Protocol of the Session on March 29, 2012

Herr Kollege Irmer, wenn Sie mir freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, wenn Sie hier darüber sprechen, wie in die Jugend von Schülerinnen und Schülern eingegriffen wird, dann finde ich das schon ein ziemlich dreistes Stück für eine Partei, die in diesem Bundesland G 8 völlig vermurkst eingeführt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Irmer, das finde ich wirklich ein starkes Stück. So, wie Sie hier die Ganztagsschule dargestellt haben, zeigt das eindeutig, dass Sie die Idee nicht verstanden haben. Denn Ganztagsschule ist, Herr Kollege Irmer, eben etwas anderes als den ganzen Tag Schule. Die Ganztagsschule ist ein pädagogisches Konzept. Ganztagsschule bedeutet, dass sich Phasen der Anspannung und Phasen der Erholung abwechseln und dass wir es den Schülerinnen und Schülern so leichter machen, zu lernen, dass wir mehr Zeit zur Förderung haben, mehr Zeit, um individuell auf Schülerinnen und Schüler einzugehen. Diese Idee der Ganztagsschule ist richtig. Aber ich finde es sehr erfrischend, Herr Irmer, dass Sie heute aus Ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht haben. Dann muss es uns auch nicht mehr wundern, warum der Ausbau der Ganztagsschulen in unserem Land so stockend vorangeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Irmer, Sie reden in Ihren Beiträgen im Plenum immer viel von der Vergangenheit. Sie haben viele Zahlen aus den Neunzigerjahren mitgebracht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich wusste gar nicht, dass Schröder in den Neunzigerjahren war!)

Sie sind quasi ein wandelndes bildungspolitisches Archiv. Sie reden nicht nur über die Vergangenheit, Sie sind bildungspolitisch die Vergangenheit, Herr Kollege Irmer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben von Pädagogik leider keine Ahnung! Das ist das Problem!)

Herr Kollege Irmer, für Sie reicht es in pädagogischer Hinsicht. Da mache ich mir gar keine Sorgen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, vielleicht sollten Sie den „Wetzlar Kurier“ nicht für ein wissenschaftliches Fachblatt halten. Dann wären wir vielleicht ein Stück weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben auf ihre Große Anfrage eine kleine Antwort von dieser Landesregierung bekommen. Wir entnehmen dieser Antwort der Landesregierung, dass weiterhin fast ausschließlich die pädagogische Mittagsbetreuung gefördert wird und eben nicht die echten Ganztagsschulen. Hierzu sage ich ausdrücklich: pädagogische Mittagsbetreuung ist besser als nichts, gar keine Frage. Aber es hat eben mit dem pädagogischen Konzept einer Ganztagsschule überhaupt nichts zu tun.

Diese Landesregierung setzt weiterhin auf Masse statt Klasse. Sie erliegen der Illusion der großen Zahl, ganz viele Schulen im Ganztagsschulprogramm zu haben. Aber Sie fragen nun einmal nicht, ob das, was an den Schulen stattfindet, auch die pädagogische Qualität einer Ganztagsschule hat, meine Damen und Herren.

In Ihrer Antwort sagen Sie, dass wir gerade einmal ein Fünftel der Grundschulen im Ganztagsschulprogramm haben. Herr Kollege Irmer, da haben Sie schlicht völlig an der Lebenswirklichkeit der Eltern vorbei agiert; denn das große Betreuungsproblem von Eltern entsteht nämlich gerade beim Übergang von der Kindertagesstätte zur Grundschule.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann bricht das mühsam getroffene Betreuungsengagement zusammen, weil die Eltern keine Fortsetzung finden. Deswegen ist es beschämend, dass wir noch immer nur ein Fünftel der Grundschulen im Ganztagsschulprogramm haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Es wäre auch pädagogisch sinnvoll, einen Schwerpunkt im Ganztagsschulprogramm bei den Grundschulen zu legen, wie es die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit Jahr und Tag beantragt. Alle Bildungsexperten sind sich darin einig: Auf den Anfang kommt es an. Es kommt auf eine möglichst frühe Förderung der Schülerinnen und Schüler an, es kommt darauf an, möglichst früh alle Talente abzuholen, zu entdecken und möglichst früh zu fördern; denn wenn wir die Talente und die Probleme nicht früh erkennen, werden wir das später nur ganz schwer korrigieren können. Deshalb wäre es gut, wenn ein Schwerpunkt des Ganztagsschulprogramms bei der Grundschule liegen würde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es würde das Betreuungsproblem der Eltern bearbeiten, und es wäre auch pädagogisch richtig, weil wir die Ressourcen und die Förderung am Anfang brauchen.

