Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht wiederholen, was die Kollegen zu Recht gesagt haben. Das Thema der aktiven Sterbehilfe ist geklärt, aber die Diskussion über die Grenzsituation hat neu begonnen. Ich möchte darauf hinweisen, weil wir das in unserer Erörterung sehr
gut aufnehmen können,dass die beiden großen Kirchen in einer eigenen Vorlage für eine christliche Patientenverfügung wie auch in einer von beiden im Januar letzten Jahres getroffenen Entscheidung ganz klar gesagt haben:Wir lehnen die aktive oder direkte Sterbehilfe nach wie vor ab, die strafbewehrt ist, aber wir reden über passive Sterbehilfe. – Diese definieren beide Kirchen wie folgt: Die passive Sterbehilfe zielt auf ein menschenwürdiges Sterbenlassen insbesondere dadurch, dass eine lebensverlängernde Behandlung, z. B. künstliche Ernährung, künstliche Beatmung, Dialyse oder Verabreichung von Medikamenten wie Antibiotika, bei einem unheilbar kranken Menschen nicht weitergeführt oder gar nicht erst aufgenommen wird. Sie setzt sein Einverständnis voraus und ist rechtlich-ethisch zulässig.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen etwas schildern, was ich Ende September dieses Jahres zusammen mit einer Gruppe junger FDP-Leute im Main-Kinzig-Kreis erlebt habe. Ich habe ein Pflegeheim besucht, in dem folgende „Arten“ von Kranken – ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch auf die Sprache lenken – untergebracht waren: Demenzkranke, Komakranke, pflegebedürftige Menschen und so genannte „Austherapierte“. Diese Bezeichnung hatte ich noch nie gehört. Sie klingt, als würde man Menschen nicht mehr als Lebewesen, sondern als Gegenstände bezeichnen.
In diesem Pflegeheim ist auch ein Mädchen untergebracht, dass mit 14 Jahren einen Fahrradunfall hatte, seit 20 Jahren im Koma liegt und in dem Heim ver- und „ent“sorgt wird. Bei diesem Mädchen kann man nicht voraussetzen, dass ein Einverständnis zur Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen vorliegt. Wie ist dann zu verfahren?
Indirekte Sterbehilfe wird dann geleistet, wenn Sterbenden ärztlich verordnete, schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen können. Eine solche indirekte Sterbehilfe wird in Abwägung der ärztlichen Doppelpflicht, Leben zu erhalten und Schmerzen zu lindern, für rechtlich und ethisch zulässig gehalten.
Meine Damen und Herren, es gibt Länder auf der Erde, die über diese Abgrenzung weit hinausgehen.Wir kennen die gesetzlichen Regelungen der Staaten Kalifornien und Oregon sowie der Niederlande, Belgiens und auch der Schweiz, die weit über das hinausgehen. In Deutschland gibt es, vielleicht zu Recht, einen sehr viel größeren Abstand und eine sehr viel größere Abwehr, weil wir erlebt haben, wie in der Nazidiktatur mit dem Leben umgegangen worden ist. Das betraf auch das ungeborene Leben und Säuglinge,genauso wie alte und sterbende Menschen.
Wir müssen aber über diese Abgrenzungsfragen juristischer und gesellschaftlicher Art und über diese ethischen Fragen neu nachdenken, weil es – diese Diskussion ist auch in meiner Partei voll entbrannt – eine große Zahl einsam sterbender Menschen gibt, die niemanden mehr haben, weder Kinder noch andere Angehörige.
Deshalb will ich Ihnen die Bandbreite der Diskussion darstellen, die im Augenblick in meiner Partei geführt wird. Es gibt niemanden, der das Verbot der aktiven Sterbehilfe abschaffen will. Hierzu gibt es klare gemeinsame Vorstellungen.Es gibt aber durchaus eine Überlegung,die z. B. Frau Leutheusser-Schnarrenberger so formuliert hat:
Ich setze mich dafür ein, dass der Straftatbestand „Tötung auf Verlangen“ abgeschafft wird. Nur in Einzelfällen, unter ganz bestimmten Voraussetzun
gen, sollte die Hilfe zum Sterben nicht bestraft werden. So genannte Strafausschließungsgründe, wie in Holland... könnten mehr Sicherheit für Angehörige, Pflegepersonal und Ärzte schaffen.
