Protocol of the Session on March 30, 2006

(Petra Fuhrmann (SPD): Ihr tragt zu gar nichts bei, ihr seid in der Opposition!)

dass die Lohnnebenkosten in Deutschland gesenkt werden. Wir wollen vor allen Dingen nicht, dass in Deutschland mit Mindestlöhnen und Kombilohnmodellen der Arbeitsmarkt noch schlechter, noch teurer und noch unflexibler gemacht wird, als er jetzt schon ist.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen auch eine ehrliche Diskussion, Herr Kollege Schmitt, über die Frage, ob wir in Deutschland einen Niedriglohnsektor brauchen.Ich bin der festen Überzeugung: Wir brauchen diesen Niedriglohnsektor,

(Norbert Schmitt (SPD): Für solche Abgeordnete!)

weil es nicht sein kann, dass Leute, die in Deutschland Arbeit suchen, keine Arbeit bekommen, weil diese Arbeit billig im Ausland gemacht wird. Wenn es Arbeit in Deutschland gibt, muss diese Arbeit auch in Deutschland gemacht werden; sie darf nicht im Ausland gemacht werden.

(Beifall bei der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Sie scheinen im Ausland denken zu lassen!)

Wir Liberale schlagen Ihnen ein Modell vor, das unserer Meinung nach Vorteile gegenüber einem Kombilohnmodell hat.Das Bürgergeldmodell ist eine Art Negativsteuer, die alle Sozialleistungen – ich habe es schon gesagt:es sind mittlerweile 150 Sozialleistungen – in einer Leistung zusammenfasst. Dabei geht es um die Menschen, Herr Kollege Holler,die kein Einkommen durch Arbeit haben.Die haben wir jetzt schon; Hartz-IV-Empfänger sind Leute, die, weil sie kein Einkommen haben, aber erwerbsfähig sind, vom Staat eine Hilfe bekommen. Das ist sozusagen kein Geld „für lau“, sondern wir haben in diesem Staat konstatiert, dass es Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Da sagen wir als Liberale: Ja, wir wollen Menschen, die in Notlagen sind, auch helfen.

(Beifall bei der FDP)

Ich weiß nicht, ob das die CDU seit heute anders sieht, aber ich glaube, dass sich eigentlich auch die CDU dafür ausgesprochen hatte, dass Menschen, die sozusagen kein Einkommen haben, die auch nicht arbeiten können, weil

sie keinen Job finden oder weil andere Probleme ihr Leben beherrschen, vom Staat Unterstützung bekommen. Das gibt es heute schon. Deshalb wundert es mich, dass das die CDU anders sieht.

Wir wollen genau diesen Bereich quasi zusammenfassen. Wir wollen alle staatlichen Leistungen in einer Leistung zusammenfassen. Die Leute, die keine Arbeit haben,müssen keine Steuern zahlen, sondern sie bekommen vom Staat eine Unterstützung. Das Ganze nennt sich Bürgergeld.

(Norbert Schmitt (SPD): Soll das auch für Bürgerinnen gelten?)

Ein weiterer Vorteil des Bürgergeldes ist, dass es sehr bürokratiearm ist.Während heutzutage 37 verschiedene Sozialbürokratien Leistungen ausbezahlen, wäre in Zukunft nur noch das Finanzamt dafür zuständig, diese Leistungen zu gewähren. Ich glaube, auch das wäre ein großer Fortschritt.

Wir glauben, dass das Bürgergeld den ganzen Arbeitsmarkt deutlich flexibler gestalten würde. Es ist ein gerechteres System, es ist transparenter, und es ist vor allen Dingen für die Menschen überschaubarer, die diese Leistungen in Anspruch nehmen. Es ist auch ein besseres System im Vergleich zum Kombilohn, weil der Kombilohn – Frau Ministerin, ich hoffe, dass Sie dazu noch ein bisschen etwas sagen werden; das ist ja ein sehr spannendes Thema –, was am Mainzer Modell bewiesen werden konnte, Mitnahmeeffekte schafft.

Herr Kollege, Sie müssten jetzt bitte zum Schluss kommen.

Ich bin bei 5 Minuten und 15 Sekunden; ich beeile mich. – Kombilohnmodelle schaffen eines: Jobs werden gefördert,Arbeitnehmer schaffen Jobs im geförderten Bereich, und die Jobs fallen später wieder weg.„Mitnahmeeffekte“ nennt man das Ganze. Diese Mitnahmeeffekte wollen wir nicht, wir wollen reelle Jobs – auf dem ersten Arbeitsmarkt, langfristig, nachhaltig – und keine kurzfristigen Jobs. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Rentsch. – Nun hat sich Frau Fuhrmann für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Fakt ist auch: Die FDP ist nicht in der Regierung, sondern in der Opposition.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja und? Sogar gewollt!)

Meine Damen und Herren, wir haben bereits einen umfangreichen Niedriglohnsektor – das ist auch Fakt –; den müssen wir nicht schaffen, Herr Kollege Rentsch. Ihr Beitrag hat wieder einmal bewiesen, dass die FDP von Sozialpolitik wenig versteht.Wir haben nämlich nicht die glei

che Diskussion wie vor zehn Jahren, als wir noch keinen ausgeprägten Niedriglohnsektor hatten, sondern wir haben heute einen Niedriglohnsektor. Das ist Fakt.

