Protocol of the Session on February 23, 2006

7.500 fünfjährigen ausländischen Kindern. 56,5 % der getesteten Kinder ausländischer Nationalität, also mit Migrationshintergrund, haben keine ausreichenden Deutschkenntnisse, die es ihnen erlauben würden, anschließend am Deutschunterricht oder überhaupt am Grundschulunterricht erfolgreich mitwirken zu können.

Wenn darüber hinaus die Ausbildungsquote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund innerhalb der letzten zehn Jahre von 44 % im Jahr 1994 auf 25 % im Jahr 2004 gesunken ist, ist dies eine Tatsache, die uns mit großer Sorge erfüllen muss. Wir dürfen nicht zusehen, wie im Grunde genommen ein Bildungsproletariat mit dramatischen Folgen für die Gesellschaft heranwächst.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb machen wir in Hessen das, was wir hier können. Wir haben in diesem Bundesland, um das einmal deutlich zu sagen, rund 1.000 Lehrerstellen für Sprachförderung in unterschiedlichster Form. Wir haben Deutsch-Vorlaufkurse eingerichtet, die auf Ihrer Seite politisch heftig umstritten waren und die heute ein Erfolgsmodell sind. Wir mussten uns von Ihnen vorhalten lassen, das sei eine Zwangsgermanisierung. Sie haben viel zu lange an der Fiktion des muttersprachlichen Unterrichts festgehalten. Wie aber wollen Sie muttersprachlichen Unterricht garantieren und gewährleisten, wenn Sie in einer Schule 20, 25 oder 30 Nationen haben?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das heißt, wir brauchen Deutsch als Verkehrssprache, Deutsch zur Verständigung,Deutsch zur Kommunikation, zum Abbau von Vorurteilen und zur Information.

(Beifall des Abg. Rüdiger Hermanns (CDU))

Meine Damen und Herren,was war eigentlich an der Herbert-Hoover-Realschule in Berlin-Wedding los? Warum hat es dort eine Vereinbarung gegeben? Das muss doch Hintergründe haben. Fakt ist zunächst einmal: 90 % der Schüler dort sind keine deutschen Muttersprachler.Wenn Sie nachlesen, was vor Ort gesagt wird, können Sie feststellen: Es hat in der Vergangenheit – auch aufgrund einer fehlenden Verkehrssprache – erhebliche Schwierigkeiten im Umgang miteinander gegeben. Daraufhin haben die Schulleitung,die Schulkonferenz,die Eltern und die Schüler einstimmig beschlossen: Wir machen eine Schulordnung.Wir wollen – das wollten auch die Schüler – auf dem Schulgelände grundsätzlich Deutsch sprechen.

Daran hat sich niemand gestört. Das Ganze ist schon eineinhalb Jahre alt. Erst die türkische Tageszeitung „Hürriyet“ hat das aufgegriffen.Dann kam der Türkische Bund und hat das kritisiert. Natürlich kam dann die Heulboje der Nation, Claudia Roth,

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Sehr richtig! – Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und erklärte, Schulhöfe seien keine Kasernenhöfe. Der Kollege Marco Pighetti hat am 7. Februar im „Wiesbadener Tagblatt“ erklärt, das sei der falsche, weil unpraktikable Weg; es könne schließlich nicht kontrolliert werden. Nadeem Elyas,der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sprach sogar von Sprachterror und Zwangsgermanisierung.

Das ist alles völliger Blödsinn. Hören Sie doch einfach einmal, was die Schüler – sie sind alle etwa 15 Jahre alt – selbst sagen. Ich will Ihnen nur vier Zitate bringen. Samir aus Bosnien erklärt: „Wir müssen uns ja irgendwie verste

hen. Ich verstehe halt nicht, was geredet wird, wenn die Arabisch sprechen. Es sind da 30 bis 40 Nationalitäten.“ Asad aus Pakistan sagt:„Wenn wir eine Lehrstelle wollen, müssen wir gut Deutsch sprechen.“ Ja, selbstverständlich; da hat er doch völlig Recht. Shoa aus Palästina sagt: „Wenn wir nicht Deutsch sprechen, fühlen sich andere ausgegrenzt, weil sie nicht verstehen, was wir sagen.“ Und Jennifer erklärt: „Wenn mehr Deutsch gesprochen wird, wächst auch das Niveau an und in der Schule.“ Deshalb sagen wir: Wenn sie das vor Ort selber wollen, lasst es sie doch machen. Das ist doch eine prima Geschichte.