Ich sage für meine Fraktion, für mich persönlich und für die große Mehrheit der FDP-Mitglieder, dass wir eher dem zuneigen, was Dr. Burkhard Hirsch, der vormalige Bundestagsvizepräsident, so formuliert hat:
Es geht um eine klare Abgrenzung der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung und der strafbaren Tötung auf Verlangen. Das geltende Recht ist relativ großzügig,ohne die vorsätzliche Tötung eines Menschen zu rechtfertigen. Straflos ist, jemandem, der sich selbst töten will, ein schmerzlos und schnell wirkendes Gift zu besorgen.Wer als Arzt eine den Tod herbeiführende Patientenverfügung befolgt und die Behandlung einstellt, bleibt straffrei. Straffrei bleibt der Arzt, der das Sterben eines Patienten nicht mit allen Mitteln verlängert.
Um den Anfängen zu wehren, bin ich dafür, dass es keine weitere strafrechtliche Auffächerung oder Schwächung der bisherigen Situation gibt.
Auch mit der Konstruktion der Patientenverfügung, die Herr Rhein zu Recht angesprochen hat, sind die Probleme nicht immer zu lösen, z. B. in den Fällen nicht, wenn ein Patient seinen Willen nicht äußern kann. Können dann Vormundschaftsgerichte oder die Angehörigen Entscheidungen treffen? Burkhard Hirsch sagt zu Recht:
Der Arzt sollte sich auf keine Norm berufen können, sondern sich allein seinem Gewissen und seinem Gott gegenüber verantworten.
Das heißt, es bleibt am Ende die individuelle Entscheidung einer Person. Ich sage aber für mich und für meine Fraktion ganz deutlich – das hat auch Dieter Posch vorhin auf den Punkt gebracht –: Es bleibt wie beim § 218 StGB eine persönliche Entscheidung.Beim § 218 StGB muss die betroffene Frau entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft unterbrechen will oder nicht. Es ist ihr Schuldproblem, es ist ihr Entscheidungsproblem.
Der Vergleich ist zwar ein bisschen schwierig, aber für Juristen und Innenpolitiker ist das ein ähnlicher Fall wie der Umgang mit dem so genannten finalen Rettungsschuss. Es geht dabei um den Umgang mit dem Leben und um eine Entscheidung, die am Ende ein Einzelner zu treffen hat. Es bleibt, trotz aller strafrechtlich klaren Definitionen, ein persönlich zu tragender Teil an Verantwortung.
Es bleibt die Möglichkeit, im Sinne des Strafrechts eine Schuldausschließung in solchen Grenzfällen auszusprechen, z. B. über eine Patientenverfügung, z. B. über eine Novellierung des § 218 StGB. Ich bin der Auffassung, das ist nicht notwendig,und dieser Meinung ist auch die große Mehrheit in meiner Fraktion.
Lassen Sie mich zum Schluss auf einen Punkt hinweisen, der mir genauso wichtig ist. Ich weiß nicht, ob auch einige von Ihnen vor kurzem den Brief eines Angehörigen eines Verstorbenen erhalten haben, der sich mit dem Thema Umgang mit Sterbenden und gerade verstorbenen Patienten in Krankenhäusern auseinander setzt. Ich habe mit der Frau Sozialministerin über diesen Brief korrespondiert, und ich bin sehr dankbar über ihren Umgang mit dieser Angelegenheit.
Ich will Ihnen aus einem Gespräch mit Kardinal Lehmann Folgendes berichten. Es gibt Krankenhäuser, die sich, mit entsprechender medizinischer Ausstattung hochgerüstet, mit sehr hohem Aufwand sterbenden Patienten zuwenden. Nach Eintritt des Todes der Patienten werden diese aber räumlich in einer Weise untergebracht, die nichts mehr mit der würdigen Behandlung eines Lebewesens oder überhaupt eines Wesens zu tun hat. Erst wenn der Bestatter kommt, beginnt wieder eine Zuwendung zu den gerade verstorbenen Menschen im Sinne eines würdigen Umgangs mit einem Wesen. Kardinal Lehmann hat mir erzählt, dass er bei einer seiner Visiten in einem der Krankenhäuser eines katholischen Trägers entdeckt hat, dass dort gerade verstorbene Patienten so untergebracht wurden, dass man das nur als „Entsorgung“ bezeichnen konnte. Meine Damen und Herren, Sprache ist oft ein Indiz für unseren Umgang mit dem Leben und mit dem Tod.
