Protocol of the Session on March 28, 2012

Sie ignoriert den Wunsch der Eltern von behinderten Schülerinnen und Schülern, dass diese Schülerinnen und Schüler endlich auch die Regelschule besuchen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Diese Landesregierung will Inklusion nicht. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen. Schon das Schulgesetz verstößt eindeutig gegen die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.

(Widerspruch bei der CDU und der FDP)

Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt nicht, Deutschland solle ein inklusives Schulsystem unter Ressourcenvorbehalt aufbauen. Die UN-Konvention verpflichtet uns alle, ein inklusives Schulsystem ohne Wenn und Aber aufzubauen. In Ihrem Schulgesetz steht das Wenn und Aber sehr groß und das inklusive Schulsystem sehr klein. Deshalb ist dieses Schulgesetz mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, keiner sagt, dass wir ein inklusives Schulsystem von heute auf morgen schaffen können.

(Günter Schork (CDU): Aha!)

Aber das klare Ziel ist wichtig, dass man ein inklusives Schulsystem schaffen will. Wichtig ist ein konkreter Zeitplan. Wichtig sind konkrete Schritte dorthin. All das enthält Ihr Schulgesetz nicht, und deshalb verstößt es gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass diese Landesregierung Inklusion nicht will, sieht man auch daran, dass zu diesem unzureichenden Schulgesetz bis heute keine Umsetzungsverordnung vorliegt. In allen anderen Bereichen, wo es Verordnungsänderungen bedarf, liegen diese Verordnungen merkwürdigerweise vor. Nur beim inklusiven Unterricht gibt es bis heute keine Verordnung – ein weiteres Beispiel dafür, dass diese Landesregierung Inklusion nicht will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Wenn wir uns den Entwurf dieser Verordnung anschauen, dann wird es wirklich ganz abenteuerlich. Seit drei Jahren sind wir alle verpflichtet, ein inklusives Schulsystem umzusetzen. Diese Landesregierung legt eine Verordnung vor, die weniger und nicht mehr Inklusion vorgibt. Das zeigt, Sie wollen es nicht, Sie wollen Inklusion zum Scheitern bringen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bislang, Herr Kollege Irmer, wurde die gute Praxis

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich habe gar nichts gesagt!)

ich spreche Sie an, weil ich Ihre frühere Kultusministerin loben will –

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Oh! Das können Sie immer machen! Sie loben die immer erst, wenn sie nicht mehr im Amt sind!)

des gemeinsamen Unterrichts an unseren Schulen von niemandem infrage gestellt. Rot-Grün hat das Mitte der Achtziger- und dann in den Neunzigerjahren auf den Weg gebracht. Selbst Karin Wolff hat den gemeinsamen Unterricht und seine Standards nie angetastet. Sie hat ihn auch nicht ausgebaut – das gehört ebenfalls zur Wahrheit –, aber sie hat die Standards nie angetastet.