(Lothar Quanz (SPD):Wer hindert sie denn?)

Wir wollen doch gar keinen Zwang, meine Damen und Herren. Wir wollen es fördern, lieber Herr Kollege Quanz.

(Lothar Quanz (SPD): Wer hindert denn die Schulen? Was soll denn das?)

Wir bekommen auch Unterstützung. Der Landeselternbeirat hat am 23. Februar erklärt, Deutsch als Schulhofsprache sei wünschenswert.

(Lothar Quanz (SPD): Eine solche Selbstverständlichkeit!)

Der Berliner Schulsenator Böger, SPD, hat gesagt – das finde ich hervorragend –: Jawohl, das ist eine gute Geschichte. – Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat das Gleiche gesagt. So könnte man auch noch einige andere zitieren; ich will es aus Zeitgründen nicht machen.

Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage von Frau Habermann zulassen.

Wenn ich am Ende noch Zeit habe, gerne.

(Zuruf von der CDU:Auf Deutsch!)

Sie sind schon fast am Ende, verehrter Kollege.

Was machen wir heute? Wir versuchen, etwas noch zu reparieren, was in dieser Republik über viele Jahre parteiübergreifend falsch gelaufen ist. Ich möchte zum Abschluss zwei Zitate bringen. Gerhard Schmid, Oberschulrat in Kreuzberg – so war in der „Welt“ am 30. Januar dieses Jahres nachzulesen –, hat gesagt:

Zwei Jahrzehnte verfehlter Integrationspolitik – das schreibt Schmid, der außerdem schulpolitischer Sprecher der Berliner CDU ist, sowohl der Union als auch Rot-Grün zu. Als wir in Berlin regiert haben, ist da auch nichts unternommen worden. Wir hatten ja auch Angst,als rechtsradikal verschrien zu werden.

So weit Herr Schmid.

Ich zitiere Johannes Rau, den Altbundespräsidenten, der im Mai 2000 vor falsch verstandener Ausländerfreundlichkeit warnte. Er warnte, die Konflikte zu leugnen, und

erklärte: Es ist kein Zeichen von Ausländerfeindlichkeit, wenn Lehrer und Schulleiter darauf achten, dass in der Schule Deutsch gesprochen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.

(Lothar Quanz (SPD):Wo ist das Problem?)

Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Notwendigkeit besteht, und wir appellieren an die Schulgemeinden, das zu machen, was in Berlin großartig läuft.

(Beifall bei der CDU)

Gerechterweise werden wir jetzt allen anderen Rednern eine Minute zusätzlich schenken. Herr Mathias Wagner, Sie haben für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

(Dorothea Henzler (FDP): Das war unser Antrag!)

Es gibt auch einen Antrag von den GRÜNEN. Herr Wagner muss nachher eine Beisitzerfunktion hier übernehmen. Deshalb hat er darum gebeten, zuerst an die Reihe zu kommen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Irmer, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, es gehe um den Abbau von Vorurteilen. Ich stelle fest: Sie haben dazu mit Ihrer Rede absolut keinen Beitrag geleistet. Wir haben in der Fraktion vorher darüber gesprochen, was denn von Ihnen hier vorgetragen wird. Ich hätte es wirklich nicht für möglich gehalten – so habe ich in der Fraktion argumentiert –, dass Sie das Thema allein auf Menschen mit türkischstämmiger Herkunft reduzieren. Ich hatte das wirklich nicht für möglich gehalten. Das zeigt: Ihnen geht es überhaupt nicht um die Sache, sondern Sie wollen Vorurteile schüren,Herr Kollege Irmer.Darum geht es Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU – die FDP auch – sagt und will, dass wir anregen, dass an allen Schulen in Hessen eine vergleichbare Vereinbarung wie an einer Berliner Schule getroffen wird. Da lohnt es sich, glaube ich, sich einmal anzuschauen, was die Herbert-Hoover-Realschule in Berlin eigentlich gemacht hat.

