Protocol of the Session on March 7, 2012

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen hoffe ich, dass Sie alle in diesem Haus unserem Antrag zustimmen werden. Beauftragen Sie mit uns die Landesregierung, in dieser Angelegenheit umgehend aktiv zu werden. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bedanke mich auch und erteile das Wort Herrn Kollegen Utter von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch nach dem Vortrag von Dr. Wilken bleiben bei diesem Antrag der Fraktion der LINKEN viele Fragen offen.

Erstens. Wer ist für dieses Thema zuständig? Die Regelbedarfsstufe 3 nach dem Sozialgesetzbuch II und die Novellierung des Sozialgesetzbuchs XII fallen eindeutig in die Zuständigkeit des Bundes. Also gehört dieser Antrag in den Bundestag – wo übrigens die Fraktion DIE LINKE dieses Thema bereits im vergangenen Sommer angesprochen hat. Wäre dann also unsererseits dieser Antrag im Hauptausschuss zu beraten?

Oder gehört dieser Antrag vielleicht in den Umweltausschuss? Denn immerhin handelt es sich hierbei um einen Fall von Recycling: Den gleichen Antrag haben die LINKEN nämlich bereits im Landtag von Sachsen-Anhalt gestellt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Da haben sie wieder einmal abgeschrieben! – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Dort wurde er am 11. November 2011 auch beraten, und der dortige Minister für Arbeit und Soziales, Herr Bischoff von der SPD, sicherte zu, dieses Thema in der Fachministerkonferenz anzusprechen.

Was also soll dieser Antrag hier bei uns noch einmal? Warum müssen wir uns mit diesem Antrag beschäftigen, obwohl unser Landtag und unser Land dafür gar keine Kompetenzen haben? Zugleich werden andere Anträge, die sehr wohl in unsere Kompetenz fallen, von der Tagesordnung abgesetzt.

In der Begründung dieses Antrags kann man erahnen, dass es wohl um arbeitslose Menschen mit Behinderung geht, die – obwohl sie volljährig sind – bei ihren Eltern wohnen. Also ein Thema für den Sozialpolitischen Ausschuss.

Die nächste Frage ist dann schon schwieriger: Was will dieser Antrag?

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Dass die Leute mehr Geld kriegen!)

In der Überschrift steht: „Regelbedarfsstufe 3 unverzüglich abschaffen“. Im Antragstext findet sich diese Forderung überhaupt nicht. Dort heißt es: „Die Landesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, dass eine Überprüfung der Regelbedarfsstufe 3 durch die Bundesregie

rung zeitnah erfolgt.“ – Was das Ergebnis dieser Überprüfung sein wird, wird zu Recht offengelassen.

Nun hat die Bundesregierung bereits erklärt, dass es kurzfristig keine Handlungsmöglichkeit gibt. Sie hat allerdings im September 2011 einen Forschungsauftrag vergeben, der sich mit dieser Problematik beschäftigt. Die Forderung in der Überschrift dieses Antrags, die Regelbedarfsstufe 3 unverzüglich abzuschaffen, schießt meines Erachtens über das Ziel hinaus. Die Regelbedarfsstufe 3 gilt für alle Empfänger, die bei ihren Eltern wohnen, unabhängig davon, ob sie behindert sind oder nicht. Der Mehrbedarf für Menschen mit Behinderungen sollte aber über das Sozialgesetzbuch XII geregelt werden. Ob und in welche Richtung es Änderungsbedarf gibt, wird wohl ein Ergebnis dieses Forschungsauftrages sein.