Wenn man noch die Vorstellung von einer funktionierenden Landesregierung hat, mag man sich denken, dass in einer solchen Antwort auf eine Große Anfrage auch einmal beschrieben würde, wo diese Landesregierung eigentlich hin möchte. Was sind die Zielvorgaben? Bis wann will man welchen Ausbaustand von echten Ganztagsschulen erreicht haben? Wann will man endlich das drängende Betreuungsproblem der Eltern in der Grundschule bearbei

tet haben? – Auf diese Fragen wird überhaupt keine Antwort gegeben. Diese Landesregierung hat nichts erreicht, sie hat nichts mehr vor – auch beim Thema Ganztagsschulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ganz spannend wird es, wenn man die real existierende Regierungspolitik von Frau Henzler mit dem vergleicht, was die Oppositionsabgeordnete Henzler als bildungspolitische Sprecherin versprochen hat; Frau Kollegin Habermann hat schon eine schöne Passage zitiert. Frau Kollegin Henzler, Sie setzen genau das fort, was Karin Wolff im Ganztagsschulprogramm gemacht hat. Als Oppositionspolitikerin haben Sie das „unambitioniert und unzureichend“ genannt, und als Kultusministerin sagen Sie heute, das sei der Weisheit letzter Schluss und ein großer Erfolg. Frau Henzler, wenn man Sie an Ihren eigenen Worten misst, sieht man, Sie haben nichts erreicht und auch leider nichts mehr vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Oppositionsabgeordnete haben Sie das, was Frau Wolff im Ganztagsschulprogramm gemacht hat und was Sie nun nahtlos fortsetzen, als „Mogelpackung“ bezeichnet. Und weil Sie sagen, ich würde Sie zu selten loben: Da lobe ich ausdrücklich die Oppositionspolitikerin Dorothea Henzler. Was Sie machen ist eine Mogelpackung; denn Sie fördern fast ausschließlich die pädagogische Mittagsbetreuung, aber keine echten Ganztagsschulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir für die Ganztagsschulen bräuchten, ist zum einen ihr quantitativer Ausbau – insbesondere im Grundschulbereich –, um das Betreuungsproblem der Eltern endlich zu bearbeiten. Zum anderen bräuchten wir auch einen qualitativen Ausbau, und zu beidem finden wir in Ihren Antworten auf die Große Anfrage nichts. Sie haben auch in diesem Bereich „fertig“, nichts erreicht und nichts mehr vor; das ist schade für unsere Schulen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Es gibt eine Kurzintervention. Kollege Schork, bitte.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Wagner, auch wenn Sie heute Geburtstag haben, sehen Sie es mir nach, dass ich ein paar Ihrer Äußerungen nicht so stehen lassen kann.

Wie kommen Sie eigentlich dazu zu behaupten, der Kollege Irmer – und das unterstellen Sie damit auch der CDU –

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da gibt es schon Unterschiede!)

sei gegen die Inklusion? Wir haben in dieser Woche, bei der gestrigen Diskussion zum Thema Inklusion, wörtlich und explizit ausgeführt, dass Inklusion ein allgemein anerkanntes Ziel ist und wir nicht mehr über die Frage des Ob, sondern über die Frage des Wie streiten.

Der Herr Kollege Irmer hat in seinem Wortbeitrag deutlich gemacht, dass er für die Inklusion sei und sie immer dort stattfinde, wo es möglich, notwendig und im Wohle des Kindes vertretbar ist. Er hat aber auch darauf hingewiesen – und das gehört nun einmal zu einer ehrlichen Debatte dazu –, dass es natürlich Grenzen der Beschulbarkeit gibt. Vor diesem Phänomen können Sie sich nicht verschließen, sondern das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, und darüber muss im Zusammenhang mit Inklusion auch gesprochen werden. Zu sagen, man sei gegen Inklusion, wenn man auf die Probleme aufmerksam macht, halte ich nicht für fair.

(Beifall bei der CDU)

Zum Thema Ganztagsschule. Natürlich gibt es unterschiedliche Formen. Natürlich kann man auch da über die Frage diskutieren, ob es angebracht und angemessen ist, flächendeckend überall in Hessen, für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich eine gebundene Ganztagsschule einzuführen. Darüber kann man doch zumindest diskutieren, zumal es Wissenschaftler gibt, die sagen: Denkt einmal darüber nach, ob das wirklich alles so gut ist.

Herr Schork, denken Sie bitte an die Zeit.

Wenn Sie sagen, im Bereich der Grundschulen sei es nur ein Drittel, die im Ganztagsangebot sind

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Fünftel!)

oder ein Fünftel –, dann gehört es auch zur Wahrheit, dass wir, diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, das Konzept der betreuenden Grundschule eingeführt haben, um in diesem Bereich zumindest den Eltern, den Schülerinnen und Schülern sowie allen anderen, die damit zu tun haben, zu helfen.

Wenn Sie hier schon solche Äußerungen machen, bitte ich sehr herzlich darum, vollständig zu zitieren und vor allem unseren Kollegen Hans-Jürgen Irmer nicht in eine Ecke zu stellen, in die er schlicht und einfach nicht gehört. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Herr Kollege Wagner.

Herr Kollege Schork, ich glaube, ich habe Herrn Irmer schon in die Ecke gestellt, in die er gehört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie als hessische CDU sollten sich wirklich nicht so klein machen, dass Sie sich vollumfänglich hinter Herrn Irmer stellen. Machen Sie sich bitte nicht unglücklich, Sie sind doch auch weiter; das möchte ich Ihnen ausdrücklich zugestehen.

(Judith Lannert (CDU): Das finde ich eine Frechheit!)