die Sie immer so herunterreden –, die auch Angebote bis nachmittags um 16/17 Uhr haben. Das heißt, die Eltern, die darauf angewiesen sind, dass ihre Kinder so lange in der Schule bleiben, finden dort genauso gut ein Angebot vor. Aber die Eltern, die sagen: „Ich möchte, dass mein Kind nur einen oder zwei Nachmittage bzw. nachmittags gar nicht in der Schule ist“, können ihre Kinder nach Hause holen. Das ist unser Konzept der Ganztagsangebotsschule.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vonseiten der Landesregierung machen wir eben nicht Vorgaben: „Soundso viele Schulen müssen als Ganztagsschulen arbeiten“, sondern wir sagen: Das muss sich von unten nach oben entwickeln. Die Schulen müssen es selbst wollen, die Schulträger müssen es mitmachen, und auch die Eltern müssen es wollen.

Das Ganztagsschulprogramm in Hessen ist eine Erfolgsgeschichte. Da man Bilder besser lesen kann, will ich Ihnen das einmal zeigen.

(Die Rednerin hält ein Papier hoch.)

Dazu kommt im Jahr 2012/2013 eine weitere Säule, die noch höher ist als die vorherige. Daran sehen Sie, wie wir an dem Ganztagsschulprogramm gearbeitet haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Bei der Verteilung der Stellen auf die Schulen wollen wir doch bitte eines klarstellen – Frau Cárdenas weiß nicht, wie die Verteilung der Verantwortlichkeiten in Hessen ist –: Wir bieten den Schulträgern die Stellen an, und sie ent

scheiden dann, welche Schulen für welches Konzept welche Stellen bekommen.

Die Schulträger haben in den letzten Jahren sehr deutlich die Sekundarstufe-I-Schulen bevorzugt. Wir haben alle Gymnasien, alle integrierten Gesamtschulen und bis auf eine alle kooperativen Gesamtschulen im Ganztagsangebotsprogramm. Bei den Haupt- und Realschulen liegen wir bei 60 bis 70 %. Die Schulträger haben die Stellen ganz bewusst erst in die Sekundarstufe-I-Schulen gegeben und beginnen jetzt, sie in die Grundschulen zu geben.

Das liegt auch daran – Herr Schork hat es erwähnt –, dass wir den Schulträgern bereits zwischen 1999 und 2003 für jede im Kreis befindliche Grundschule einen Sockelbetrag gegeben und gesagt haben: Seht zu, wie ihr vor Ort nach Bedarf ein eigenes Grundschulbetreuungsprogramm auflegt. – Dann haben die Schulträger gesagt: Erst sind die Sekundarstufe-I-Schulen dran, zukünftig kommen die Grundschulen.

Ein bisschen gefehlt in der ganzen Diskussion hat mir die Frage – es kann nicht nur um Mittel gehen, die Opposition schreit bei jedem schulpolitischen Thema immer nur nach mehr, mehr, mehr – nach der Qualität und den Inhalten. Das Programm „Ganztägig lernen“ hat von Anfang an eine inhaltliche Unterstützung für die Schulen bereitgehalten. Das ist kein Bewährungsaufstieg, Frau Habermann, Schulen müssen sich räumlich und sächlich umstellen. Hier müssen wiederum die Lehrkräfte mitgenommen werden, wenn Schule auch am Nachmittag stattfindet. Wir haben zwei Serviceagenturen „Ganztägig lernen“, wir werden sehr gut von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung unterstützt, und wir sind qualitativ auf einem ganz hohen Niveau.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Von der Ganztagsschulkommission, in der alle Lehrerinnen, Lehrer, Schulleiterinnen, Schulleiter, Privatschulen und Verbände anwesend waren, ist insbesondere die neue Ganztagsschulrichtlinie – wir sind das einzige Bundesland, das eine Richtlinie in der Form beschlossen hat – erarbeitet worden. Sie hat sehr gut herausgearbeitet, was wir für den ganztägigen Betrieb brauchen. Alles, was dort vorgeschlagen wurde, ist aufgenommen worden.

Damit hat man sich auch darauf verständigt, dass es jetzt nur noch zwei Begriffe gibt: die Ganztagsangebotsschule und die Ganztagsschule. Die Ganztagsangebotsschule gibt es in zwei Profilen, einmal mit mindestens drei Tagen in der Woche, einmal mit mindestens fünf Tagen in der Woche. Es ist auch die Möglichkeit entstanden, dass Schulen teilgebundene Ganztagsangebote machen, entweder horizontal oder auch vertikal.

Wir haben einen Qualitätsrahmen mit eindeutigen Kriterien festgelegt, und zwar je nach Profil der Schule und je nach Schulform. Es ist ganz wichtig, dass man nicht einfach Vorgaben macht, wie es die anderen Bundesländer tun, ohne sich konkret mit den einzelnen Schulen zu beschäftigen.

Wir haben die Berechnung der Zuschläge nach Schülerzahlen und nach Profil neu geordnet. – Frau Habermann, Sie sagen, dass eine Schule nur 0,25 % einer Stelle anfordern kann. Was glauben Sie, warum wir das gemacht haben? – Weil diese Anforderung von den kleinen Schulen auf dem Land kam, die gesagt haben: Wir brauchen gar keine ganze halbe Stelle für die Angebote, die wir nachmittags machen wollen. – Genau deshalb sind wir darauf

eingegangen und haben gesagt: Dann gibt es eben kleine Stückelungen, sodass die Schule entsprechend ihren Wünschen Lehrerstellen und Lehrerstunden abbuchen kann.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Jede dieser Schulen muss sich ein Programm, ein Konzept geben. Die Schulen haben zwei Jahre Zeit, um das umzusetzen.

