Protocol of the Session on November 23, 2005

Es wurde ja jeweils die Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes ausgerufen. Deshalb war der Haushalt nicht verfassungswidrig,...

Er meint damit das Jahr 2004. Meine Damen und Herren, das widerspricht nun fundamental dem, was Sie eben vorgetragen haben.

Weil ich beim Haushalt bin, will ich daran erinnern – vielleicht schauen einige dann auch in das sehr umfangreiche Vertragswerk –, dass dort eine ganze Menge zur Konsolidierung des Haushalts mit Blick auf 2006, aber erst recht mit Blick auf das Haushaltsjahr 2007 unternommen wurde: ob das die Verwaltung ist, ob das verschiedene Fördertatbestände sind, ob das die Grundsicherungsmaßnahmen im Bereich Hartz IV sind,ob das strukturelle Fragen im Bereich der Arbeitsverwaltung sind, ob das Steuervergünstigungen sind, ob das alle Ressorts und die Einsparungen in den Budgets der Ressorts sind.

Dort gibt es einen zweistelligen Milliardenbetrag als Einsparsumme, die wir mit Blick auf konjunkturelle Notwendigkeiten für vertretbar halten, die wir auf der anderen Seite haben. Wir können nun einmal nicht alles, was wir nur durch die Haushaltsbrille sehen, eins zu eins umsetzen, weil wir die Implikationen bei der Wirtschaftspolitik, beim Wachstum kennen. Das heißt, wir investieren gleichzeitig auch in Verkehrsinfrastruktur, in Forschung und andere Bereiche, von denen wir glauben und glauben müssen, dass sie zukünftig noch bedeutender für Wachstumsimpulse in der deutschen Wirtschaft werden.

Herr Al-Wazir, insofern ist das, was Sie zur Mehrwertsteuer sagen – das geht auch ein bisschen in Richtung der FDP –, dass wir es nur über die Steuereinnahmen machten, durchaus da und dort eine Milchmädchenrechnung. Entschuldigung, wenn ich das so sage. Wenn Sie Kürzungen vornehmen, wie das immer in virtuellen Debatten vorgeschlagen wird, Stichwort: Subventionsabbau, haben Sie immer auch eine Wirkung im Portemonnaie der Betroffenen. Ich hätte gerne erlebt, was Sie gesagt hätten, wenn Sparmaßnahmen im öffentlichen Personennahverkehr über das hinaus, was jetzt auf dem Tisch liegt, stattgefunden hätten.

Der Öffentlichkeit muss man hin und wieder sagen – ich nehme das Beispiel gerne, weil fast jeder davon irgendwann einmal betroffen ist –: Wir sind dort mit 50 % subventioniert. Wenn Sie die Subventionen völlig streichen, verdoppeln Sie die Fahrpreise. Bitte, wo ist da der Unterschied im Portemonnaie des betroffenen Fahrgastes,wenn es um Mehrwertsteuer auf der einen Seite und Subventionsabbau auf der anderen Seite geht? Ich finde diese Diskussion häufig nicht redlich.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben einen falschen Subventionsbegriff, jedenfalls beim ÖPNV!)

Ich will einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen, der mir in diesen Tagen ein wenig zu kurz kommt, nachdem wir im Wahlkampf häufiger darüber gestritten haben.Wir müssen uns in diesen Tagen mehr als bisher mit der Frage beschäftigen, welche Rolle Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht zukünftig in der Welt spielen wird. Schauen Sie, was an anderer Stelle passiert. Schauen Sie, was in Fernost passiert. Wir hatten in der letzten Woche den European Finance Congress in Frankfurt mit namhaften Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Finanzdienstleistungswelt.Wenn Sie den Menschen aus Malaysia, den Menschen aus China und den Verantwortlichen und Fachleuten aus Indien zuhören, dann hören Sie, dass China das Problem hat, Wachstum zu dämpfen. China hat ein weiteres Problem. Es bräuchte eigentlich 70.000 oder 80.000 Manager, ist aber nur in der Lage, jährlich 5.000 bis 6.000 auszubilden. Die Chinesen bilden pro Jahr 400.000 Ingenieure aus. Die Inder bilden jährlich 560.000 Ingenieure aus.