In der Schule haben vor gut einem Jahr Lehrerinnen,Lehrer, Schülerinnen, Schüler und Eltern in einem Dialog gesagt, dass sie eine Vereinbarung treffen, dass auf dem Schulhof Deutsch gesprochen wird. Dazu haben sie keine landesweiten Hinweise der CDU, der FDP oder von sonst irgendwelchen Politikern gebraucht. Im März 2005 hat auch keine Politikerin und keinen Politiker interessiert, dass die Schule das gemacht hat,sondern die Schule hat es in ihrer Eigenständigkeit,in ihrer eigenen Verantwortung, im Dialog der Schulgemeinde gemacht, und das ist auch der richtige Weg, dieses Thema zu handhaben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen einfach so,wie es die Berliner Schule gemacht hat, darauf vertrauen, dass an den Schulen mit diesem Thema verantwortlich umgegangen wird.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Genau!)

Was wir nicht brauchen, ist, dass wir das Thema jetzt politisch ausschlachten und versuchen, es politisch hochzuziehen und alle hessischen Schulen mit einer solchen Debatte zu überziehen.Das brauchen wir nicht.Wir sprechen in diesem Hause zu Recht gern, oft und viel über die selbstständige Schule. Dann muss man diese selbstständigen Schulen auch einmal ihre Arbeit machen lassen. Man muss ihnen vertrauen, und man muss ihnen etwas zutrauen. Deshalb braucht es da keine Appelle von CDU und FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Warum es gut ist, dass sich die Politik aus dem heraushält, was an den Schulen in diesem Punkt gemacht wird, zeigt schon das Beispiel der Herbert-Hoover-Realschule. Denn dort wird mit der Vereinbarung ganz vernünftig umgegangen. Ich zitiere aus einem Interview mit der Leiterin der Schule in der „Tageszeitung“ vom 24. Januar 2006. In dem Artikel heißt es: Penibel durchgesetzt wird das Verbot nicht, und es gibt auch keine Strafen. In der Pause, räumt Steinkamp – das ist die Schulleiterin – ein, werde nicht nur Deutsch gesprochen. Wenn ein Lehrer an einer Gruppe vorbeigeht, die Türkisch spricht, sagt er, sie sollen Deutsch sprechen, berichtet Steinkamp.Wenn der Lehrer weitergeht, wird auch hier wieder Türkisch gesprochen und wahrscheinlich andere Sprachen auch. – So vernünftig geht die Schule damit um. Deshalb taugt es überhaupt nichts, mit diesem Thema parteipolitische Süppchen kochen zu wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Welchen Sinn soll es denn haben, an über 2.000 Schulen in unserem Land jetzt eine solche Debatte anzuzetteln? Welchen Sinn soll das denn an all den vielen Schulen machen, die überhaupt kein Problem mit der Umgangssprache auf den Schulhöfen haben? Welchen Sinn soll das an all den Schulen machen, die einen relativ geringen Migrantenanteil haben? Welchen Sinn soll es vor allem an all den Schulen machen, die jetzt schon gesagt haben, sie halten die Debatte für unnötig und überflüssig? Weshalb sollen wir damit über 2.000 Schulen in unserem Land beschäftigen? Meine Damen und Herren, das frage ich Sie allen Ernstes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Irmer,da lohnt auch einmal ein Blick auf die Zahlen, um zu sehen, warum es so unsinnig ist, alle Schulen damit überziehen zu wollen. Wir haben an den Schulen in Hessen bei den bis zu 15-Jährigen einen Migrantenanteil – ich nenne die Zahl aus der PISA-Studie – von 30,4 %.

In der Erhebung der PISA-Studie wird gesagt, dass von diesen 30,4 % 46 % deutschsprachig sind.Weitere 37,2 % sind mehrsprachig, beherrschen also die deutsche wie ihre Heimatsprache in gleichem Umfang. Allein 12,3 % werden als fremdsprachig eingestuft. Um diese Personen geht es,um 12,3 %.Sie wollen über 2.000 Schulen in Hessen damit überziehen, eine solche Debatte zu führen. Das zeigt: Da spielen ganz andere Motive eine Rolle.