Wir brauchen keine nochmalige Diskussion über den Flughafen. Doch was wird heute schon wieder gemacht? – Die CDU-Fraktion stellt einen Antrag, in welchem sie die Regierung lobt. Was kommt dabei am Ende raus? – Dass wir entweder klatschen oder nicht. Das bringt uns nicht weiter. Vielleicht werden Sie dieses Problem irgendwann noch einmal haben, doch haben Sie bereits einmal mit uns abgestimmt, und da hatten Sie auch ein Problem.
Ich weiß nicht, welches Bild heute von Nordhessen gezeichnet werden sollte, denn dieses Nordhessen, das ich kenne, hat mit den Beschreibungen relativ wenig zu tun.
Sie reden von Arbeitsplätzen, die geschaffen worden sind. – Diese sind geschaffen worden.Doch haben Sie sich auch einmal gefragt, zu welchen Konditionen diese geschaffen wurden? Wenn es sich nicht um SMA-Arbeitsplätze handelt, dann handelt es sich in der Regel – das haben wir heute Morgen auch gehört – um Arbeitsplätze im Logistikbereich, die derart bezahlt sind, dass sie überwiegend aufstocken müssen, damit die Menschen davon leben können – es sei denn, diese sind alleinstehend. Das sind die Arbeitsplätze, die Sie in dieser Region geschaffen haben. Diese haben den Menschen nicht sehr viel gebracht.
Ich habe SMA ausgeschlossen, aber in Verbindung mit SMA sei darauf hingewiesen, dass sich die Universität nicht erst in den letzten Jahren unter Ihrer Regierungsverantwortung zu einer guten Hochschule entwickelt hat. Die Vorraussetzungen hierfür – nämlich ISET und SMA – sind vor 20 Jahren geschaffen worden und nicht erst in den letzten drei Tagen entstanden.
Man sollte daher nicht so tun, als ob dort in den letzten Jahren unglaubliche Verbesserungen gelaufen seien, die die Wirtschaft in einer Art und Weise angekurbelt hätten, dass dort etwas entstanden wäre, was nicht ohnehin bereits im Entstehen begriffen war.Ich sehe ein Nordhessen, welches Sie hier nicht gezeichnet haben. Ich erkenne ein Nordhessen, in welchem wir ein Problem haben, nämlich mit überwiegend älteren Menschen im ländlichen Bereich
in Nordhessen –, deren Mobilität immer mehr eingeschränkt wird,unter anderem dadurch,dass es keinen vernünftigen Omnibusverkehr mehr gibt.Wir haben dort die Situation, dass der bestehende Transport deutlich teurer ist als beispielsweise im südhessischen Raum. Das heißt: Wenn ich mich bewegen will, dann muss ich als einzelner Bürger deutlich mehr investieren. Auch hier besteht wiederum Ungleichheit, denn gleichzeitig sind die Einkommen verhältnismäßig geringer und die Arbeitslosenzahlen deutlich höher. Es gibt ein Ungleichgewicht, das wir erkennen müssen.
Ich rede Nordhessen nicht schlecht; ich bin nur nicht gewillt, so zu tun, als hätten wir dort keine Probleme.
Das ist die einfachste Lösung.Etwas Besseres fällt Ihnen wohl nicht ein, als zu sagen: „Ziehen Sie doch einfach nach Frankfurt“. Sie lassen die Menschen dort hängen, denn wer dort nicht mehr sein möchte und dort nicht mehr arbeiten kann, der zieht einfach nach Frankfurt. Vielleicht wäre da auch Köln oder München eine Möglichkeit.Wieso ziehen eigentlich die Südhessen nicht nach Nordhessen? – Da es so wenig attraktiv ist, dort zu leben, obwohl man so preiswert leben kann.
Wieso soll man nicht die Probleme benennen, die vorhanden sind? Ich finde es ein Unding, so zu tun, als ob es in Nordhessen einen Aufschwung gäbe und es allen Men
schen wunderbar ginge. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Es entspricht einfach nicht der Situation, die die Menschen beispielsweise in der Nordstadt in Kassel oder in kleinen Ortschaften im Werra-Meißner-Kreis erleben. Dort haben wir genau die Probleme, die Sie hier verschweigen und die Sie nicht sehen wollen. Auf diesem Auge sind Sie völlig blind; und diese Menschen sind Ihnen völlig egal. Es geht um Renommierprojekte, die Sie vorzeigen wollen. Diese Menschen interessieren sich nicht dafür, ob wir dort einen Flugplatz haben. Diese Menschen brauchen Sie nicht, denn Sie wollen – –
Meine Damen und Herren,ich sehe erstens keinen Grund zur Aufregung; zweitens höre ich sehr schlecht, wenn es derart laut ist.
