Protocol of the Session on November 22, 2005

Angesichts dieser schwierigen Ausgangssituation zu einer Einigung bzw. zu einem Vergleich zu kommen ist eine Leistung.Auch an dieser Stelle möchte ich sagen, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht alle Punkte dieser Einigung teilen. Ich werde die auch ansprechen. Wir unterstützen aber den gesamten Kompromiss. Denn dies ist die Voraussetzung dafür, dass man in einer so schwierigen Gemengelage zu einem Ergebnis kommen konnte.Wenn jeder auf seinen fundamentalen Positionen bestehen würde, würde dieses Land keinen Millimeter vorankommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte die Kritikpunkte ansprechen. Ich glaube, ich habe die wesentlichen aufgeschrieben. Das betraf zum einen die Bildungsplanung und zum anderen die Abweichungsgesetzgebung. Ich möchte da noch zwei Punkte hinzunehmen, die uns interessieren. Das sind der Ladenschluss und der Strafvollzug. Herr Kollege Hahn, auch das Thema Bundeskriminalamt möchte ich nicht ganz außer Acht lassen.

Bevor ich allerdings auf die einzelnen Punkte zu sprechen kommen, möchte ich die Maßstäbe ansprechen. Dabei geht es um die Frage,was wo entschieden werden soll,also auf Bundesebene oder auf Landesebene.

Ich glaube, es wäre eine völlig falsche Herangehensweise, wenn wir über die Frage,ob eine Thematik besser auf Berliner Ebene oder besser auf Länderebene entschieden wird, aufgrund der Farben der jeweils regierenden Parteien entscheiden würden. Denn das kann sich, erstens, ändern.Zweitens ist das auch nicht das richtige Kriterium.

Ich denke, das richtige Kriterium ergibt sich, wenn man die Frage stellt, ob es notwendig ist, dass zu einem bestimmten Thema die gleichen Regelungen in unserem gesamten Land existieren sollten,oder ob es durchaus von Vorteil sein kann, wenn in Wiesbaden und Mainz andere Regelungen gelten. Da, wo Gemeinsamkeiten notwendig sind, muss Berlin die Kompetenz haben. Da, wo Unterschiede kein Nachteil, sondern ein Vorteil sind, sollte die Kompetenz auf der Länderebene liegen.

Nach diesem Kriterium will ich die einzelnen Punkte bewerten. Ich beginne dabei mit dem Ladenschluss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass SPD und CDU auf die Frage, wann Ladenschluss sein soll, unterschiedliche Antworten haben. Wir sind nicht der Auffassung, dass eine weitere Öffnung der Ladenschlusszeit geboten wäre.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind allerdings sehr wohl der Auffassung, dass wir in Hessen über diese Frage entscheiden können. Meinetwegen können wir diese Frage auch zum Gegenstand von Wahlkämpfen machen.

Nur ist es dann falsch, zu argumentieren – das konnte ich gelegentlich in Kommentaren lesen –,in Berlin werde entschieden, wie lang die Geschäfte in Hessen aufhaben.Auf der Grundlage dieser Vereinbarung wird uns von Berlin aus eröffnet, dass wir als Parlament über diese Frage entscheiden. Ich denke, wir alle sollten selbstbewusst genug sein, in unserem Bundesland selbst über diese Frage zu entscheiden.

(Beifall bei der SPD)

Sie sehen es so,wir sehen es so.Wahlen werden dann letztlich darüber entscheiden, wer die entsprechende Kompetenz erhält, das zu entscheiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders sehe ich das beim Strafvollzug. Ich glaube, es wäre für unser Land besser, wenn die Bedingungen im Strafvollzug in Mainz und Wiesbaden einheitlich wären. Ich würde keinen Vorteil darin sehen, wenn in Wiesbaden und Mainz unterschiedliche Kriterien gelten würden. Wiesbaden und Mainz habe ich jetzt einmal als Beispiele genommen. Wir alle in Hessen wissen aufgrund schlechter Erfahrung, wie sehr der Strafvollzug im Wahlkampf dazu verleiten kann, populistische Aussagen zu machen.

Wir sind also der Meinung, dass wir mit einer Regelung, die zu einer Verlagerung der Kompetenz des Erlasses wesentlicher Vorschriften für den Strafvollzug führt, Nachteile erleiden würden und keine Vorteile hätten. Das gehört dann allerdings mit dazu. An solchen Stellen muss man nachgeben, wenn man eine Einigung auf allen Gebieten anstrebt und erreichen will.Wir bedauern, dass die Zuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länderebene gezoomt wurde.

