Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun fragt man sich:Was ist anders geworden? Warum gibt es keine Halbzeitbilanz in Form einer Regierungserklärung? Warum muss bei der Plenarsitzung, die in dieser Phase stattfindet, eine Regierungserklärung zum Thema Strafvollzug vorgetragen werden?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum diskutieren wir dieses Thema so intensiv? Wie Sie gesehen haben, war ich gestern auch engagiert bei der Sache gewesen.
Aber warum kommt der Ministerpräsident nicht selbst und gibt eine Regierungserklärung über die Halbzeitbilanz seiner absoluten CDU-Mehrheit ab? Weil es eigentlich fast nichts Neues zu erklären gibt.
Das ist der Grund, warum der Ministerpräsident nicht selbst aktiv geworden ist. Das ist auch der Grund, warum der Ministerpräsident um den 4. Oktober dieses Jahres nicht aktiv geworden ist, sondern ein bisschen getrieben zu einer Pressekonferenz in Form eines Frühstücks in die Rosselstraße geladen hat. Irgendwann fingen die Roten und die GRÜNEN an, einen Tag auszusuchen.
Wegen mir: die GRÜNEN und die Roten. Das ist mir vollkommen egal. – Wir wurden jedenfalls auch gefragt, ob wir diesen Tag als den Tag der Halbzeit ansehen. Wir haben gesagt: „Rechnet ihr, wie ihr wollt. Da wir eine andere Art von Opposition machen als Rot und Grün, beteiligen wir uns nicht daran.“ Dann kam auf einmal die VhU und wollte auch etwas machen. Irgendwann wurde dann urplötzlich auf 8.30 Uhr zu einem Frühstück in die Rosselstraße eingeladen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es auch so nicht war,wenn der gerade von Herrn Al-Wazir so groß gelobte Sprecher der Landesregierung das alles schon weit vorausschauend geplant hatte, ist das jedenfalls ein Unterschied zu der ersten Regierung von Roland Koch und Ruth Wagner. Damals gab es einen ordentlichen Rechenschaftsbericht, der zur Halbzeit im Parlament abgegeben worden ist. So muss es auch sein.
Bei diesem Frühstück – das entnehmen wir der „FAZ“ – hat Herr Heptner offensichtlich gut aufgepasst. Kein anderer als er hat geschrieben,dass der Ministerpräsident einen Seitenhieb auf die FDP abgegeben hat oder, wie Bernd Heptner es schreibt: „Einen Seitenhieb... konnte sich der Ministerpräsident nicht verkneifen.“
Herr Kollege Bökel, das sehe ich auch so. Die Formulierung, die er dort gewählt hat, ist noch unglaublicher, Herr Kollege Bökel, wenn ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit noch einmal haben dürfte. Er hat nämlich gesagt, er sei sich sicher, dass ihn neben der Regierungspartei CDU auch die FDP gelobt hätte, wenn sie nicht zu Beginn der Legislaturperiode sein Angebot ausgeschlagen hätte, trotz absoluter CDU-Mehrheit die vorherige CDU/FDPKoalition fortzusetzen.
Herr Kollege Bökel, da hat er Unrecht. Denn eine Arbeit, wie sie die jetzige CDU-Mehrheit in der Regierung abliefert, hätte es mit dem Koalitionspartner FDP nicht gegeben.
Ich glaube, dass sich jetzt alle hinter meiner Äußerung wieder finden können, dass der Ministerpräsident irrt, wenn er meint, dass er alles so fortgesetzt hat – und mit ihm seine Mitstreiter im Kabinett und seine Mitstreiter in der CDU-Fraktion –, wie das in den Jahren von 1999 bis 2003 inhaltlich und auch vom Stil her angelegt worden ist.
Ich kann mir schon vorstellen, warum es aus Ihrer Fraktion ein bisschen Widerhall dagegen gibt. Die Unionsfraktion hat es nicht nötig, die Opposition rechtzeitig zu informieren.