Wenn Sie all das sehen und wissen, dass dort unglaublich viel beim Kompetenzaufbau passiert und auf der anderen Seite dort Industriestrukturen bestehen, die von der Kostenseite vergleichbar sind mit Strukturen, wie wir sie in Europa vor 60, 70 oder 80 Jahren hatten, dann müssen wir erkennen, dass das eine Herausforderung ist, vor der man nicht weglaufen darf, sondern der man sich stellen muss.

Ich will gleich dazu sagen:Wir sind im Grunde genommen gut aufgestellt. Wir haben viele Assets, die man auch im internationalen Bereich nutzen können wird. Wir haben gute Strukturen. Wir haben eine gute und breit ausgebildete Facharbeiterschaft.Wir haben eine hervorragende,in der Fläche sehr gut aufgestellte Hochschullandschaft, und wir sind immer noch das Land der Erfinder. Aber wir müssen wieder ein Land werden, das nicht nur Dinge erfindet, sondern das diese Dinge auch vor Ort produziert. Deswegen brauchen wir eine Reihe von strukturellen Veränderungen in der Wirtschaftspolitik und der Arbeitsmarktpolitik – damit nenne ich die beiden wesentlichen Punkte –, um uns in diesem Wettbewerb behaupten zu können.

Wenn jetzt Kritik geübt wird – ich schaue in die Reihen der FDP, die zu Recht das eine oder andere bemängelt –,

(Dieter Posch (FDP): Sehr richtig!)

dann will ich sagen: Es ist auch gestern, als wir zum Föderalismus diskutiert haben, immer wieder das Wort Kompromiss angeführt worden. Herr Posch, ich möchte daran erinnern, dass wir unser Wahlziel, mit CDU und FDP gemeinsam eine Mehrheit zu stellen, nicht erreicht haben.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich möchte gleichzeitig daran erinnern, dass ein Koalitionsvertrag ein Vertrag ist, den wir einhalten wollen und einhalten müssen, weil die Menschen darauf vertrauen

wollen, dass wir das jetzt abarbeiten. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, bedeutet aber nicht das Ende des Denkens. Herr Al-Wazir, Sie haben heute Morgen das Thema Atomausstieg angesprochen. Das haben wir jetzt festgeschrieben, wie Sie gelesen haben.Aber ich bin sicher, dass man an vielen Stellen am Ende, mit guten Argumenten bewaffnet, das eine oder andere wird diskutieren müssen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deswegen will ich sehr deutlich machen, dass wir in diesem Vertrag eine ganze Reihe von wichtigen Schritten auf dem Papier haben, ob das Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung mit einem Ziel von 3 % des Bruttosozialprodukts sind, ob das der Bereich der Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen ist, ob das die Beispiele in Richtung Arbeitsmarktpolitik sind, dass wir – das war ein wichtiger Punkt der CDU – den Haushalt zukünftig als Arbeitgeber so stellen wollen, dass Menschen ordentliche Beschäftigungsverhältnisse finden, ob das Verbesserungen für den Mittelstand mit Blick auf Abschreibungen für die nächsten zwei Jahre sind, ob das eine verbesserte Erbschaftsteuerregelung ist.