Solch eine umfassende und differenzierte Ganztagsschulrichtlinie gibt es in keinem anderen Bundesland, das ist gerade neulich auf einem bundesweiten Kongress festgestellt worden. Wir werden jetzt ständig angefragt, ob wir die Ganztagsschulrichtlinie nicht auch den anderen Bundesländern zur Verfügung stellen können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Richtlinie ist ein weiterer großer Schritt in Richtung qualitätsvolle Ganztagsangebotsschule und Ganztagsschule; denn Sie nimmt die drei Funktionen auf, die eine Ganztagsschule haben sollte: Bildung, Betreuung und soziales Lernen.

Meine Damen und Herren, ich wiederhole Folgendes: Das Ganztagsschulprogramm der Landesregierung ist eine Erfolgsgeschichte, und wir werden sie weiterschreiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, damit ist die Große Anfrage besprochen.

Ich darf jetzt Tagesordnungspunkt 23 aufrufen:

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend statt Betreuungsgeld einführen – in frühkindliche Bildung investieren – Drucks. 18/5399 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. Das Wort für den Antragsteller hat Herr Bocklet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit einem Plan auf Bundesebene, den wir für sehr kontraproduktiv halten. Die Bundesregierung plant die Einführung eines Betreuungsgeldes, das besser bekannt wurde unter dem Begriff der Herdprämie.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Fraktion hält die Einführung dieser Herdprämie für finanzpolitisch falsch, für bildungspolitisch falsch und geschlechterpolitisch für absoluten Unfug. Wir lehnen die Einführung ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Lassen Sie mich kurz die Gründe anführen. Es ist allein schon aus einem einzigen Grund völliger Irrsinn. Die Einführung dieser Herdprämie würde bundespolitisch rund 2 Milliarden € kosten. Ich möchte in Erinnerung rufen: Das sind genau die Kosten, die über fünf Jahre den Bundesländern zur Verfügung gestellt wurden für die Investitionskosten zur Schaffung von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren. Es gab noch weitere 2 Milliarden € für die Betriebskosten, aber 2 Milliarden € wurden

über fünf Jahre an die Länder gegeben, um U-3-Plätze zu schaffen.

Sie kennen alle die momentane Problematik. Jeder, der einen Wahlkreis hat und sich dort umhört, weiß, wie dramatisch die finanzpolitische Situation der Gemeinden ist, wie dringend jeder Euro fehlt, um entweder U-3-Plätze, Ganztagsplätze für Kindergärten oder Hortplätze zu schaffen. Was fällt in dieser Situation vor allem der CSU, aber auch Teilen der CDU ein? Es fällt ihnen nichts Besseres ein, als Geld dafür auszugeben, dass Frauen zu Hause bleiben. Das ist totaler Unfug.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Nein, wir wollen, dass dieses Geld für den dringend notwendigen Ausbau und für die Qualität frühkindlicher Bildung eingesetzt wird. Das ist jetzt notwendig.

Für uns gibt es eine klare rote oder grüne Linie. Wir müssen zunächst jeden Euro, der zur Verfügung steht, in die Wahlfreiheit von Männern und Frauen bei der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stecken. Da brauchen wir jeden Euro bei der Investition in die Infrastruktur. In so einer Situation die finanzpolitische Priorität so zu setzen, dass wir sie zunächst einmal auffordern, zu Hause zu bleiben, ist und bleibt falsch. Das wird auch von vielen so geteilt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit noch zwei weitere Argumente einführen. Gerade das Betreuungsgeld – Frau Wiesmann, dass wissen Sie – bietet für bildungsferne und zugleich einkommensschwache Eltern einen starken Anreiz, die Förderangebote für ihre Kinder nicht zu nutzen. Stattdessen werden sie sich die Geldleistung auszahlen lassen. Im Übrigen ist das zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel mit 100 oder 150 €, wie das geplant ist. Das hat auch nichts mit einer Grundeinkommensdebatte zu tun. Es ist eine Gießkanne, die ohne Sinn und Verstand ausgeschüttet wird.

Es wird ein Fehlanreiz gegeben, der das bildungspolitische Ziel konterkariert, mehr Kinder in die Frühförderung zu bekommen. Dabei belegen Studien, dass Kinder, die schon früh gefördert wurden, bessere Abschlüsse machen. Mit der Prämie würde das alles konterkariert, und deswegen ist die Herdprämie auch bildungspolitisch fatal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir haben interessante Zahlen aus Finnland. Dort wurde ein ähnliches Betreuungsgeld eingeführt. Wie es nicht anders zu erwarten war, sind vor allem Mütter bei solchen Anreizen länger zu Hause geblieben. Die Beschäftigungsquote bei Frauen ist durch Frauen, die das in Anspruch genommen haben, von 67 % auf 48 % zurückgegangen. Aber Frauen, die länger zu Hause bleiben, fällt der Wiedereinstieg in den Beruf deutlich schwerer. Das wird sie stärker unter Druck setzen, länger zu Hause zu bleiben. Deshalb ist es auch geschlechterpolitisch ein falscher Schritt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich glaube, wir GRÜNEN sind nicht die Einzigen. Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit nur sagen: Die EU-Kommission sagt interessanterweise zu diesem Thema: „Wir wundern uns“, sagt die Sprecherin für den Arbeitsmarkt.

Einen solchen Anreiz einzuführen, der Eltern das Gefühl vermittelt, sie sollten zu Hause bleiben und einen Zuschuss erhalten, das ist kontraproduktiv für die Förderung der Beschäftigung.