Das gilt – das habe ich gestern für meine Fraktion festgestellt – für den Justizminister bei besonderen Vorkommnissen im Justizvollzug, das gilt für den Innenminister bei besonderen Vorkommnissen im Bereich des Inneren, das gilt aber auch für Absprachen zwischen Obleuten,und das gilt insbesondere bei den unsäglich langen Vorlagen zur
Korrektur von Gesetzentwürfen der Landesregierung, die wenige Stunden vor den Ausschusssitzungen eingereicht werden.
Das ist ein Stil, den es während unserer gemeinsamen Regierungszeit nicht gab.Dieser Stil begründet sich dadurch, dass eine einzige Fraktion in diesem Hause meint, ihr gehöre alles, sie habe überall die Mehrheit und könne alles durchsetzen, was sie wolle. Das klappt aber nicht. Das merken Sie z. B. daran, dass großes Missvergnügen sogar bei Personen herrscht, die zwar nicht Ihrer Fraktion angehören, aber inhaltlich an vielen Punkten mit Ihnen einig sind. Ich führe mir beispielhaft die Thematik Schulgesetz vor Augen, wo innerhalb weniger Stunden 20 oder mehr Seiten durchgearbeitet werden mussten. Dann wird selbst der wohlmeinendste Begleiter Ihrer Politik nicht mehr mitmachen – einfach deshalb, weil er merkt, dass sein Mitmachen nicht erwünscht ist.
Das sollte sich nach unserer Auffassung bei Ihnen bitte ändern. Bezüglich der politischen Fragen möchte ich gerne das Bild aufnehmen, das Roland Koch selbst immer gern benutzt oder von Dirk Metz benutzen lässt, nämlich das Bild von den Baustellen. Es ist zutreffend: Im Jahr 1999 ist eine Vielzahl von Baustellen neu angelegt worden. Ich habe das Gefühl, dass bei vielen Baustellen – nachdem die FDP nicht mehr mit in der Bauleitung ist – die Organisation nicht mehr klappt, dass die Baustellenlogistik nicht mehr klappt,dass darüber hinaus eine Reihe von Baustellen angelegt worden ist, wo immer nur der Chef spricht, die Facharbeiter sich aber nicht richtig kümmern.
Um es anders zu formulieren: Es gibt eine Reihe von Aufgaben, die ausschließlich Chefsache sind. Der Chef turnt aber auf so vielen Baustellen herum, dass wenigstens die Facharbeiter auf den Baustellen weiterarbeiten sollten. Hier stimmt es also bei der Abstimmung im Baukonzern „CDU-Hessen führt dieses Land AG“ nicht. Deshalb kann ich eigentlich nur empfehlen, dass die Ressortzuständigkeiten wieder mehr Einfluss gewinnen, wie es sich gehört, dass z. B. der Wissenschaftsminister wieder dafür zuständig ist, in welcher Form die Kliniken organisiert werden. Ich will keine weiteren Beispiele nennen, weil ich nicht möchte, dass die Missstimmung rechts von mir und das Grimmen und Grollen immer größer werden. Ich glaube aber, jeder Betrachter der Politik in Hessen weiß, was ich meine, jeder hier im Raume weiß, was ich meine. Wir haben Fachminister. Die müssen die Facharbeit leisten. Das muss der Ministerpräsident nicht alles selbst machen.
Das ist die eine Seite der Halbzeitbilanz. Sie wird auf der anderen Seite leider von einer Diskussion in diesem Hause begleitet, an der wir uns von Anfang an nicht beteiligt haben, die aber in ritualisierter Form immer wieder geführt wird. Die Mehrheitsfraktion – das ist auch gerade jetzt wieder der Fall – legt einen Jubelantrag vor, und die Fundamentalopposition von Roten und GRÜNEN setzt entgegengesetzte Schaufensteranträge auf die Tagesordnung. Das ist zwar hier nicht der Fall, das war aber bei den eben geführten Debatten so.
