Protocol of the Session on March 29, 2006

Meine Damen und Herren, das ist die Bilanz einer einzigen Januarwoche. Ich könnte Ihnen aus dem März – vor allem aus dem Kultusministerium – eine lange Liste solcher Bezeichnungen nennen. Ich sage Ihnen aber, wir sind da nicht besser. Meine Partei hat in Baden-Württemberg zu einer Stuttgarter Veranstaltung wie folgt eingeladen: Wir laden ein zu einem Meeting in die Konditorei „Old Liberal Candidate“. – Ich glaube, wir sind verrückt.

Meine Damen und Herren,das ist wirklich ein Sprachmüll ohne Ende.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Dieser Sprachmüll besteht aus Denglisch – einem schlechten Umgangsenglisch – und vor allen Dingen auch aus einer undifferenzierten Werbesprache. Lieber Herr Kauf

mann, dabei können wir nicht einfach sagen, wir halten uns heraus.Wir sind auch Vorbilder.Wenn das auch regierungsamtliches Deutsch sein soll, dann müssen wir alle etwas daran ändern.

(Beifall des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Damit meine ich nicht nur die Regierung, sondern auch den Hessischen Landtag. Ich meine die Hessische Landeszentrale für politische Bildung, die sich mit solchen „Sprachvorbildern“ besonders hervortut. Meine Damen und Herren, ich meine damit auch die Verwaltungen und die Beamtenschaft dieses Landes, die uns sozusagen als Ausweis von Kompetenz vorschreiben wollen, wie wir zu sprechen und zu schreiben hätten.

Eigentlich – und das ist das hessische „eigentlich“ – müssten wir nur einer Vorschrift folgen, die die Landesregierung in unterschiedlichen Fassungen in den letzten Jahren den Schülern und Jugendlichen in Hessen auferlegt hat. Aus dem Bildungsplan Deutsch für den Lehrplan des gymnasialen Bildungsgangs – und der kann in anderer Weise für alle Schulformen genauso gelten – heißt es: „Das Fach Deutsch ist der bevorzugte, aber nicht ausschließliche Ort für die sprachliche Aneignung der überlieferten Kultur und die Reflexion der eigenen Lebenswelt. Sein wesentliches Ziel ist die Erweiterung der Kompetenzfähigkeit, nämlich das Vermögen, Sprache in Wort und Schrift als Mittel der Darstellung und Mitteilung, als Medium und Gegenstand der Erkenntnis zu gebrauchen.“

Meine Damen und Herren, wir sollten uns alle an das halten, was wir unseren Schülern auferlegen, und zwar als Abgeordnete, als Minister, als Beamte und als Vorbilder in einer Erwachsenenwelt.

(Beifall bei der FDP)

Es genügt, wenn wir uns daran halten. Die deutsche Sprache hat in der Tat eine reiche, differenzierte Ausdrucksmöglichkeit.Wir müssen der Verhunzung unserer Sprache durch die Werbesprache,durch reißerische Medienvereinfachungen entgegenwirken: „Wir sind Papst!“, „Wir sind Kanzlerin!“, „Wir sind...“ Das gilt auch für die Einfügung von Anglizismen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wir sind Deutschland!“)

Natürlich: „Wir sind Deutschland!“, auch dieser Quatsch: „Wir haben fertig!“, und ich kann Ihnen noch eine ganze Menge weiterer Dinge erzählen.

Meine Damen und Herren, für mich – ich war einmal Deutschlehrerin und habe das sehr gern gemacht; ich liebe die deutsche Literatur – ist, wie Jean Paul formuliert hat, die deutsche Sprache die Orgel unter den Sprachen. Sie war für die Emigranten und die vertriebenen Dichter der vergangenen Jahrhunderte – wie Heinrich Heine, Georg Büchner, Thomas Mann und Bert Brecht und wie es uns auch der beeindruckende Reich-Ranicki mehrfach gesagt hat – Heimat. Das war das, was deutsche Literaten in die Emigration mitnehmen konnten. Sprache war etwas, was sie auch in der Fremde hat Heimat erfahren lassen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP) und Reinhard Kahl (SPD))

Meine Damen und Herren, unsere Sprache ist in dieser Entwicklung erst im Umbruch der Zeiten durch die Bibelübersetzung Martin Luthers entstanden. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir vorher so genannte Dialekte

hatten – die aber Regionalsprachen waren und die an den Stamm als die politische Einheit gebunden waren. Das waren Bajuwarisch, Alemannisch, Fränkisch, Sächsisch – und das Slawische kam dann noch dazu. Das waren Regionalsprachen.

Martin Luther hat die böhmische Kanzleisprache – eine Regierungssprache – für die Bibelübersetzung benutzt, und mit dieser Bibelübersetzung hat er erst eine Einheit der deutschen Sprache für uns alle gefunden.Damit hat er eine politische und kulturelle Teilung in Stämme endlich überwunden.

Mit der Literatursprache des 18. Jahrhunderts – der Klassik, Romantik und des Aufbruchs im 19. Jahrhundert – haben wir diese Sprache zu einer literarischen Blüte entwickelt, um die uns die Welt beneidet, genauso wie um die Musik, die darstellende und die bildende Kunst.

(Beifall des Abg. Michael Denzin (FDP))

Meine Damen und Herren, wir haben die Pflicht, diese Sprache als ein traditionelles Erbe nicht zu verhunzen und nicht aufzugeben.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Wir müssen das wirklich pflegen. Deshalb sage ich Ihnen: Auch die Volksvertretung des Landes Hessen ist kein Get-together einer Spaßgesellschaft, in der ein Sprachgulasch einfach nur so lässig benutzt werden kann. Sprache ist auch verräterisch. Sie zeigt unsere Verfasstheit, unsere Werte, unsere Grundsätze, unsere Sicherheit oder Unsicherheit.Wer sich seiner Kultur,seiner Identität und Sprache nicht mehr sicher ist, der zeigt in Wahrheit, dass er auch sich selbst in seiner Kultur schon zu einem Teil aufgegeben hat.

