Protocol of the Session on March 30, 2006

Das waren wildeste Vorstellungen, meine Damen und Herren.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Wie in einer Räterepublik! – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf war nichts weniger als ein Versuch, handstreichartig die Vertragsfreiheit zu kippen, ein tragendes Prinzip unseres Rechtssystems und das Grundprinzip eines freiheitlichen Systems, das kurzerhand aus den Angeln gehoben werden sollte.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin besonders glücklich darüber, dass mir der Vorgänger des jetzigen hessischen Justizministers Applaus spendet.

Der Gesetzentwurf war ein massiver Angriff auf die Vertragsfreiheit. Er hätte, wenn er durchgekommen wäre, das gesellschaftliche Klima vergiftet. Er hätte einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet. Sie waren auf bestem Wege, einen weiteren eklatanten Standortnachteil zu schaffen,in dessen Folge keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern bestehende Arbeitsplätze vernichtet worden wären.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu guter Letzt – oder zu schlechter Letzt –: Unsere Gerichte wären mit einer Klageflut lahm gelegt worden.Herr Dr. Jürgens, damit keine Missverständnisse aufkommen: Es ist völlig klar, dass wir dazu stehen – da wollen wir, wie der Altbundeskanzler gesagt hat, die Kirche im Dorf lassen –, dass die EU-Richtlinien umgesetzt werden. Es ist aber einfach nicht wahr, zu behaupten, dass Sie sie umgesetzt haben.

(Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie sind vehement über das Ziel hinausgeschossen.Sie haben mit Ihrem Konzept das Rechtssystem an entscheidenden Punkten auf den Kopf stellen wollen.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dummes Zeug!)

Es steht klar fest – so steht es auch in der Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und SPD auf Bundesebene –, dass die Richtlinien 1 : 1 umzusetzen sind, nichts anderes.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, ich bin Realist genug, zu sagen,

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass es zu einem Kompromiss kommen kann oder kommen wird. Dann gibt es aber Fragen, die unverhandelbar sind. Das ist beispielsweise Ihre Forderung nach Schaffung einer orwellschen Überwachungsbehörde mit einem jährlichen Budget von – man höre und staune – 5,6 Millionen c. Wofür eigentlich? Unverhandelbar ist für uns auch ein eigenständiges Klagerecht für Betriebsräte und Gewerkschaften. Es ist für uns eine verschuldensunabhängige Vermögenshaftung des Arbeitgebers unverhandelbar. Selbstverständlich unverhandelbar sind auch der Kontrahierungszwang und die Anspruchsabtretung an so genannte Antidiskriminierungsvereine, die Sie zusätzlich schaffen wollen.

Jetzt will ich es ein bisschen versöhnlicher versuchen. Das Jahr 2007 wird das europäische Jahr der Chancengleichheit. Chancengleichheit und Antidiskriminierung – Herr Dr. Jürgens, da werden Sie mir zustimmen – hängen eng

zusammen. Deswegen muss es in unser aller Interesse sein, dass deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb gleiche Chancen haben und nicht durch zusätzliche Hemmnisse und wirtschaftliche Reglementierungen, wie sie ein solches Antidiskriminierungsgesetz, das über das Ziel hinausschießt, geschaffen hätte, beschwert werden.

Deswegen sage ich noch einmal:Wir fordern, dass die europäische Richtlinie 1 : 1 umgesetzt wird und nicht, wie es vorgesehen war, über das Ziel hinausgeschossen wird. – Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rhein. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Hofmann, SPD-Fraktion.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sieben Jahre hier und noch nie eine vernünftige Rede gehalten! Es wird Zeit, dass er nach Frankfurt geht!)

Das finde ich auch.Tarek, meinst du, es wird in Frankfurt mit ihm besser?

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider konnten wir von dir, Boris, nichts Besseres erwarten.Wir haben wieder nur Polemik hoch zehn gehört.

Hier wird von „Arbeitsplatzvernichtung“ gesprochen; es wird behauptet, das gesellschaftliche Klima werde „vergiftet“. In der letzten Debatte hat sich schon der Fraktionsvorsitzende der CDU durch die Äußerungen disqualifiziert, das freiheitliche Rechts- und Wirtschaftssystem sei in Gefahr, das Vaterland, gar das Abendland sei in Gefahr. Das sind Äußerungen, die Sie selbst disqualifizieren und zeigen, wie unsachlich und polemisch diese Debatte insbesondere von der CDU-Fraktion hier geführt wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich will auf die Faktenlage zurückkommen. Es ist doch völlig klar, dass es zu einer modernen Rechtspolitik gehört, dass es für verschiedene Lebensentwürfe auch entsprechende Rechtsinstitute gibt und dass der Staat – das unterstellt der CDU-Antrag fälschlicherweise – durch Gesetz Toleranz natürlich nicht erzwingen kann; aber er kann sehr wohl Selbstbestimmung und Toleranz durch entsprechende Gesetze fördern.