Sie wollen hier die Situation dieser Menschen schönreden, um an der Wahrheit vorbeizuschauen. Es gibt alte Menschen, die sich darüber Sorgen machen, wie sie ihr Leben in einer Region bewältigen, in der man nicht einmal mehr einkaufen kann und in der es überhaupt keine Möglichkeit mehr gibt, sich selbst zu versorgen; doch das interessiert Sie überhaupt nicht. Hier interessiert Sie so etwas, wie Beberbeck zu bauen, wo irgendwelche Menschen zum Golfspielen hinkommen können.
Anschließend müssen wir noch ein paar Straßen pflastern, damit die Menschen, die Golf spielen wollen, auch hinkommen. Das ist das, was Sie hier interessiert.
Ich rede Nordhessen nicht schlecht. Sie reden die Probleme weg, die wir dort auf dem Tisch haben. Sie wollen sie nicht wahrhaben, und Sie wollen sie nicht sehen. Denn Sie haben dafür keine Lösungsansätze. Ich habe in der Zwischenzeit den Verdacht: Sie haben nicht einmal mehr ein Interesse, überhaupt noch Lösungen dafür zu finden. Ich habe stellenweise schon das Wort „Verwüstung“ gehört. „Es ist doch egal, lassen wir die Nordhessen aussterben. Wir sind ohnehin alt. Was brauchen wir uns da zu kümmern?“
Das ist doch das, was hier teilweise passiert. Es hat verdammt wenig damit zu tun, die Menschen vor Ort tatsächlich zu unterstützen.
Ich würde Sie auffordern, einfach einmal durch die Kasseler Nordstadt oder in andere Orte zu fahren und sich das anzuschauen. Dort gibt es Marktplätze, um die herum es leer stehende Geschäfte gibt, in die niemand mehr hineingeht, weil man da nur pleitegehen kann. Dort gibt es leer stehende Wohnhäuser, die keiner mehr kaufen will, weil es dort keine Arbeitsplätze mehr gibt, weil es keine Kindergärten gibt.
(Silke Tesch (SPD): Frau Schott, jetzt sagen Sie, was Sie dagegen machen wollen! Sie zählen auf und zählen auf! Was machen Sie dagegen? – Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU – Mi chael Boddenberg (CDU): Ich wollte die gleiche Frage stellen! Ich schließe mich an, Frau Kollegin!)
Wir können Menschen dabei unterstützen, dass sie lange in ihren eigenen Wohnungen bleiben können.Wir können die Menschen dabei unterstützen, dass sie weiterhin in den ländlichen Gebieten leben können. Wir können die Situation in den Kindergärten und den Schulen verbessern. Damit schaffen wir Arbeitsplätze.Arbeitsplätze führen dazu,dass Menschen wieder Geld haben,das sie in der Region ausgeben.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ihr Finanzierungskonzept? – Zurufe der Abg. Dr. Walter Lübcke, Mark Weinmeister (CDU) und Silke Tesch (SPD))
Das, was Sie machen wollen, führt uns dazu, dass wir beispielsweise – ich nenne die Zahl noch einmal – auf dem Flugplatz in Kassel-Calden tatsächlich von 60 zusätzlichen Arbeitsplätzen reden und nicht von den viel beschworenen Tausenden.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wie viele Stellen wollen Sie im öffentlichen Sektor schaffen? Beantworten Sie die Frage! – Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))
(Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) – Zurufe der Abg. Peter Beuth und Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU))
Es ist doch die Frage, wo wir unsere Prioritäten setzen. Es ist doch die Frage, welche Bedingungen wir in diesem Land vorfinden. Schauen wir doch bitte auch einmal über die Landesgrenzen hinaus. In Südniedersachsen und in Thüringen gibt es ähnliche Probleme. Warum setzen wir uns nicht mit den Kollegen dort ein bisschen intensiver zusammen und schauen,wie wir die Probleme regional lösen können?
Ja, Sie schauen mit Ihrem ganz speziellen Hofgeismarer Blick. Ich weiß.Aber der reicht genau von Hofgeismar bis Kassel.Alles andere wird weggeblendet.
Von mir aus auch in Wolfhagen. Dann kennen Sie genau die Situation, die ich gerade beschrieben habe. Denn Wolfhagen gehört zu den Orten, in denen es gar nicht so blendend aussieht.
Wir wollen, dass die Menschen dort arbeitstechnisch gefördert werden, wo es notwendig ist. In Nordhessen muss beispielsweise der öffentliche Beschäftigungssektor ausgebaut werden, damit die Menschen dort, wo sie leben, Arbeit finden können, damit wir auf die Art und Weise Dinge wieder ankurbeln können.
Wir wollen, dass die Menschen die Arbeit erreichen können und die Arbeit die Menschen erreicht,indem man solche Verkehrsanbindungen schafft, die es ermöglichen, dort hinzukommen, damit es nicht völlig unmöglich ist, eine Arbeit aufzunehmen.