Warum kann man dieses Ritual, das in diesem Hause seit Jahrzehnten gepflegt wird – ich gebe zu, Jörg-Uwe Hahn ist nicht ganz unbeteiligt daran gewesen, dass das eine Zeit lang sehr aktuell und sehr engagiert gemacht worden ist –, nicht beenden? Was soll das eigentlich bringen? Die Menschen erwarten von uns nicht, dass wir uns gegenseitig erklären, was wir von dem jeweils anderen halten, sondern die Menschen erwarten von uns, dass wir konkrete Vorschläge erarbeiten.Wenn die Menschen sogar meinen, dass große Koalitionen das am besten können, so wissen wir Insider, dass die Menschen an diesem Punkte irren. Auf alle Fälle zeigt es aber sehr deutlich, dass sie eine bestimmte Erwartungshaltung an die Politik haben.Deshalb frage ich: Warum muss es eigentlich immer Schaufensteranträge zum Jubeln oder des Inhalts geben, dass die Landesregierung von vorne bis hinten schlecht arbeite? Wir hatten das gestern z. B. beim Thema Justizvollzug. Es ist wirklich nicht richtig,was die Fundamentalopposition von Sozialdemokraten und GRÜNEN dem Justizminister ans Revers zu heften versucht hat.
Ich rufe deshalb unter Hinweis auf der Frage der Trommeln, die Roland Koch bei seiner Vereidigung im April des Jahres 2003 hier aufgegriffen hat, dazu auf, mit den Trommeln piano umzugehen. Das tun wir in der letzten Zeit ein bisschen besser als früher.Ich rufe aber auch dazu auf, die Rituale zu beenden, sodass wir endlich das tun können, was die Menschen von uns erwarten, nämlich Politik für dieses Land zu gestalten.
Ich finde es einfach Klasse,wenn,wie eben geschehen,der Kollege Rudolph zu mir und zu Herrn Dr. Jung kommt und fragt: Können wir die Frage der Wahlkreiseinteilung nicht endlich gemeinsam lösen? Muss es denn sein, dass wir weiterhin konfliktorisch gegeneinander anrennen? – Viele,die sich mit dem Thema beschäftigen,wissen,es gibt nur noch ein einziges Problem,nämlich die Aufteilung der Gemeinden des Kreises Gießen in zwei Wahlkreise. Ich finde, so sollte unsere Arbeit vonstatten gehen.
Ich weiß, dass die Damen und Herren aus der Landeshauptstadt ein weiteres Problem haben. Nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis, dass Sie an der Stelle relativ alleine gelassen werden, weil das die anderen ein bisschen anders sehen. Ich glaube, das ist in den Fraktionen schon diskutiert worden.
Ich weiß doch, Kollege Pighetti, Kollege Rentsch, dass man euch motivieren kann. Ich habe doch darauf gewartet, dass dieser Zwischenruf kommt.
Ich will damit nur Folgendes deutlich machen. Beenden wir diese ritualisierten Diskussionen, versuchen wir, die Probleme gemeinsam zu lösen.Das schaffen wir auch.Wir sind dazu Manns und „Fraus“ genug. Dazu brauchen wir wirklich nicht diese Art der ritualisierten Auseinandersetzung.
