Protocol of the Session on April 22, 2008

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch etwas zum Thema Querversetzung sagen.Frau Kollegin Henzler hat eben zu Recht kritisiert, welches Rollenverständnis und Lehrerbild Sie in letzter Konsequenz haben. Ich will nur darauf hinweisen, dass gerade heute der Verband der Oberstudiendirektoren öffentlich erklärt hat, er bitte darum, dass das pädagogische Instrument der Querversetzung beibehalten werden möge. Ich teile diese Auffassung ausdrücklich aus pädagogischen Gründen. Sie haben selbst – dankenswerterweise, muss man sagen – in dem „FAZ“-Interview öffentlich eingeräumt, dass es für Sie nicht um Pädagogik geht, sondern um Selektion. Das unterscheidet uns.

Wenn Sie 20 Jahre im Schuldienst am Gymnasium unterrichtet haben – ich kann das von der Berufsvita her beurteilen –, Sie in der Klasse 5 im Gymnasium Kinder haben, von den Eltern angemeldet, gut gemeint, und als Pädagoge feststellen: „Diese Kinder sind pädagogisch, fachlich hoffnungslos überfordert“,dann reden Sie mit den Eltern, um etwas für die Kinder zu erreichen. Dann gibt es beratungsresistente Eltern,die das nicht erkennen wollen oder können. Sie diskutieren mit Kollegen – egal ob die im Philologenverband, in der GEW oder wo auch immer sind; das spielt überhaupt keine Rolle – völlig übereinstimmend darüber, was Sie mit den Eltern machen können und wie Sie sie überzeugen können.Wir haben es oft erlebt, dass am Ende der Klasse 5 dann die Entscheidung getroffen wird. Aber was man bis dahin den Kindern ein komplettes Schuljahr lang angetan hat, das ist die Problematik, das ist nicht kindgerecht. Das ist für mich der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU und der Abg.Dorothea Henz- ler (FDP))

Deshalb sagen wir aus rein pädagogischen Gründen, dass wir das Instrument der Querversetzung brauchen, das im Übrigen auch von vielen sozialdemokratischen Schulleitern als positiv anerkannt wird.

Liebe Frau Kollegin Habermann, einen kritischen Punkt möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben.Wenn Sie sagen: „Es ist eine Notlösung für Lehrer, Kinder wegzuschicken, weil sie zu große Klassen haben, um mit den anderen besser arbeiten zu können“, dann ist dies eine schallende Ohrfeige für die Lehrer und Pädagogen in diesem Land.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich kenne keinen Lehrer, der eine solche Entscheidung treffen würde. Im Übrigen trifft er diese Entscheidung nicht alleine. Dafür braucht er eine Klassenkonferenz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Klassenkonferenz zu dem Ergebnis kommt: Wir schicken jetzt zwei Schüler weg, damit der Klassendurchschnitt kleiner wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das gibt es in Hessen nicht. Meine Damen und Herren, das behaupte ich hier und heute öffentlich.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Ich will das nicht weiter vertiefen, weil sonst die Zeit wegläuft.

Ein letzter Punkt zu Ihrem Antrag, was die integrierten Gesamtschulen angeht. Meine Damen und Herren, Sie müssen es sich gut überlegen, wenn Sie sagen: „Wir wollen, dass integrierte Gesamtschulen, beispielsweise bei der Genehmigung, nur zweizügig sind.“ Jetzt geht es um die Vierzügigkeit. Die Vierzügigkeit garantiert das, was Frau Henzler eben zu Recht gesagt hat: dass sie nämlich Differenzierungsmaßnahmen in unterschiedlichster Form machen können. Sie haben häufig in den Hauptfächern die Dreierdifferenzierung in A-, B- und C-Kurse. Sie haben in Nebenfächern die Zweierdifferenzierung in E- und G-Kurse.Wenn Sie jetzt grundsätzlich die Möglichkeit eröffnen, mit einer Zweizügigkeit zu starten, dann bedeutet dies eine Schwächung der integrierten Gesamtschulen. Denn Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass die Eltern, deren Kinder für den gymnasialen Zweig geeignet sind, die in einer integrierten Gesamtschule die gymnasiale Bildung in Anspruch nehmen wollen, ihre Kinder dann dorthin schicken, wenn sie genau wissen: Durch die Zweizügigkeit habe ich im Grunde genommen eine verkappte Haupt- und Realschule. – Sie schwächen damit die integrierten Gesamtschulen. Das möchte ich Ihnen in aller Form sagen.

(Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, bei der alten Formulierung der Vierzügigkeit zu bleiben.

Lassen Sie mich auch etwas zu dem Antrag der GRÜNEN sagen. Ich glaube, es ist unstreitig, dass über G 8 und G 9 diskutiert werden muss. Das wird im Ausschuss geschehen.

(Beifall des Abg. Michael Boddenberg (CDU) – Lachen und demonstrativer Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich freue mich über die Zustimmung. Habe ich etwas Falsches gesagt? Es besteht die Gefahr, dass ich mich versprochen habe, weil ich Zustimmung von der falschen Seite bekommen habe.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über G 8 und G 9 im Rahmen der kooperativen Gesamtschulen wird also im Ausschuss zu diskutieren sein.

Lieber Kollege Wagner, ich möchte noch das Thema Durchlässigkeit in der gebotenen Kürze ansprechen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Sie haben gesagt, es gäbe wenig Durchlässigkeit oder wir bräuchten mehr Durchlässigkeit. Ich will nur darauf hinweisen: 45 % der hessischen Schüler haben am Ende der

Klasse 13 die Hochschulzugangsberechtigung, 30 % über den klassischen Weg des Gymnasiums und 15 % über andere Wege.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Anschlussfähigkeit!)

Das heißt, wir haben de facto die Durchlässigkeit.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Andrea Ypsilanti (SPD): Nein!)

Es gibt viele Wege, die nach Rom führen. Die 45 % sind das eine.Das Zweite ist:Es ist ernsthaft auch keiner gegen Durchlässigkeit. Wer wollte gegen die Durchlässigkeit von Systemen sein? – Niemand jemals. Ich bitte in aller Ruhe darüber nachzudenken: Die Formulierung „Anschlussfähigkeit“ ist sogar etwas weiter gehend, weil es nämlich im Grunde genommen den Rechtsanspruch vertieft, wonach Schüler so vorbereitet werden müssen, dass sie die Anschlussfähigkeit haben und dass Durchlässigkeit gegeben ist.Es bedeutet,dass es eine Pflicht für die Schule gibt, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die Schüler die Anschlussfähigkeit haben und damit die Durchlässigkeit gewährleistet ist. Das heißt, aus meiner Sicht ist durchaus zu überlegen, ob man den Begriff der Durchlässigkeit und den der Anschlussfähigkeit in irgendeiner Form kombinieren kann.

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Kollege Irmer, Sie müssen zum Schluss kommen.

Lassen Sie mich noch einen letzten Satz zu dem sagen,was die FDP beantragt hat. Liebe Frau Kollegin Henzler, wir haben für Ihren Antrag im Grundsatz sehr viel Sympathie. Aber ich sage sehr deutlich: Aufgrund der Zeitschiene, in der wir uns bewegen, ist das nicht mehr umsetzbar. Aus Zeitgründen kann ich das jetzt nicht vertiefen. Sie haben in der Vergangenheit häufig, manchmal ein klein wenig zu Recht, angemahnt: nicht ganz so schnell, nicht ganz so hektisch. – Aber wenn wir jetzt, sieben Wochen vor Schuljahresende, diese Maßnahme beschließen wollen – bei hundertpaarundzwanzig Gesamtschulen,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

mit dem Vorhaben, dass wir ohnehin 2.600 Lehrer neu einstellen müssen, usw. –, dann glaube ich nicht, dass das geordnet machbar ist.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Deshalb glaube ich, dass wir das in aller Ruhe für das nächste Schuljahr 2009/2010 machen sollten. Dann bekommen wir einen geordneten Schulanfang hin. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Irmer. – Zu einer Kurzintervention hat Herr Wagner das Wort.

