Protocol of the Session on September 22, 2005

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage es gleich zu Anfang:Verehrte Kollegin Henzler, wir finden die Initiative der SPD durchaus richtig und gut. Wir haben uns auch damals gegen die Änderung des Schulgesetzes ausgesprochen.Man mag vielleicht darüber streiten, ob die Titulierung etwas üppig geraten ist und man mehr Punkte aufgreifen sollte. Das kann aber kein Argument dagegen sein, diesen Punkt wieder zu streichen.

In den bisherigen Debattenbeiträgen ist mir die Sicht auf den Zusammenhang zu kurz gekommen, der bei der Entwicklung der Schulpolitik insgesamt eine Rolle spielt. Meine Damen und Herren, man darf nicht vergessen, dass mit dem neuen Schulgesetz unter anderem das wohnort

nahe Bildungsangebot nicht verstärkt, sondern eher gefährdet wird. Das sind die Vorgaben, die sich aus den Richtwerten aus § 144a neu ergeben. Wir haben an anderer Stelle schon darüber diskutiert. Das heißt, eine Ausdünnung des Angebotes ist im Gange. Im Zweifelsfalle wird bei der nächsten Überprüfungsrunde zum nächsten 1. Januar bei den Schulträgern erneut nachgefragt werden, welche Schulen immer noch nicht die qualitativen Vorgaben erfüllen. Diese werden dann unter Druck gesetzt, das Angebot im Zweifel zu reduzieren. Was heißt das? Das heißt in Konsequenz doch nur, dass die Schülerbeförderungsaufwände eher deutlich steigen als sinken. Von daher ist genau da eine Verbindung gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweiter Punkt.Auch die Schulzeitverkürzung – Stichwort G 8 – führt am Ende zu höheren Schülerbeförderungskosten. Das kann man gar nicht leugnen. Ich brauche Ihnen das nicht im Einzelnen darzulegen. Aber gerade in der Übergangszeit, wenn man verschiedene Rhythmen hat, wenn man einen zusätzlichen Bedarf für den Transport am Nachmittag hat, hat man höhere Schülerförderungskosten. Beide Punkte, sowohl die schulorganisatorischen Maßnahmen – und zwar auf Druck des Landes – als auch die G 8, sind Maßnahmen, die vom Staat kommen, sodass die kommunale Seite, die für die Schülerbeförderungskosten verantwortlich ist, durchaus das Stichwort Konnexität rufen könnte

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und sagen könnte: Das Land verursacht etwas. Wo ist, bitte schön, der Ersatz für die zusätzlichen Aufwendungen? – Daher musste man fragen, wo die Regelung zum § 161 Abs. 11 eigentlich herkommt. Das war nach dem Motto: Wir geben ihnen die Möglichkeit, dass sie sich nicht bei uns – beim Land – schadlos halten, sondern wir sagen: Haltet euch bitte bei den Eltern schadlos. – Damit wird der Druck erhöht werden.

Ich muss jetzt einen kleinen Bogen zu der Diskussion schlagen,die wir zuvor hatten.Meine Damen und Herren, wenn, was geschehen ist, viele Kreise beschließen, sie wollen nicht per Satzung Elternanteile an den Schülerbeförderungskosten erheben, was heißt das aus Sicht der Kommunalaufsicht im Hinblick auf die Haushalte?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu steht in dem Erlass auch nichts, obwohl das Gesetz schon ein halbes Jahr alt ist. Darin könnte auch stehen, dass ein Verzicht auf die Erhebung von Elternbeiträgen nicht als freiwillige Leistung negativ angerechnet wird. Es steht aber gar nichts drin.Das heißt nach der heutigen Debatte im Umkehrschluss: Die Kreise werden unter Druck kommen, die Gebühren zu erheben. Die finanzielle Situation der Kreise ist allgemein bekannt. Herr Kollege Beuth, deswegen ist Ihr Argument, das sei alles ganz freiwillig, nur fadenscheinig. In Wahrheit wird ein Druck aufgebaut, der zumindest teilweise durch Maßnahmen des Landes hervorgerufen wird. Am Ende wird er an die Eltern weitergegeben. Das geht zulasten der Bildung der Kinder.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich will noch einen letzten Punkt erwähnen. In der gesetzlichen Regelung sind irgendwelche Härtefallausgleiche oder Ähnliches nicht vorgesehen. Man könnte sagen, dass das möglicherweise die Kommune bei ihrer Entscheidung machen könnte. Aber zunächst gibt es dafür

keine rechtliche Grundlage. Bei juristischen Dingen muss man immer sehr vorsichtig sein. Es ist sogar die Frage, ob das zulässig wäre.Auf jeden Fall bekommen wir mit dieser Vorschrift, wenn sie umgesetzt werden muss – das ist ein schleichender Prozess; ich habe ihn gerade geschildert –, einen Druck dahin gehend, dass Bildung auch wieder eine Frage des Geldbeutels der Eltern sein wird. Denn natürlich stellt sich gerade im ländlichen Raum bei längeren Wegen die Frage: Können wir es uns leisten, unser Kind auf die weit entfernt liegende weiterführende Schule zu schicken, weil die Beförderungskosten in erheblichem Umfang bei uns hängen bleiben werden? – Meine Damen und Herren, das ist das Problem. Vor dem wollen Sie offensichtlich die Augen verschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen finden wir den Gesetzentwurf sinnvoll und notwendig. § 161 Abs. 11 gehört aus dem Schulgesetz wieder herausgestrichen, damit dieser Druck gar nicht erst entsteht, dass hinterher die Bildungschancen und die finanziellen Verhältnisse von Eltern gegeneinander aufgerechnet werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Beuth das Wort.