Wir haben in sechs Punkten das zusammengefasst, was wir für die Zukunft unser Land als wichtig erachten. Ich will mich jetzt nicht mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigen, weil das die ritualisierte Auseinandersetzung nur noch toppen würde. Ich will Ihnen vielmehr sagen, wir Liberale meinen, dass eine strukturelle Haushaltskonsoli
dierung – die Betonung liegt ganz bewusst auf „strukturelle“ – vorgenommen werden muss, dass wir entschieden mehr für den Bildungsstandort Hessen leisten müssen, dass wir eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und eine zukunftsfähige Sozialpolitik organisieren müssen, dass wir die Mobilität ausbauen müssen und dass wir den demographischen Wandel beachten müssen. Ich gebe zu, das zuletzt genannte Thema ist noch nicht in unser aller Köpfen verankert; es war Ruth Wagner vorbehalten, uns in der Fraktion daran zu erinnern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese sechs zentralen Punkte müssen in den kommenden zweieinhalb Jahren von der Landesregierung, aber auch von uns ernsthaft besetzt werden. Eines dürfen wir alle – damit meine ich auch die CDU-Fraktion – dem Finanzminister und dem Ministerpräsidenten aber nicht mehr durchgehen lassen:den in meinen Augen relativ unsympathischen Vergleich der Zahlungen in den Länderfinanzausgleich einerseits und der Einnahmen z.B.des Landes Rheinland-Pfalz andererseits. Ich glaube, es klingt auf der anderen Seite des Rheines relativ arrogant, wenn wir so tun, als ob Rheinland-Pfalz unser Kostgänger wäre. Wie sollte man es denn sonst formulieren? Gerade der Ministerpräsident, gerade der Finanzminister – ich weiß, wovon ich spreche – sind dafür verantwortlich, dass es den Länderfinanzausgleich in der jetzigen Form gibt, denn der Ministerpräsident hat ihn verhandelt.
Er hat ihn – auch für die Koalition aus CDU und FDP – führend verhandelt. Lieber Herr Ministerpräsident, Herr Kollege Koch, eines darf aber doch nicht wahr sein: Sie können doch nicht auf der einen Seite etwas verhandeln und als gut bezeichnen, und auf der anderen Seite jetzt so tun, als sei das alles Mist. Entweder gibt es einen Finanzausgleich, der die Unterschrift von Roland Koch trägt – ich gebe zu, die Unterschrift ist auch für die hessische FDP abgegeben worden –, oder es gibt ihn nicht.Wenn es ihn gibt, dann hören Sie doch bitte mit dem Nölen über den Länderfinanzausgleich auf. Man glaubt fast, dass Sie sagen wollen,Sie haben schlecht verhandelt,Sie haben die Interessen des Landes Hessen nicht wirklich berücksichtigt. Ich sage das nicht. Es gibt eine Solidarität zwischen den Bundesländern, die in den bestehenden Verfahren nur so gelöst werden kann. Wir alle wissen aber, dass im Rahmen einer Föderalismusreform auch die Frage der Finanzströme noch einmal neu diskutiert werden muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine strukturelle Haushaltskonsolidierung fängt im Kopf an. Ich sage das sehr bewusst. Solange man nicht bereit ist, zu akzeptieren, dass man nur so viel Geld ausgeben kann, wie man einnimmt, hat man nicht nur ein Ausgabenproblem und ein Einnahmenproblem, sondern auch ein mentales Problem. Man bekommt die Schere im Kopf nicht zusammen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Finanzminister hat diese mentale Haltung anscheinend noch nicht. Er erzählt uns jedes Mal von neuem, er habe ein Einnahmenproblem, und weil er das nicht lösen könne, müsse er die Ausgaben über Schulden finanzieren. Ich wette einen hohen Einsatz, das werden wir am Ende der Woche in derselben Diktion wieder hören.
Herr Präsident, ich habe die Glocke gehört. – Deshalb gehört es zu einer strukturellen Haushaltskonsolidierung, kurzfristig ein ordentliches Beteiligungsmanagement einzuführen, die Vermögenswerte, die dieses Land hat, zu ermitteln und eine vernünftige Veräußerung durchzuführen. Ich wiederhole, was Kollege von Hunnius das letzte Mal hier gesagt hat: Geben Sie uns für vier Wochen Prokura.Wir werden einen hervorragenden Preis für die Nassauische Heimstätte erzielen, sodass Sie mindestens 1 Milliarde c mehr an Einnahmen für den Haushalt des Landes Hessen noch in diesem Jahre generieren können.
Wir appellieren an Sie, die Haushaltspolitik zu konsolidieren. Das ist der Grundstein dafür, die anderen Aufgaben, die wir in unserem Antrag aufgeführt haben, ebenfalls zu erfüllen.