Lassen Sie mich auf die Bildung zu sprechen kommen. Herr Kollege Al-Wazir hat sehr ausführlich dazu gesprochen. Herr Kollege Al-Wazir, hinsichtlich der Zulassung zu den Hochschulen und der Hochschulabschlüsse gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns alle darum bemühen, nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auf der gesamten internationalen Ebene die Hochschulabschlüsse zu harmonisieren. Wir bemühen uns darum, dass alle Länder etwas mit dem Abschluss „Master“ anfangen können.Wir investieren in unsere Hochschulen viel Geld,um dieses System in Deutschland einzuführen. Denn wenn sich jemand, der in Deutschland den Abschluss eines Ingenieurs an der Fachhochschule erworben hat,im Ausland bewirbt,dann hat er das Problem, deutlich zu machen, dass er nicht ein einfacher Techniker ist, sondern dass er ein Hochschulstudium abgeschlossen hat. Deswegen soll der Abschluss „Master“ eingeführt werden.

Herr Kollege Al-Wazir, ich habe auch keinerlei Verständnis dafür, dass wir jetzt die Türen dafür öffnen, dass es auf nationaler Ebene nicht nur zu unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen für die Hochschulen kommt, sondern dass auch die Hochschulabschlüsse unterschiedlich sein können. Das halte ich für falsch. Ich hoffe allerdings, dass sich da die Vernunft durchsetzen wird und dass die Länder der Versuchung widerstehen werden, zu unterschiedlichen Regelungen zu kommen. Denn auch hier wurde wiederum nur die Tür geöffnet. Das heißt also nicht,dass es tatsächlich zu unterschiedlichen Regelungen kommt. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn die Kompetenz dafür auf Bundesebene geblieben wäre.

Sie haben auch die Bildungsplanung angesprochen. Ich bin jetzt nicht wirklich ein Bildungspolitiker. Zur Redlichkeit in der Debatte gehört aber auch, zu sagen, dass die Ausgangssituation im Dezember letzten Jahres anders war. Alles, was bei der Bildung wichtig ist, befand sich zu dieser Zeit in der Kompetenz der Länder. Auch jetzt befindet sich die Kompetenz dafür bei den Ländern. Es war auch nicht so, dass wir da mehr Kompetenzen vom Bund haben wollten. Vielmehr wollte der Bund da ein Stück weit Kompetenzen von den Ländern haben.

Ich habe alle meine Bildungspolitiker auf die gemeinsame Bildungsplanung angesprochen. Ich habe sie gefragt, was

bisher an Bildungsplanung gemacht wurde. Die Antworten auf diese Frage fielen – ich sage das jetzt einmal vorsichtig – sehr unterschiedlich aus. Ich glaube nicht, dass sich aufgrund einer Änderung hinsichtlich der Bildungsplanung irgendetwas an der Realität in unserem Land ändern wird.

Viel wichtiger ist der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben. Ich will das hier mit einem Wort benennen. Es lautet Ganztagsschulprogramm. Es geht dabei auch um die Frage, ob der Bund weiterhin die gesamtgesellschaftliche Aufgabe Bildung mitfinanzieren kann. Das wollen wir alle, oder zumindest doch viele, nach wie vor. Herr Kollege Al-Wazir,natürlich wird der Bund das auch weiterhin mitfinanzieren können. Das ist überhaupt kein Problem.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen einen einfachen Weg aufzeigen. Der einfachste Weg wäre, dass der Bund freiwillig auf einen Anteil an der Umsatzsteuer verzichtet, jetzt einmal unabhängig davon, wie hoch der wäre. Die Länder müssten sich dann auf der anderen Seite freiwillig verpflichten, das Geld allein und ausschließlich dafür zu nutzen, das Ganztagsangebot an Schulen auszubauen. Es wäre also völlig unproblematisch, zu erreichen, dass die Länder auch weiterhin vom Bund Geld für diese Aufgabe bekommen.

Sie behaupten jetzt, das sei eine Finanzierung durch die Hintertür. Wie war das denn bei dem Ganztagsschulprogramm, das mit 4 Milliarden c ausgestattet ist, über das wir reden? Das ging doch auch nur, weil die Länder dem Angebot des Bundes beigetreten sind. Herr Kollege AlWazir, an dieser Situation hat sich nichts, aber auch überhaupt nichts verändert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wegen der kurzen Redezeit möchte ich jetzt nur noch das Bundeskriminalamt ansprechen. Die Auseinandersetzung lief da schon ein bisschen quer. Meine persönliche Auffassung ist, dass Herr Kollege Schily Recht hatte.

Herr Walter, Sie müssen leider zum Schluss Ihrer Rede kommen. Ich muss darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Über die Finanzen kann ich dann heute nicht mehr reden, obwohl das einen großen Teil des Inhalts unseres Dringlichen Antrags ausmacht.Aber ich wollte den Kritikpunkten nicht ausweichen.

Ich möchte noch ein paar Sätze zum Bundeskriminalamt sagen. Herr Kollege Hahn, ich glaube, dass Herr Kollege Schily Recht hatte. Ich glaube, dass angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus die Zuständigkeit des Bundes und die Stärkung der Bundespolizeibehörde unserem Lande nützlich wäre. Ich glaube allerdings nicht, dass sich das auf die Zuständigkeit der hessischen Polizei und der Polizei der anderen Länder auswirken wird.Wir alle wissen doch, dass jenseits der Formulierung im Gesetz ein Problem bei der Zusammenarbeit besteht. Das wird auch durch diesen Artikel nicht gelöst werden.Wir müssen die Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden und der Polizeibehörden im Interesse einer besseren Sicherheitspolitik in unserem Land verbessern.