Herr Präsident, Herr Kollege Irmer, ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet,als Sie Ihre Ausführungen zum Thema Anschlussfähigkeit und zum Thema Durchlässigkeit begannen. Die Zahlen, die Sie genannt haben, beziehen sich auf das Thema Anschlussfähigkeit.

Es ist in unserem Bildungssystem eben nicht so, dass sie in der Sekundarstufe I, in den Klassen 5 bis 10, von der Hauptschule auf die Realschule oder von der Realschule auf das Gymnasium wechseln können. Die allerwenigsten Schülerinnen und Schüler können das, obwohl sie teilweise die Begabung dafür hätten. Herr Kollege Irmer, das ist falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Michael Bodden- berg (CDU):Warum nicht?)

Da fragt Herr Kollege Boddenberg: „Warum nicht?“ Das will ich Ihnen erläutern, Herr Kollege Boddenberg: weil in der Verantwortung Ihrer Partei mit neun Jahren schwarzer Kultusministerin alles dafür getan wurde, die Stundentafeln und die Lehrpläne zwischen den unterschiedlichen Schulformen zu entzerren, um die Durchlässigkeit zu erschweren. Diesen Fehler wollen wir mit unserem Gesetzentwurf korrigieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Irmer,zu sagen,Anschlussfähigkeit sei mehr als Durchlässigkeit, ist nun wirklich Rabulistik und Rhetorik, aber es hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun. In der bildungspolitischen Debatte ist völlig unumstritten, dass Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit – also die Frage: kann man zu jeder Zeit zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium wechseln, oder kann man das erst, wie Sie es genannt haben, an den Gelenkstellen, also am Ende der Mittelstufe? – unterschiedliche bildungspolitische Konzepte sind.Bei allem Wunsch,in diesem neuen Hessischen Landtag Gemeinsamkeiten zu betonen, sollten wir unterschiedliche Konzepte auch unterschiedliche Konzepte sein lassen und nicht versuchen, das mit rhetorischen Tricks zu verwischen. Wenn Sie die Durchlässigkeit wollen, sind Sie herzlich eingeladen, das gemeinsam mit uns zu beschließen.Aber mit rhetorischen Tricks können Sie über ein pädagogisches Prinzip nicht hinweggehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Wagner. – Als Nächste hat Frau Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir LINKEN begrüßen jegliche Bemühungen der SPD, Änderungen im Hessischen Schulgesetz vorzunehmen,die zu einer stärkeren Bildungsgerechtigkeit führen können, vor allem wenn sie dazu beitragen, dass „die vier... benannten Problempunkte“ – UG+, Querversetzung, Beteiligung der Eltern an den Schülerbeförderungskosten und Richtwerte zur Klassenbildung – „durch entsprechende Änderungen... gelöst“ werden sollen, wie es

in dem Gesetzentwurf heißt. Allerdings denken wir, dass das mit diesem Gesetzentwurf noch in keinster Weise der Fall ist, und verlassen uns darauf, dass diesem ersten Gesetzentwurf noch weitere folgen werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Machen Sie doch selber eines!)

Das ist durchaus auch möglich.

Insbesondere sehen wir die Veränderungsvorschläge zum Thema UG+ als eine Rückkehr zu mehr Ehrlichkeit. Es geht um die Klarstellung, dass mit den externen Kräften vielleicht eine verlässliche Schulzeit garantiert werden kann, was wir nicht geringschätzen wollen – denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kommt dadurch ein ganzes Stück voran –, aber doch nicht eine Unterrichtsgarantie oder auch nur eine verbesserte Unterrichtsversorgung.Wir begrüßen diese Änderungen auch deshalb, weil unseres Erachtens durch die bisherige UG+ der gesamte Berufsstand der Lehrer diskreditiert wurde,indem Unterricht angeblich auch durch nicht qualifizierte Kräfte durchgeführt werden konnte.