Danke sehr, Frau Cárdenas. – Zur Aussprache hat sich zunächst Frau Henzler für die FDP-Fraktion gemeldet. Bitte, Frau Henzler.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir hatten einen neuen Stil in diesem Parlament vereinbart. Ich denke, wir haben uns bisher im Großen und Ganzen daran gehalten. Herr Hahn hat hier in seiner ersten Rede gesagt, vieles werde sich ändern. Zukünftig werde jeder Antrag von jedem genau gelesen, um feststellen zu können, was der Inhalt ist, was damit bezweckt wird, und ihn wirklich überprüfen zu können. – Beim genauen Lesen des SPDAntrages wird eines klar: Dieser Antrag ist eine einzige Mogelpackung. Er soll das wirkliche Ziel der SPD verschleiern.
Das wirkliche Ziel, das die SPD mit diesem Antrag verfolgt, ist eine komplette Rolle rückwärts zu G 9 – und das
als Einstieg zu einer grundlegenden Veränderung des Gymnasiums. Die LINKE ist ehrlicher. Sie ist offener. Sie sagt gleich klar: Wir wollen keine Leistungsanforderungen. Innerhalb des Gymnasiums werden die Haupt- und Realschulabschlüsse nach einem bestimmten Jahr einfach verteilt. Es gibt dafür keine landesweit einheitlichen Abschlussprüfungen mehr.
Frau Kollegin, ich muss ganz ehrlich sagen, ganz schlimm war Ihr Satz, dass es in Hessen heiße: Die Guten ins Töpfchen, d. h. ins Gymnasium, die Schlechten ins Kröpfchen.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Michael Bod- denberg (CDU): Von Frau Ypsilanti hört man aber das Gleiche!)
die Arbeit der integrierten Gesamtschulen, der kooperativen Gesamtschulen, der Haupt- und Realschulen und der beruflichen Schulen. Ich finde, es ist eine Unverschämtheit, dass so etwas im hessischen Parlament gesagt werden darf.
Der erste Teil des SPD-Antrages ist ein Feststellen der Vergangenheit. Dass die Einführung von G 8 nicht funktioniert hat, haben wir hier alle ausreichend besprochen. Dazu gab es schon im Jahr 2003 einen Antrag der FDPFraktion. Im April dieses Jahres gab es ebenfalls einen Antrag der FDP-Fraktion. Es ist unnötig gewesen, das noch einmal in einem Antrag zu formulieren.Der ist nämlich schon im Geschäftsgang, und wir haben gesagt, wir besprechen erst dann alle Anträge im Ausschuss,wenn wir die Anhörung durchgeführt haben.Von daher ist das wieder eine Diffamierung dieser Anhörung und ein NichtErnst-Nehmen der Meinung der anderen, die mit an Schule beteiligt sind.
Die wirklichen Ziele werden aber erst in Punkt 2 des zweiten Teils des Antrages klar. Da lautet die klare Forderung, die Mittelstufe in allen gymnasialen Bildungsgängen wieder auf sechs Jahre zurückzuführen. Damit haben wir in Hessen wieder flächendeckend G 9. Das heißt, wir sind wieder bei der Situation unter dem damaligen Minister Holzapfel angekommen, der ebenfalls neun Jahre im Gymnasium festgeschrieben hat und der nicht einmal die Anträge der Gymnasien genehmigt hat, die einen Turbozweig einrichten wollten.Auch das war unter Herrn Holzapfel verpönt. So weit sind wir jetzt wieder.
Dazu sage ich Ihnen sehr klar und deutlich: Das will die FDP nicht. Wir stehen zu der Verkürzung der Schulzeit, weil unsere Kinder – nicht die Industrie und nicht die Wirtschaft – im Wettbewerb zu den Jugendlichen anderer Bundesländer stehen. Andere Bundesländer haben die Schulzeit auf zwölf Jahre verkürzt. Die hessischen Jugendlichen stehen aber auch im Wettbewerb zu den Jugendlichen aus den europäischen Nachbarländern. Diese verlassen die Schule noch viel früher.