Ich komme zum Schluss. Ich hätte noch gerne etwas zu den Finanzen gesagt.

Herr Walter, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich glaube, dass das, was vorliegt, nicht das Gelbe vom Ei, nicht das Optimum und nicht das Hundertprozentige ist. Ich glaube aber, dass es unser Land nach vorne bringen wird. Deshalb sind wir darauf stolz, dass unsere Partei daran zentral beteiligt war. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Walter, danke. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Dr. Jürgens zu Wort gemeldet.

Herr Kollege Walter, es ist eigentlich Zufall, dass ich mich jetzt nach Ihnen für eine Kurzintervention zu Wort gemeldet habe. Das, was ich jetzt zu sagen und anzumerken habe, richtet sich an und für sich genauso an die Mitglieder der beiden anderen Fraktionen.

(Reinhard Kahl (SPD):Was ist denn das jetzt?)

Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Sie haben mitbekommen, dass wir unsere Rolle als Mitglieder der Opposition immer konstruktiv wahrnehmen. Das werden wir natürlich auch weiterhin machen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wo?)

Ich möchte auf den einen Grundsatz eingehen, den Sie in Berlin vereinbart haben. Das betrifft die Abweichungsgesetzgebung.

Es ist nicht verboten, aus der Geschichte zu lernen. Die Geschichte zeigt, dass wir in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert – teilweise reichte das sogar bis in das 19. Jahrhundert hinein – diese Situation schon einmal hatten. Damals gingen Partikularrechte dem höherrangigen Recht vor. Das war eines der Probleme. Die deutsche Kleinstaaterei hatte in dieser Rechtszersplitterung ihre Entsprechung.

Es galt damals als großer Fortschritt und als eine Voraussetzung für die Schaffung eines Bundesstaats, dass diese Zersplitterung des Rechts überwunden werden konnte. Das geschah erstmals im Jahr 1848 in der Verfassung, die in der Paulskirche beschlossen wurde. Damals wurde der Grundsatz formuliert, der heute noch im Grundgesetz steht und lautet: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“

Herr Al-Wazir hat es angesprochen. Aber auch Sie sind darauf kurz eingegangen. Das wollen Sie jetzt für Teilbereiche, vor allen Dingen für den Umweltbereich, aber auch für die Hochschulen zu dem Grundsatz umkehren: Landesrecht bricht Bundesrecht.

Damit greifen Sie zumindest nach meinem Verständnis etwas an, was geradezu zu den Grundpfeilern der bundesstaatlichen Rechtsordnung gehört.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das, was Sie da vorhaben, ist also kein Fortschritt. Vielmehr handelt es sich um einen Rückschritt. Sie erweisen damit der bundesstaatlichen Ordnung und dem Föderalismus einen Bärendienst. Letzteres ist vor allem in dem von uns behandelten Zusammenhang das Hauptproblem.

Deswegen kann ich Sie nur herzlich bitten, noch einmal ernsthaft zu überlegen, ob Sie sich nicht deutlich auf dem Holzweg befinden, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen und unabhängig von der Frage, in welchen Rechtsgebieten dies abgewendet werden soll.

Exakt zwei Minuten. Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Herr Walter, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

Herr Kollege Dr. Jürgens, zunächst einmal sollte es nicht zufällig sein, dass Sie in einer Kurzintervention auf mich antworten, sondern es sollte schon im Sinne der Kurzintervention zielgerichtet, final sein, dass Sie auf mich antworten und es nicht allgemein darstellen. – Dies aber nur als Überbrückung, während das Pult hochfährt.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ stimmt. Aber wenn Sie das ganz generell darstellen, dann müssen Sie sich fragen, wie Sie sich selbst als Landespolitiker sehen.Natürlich ist dies die Frage,mit der wir uns die ganze Zeit beschäftigen: Welche Kompetenzen hat die Bundesebene, welche Kompetenzen hat die Landesebene? Für mich als Person und für die Sozialdemokraten kann ich sagen:Wir sind als Landespolitiker relativ selbstbewusst. Wir nehmen die Kompetenzen, die die Verfassung uns als Landespolitikern zuschreibt, wahr. Wir sind durchaus der Meinung, dass es selbst jenseits dieser Föderalismusreform noch eine ganze Reihe weiterer Kompetenzen gibt, die wir in unserem eigenen Bundesland Hessen wahrnehmen können.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Unserem Antrag können Sie entnehmen:Wir werden weiter daran arbeiten, dass die Kompetenzen dieses Parlaments größer werden, ausgeweitet werden und nicht kleiner werden. Das machen wir mit großem Selbstbewusstsein.