Herr Kollege Kaufmann, meine Damen und Herren! Man wird für seine Nachlässigkeit bestraft. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich hätte den Abs. 11 des § 161 ganz vorlesen sollen.

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Dann hätten wir uns die Frage mit dem Sozialausgleich erspart.Entschuldigung,Herr Kaufmann,für Sie und die geneigte Öffentlichkeit steht in Satz 3 des Abs. 11: „In der Satzung kann vorgesehen werden, dass von der Erhebung des Eigenanteils abgesehen wird, wenn ein Fall außergewöhnlicher sozialer Härte vorliegt oder die Beförderung wegen...“ Es ist in der gesetzlichen Regelung alles so vorgesehen, wie Sie es gerade eben gefordert haben. Gleichwohl machen Sie hier einen solchen Popanz. Das ist doch entlarvend.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Herr Kaufmann.

Herr Kollege Beuth, nach Ihren Vorstellungen muss man sich bei einem Fall außergewöhnlicher sozialer Härte selbst beim Amt melden,wenn man Schülerbeförderungskostenanteile in erheblicher Höhe für entsprechende Entfernungen nicht bezahlen kann, sondern einen Ausgleich haben will. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Warum verlangen Sie das von den Menschen, die normale Einkommen haben? Wir wissen, dass es auf dem Land nicht

so toll ist. Diejenigen mit niedrigem Einkommen sind leider auch oft, wie wir alle miteinander beklagen können, bildungsfernere Schichten. Wir wollen, dass die eher für mehr Bildung angelockt werden und nicht auf zusätzliche bürokratische Wege verwiesen werden, damit sie es sich gerade noch ermöglichen können. Es bleibt dabei: Dieser Ansatz ist grundfalsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, bevor ich Frau Staatsministerin Wolff das Wort gebe, möchte ich die Geschäftsführer und Fraktionsvorsitzenden angesichts der Zeit bitten, ob wir es hinbekommen, noch den Staatsvertrag aufzurufen. Das müsste in einer halben Stunde möglich sein.

(Nicola Beer (FDP) und Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Okay. Ich sage dies, damit alle Kollegen Bescheid wissen. – Frau Staatsministerin Wolff, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon von besonderem Interesse, dass ausgerechnet ein Kollege von der SPD diesen Antrag begründet, der zugleich in anderer Rolle als Kreisbeigeordneter, für Schule zuständig, an dem Antrag des Landkreistages beteiligt ist, solche Schülerbeförderungsbeiträge von Eltern zwingend vorzuschreiben.

(Beifall bei der CDU)

Das ist schon ein interessanter Vorgang angesichts der Tatsache, dass hier solche Krokodilstränen in die Augen treten. Es wird davon abgelenkt, dass selbstverständlich alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit und sogar die Pflicht haben, bis zu einem bestimmten Alter die Schule zu besuchen. Es sind Möglichkeiten vorzusehen, wie es der Kollege Beuth eben noch einmal zitiert hat, dass auf jeden Fall sozial problematischen Fällen dieses Geld erstattet werden muss bzw. es nicht erhoben wird.

Durch Ihre Doppelrolle verlangen Sie von uns indirekt, dass wir erneut in die Diskussion darüber eintreten, ob wir den kommunalen Trägern zwingend etwas vorschreiben sollen, nämlich dass Elternbeiträge erhoben werden sollen, und die Höhe der Elternbeiträge, die durch eine Rechtsverordnung erhoben werden sollen.

Meine Damen und Herren, wenn ich mich an die Debatten der letzten Monate und an den gerade zuvor behandelten Tagesordnungspunkt erinnere, wo permanent beklagt wird, die Landesregierung und die Mehrheit im Parlament schränkten angeblich die Freiheit der kommunalen Schulträger ein, dann scheint mir das schon ein bisschen gegensätzlich zu sein. Wenn obendrein – das hat die Frau Kollegin Henzler zu Recht angedeutet – unter dem hochmögenden Titel des jetzigen Tagesordnungspunktes ein einziger Punkt kommt, frage ich mich: Wie arm muss eigentlich diese Fraktion sein, wenn es um Gerechtigkeit im hessischen Schulwesen geht?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, da gibt es andere Punkte, die mir einfallen würden. Da geht es um die Frage des Bildungs- und Erziehungsplans und der Bildungsgleichbe