(Zuruf der Abg. Christel Hoffmann (SPD))

Ich halte das für eine äußerst gewichtige Haltung. Natürlich gibt es,wie im Mittelalter,die Notwendigkeit – damals aber war es die gebildete Schicht, nicht die Masse des Volkes –, eine Lingua franca sozusagen als eine Verkehrssprache zu sprechen; heute ist das das Englische.

(Zuruf der Abg. Christel Hoffmann (SPD))

Aber wir müssen beides beherrschen: unsere eigene Muttersprache mit ihrer reichen Vielfalt und die Verkehrssprache für eine globale internationale Verständigung, die aber selbst weiß, woher sie kommt.

Meine Damen und Herren,wer nicht mehr weiß,woher er kommt, der wird am Ende auch die internationale Verkehrssprache nicht beherrschen, sondern dieses Denglisch, dieses Sprachgemisch, das im Grunde nichts mehr von Kultur zeigt.

Lassen Sie uns deshalb beides fördern: die eigene Sprache – auch den eigenen Dialekt – und die englische Verkehrssprache. Wer Französisch und Latein kann, der ist zu beneiden, weil er dann noch weitere Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wagner. – Das Wort hat der Kollege Holzapfel, SPD-Fraktion.

(Gerhard Bökel (SPD): Wer ist eigentlich bei der Landesregierung zuständig?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In diesem Lande herrscht derzeit eine eigentümliche Arbeitsteilung: Der Kollege Lenz rettet die deutsche Sprache, aber wir haben durch die Beiträge der Kollegen von den GRÜNEN und der FDP hinreichend viele Beispiele dafür erhalten, in welcher Weise gerade diese deutsche Sprache durch Erklärungen der von der CDU-Fraktion getragenen Regierung vermüllt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß nicht, was der Hintergrund dieser Arbeitsteilung ist. Aber dem würde ich gerne einmal nachgehen. Leicht kann ich Ihre Fragen ergänzen: Weshalb haben wir eigentlich in der Landesvertretung von Hessen in Berlin neuerdings „Brentano Lectures”? Zuerst war ich noch entsetzter als hinterher.

Ich habe nämlich zuerst gedacht, es ginge um den Dichter Brentano aus der deutschen Romantik. Es geht aber um den deutschen Außenminister, doch das macht es eigentlich nicht besser.

(Heiterkeit)

„Brentano Lectures“ heißt das plötzlich.

Da haben wir einen Bericht der Landesregierung über dieses wunderbare Geschäft mit diesem E usw. usf. Der wird von vornherein überschrieben:„E-Government at its best“. Da wird schon gar nicht mehr erwartet, dass das irgendjemand in Deutsch überhaupt noch verstehen kann, sondern da wird ganz offensichtlich – das scheint mir der Hintergrund zu sein – in einer Art Imponiergehabe ein Sprachgestus vorgetragen, der dazu führen soll, dass die Leute nicht die einfache Frage stellen, ob die noch alle „Cups in the Cupboard“ haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wenn diese Debatte einen Sinn hat, dann sollte sie Konsequenzen haben, und dann sollte sie ernsthaft das aufgreifen, was eine Autorin aus Wisconsin, die ich im vergangenen Herbst betreut habe und die unsere erste Stipendiatin in Hessen im Rahmen eines Literaturaustauschs war, mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen hat: die Dominanz des Englischen in der deutschen Öffentlichkeit, mit der sie nicht gerechnet hatte. Sie hat sich am meisten über die deutschen Ausdrücke amüsiert, die englisch sein wollten. Da gibt es beispielsweise das schöne Beispiel Handy. Kein Engländer würde verstehen, was das ist. Das heißt im Englischen Cell Phone oder Mobile Phone. Der Body ist ein Bekleidungsstück, das kein Mensch im Englischen kennt, sondern nur wir im Deutschen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jeder versteht das Wort!)

Diese Beispiele könnte man beliebig fortsetzen. Das hat etwas damit zu tun – in meiner Generation hieß es früher: Chief (oder schief?) ist Englisch, und Englisch ist modern –, dass das ganz offensichtlich in der Tat der Versuch ist, sich bedeutend zu geben. Das kann in die Hose gehen.

(Heiterkeit)

Sie wissen, dass die Firma Douglas früher einmal eine Werbecampagne gemacht hat,die hieß:„Come in and find out”. Hinterher hat sich herausgestellt, dass die meisten,

die das gelesen haben, gedacht haben, das heißt: Komm rein und sieh, wie du wieder rauskommst.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ähnlich erging es übrigens SAT.1. Die hatten einmal als Werbespot „Powered by Emotion”, und das hat die ältere Generation mit „Kraft durch Freude“ übersetzt

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

und die jüngere mit dem nicht minder geistreichen Ausdruck „von Gefühlen gepudert”. Deshalb, denke ich, sollte man einmal überlegen, ob die, die das machen, auch wissen, was sie anrichten.

Aber natürlich hat die Sache einen ernsthaften Kern. Wenn schon auf Herrn Jung als Hoffnungsträger verwiesen worden ist – dem will ich mich uneingeschränkt anschließen –, dann würde ich ihm schon wünschen, dass er etwas mehr Erfolg hat mit der Durchsetzung der einfachen Einsicht, dass es schön wäre, wenn die Deutschen, wenn sie international auftreten, freundlicherweise auch deutsch reden würden.