Die Standards waren: Wenn man in einer Klasse Kinder mit Behinderungen hat, dann ist diese Klasse natürlich kleiner als eine Klasse mit Schülerinnen und Schülern ohne Behinderungen. Dann bekommt man in dieser Klasse die notwendige Lehrerzuweisung für eine Doppelbesetzung. Das wurde bislang nie infrage gestellt, auch unter einer CDU-Kultusministerin nicht. Jetzt erstmals – unter einer FDP-Kultusministerin – werden die bislang völlig anerkannten und in der Praxis bewährten Standards infrage gestellt und sollen mit dem Entwurf der Verordnung zurückgenommen werden. Das zeigt, die Landesregierung will Inklusion nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Der Landeselternbeirat sieht das auch so. Es ist ein nicht alltäglicher Vorgang, wenn der Landeselternbeirat, also die Vertretung der Eltern in unserem Land, sagt: Die von der Landesregierung vorgelegte Verordnung geht so nicht, sie geht an den Interessen unserer Kinder vorbei.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie sollten die Kritik ernst nehmen. Sie sollten die Verordnung überarbeiten und die Eltern nicht einfach überstimmen. Denn die UN-Behindertenrechtskonvention sagt: Die Eltern haben ein Recht darauf, dass ihre Kinder an diese Schule gehen. – Verwechseln Sie an dem entscheidenden Punkt bitte nicht Mehrheit mit Wahrheit, sondern nehmen das ernst, was Ihnen die hessischen Eltern sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ministerin sagt immer, sie habe den Schulen Ruhe und Verlässlichkeit versprochen. In diesen Tagen gehen Tausende Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen die Umsetzung der Inklusion. In diesen Tagen sitzen verzweifelte Schulleiterinnen und Schulleiter, verzweifelte Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen und sagen: Wie sollen wir die Inklusion eigentlich umsetzen, wenn es nach wie vor keine Umsetzungsverordnung gibt, wenn es nach wie vor keine Rechtsklarheit gibt, wie man das machen soll? – Sie haben den Schulen Ruhe und Verlässlichkeit versprochen, Frau Ministerin. Chaos und Unsicherheit beim Thema Inklusion sind die Realität an unseren Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung will Inklusion nicht, und sie hat Inklusion auch nicht verstanden. Die Kultusministerin rühmt sich dieser Tage in einer Pressemitteilung, sie wolle den Anteil der Kinder an Förderschulen langfristig von 4,4 auf 4,0 % senken. – Frau Ministerin, das steht nicht in der UN-Behindertenrechtskonvention. Darin steht: Alle Schülerinnen und Schüler sollen die Regelschule besuchen können.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das steht nicht drin! Das Wohl des Kindes ist entscheidend!)

Es ist nicht die Rede von einer Senkung von 4,4 auf 4,0 %. Das war der Stand vor der Behindertenrechtskonvention. Sie verstoßen gegen das, wozu sich das Land Hessen selbst verpflichtet hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das stimmt nicht! Das Wohl des Kindes ist entscheidend! – Judith Lannert (CDU): Nur um die Kinder geht es!)

Herr Irmer, zu Ihnen komme ich jetzt. Worum es eigentlich geht, Her Kollege Irmer, haben Sie in Ihrer Pressemitteilung dieser Tage in erfrischender Offenheit gesagt. Ich zitiere: „Eine allumfassende und überstürzt umgesetzte Inklusion, wie von der Opposition gefordert, ist nicht nur pädagogisch abträglich,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!)

sondern auch nicht annähernd finanzierbar.“ Da haben Sie die Katze aus dem Sack gelassen, Herr Kollege Irmer. Sie teilen pädagogisch nicht, was in der UN-Behindertenrechtskonvention steht,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig! Aus pädagogischen Gründen!)

und Sie lehnen es ab, weil Sie es für nicht finanzierbar halten.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie doch mal etwas zu dem Bedarf!)

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Herr Kollege Irmer, würden Sie auch Schülerinnen und Schülern ohne Behinderungen beispielsweise den Mathematikunterricht vorenthalten, weil Sie ihn für nicht finanzierbar halten?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist doch Unfug!)

Das zeigt doch: Sie wollen Inklusion nicht. Herr Kollege Irmer, Sie wollen die Inklusion durch eine unmögliche und chaotische Umsetzung an den Schulen zum Scheitern bringen.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Diese Politik ist schäbig, ideologisch und wird auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen, der Schülerinnen und Schüler. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Als Nächste hat sich Frau Cárdenas, Fraktion DIE LINKE, gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gestern las ich bei der Kundgebung der GEW folgenden Spruch auf einem Transparent vor dem Kultusministerium

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hat Ihnen die GEW wieder die Rede geschrieben?)

hören Sie doch bitte zu, Herr Irmer –:

Sobald der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Von Mauerbau verstehen Sie ja eine Menge!)

Das musste ja kommen. Haben Sie keine andere Platte drauf, Herr Irmer? Es ist fürchterlich.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die Wahrheit schmerzt!)

Mich hat dieser Spruch sehr nachdenklich gemacht. Ich finde, er beschreibt die derzeitige Situation treffend. Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor drei Jahren weht der Wind der Veränderung immer stärker in Richtung gemeinsames Lernen und erfasst nach und nach alle Bundesländer, Regionen, Kreise und Kommunen.