Ich glaube, das ist ein Thema, bei dem wir von vornherein sehr nahe beieinander waren, weil wir dort ein riesengroßes Problem vor uns hertragen. Denn Hunderttausende mittelständische Betriebe sind heute nicht in der Lage,die Erbschaftsteuerzahlungen zu leisten, ohne Strukturen ihres Betriebes zu zerstören. Dies zu bewältigen ist für mich einer der wichtigsten Punkte, insbesondere wenn es um den Wettbewerb der mittelständischen Wirtschaft geht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es geht auch um Verbesserungen beim Kündigungsschutz. Man kann darüber streiten, ob das der große Wurf ist, Herr Posch.Aber ich sage noch einmal, wir wollten mehr, und Sie wissen, dass wir mehr wollten. Es gehört eben dazu, dass man feststellt, dass wir im Wahlkampf ein Programm unter der Rubrik aufgestellt haben: „Wenn wir diese Wahl gewinnen,...“ – Wir haben sie nicht gewonnen, jedenfalls nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Deswegen finde ich es an einigen Stellen unredlich, von Wahllüge oder Wahlbetrug zu reden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns aufpassen, dass wir mit der Inflationierung dieser Vokabeln am Ende nicht das Vertrauen der Menschen zerstören, das sie noch in Politik haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass mit diesem Koalitionsvertrag Vertrauen geschaffen werden konnte. Es muss unser gemeinsames Interesse sein, auch das Interesse der Oppositionsfraktionen im Hessischen Landtag, aber auch das Interesse der Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag, dass wir dieses Vertrauen zurückgewinnen.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Deswegen lassen Sie uns über die Inhalte streiten, lassen Sie uns über die Sache reden.Aber nehmen wir bitte Abstand davon, dass sich Politik gegenseitig ständig neu diskreditiert.

Herr Präsident, einen allerletzten Satz erlauben Sie mir bitte noch zu sagen. Ich glaube, es haben viele überlesen,

aber für mich persönlich und für die CDU ist ein wichtiger Satz in diesem Papier, dass wir an einer entscheidenden Stelle feststellen, dass wir bei der Außenpolitik etwas wieder gutzumachen oder in der Pointierung zu verändern haben.

Ich freue mich, dass in diesem Koalitionsvertrag steht, dass wir die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika entscheidend verbessern müssen, dass diese Beziehungen einer neuen Belebung und eines neuen Vertrauens bedürfen. Ich freue mich darüber, weil ich glaube, dass die freiheitlichen Werte, die wir in diesem Lande auch in der Wirtschaftspolitik haben, sehr viel mit unserer historischen Freundschaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika zu tun haben.Deswegen finde ich es eine schöne Abrundung des Programms, dass dies klar zum Ausdruck gebracht wird. Es wird zum Ausdruck gebracht von einer neuen Bundesregierung, und ich bitte Sie, an jeder Stelle um Vertrauen für diese Regierung zu werben, weil dieses Land wieder mehr Vertrauen in Politik braucht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen AlWazir das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, mit dem Wort „Wahlbetrug“ bin ich nicht so schnell bei der Hand,

(Michael Boddenberg (CDU): Das haben Sie gesagt!)

weil ich weiß, dass, wenn zwei Koalitionspartner sich diametral widersprechende Aussagen machen, am Ende nicht das herauskommen kann, was der eine oder der andere gesagt hat.Wenn sich die Aussagen diametral widersprechen und am Ende weder das eine noch das andere herauskommt, stimmt irgendetwas nicht, Herr Boddenberg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch etwas zu den Punkten gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht und Verfassungsgemäßheit sagen. Deswegen habe ich mich eigentlich gemeldet. Fritz Kuhn hat völlig Recht: Die Verfassung wird den Buchstaben nach jetzt wieder eingehalten.

Ich habe davon gesprochen, dass die Koalitionspartner – vor allem die CDU; das fing bei Meister und Kampeter an und hörte bei Koch auf – die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine Woche lang bewusst nicht ausrufen und stattdessen einen explizit verfassungswidrigen Haushalt vorlegen wollten. Man hat vielleicht die Regeln der Mediendemokratie – also das System Metz – einigermaßen verstanden, die nach dem Motto „Das ist eine Erblast, an allem sind die anderen schuld“ funktioniert. Aber man hat keinen Respekt vor der Verfassung. Ich glaube, das ist das eigentliche Problem, mit dem wir es in diesem Zusammenhang zu tun hatten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Norbert Schmitt, SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich Ihnen sagen: Die SPD muss unter der Koalitionsvereinbarung nicht leiden wie ein Hund. Wir erstarren auch nicht vor Ehrfurcht, wie das eine Dame eingefordert hat. Wir machen keine Luftsprünge vor Freude; aber wir müssen jetzt auch nicht in Sack und Asche gehen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Was macht ihr denn nun? Erzähl mal!)