Deshalb ist es richtig, dass Frau Lautenschläger alle Krankenhausträger in Hessen darauf hingewiesen hat, sie mögen darauf hinwirken,dass es in ihren Krankenhäusern einen würdigen Umgang mit sterbenden und verstorbenen Patienten gibt. Ich glaube, dass dieser Vorgang – auch in sprachlicher Hinsicht, ich erinnere an die Bezeichnung „Austherapierte“ – zeigt, dass unsere gesamte gesellschaftliche Einschätzung des Lebens an einem fitten, sportlichen, auf Erfolg getrimmten, auf ökonomischen Fortschritt gerichteten 30- bis 50-jährigen Menschen ausgerichtet ist. Das ist unmenschlich.
Wenn der Hessische Landtag etwas dazu beitragen kann, dass das Alter und die Erfahrung von Leid und Schmerz – ich weiß, wovon ich rede, ich habe viele, viele Kolleginnen und Kollegen sowie Freundinnen, die allesamt über 70 Jahre alt sind und die mit solchen Krankheiten zu tun haben, und man weiß auch nicht, was auf einen selbst zukommt oder was man in der Begleitung von Schwerkranken zu tragen haben wird – einen Wert erhalten und mittels eines Symposiums ein großes Nachdenken in der hessischen Gesellschaft über die Würde des Sterbens und des Lebens einsetzt, dann hätten wir schon viel geleistet. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, zu diesem Thema Ausführungen aus einem Blickwinkel beizutragen, der den des rechtspolitischen Ausschusses ein bisschen verlässt.
Frau Wagner hat eben ein Zitat aus einem Entscheidungsprozess gebracht. Es lautete: „Heute geht niemand ohne Schuld aus dem Saal.“ Ich hatte in meinem Berufsleben Momente, in denen ich, jenseits aller juristischen Fragen, durchaus das Gefühl hatte: Heute geht niemand ganz ohne Schuld von der Station.
Denn die Fragen, wann die Konsequenzen solcher Wünsche über die Gestaltung des Endes des Lebens zu treffen sind,wann denn der Moment erreicht ist,ist einer,dem ich in früheren Jahren regelmäßig sehr konkret gegenüberstand.
Was heißt das eigentlich, wenn ein Patient gesagt hat: „Ich möchte nicht an den Schläuchen sterben“, er einem aber nicht mehr erklären kann,ob der jetzige,ein früherer oder ein späterer Punkt einer sich schrittweise vollziehenden Entwicklung gemeint ist? Ist denn der Moment,in dem jemand den Wunsch äußert, man wolle nicht mehr weiterleben, und nach Hilfe nicht mehr beim Leben, sondern zum Sterben verlangt, einer, der unweigerlich auf einen zukommt? Das Gesetz in seiner Klarheit, Strenge und Ordnung trennt Fragen sehr sauber – oder versucht es –, die im wirklichen Leben niemals so klar, sauber und einfach zu lösen sind.
Das ist ein Thema, das die Angst von jedermann vor dem Sterben berührt – deshalb ist das eine schwierige Debatte, die immer wieder aufkommt –, und es berührt auch die Angst derjenigen vorm Sterben, die mit der Behandlung von Patienten befasst sind. Auch die stehen tagtäglich ihrer eigenen Angst gegenüber.
Deshalb ist das Recht nötig. Aber in Wahrheit kommt es zu spät. Denn die Fälle, in denen das Gesetz die aktive Hilfe beim Sterben verbietet, sind entweder solche, die – wenn wir ehrlich sind – so tragisch sind, tragisch im Sinne der klassischen Tragödie, im Sinne der Frage, dass man sich nur zwischen zwei Varianten von Falsch entscheiden könnte, dass es in Wahrheit an der Wirklichkeit scheitern muss. Oder es kommt tatsächlich zu spät und ist in seiner Notwendigkeit gar kein rechtspolitisches Problem, sondern ein medizinisches und beweist, dass ein Medizinsystem möglicherweise Empathie nicht erträgt – jedenfalls nicht in dem Umfang, in dem sie manchmal erforderlich wäre.