Ich fasse zusammen: Es ist nicht klar, warum sich der Hessische Landtag mit diesem Antrag beschäftigen soll. Es ist nicht klar, was dieser Antrag will. Möglicherweise bringt die Beratung im Sozialpolitischen Ausschuss mehr Klarheit. In seiner jetzt verwirrenden Form kann man diesen Antrag nur ablehnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Utter. – Das Wort hat Herr Kollege Decker für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Utter, zuvorderst gesagt: Durch Kompetenzgerangel und Kompetenzdiskussionen lösen wir das Problem erst recht nicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die aktuelle Diskussion um die Regelbedarfsgruppe 3 zeigt offensichtlich einmal mehr, wie weit die sozialpolitischen Vorstellungen zwischen SPD und CDU/FDP – ich hätte bisher noch gesagt: in Berlin – in dieser Frage, wie man erwachsene Menschen mit Behinderungen, die mit ihren Eltern oder anderen erwachsenen Menschen in einem Haushalt leben, behandeln will, auseinanderliegen.

Schauen wir uns noch einmal an, auf was man sich im Vermittlungsausschuss zunächst verständigt hat. Die Verständigung lautete: Der Regelsatz für die Bedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel überprüft, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen. – Genau das ist der richtige Ansatz.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die SPD-Fraktion ist demzufolge davon ausgegangen und hat es so bewertet, dass das Ziel des vollen Regelsatzes als klar vereinbart betrachtet werden kann und nur der Weg dahin noch offen ist. Meine Damen und Herren, auch das macht sich heute im Haus bemerkbar. Weit gefehlt, denn das Bundesministerium für Arbeit vertritt die Auffassung, dass es in erster Linie um die Ermittlung der Bedarfshöhe für Menschen mit Behinderungen geht, die gemeinsam mit anderen Erwachsenen zusammenleben.

Der fast schon skandalöse Knackpunkt dabei ist in der Tat, dass eine Änderung der Bedarfshöhe erst auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichproben aus dem Jahr 2013 vorgenommen werden soll. Die Anpassung – das kann sich jetzt jeder vorstellen – wird also eben ein

mal auf den 1. Januar 2014, 2015 oder vielleicht sogar 2016 verschoben. Meine Damen und Herren, das geht mit Sicherheit so nicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dass die Bundesregierung vornehmlich wegen einer fehlenden sozialhilferechtlichen Begründung kurzfristig eine Handlungsmöglichkeit zur Anhebung des Regelsatzes nicht sieht, macht diese Entscheidung, die falsch ist, nicht besser.

Die Reduzierung auf 80 % des Regelsatzes für diese Menschen wird von der Bundesregierung damit begründet, dass die Betroffenen sich in der Regel nicht an den Haushaltskosten beteiligen. Das trifft wohl kaum den Kern der Sache und löst bei Weitem nicht das Problem der Betroffenen.

Ist die Bundesregierung vielleicht schon einmal auf die Idee gekommen, dass gerade dieser Personenkreis erhöhte Mittel braucht, um seinen ohnehin erschwerten Lebensbedarf regeln zu können? – Ich glaube, die Bundesregierung hat offensichtlich darüber noch nicht nachgedacht.

Eines wird klar: Es wird wieder einmal wie bei Hartz IV im Zuge der Neuregelungen, die ab dem 01.01.2011 gelten, der Rotstift da angesetzt, wo ohnehin schon die Not besteht. Die Kürzung des Regelsatzes läuft aus unserer Sicht den Bemühungen zuwider, ein Leben außerhalb von Heimen in einem viel besseren Rahmen als bisher zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, hier wird Menschen, die darauf angewiesen sind, Geld genommen. So einfach ist das. Die Eltern, die ihre erwachsenen behinderten Kinder Zuhause betreuen, werden bestraft. Das kann nicht sein, dass wir so verfahren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Des Weiteren kann man feststellen, es ist eine Ungleichbehandlung gegenüber den 25-jährigen sogenannten jungen erwachsenen Menschen, die nicht behindert sind. Unserem Verständnis nach entspricht es in keiner Weise den Intentionen der UN-Behindertenrechtskonvention. Auch das muss deutlich gesagt werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wen wundert es, dass inzwischen schon zahlreiche Klagen anhängig sind? – Die Bundesvereinigung der Lebenshilfe hat weitere Klagen angedroht. Es wird eine neue Prozesslawine kommen, das darf keinen Menschen wundern.