rechtigung in unserem Land. Da geht es um die Vorlaufkurse und die Schaffung der Möglichkeit für Kinder nicht deutscher Herkunft aus schwierigen sozialen Schichten,in aller Regel voranzukommen und eine Chance in der Bildung zu haben. Da geht es um Lehrpläne, die Chancen schaffen. Da geht es um die Prüfungen, die SchuB-Klassen, um Erziehungsverträge und um Ganztagsschulen. Das sind Aspekte, in denen wir Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit im hessischen Schulsystem schaffen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund verstehe ich den Gesetzentwurf, der heute vorgestellt worden ist, zwar als einen Gesetzentwurf, der im Ausschuss ordnungsgemäß abzuarbeiten ist. Ich freue mich darauf, wenn dann die Kommunalen Spitzenverbände zur Stellungnahme aufgefordert werden. Aber ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit ist die Bildungspolitik dieser Landesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Dann wird mit Einvernehmen der Fraktionen dieser Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein Erstes Gesetz zur Wiederherstellung der Chancengleichheit an Hessens Schulen, Drucks. 16/4356, zur Vorbereitung der zweiten Lesung an den Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen. – Kein Widerspruch.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 6 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zu dem Staatsvertrag der Länder BadenWürttemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz über die Zusammenarbeit bei der Raumordnung und Weiterentwicklung im Rhein-Neckar-Gebiet – Drucks. 16/4360 –

Wer trägt für die Landesregierung vor? – Herr Staatsminister Rhiel, bitte sehr. Fünf Minuten, Herr Kollege Rhiel.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz zu dem Staatsvertrag der Länder BadenWürttemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz über die Zusammenarbeit bei der Raumordnung und Weiterentwicklung im Rhein-Neckar-Gebiet haben wir Ihnen heute einzubringen. Die Gründe für diesen neuen Staatsvertrag will ich mit wenigen Sätzen erläutern.

Es geht um die Verbesserung der Regionalplanung, um die Verbesserung der Regionalentwicklung und auch des regionalen Managements in dieser europäischen Metropolregion Rhein-Neckar. Wir alle wissen – die es nicht wissen, werden vielleicht erstaunt sein –, dass dieser Ballungsraum der siebtgrößte Ballungsraum in der Bundesrepublik Deutschland ist und dass wir diesen Ballungsraum in gemeinsamer Verantwortung im Interesse der Wirtschaft, der Kommunen, der Landkreise im Rhein-Neckar-Gebiet und der Länder Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg weiterentwickeln wollen. Dieser neue Verband, der mit diesem Gesetz eine neue Form, neue Konturen und Handlungsmöglichkeiten erhält, soll über alle notwendigen Planungs- und Handlungsstruktu

ren verfügen, damit er sich – das ist der große Kontext – im europäischen Wettbewerb eigenständig entwickeln und diesen Wettbewerb der Regionen wirklich auch in der Herausforderung bestehen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Inhalt des Staatsvertrags ist vor allem rein formal, dass er sich auf Kernregelungen beschränkt und Detailregelungen der künftigen Verbandssatzung überlässt. Der zweite, materielle Punkt ist, dass er eine Erweiterung des bisherigen Vertragsgebiets vorsieht. Es umfasst neben dem Gebiet des Landkreises Bergstraße erstmals vollständig die Plangebiete der Planungsgemeinschaft Rheinpfalz und des Regionalverbands Rhein-Neckar-Odenwald.

Die Bildung des Verbandes Region Rhein-Neckar wird dann formell für dieses Vertragsgebiet begründet. Das ist ein weiterer Schwerpunkt in dem Gesetzesinhalt. Die Stärkung der umsetzungsorientierten Verbandskompetenzen steht weiterhin im Ziel dieser Verbesserung, dazu auch die Verfahrensvereinfachung und die Erleichterung bei den jeweiligen Regionalentwicklungs- und Regionalplänen und schließlich ein einheitlicher Regionalplan,wobei der Regionalplananteil für den Kreis Bergstraße als Planentwurf gilt,aber in den Regionalplan Südhessen einfließt und somit mit diesem Regionalplan Südhessen erst die Verbindlichkeit erreicht.

Das war der am intensivsten diskutierte Bereich in den vergangenen Wochen und Monaten, nämlich die Frage: Bleibt der Landkreis Bergstraße innerhalb des Regionalplans Südhessen und der Regionalversammlung Südhessen – das ist sozusagen konstitutiver Bestandteil –, oder wird er in ein größeres Ganzes entlassen? Ich bin davon überzeugt, die Regelung, wie wir sie jetzt gefunden haben, ist ein sehr vernünftiger Kompromiss, der einerseits die Spielmöglichkeit innerhalb des größeren Ganzen nicht behindert, aber dennoch auch die Landesgrenzen und die Einheitlichkeit von Landespolitik berücksichtigt.

Meine Damen und Herren, 96 Mitglieder sollen der künftigen Verbandsversammlung angehören. Der Kreis Bergstraße stellt davon elf Vertreter.