Die Motivation, die es so schwer macht, mit Momenten des Todes, der Beendigung, der Einstellung von Maßnahmen oder gar der Hilfe umzugehen, ist ja Mitleiden, also das Teilhaben am Leiden des Gegenübers. Aber dieser Punkt setzt jedenfalls im medizinischen System viel zu oft zu spät ein. Die Klage, wir hätten Humaningenieure und keine Ärzte, trifft nicht für jeden zu und darf nicht pauschaliert werden. Aber sie trifft es. Die sind dann im letzten Moment ohnehin überfordert, aber sie waren es schon lange zuvor.
Woher kommt das? – Frau Wagner hat in mehreren Beispielen auf den Zynismus verwiesen. Es waren ja zynische Beispiele,zynische Begrifflichkeiten,von denen es im Medizinsystem ganz viele gibt; sie sind vorhanden, und es wäre völlig verfehlt,so zu tun,als gäbe es sie nicht.Sie sind auch manchmal nötig. Für den Einzelnen, der täglich dem Leiden anderer gegenübersteht, sind sie
einen Moment lang hilfreich. Das Problem ist also nicht die Verdammung eines Zynismus, der das Leiden erst zu spät erkennt und dann eine Situation erzeugt, in der das Leiden so furchtbar wird, dass einem nichts anderes mehr übrig bleibt,als nach dem Ende zu rufen.Der Zynismus ist nicht vorwerfbar.Aber er ist veränderbar.
Ich glaube, das ist das eigentliche Problem hinter der Frage: verwiesen nach einem Konzept von Medizin, Pflege,Hilfe für Schwerstkranke und nach einem Problem in der persönlichen Entwicklung derer, die das tun.
Das Recht kommt viel zu spät. Was wir tatsächlich tun müssten, ist, diejenigen, die immer wieder in der Situation dem Leidenden gegenüberstehen – und zwar zu einem frühen Zeitpunkt, in dem die Intervention am Leiden und
nicht am technisch Machbaren ausgerichtet ist –, in die Lage zu versetzen, auf den Zynismus zu verzichten.
Es geht darum, diese Menschen in die Lage zu versetzen, dass die täglich notwendige Empathie zu ertragen ist. Das ist sehr, sehr schwer. Sie sollten in die Lage versetzt werden, die Entscheidungshilfe, die der Einzelne braucht, um am Ende auch eine Patientenverfügung zu produzieren, zu geben. Das heißt, sie sollten in die Lage versetzt werden, über das Sterben zu sprechen.
Deshalb möchte ich anregen, dass wir den Gegenstand des heute zu beschließenden Symposiums auch in Abstimmung mit dem Sozialpolitischen Ausschuss in seinen Details diskutieren, um nicht nur der Frage nachzugehen, was die rechtlichen Probleme in dem Moment sind, in dem das Recht gefordert ist, sondern sehr viel tiefer und schwieriger: Wie können wir sehr viel früher dazu beitragen, die Momente, in denen man auf das Recht zurückgreifen muss, gar nicht entstehen zu lassen? – Danke schön.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicola Beer (FDP))
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, Sie stimmen mir zu: Gleichgültig, was die heutige Landtagsdebatte noch bringen wird, diese eine Stunde, in der wir uns mit der Frage beschäftigt haben, hat sich in jedem Fall für diesen Landtag – und, ich glaube, auch für Hessen – gelohnt.
Wir suchen im Landtag insbesondere das Trennende, und wir versuchen, das sehr deutlich zu machen, damit das draußen gesehen, gespürt und nachvollzogen werden kann. Ich glaube, es ist aber auch eine wichtige Botschaft, dass es in diesem Landtag Dinge gibt, in denen man sich einig ist. Eigentlich sind das die ganz wichtigen Fragen.