Bildung als solches ist zwar ein Selbstzweck. Bildung ist wichtig für die Persönlichkeitsbildung. Aber sie ist nicht
nur ein Selbstzweck. Die Schule hat den Auftrag, Kinder auf ein erfolgreiches, zufriedenstellendes Leben vorzubereiten. Dazu gehören als Grundlage eine gute Ausbildungsfähigkeit und eine Studierfähigkeit.Aber die Schule hat sie auch darauf vorzubereiten, dass sie später gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Das darf man nicht aus den Augen verlieren. Auch das ist die Aufgabe der Schulen.
Liebe Frau Habermann, die Debatte innerhalb der FDP um die Verkürzung der Schulzeit, die Sie immer wieder anführen, ist nicht das Thema für hier.
Es gibt in der FDP unterschiedliche Ansichten über den Weg zu G 8. Das ist richtig. Das diskutieren wir auch innerparteilich aus. Einigkeit in der FDP herrscht aber darüber,dass bei der Umsetzung von G 8 große Fehler gemacht wurden. Die müssen so schnell wie möglich korrigiert werden.
Genau das ist die Hauptaufgabe unserer jetzigen Zeit. Es ist nicht die Hauptaufgabe, neue Unruhen an die Schulen zu bringen.
Ich darf Ihnen aus einem Brief des stellvertretenden Vorsitzenden des Elternbundes zitieren, einer Vereinigung von Eltern, die Ihnen deutlich näher steht als uns. Die sagen klar und deutlich: „Der Elternbund Hessen fordert die Parteien im Hessischen Landtag auf, den Aktionismus in Sachen Schul- und Bildungspolitik einzustellen.“
Das heißt, sie fordern Hilfsmaßnahmen und Reformen, die jetzt an den Schulen greifen, und nicht irgendwelche neuen Ideen, die die Schulen von vorne bis hinten umkrempeln.
Wie stellt sich die Situation an den Schulen momentan dar? Viele Schulen haben sich auf G 8 eingestellt. Die Stundenplangestaltung wurde den Räumlichkeiten angepasst. Das heißt, Schulen, die die Möglichkeit haben, Mittagessen und Aufenthaltsräume anzubieten, gehen mit dem Unterricht in den Nachmittag. Sogar Frau Geis von dem Landeselternbeirat fordert, dass G 8 nur umsetzbar ist, wenn man in den Nachmittag geht und nach Möglichkeit ein Ganztagsangebot macht.
Wenn Sie jetzt die Probleme der Sportvereine ansprechen, kann ich nur sagen: Sie sind Befürworter der gebundenen Ganztagsschule.Was machen denn dann die Sportvereine?
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es! – Norbert Schmitt (SPD): Integriert! – Michael Boddenberg (CDU): Alle verstaatlicht! – Weiterer Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Dann müssen sie sich genauso in die Schulen einbinden. Das ist ein jetzt vorgeschobenes Argument gegen G 8. Mittlerweile werden in den Schulen Doppelstunden eingeführt. Es wird die Aufgabe von Hausaufgaben abgesprochen. Jede Schule geht ihren eigenen Weg in der Umsetzung von G 8. Das ist auch gut so.
Bei all meinen Schulbesuchen bin ich jedes Mal überrascht, mit wie viel Fantasie, mit wie viel Engagement und mit wie viel Können jede Schule ihren eigenen Weg geht und was sie aus den ihnen gebotenen Ressourcen machen. Man muss ihnen nur die Freiheit lassen; dann bringen sie das auch auf den Weg.Man sollte ihnen nicht ständig neue Konzepte überstülpen.