Nach Auffassung der SPD-Fraktion gibt es nur einen sinnvollen Weg, diese Ungleichbehandlung zügig zu beseitigen, nämlich die zugesagte Überprüfung der Bedarfsstufe 3 vorzuziehen und zeitnah mit der Überprüfung der Eingliederungshilfe 2012 abzuschließen. Ziel muss der im Vermittlungsausschuss erreichte Kompromiss der Zuerkennung des vollen Regelsatzes gemäß Regelstufe 1 sein. Das ist eine klare Forderung an die Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Soweit zum inhaltlichen Teil der Antragsdebatte. Interessant ist aber auch die rein politische Betrachtung der Debatte. Dem aufmerksamen Betrachter der Debatte fallen zwei Dinge auf. Herr Kollege Utter, Sie haben völlig recht, der Antrag, den wir jetzt von den LINKEN auf dem Tisch haben, entspricht exakt, auf Punkt und Komma, einem Antrag von SPD und CDU in Sachsen-Anhalt, den sie

aufgrund eines sehr nebulösen Antrags der LINKEN gemeinsam in den Landtag eingebracht haben.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass ihr den gut abgeschrieben habt, und freuen uns, dass ihr auf unsere Linie eingeschwenkt seid. Auch das kann man an der Stelle feststellen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zweite Bemerkung, das ist mein Schlusssatz: Die CDU in Sachsen-Anhalt sieht es offensichtlich anders als die Bundesregierung. Wir sind gespannt, wie es die CDU hier im Haus sieht und ob sie ihren Kollegen aus Sachsen-Anhalt folgt. Wir sind gespannt darauf, ob sich unser Sozialminister seinem Amtskollegen aus Sachsen-Anhalt anschließt. Das wäre sehr vernünftig, weil es in die richtige Richtung geht. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Decker. – Das Wort hat Herr Kollege Dr. Jürgens.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin den Kollegen Dr. Wilken und Herrn Decker dankbar, dass sie ein bisschen Aufklärung darüber gebracht haben, was mit diesem Antrag gemeint war. Mir ging es in der Tat so wie Herrn Kollegen Utter. Ich habe die ganze Zeit überlegt, was eigentlich Zielrichtung dieses Antrags ist und was damit verfolgt werden soll.

In der Überschrift steht in der Tat: Regelbedarfsstufe 3 unverzüglich abschaffen. – Das würde bedeuten, dass die volljährigen und minderjährigen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft plötzlich auf Null stünden, also gar nichts mehr bekämen, wenn die Regelbedarfsstufe 3 abgeschafft würde. Ganz abgesehen davon heißt es dann: „Die Landesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, dass eine Überprüfung der Regelbedarfsstufe durch die Bundesregierung zeitnah erfolgt.“

Es geht also nicht um die Abschaffung, das ist eine gewisse Differenz. Dann steht aber: „Novellierung des SGB XII zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe“. Nun befinden wir uns bei der Regelbedarfsstufe im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt. Was das wiederum mit der Eingliederungshilfe zu tun hat, hat sich mir bisher nicht erschlossen. In der Begründung geht es dann um die Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr. Das bedeutet: Es handelt sich nicht um alle Personen, die die Regelbedarfsstufe 3 bekommen, sondern nur einen Teil davon.

Nun habe ich von Herrn Decker gehört, dass es angeblich so sein soll, dass die 25-jährigen nicht behinderten Angehörigen einer Bedarfsgruppe nicht den Regelbedarf der Stufe 3, sondern der Stufe 1 erhalten. Das konnte ich bisher dem mir zur Verfügung stehenden Gesetzestext nicht entnehmen.

Aber wenn es so sein sollte, dann wäre eine Ungleichbehandlung aufgrund einer Behinderung auch aus meiner Sicht natürlich ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz. Das ist relativ offensichtlich und mit Händen zu greifen.