Vielmehr gibt es eine relative Zufriedenheit.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Ach ja!)

Herr Hahn, wenn Sie etwas von Fußball verstehen, wissen Sie, dass man sagen könnte: Es gibt eine kontrollierte Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Koalitionsvereinbarungen.

(Beifall bei der SPD)

Die Koalitionsvereinbarungen sind eine gute Grundlage für eine Bundesregierung, die sich zum Ziel setzt, gemeinsam für Deutschland zu handeln, um es nach vorne zu bringen: mit Mut und Menschlichkeit – das ist die Überschrift des Koalitionsvertrags –, mit Entschlossenheit und, was für uns ganz wichtig ist, auch mit sozialer Verantwortung.

Es ist völlig klar, dass eine solche Koalitionsvereinbarung immer einen Kompromiss darstellt. Dazu muss man sagen, dass wir unser glänzendes Programm natürlich nicht völlig unzerkratzt durch die Koalitionsverhandlungen gebracht haben. Ein paar Kratzer gibt es schon. Darauf hat Herr Al-Wazir hier hingewiesen; das ist sein gutes Recht. Dazu gehören die Mehrwertsteuererhöhung und die Tatsache, dass wir die solidarische Bürgerversicherung zunächst einmal nicht durchsetzen konnten. Über den Föderalismus und darüber, wie das an der einen oder anderen Stelle zu bewerten ist, haben wir gestern diskutiert. Es hat Kratzer an unserem glänzenden Programm gegeben.

Aber meinen grünen Freunden – wenn ich sie so bezeichnen darf – sage ich: Wir hatten zunächst das Gefühl, dass der Antrag darauf angelegt war, uns, auch was die Abstimmung betrifft, in Verlegenheit zu bringen.

Ich schicke vorweg, dass die Debatte bisher wirklich gut war. Es handelt sich um eine lohnenswerte Auseinandersetzung über die Frage, wie das, was die zwei Großen ausgehandelt haben, zu bewerten ist. Es gibt sicherlich auch Punkte – Herr Al-Wazir hat sie eben angesprochen –,über die man nachdenken muss, die man in der Öffentlichkeit verteidigen muss, die man erläutern muss und von denen manche Leute, nachdem sie einen zweiten Blick darauf geworfen haben, sagen werden, es habe keine anderen Wege gegeben.

Aber es ist immer so, dass in Koalitionsverhandlungen nicht all das durchgesetzt werden kann, was in Wahlkampfzeiten gesagt wird bzw. in den einzelnen Regierungsprogrammen steht. Sie haben in Ihrem Antrag die Bürgerversicherung angesprochen. Ich sage Ihnen: Die Bürgerversicherung bleibt auf unserer Agenda.

(Beifall bei der SPD)

Das haben wir auch in Karlsruhe noch einmal betont. Das ist nach unserer Ansicht die richtige Antwort auf die Frage, wie wir unser Gesundheitssystem umkrempeln müssen und können, ohne dass dabei die Solidarität verloren geht. Es wäre doch wirklich schön, wenn ich gemeinsam mit Herrn Hahn bürgerversichert wäre. Das wäre ein Erfolg in diesem Lande.

Natürlich bleiben solche Vereinbarungen immer Kompromisse. Da müssen Kröten geschluckt werden, wie auch Herr Kollege Al-Wazir weiß. Wir haben bei den rotgrünen Verhandlungen in Hessen auch manche Kröte schlucken müssen. Für uns Sozialdemokraten waren das z. B. die Naturschutzgebiete. Dafür mussten die GRÜNEN so manche Kröte schlucken, als es um die Straßen ging. Das gehört zu Verhandlungen.