Wir liegen inzwischen sogar über dem EU-Durchschnitt. Die Studie der EU-Kommission weist allein für 2000 – neuere Zahlen habe ich jetzt nicht gefunden – bereits 15,7 % Niedriglohnbeschäftigte aus. Das IAB bezieht Mini- und Teilzeitbeschäftigte ein und kommt so auf 22 % der Beschäftigten. Der EU-Durchschnitt liegt bei 15,1 %.

(Nicola Beer (FDP): Und wie viel hat die SPD geschafft?)

Das ist Fakt, meine Damen und Herren.

Wir haben bereits verschiedene Kombilöhne – das ist erwähnt worden und ist vollkommen richtig –, auch das ist Fakt. Es gibt die unbefristeten Kombilöhne wie Mini- und Midijobs oder den anrechnungsfreien Zuverdienst zum ALG II. Neben diesen bundesweit gültigen Kombilöhnen haben wir zeitlich oder örtlich begrenzte Modellversuche gehabt, mit denen sich teilweise große Erwartungen verbunden haben. Ich erinnere an das Hamburger Modell, an das Mainzer Modell oder an den Start der Regierung Koch, die 1999 meinte, sie habe mit einem Kombilohnmodell den Königsweg zum Abbau der Arbeitslosigkeit gefunden.

Tatsache ist: Das Kasseler Kombilohnmodell ist gnadenlos gescheitert. Uns liegt seit einiger Zeit die Evaluation zu diesem Projekt vor. Es gab riesengroße Mitnahmeeffekte, es war extrem teuer und hat ganze 109 Menschen innerhalb von zwei Jahren in einen Job gebracht. Es war also ein Megaflop.

Angesichts dieser Ergebnisse wundere ich mich schon über vollmundige Ankündigungen von Koch und auch Frau Lautschläger, die sagen: Wir brauchen Kombilöhne, denn das senkt die Arbeitslosigkeit.– Das ist einfach nicht wahr. In Wirklichkeit fördern wir Lohndumping und rechtlose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Tatsache ist:Wir haben bereits heute ungefähr 7 Millionen Minijobberinnen und -jobber in Deutschland, davon fast 5 Millionen, die ausschließlich einen Minijob haben, und 1,8 Millionen, die zugleich sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.Wenn man so gerne auf die Beispiele von Großbritannien und den USA schaut, dann muss man sehen, dass dort die Arbeitslosenrate der Geringqualifizierten trotz Niedriglohnsektor – ich nenne das Stichwort „Working poor“ – wesentlich höher ist als in Deutschland, wo die Lohnunterschiede im Prinzip geringer sind.

Es ist kein Geheimnis: In Zeiten schwachen Wachstums ist die Anzahl gut bezahlter Jobs gering. Das führt gerade dort, wo es kein gutes Sozialsystem gibt – wie in den genannten Ländern –, dazu, dass höher qualifizierte Menschen niedrig bezahlte Jobs annehmen müssen, und zwar durchaus im Plural: Jobs. Man nennt sie „Working poor“.

Die einfache Formel, die uns die CDU teilweise präsentiert, lautet: Einfache, niedrig bezahlte Arbeit ist gleich Chance für Geringqualifizierte. – Das stimmt einfach nicht.

(Beifall des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Hier haben wir Zahlen: 64 % der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland haben einen qualifizierten Berufsabschluss –

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

64 %! – und 10 % von diesen sogar einen akademischen Abschluss.

(Norbert Schmitt (SPD): Und trotzdem!)

Demgegenüber hat ein Drittel der gering qualifizierten Menschen einen qualifizierten Job. So sind die Zahlen.

Es gibt Millionen Menschen in Deutschland, die am Monatsende nicht einmal 1.200 c und damit die Hälfte des deutschen Bruttoverdienstes in der Tasche haben und mit 1.200 c finanziell schlecht gestellt sind. Niedriglohnland Deutschland heißt: 35 % aller Vollzeitbeschäftigten erhalten weniger als 75 % des Durchschnittseinkommens. Das sind fast 7 Millionen Menschen. 4,5 Millionen erhalten zwischen 50 und 75 % des Durchschnittsverdienstes. Das ist die offizielle Armutsgrenze.

Deswegen sage ich: Wir haben zu viele ungesicherte Arbeitsplätze, und wir haben zu viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir uns dann auch noch die Tariflöhne von z. B. Wachpersonal – ungefähr 6 c – oder Beschäftigten im Reinigungsgewerbe – ungefähr 7,50 c – anschauen oder den skandalösen, weil niedrigsten Tariflohn in Deutschland überhaupt, nämlich den der Floristin in Thüringen mit 3,78 c pro Stunde, dann kann ich nur sagen:Wir brauchen Existenz sichernde Löhne, wir brauchen Mindestlöhne, wir brauchen Existenzsicherung für die Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Fuhrmann, auch Sie müssten jetzt bitte zum Schluss kommen.

Ich komme sofort zum Schluss. – Arbeit, Qualifizierung, qualifizierte Beschäftigung sind wichtig. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nicht durch Parkwächter,Tüteneinpacker, Pizzalieferanten oder McDonald’s-Jobs zu sichern.

Ich bin überzeugt davon: Die Bundesregierung wird lange und hart über dieses Thema verhandeln und zu guten Schlüssen kommen.Da bin ich ganz sicher.– Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Fuhrmann. – Für die Landesregierung hat nun Frau Sozialministerin Lautenschläger das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht sollten wir erst einmal grundsätzlich klären, worüber wir bei Kombilöhnen diskutieren. Kollege Bocklet hat angeführt, man brauche das alles nicht, das habe es alles schon gegeben.

(Petra Fuhrmann (SPD):Nein,das haben wir alles!)