Dr. Jürgens hat das schon angesprochen. Das wird auch von niemandem bestritten.In der Tat sind wir verpflichtet, vier Richtlinien umzusetzen. Die EU sitzt uns schon noch im Genick. Drei der Richtlinien sind bereits verfristet. Herr Dr. Wagner, man muss den Ball doch einmal flach halten.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Innerhalb der großen Koalition gibt es im arbeitsrechtlichen Bereich bezüglich der sechs Merkmale schon Konsens. Nur bezüglich des Zivilrechts gibt es noch einen Dis

sens. Da sagen wir: Warum soll im Arbeitsrecht etwas anderes gelten als im Zivilrecht? Im Zivilrecht sollen auch diese sechs Merkmale erfasst werden – bei Massengeschäften und im privaten Versicherungsverkehr. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum im Zivilrecht etwas anderes gelten soll als im Arbeitsrecht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte einmal auf die Punkte eingehen, die Boris Rhein eben genannt hat. Es wird keine Verbandsklage geben. Nur Verbände, die 75 Mitglieder haben, die nicht gewerbsmäßig sind und die nicht nur vorübergehend arbeiten, dürfen Betroffene unterstützen. Die Vertragsfreiheit wird auch schon in unserem heutigen Rechtssystem nicht uneingeschränkt gewährleistet.

Der Gesetzentwurf, der uns vorgelegt wurde und den wir jetzt neu debattieren, geht im Zivilrecht nur in der Breite, nicht in der Regelungsintensität, über die Vorgaben der EU hinaus. Boris, ich muss es noch einmal sagen, weil das immer wieder falsch behauptet wird. Im Gesetz ist keine Beweislastumkehr vorgesehen, sondern nur eine Beweiserleichterung, wie wir sie schon im § 611a BGB kennen.

(Beifall bei der SPD)

Es müssen weiterhin objektive Tatsachen vorgetragen werden, die eine Diskriminierung sehr wahrscheinlich erscheinen lassen.

Stichpunkt Klageflut. Auch das ist eine Mär, die immer wieder hochgekocht wird. Zum § 611a, den wir schon im BGB verankert haben, gab es in den letzten 25 Jahren gerade einmal 100 Rechtsstreitigkeiten. Das Bundesjustizministerium hat ausgerechnet, dass bei der Umsetzung des ADG, angelehnt an die Erfahrungen, die die anderen europäischen Länder gemacht haben, die das ADG bereits umgesetzt haben – sogar noch schärfer als Deutschland –, mit höchstens 250 Klagen pro Jahr zu rechnen ist. Das entspricht sozusagen einer halben Richterstelle am Amtsgericht pro Jahr.

Zu der Behauptung, das Gesetz beinhalte zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Jeder Jurist weiß, dass man mit bestimmten Rechtsbegriffen einfach nicht auskommt, um Einzelfallgerechtigkeit herzustellen und auch für den Gesetzgeber und die Rechtsanwender die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse einzubeziehen.

Wir als SPD-Fraktion setzen uns jedenfalls dafür ein, dass Frauen in Zukunft bei Kranken- und Lebensversicherungen keinen höheren Tarif bezahlen müssen als Männer. Wir setzen uns auch dafür ein, dass Frauen im Durchschnitt in Zukunft nicht länger 30 % weniger Gehalt bekommen als ihre männlichen Kollegen.

(Beifall bei der SPD – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Wie naiv sind Sie eigentlich? Da gibt es doch ganz andere Möglichkeiten! – Fortgesetzte Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Nein, aber fördern. Das habe ich eingangs auch gesagt. Der Staat hat auch einen Auftrag, bestimmte gesellschaftliche Grundverständnisse zu fördern. Wir können sie natürlich nicht durch ein Gesetz erzwingen, sondern nur fördern.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir können bestimmte Grundverständnisse unterstützen, fördern und begleiten. Das ist der Ansatz, und nicht mehr, Frau Wagner.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Hofmann, Sie müssen zum Schluss kommen.

Deswegen wird die SPD-Fraktion dem Antrag der GRÜNEN zustimmen. Wir werden die Anträge noch im Ausschuss beraten. Wir werden natürlich den CDU-Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Beer für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die FDP tritt mit aller Entschiedenheit für den Abbau von Diskriminierung und Intoleranz ein.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Jawohl!)