Frau Habermann,Sie haben im „Stadtgespräch“ selbst gehört, dass auch der Schulleiter der HOLA in Hanau gesagt hat:Wir wollen keine neue Unruhe.Wir wollen nicht zurück zu G 9 an den Schulen. Wir wollen das weiterführen wie bisher. Wir wollen auch nicht wieder eine neue Oberstufe haben, die wieder alles durcheinanderbringt. – Die Schulen wollen Unterstützung in Form von mehr Ressourcen haben. Sie wollen Handlungsfreiheit in der Verwendung der Ressourcen und in der Umsetzung ihrer Schulprogramme haben. Der Hauptwunsch der Schulen ist: Gebt uns mehr Ressourcen. Ansonsten, liebe Politik und liebe Verwaltung,lasst uns in Ruhe arbeiten.Das können wir nämlich besser.
Deshalb ist der Antrag der FDP-Fraktion für eine Lehrerversorgung von 105 % genau der richtige Weg, den wir in einem ersten Schritt mit den Mitteln der Unterrichtsgarantie plus sehr schnell angehen könnten.
Sie wollen durch die Hintertür die Gymnasien von innen verändern. Sie wollen nämlich den Weg zur Einheitsschule gehen. Sie nennen das nicht mehr so. Sie nennen auch Herrn Domisch nicht mehr. Aber Sie wollen diesen Weg gehen. Sie gehen ihn sehr einfach und hintenherum: Erst geht es wieder zu G 9, d. h. gleiche Dauer der Schulzeit für alle Kinder. Dann gibt es keine Querversetzungen mehr, d. h. für alle Kinder bleibt als Schule das Gymnasium. Es gibt kein Sitzenbleiben mehr, d. h. es gibt den gleichen Unterricht für alle. Dann haben Sie die Einheitsschule im Gymnasium schlicht und ergreifend durch die Hintertür erreicht, was wir Ihnen im Wahlkampf schon prophezeit haben.
Jetzt kommt als Neues die Idee einer neuen gymnasialen Oberstufe. Bisher haben Sie dafür aber noch kein konkretes Konzept vorgelegt. Damals, als wir das letzte Mal die gymnasiale Oberstufe reformiert haben, haben wir ein Konzept vonseiten der CDU und ein genau ausgearbeitetes Konzept vonseiten der FDP gehabt und uns dann auf den Weg verständigt, den die Schulen jetzt gehen und mit dem sie sehr zufrieden sind.
Ihre Reform ist organisatorisch, z. B. in kleinen Oberstufen mit 50, 60 Schülern, überhaupt nicht machbar. Wie wollen Sie da die Kurse anbieten,damit die Kinder in zwei oder in drei Jahren zum Abitur kommen? Das heißt, diese kleinen Oberstufen, die zum Teil sowieso schon ums Überleben kämpfen, haben es dann noch schwerer, weil sie diesen Weg nicht mitgehen können.
Es sei denn, Sie wollen etwas anderes: Sie wollen die jetzige Struktur der gymnasialen Oberstufe mit ihren Leistungskursen und Grundkursen nicht beibehalten. Da ist sehr verräterisch, was Frau Habermann in einem Interview im „Darmstädter Echo“ gesagt hat: „Das gilt für die Oberstufe, wo den Schülern eine größere Wahlfreiheit bei der Belegung der für das Abitur nachzuweisenden Pflichtkurse eröffnet werden soll.“ Größere Wahlfreiheit heißt, zurück in die Neunzigerjahre. Da konnte man nämlich
Mathematik, Deutsch und Englisch – die Hauptfächer – abwählen und konnte mit Sport und Kunst als Leistungskursen das Abitur bestehen.Wollen Sie das wiederhaben? Dann können Sie Ihre Oberstufenreform durchführen. Dann geht das.
Merken Sie eigentlich nicht,dass der Zug zu einem Abitur der Beliebigkeit längst abgefahren ist? Alle Länder haben ein landesweit vergleichbares Abitur eingeführt. Manche Länder schließen sich jetzt sogar länderübergreifend zusammen, um vergleichbare Abiturprüfungen zu haben. Jetzt kommen Sie mit einem Sonderweg, mit einer Oberstufe von zwei oder drei Jahren, mit ganz vielen Wahlmöglichkeiten, die das Abitur im Ländervergleich abwertet.