Wir halten es für dringend notwendig, dass mit den Kommunen, mit den Jugendhilfeträgern, mit den freien Trägern eine Vereinbarung abgeschlossen wird, in der die Ziele definiert werden, was genau erprobt werden soll, was am Ende dieser Erprobungsphase steht, was dann, wenn in der Erprobungsphase bestimmte negative Seiten auffallen, eigentlich erfolgt, wer zuständig ist, z. B. Ressourcen hineinzugeben oder Fortbildung zu machen. Wir sind der Meinung, dass diese landesweite Vereinbarung darüber hinaus auch mit den Trägern für die Einführungsphase abgeschlossen werden soll; denn die Träger wollen wissen, auf welcher Grundlage die Einführung erfolgt. Sie wollen wissen, wie viel das Land bereit ist mitzutragen, auch an Kosten für diesen Bildungs- und Erziehungsplan. Die Kommunen sind nicht bereit, sich auf ein ganz ungewisses Terrain zu begeben. Dann könnten sie
das Ganze auch selber machen. Die Stadt Wetzlar ist dafür ein beredtes Beispiel.Aber ich denke, es liegt im Interesse des Landes, sich auch um die frühkindliche Bildung zu kümmern und gerade auch die Brüche im Hinblick auf den Übergang zur Schule tatsächlich zu minimieren.
Aus unserer Sicht ergeben sich mehrere Punkte, die auch auf Landesseite in Landeskompetenz noch dringend einer entsprechenden gesetzlichen, rechtlichen oder materiellen Voraussetzung bedürfen.Da ist einmal die Einführung und Umsetzung der Betreuungsgarantie für Kinder unter drei Jahren. Es ist ja nett, wenn man über die frühkindliche Bildung spricht und einen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder ab null Jahren macht; es ist aber auf der anderen Seite so, dass auch diese Landesregierung das Tagesbetreuungsausbaugesetz auf Bundesebene abgelehnt hat und hier im Land Hessen keine müde Mark dafür zur Verfügung stellen will.Wir sind der Meinung,wenn es hier frühkindliche Bildung und Erziehung geben soll, muss die Landesregierung auch dafür sorgen, dass die Betreuungsgarantie für Kinder unter drei Jahren in Hessen umgesetzt und durchgesetzt wird.
Wir halten es für dringend notwendig, dass das Kindertagespflegeprogramm weiterentwickelt wird, dass es ein noch besseres Qualifizierungsprogramm für die Tageseltern geben muss. Das ist notwendig, weil sich die Tageseltern sehr wohl bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen für Erziehungsprozesse mit Kindern erwerben müssen, aber auch im Umgang und in Kooperation mit Eltern und anderen Erziehungsstellen, weil sie auch Schnittstellen in Kooperationen mit anderen Agierenden sind. Hierfür brauchen sie die notwendige Kompetenz. Da ist das Land mit entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen gefragt.
Wir brauchen eine Betriebskostenförderung für die Kindertagesstätten und die Verbesserung der Mindeststandards. Der Bildungs- und Erziehungsplan wird letztendlich nur erfolgreich sein, wenn es in den Kindertagesstätten bessere Bedingungen gibt. Dies ist auch umzusetzen. Wenn man in andere Länder schaut, sieht man, dass eine Erzieherin oder eine Kraft auf fünf bis zehn Kinder kommt. Schauen Sie sich einmal demgegenüber unsere Kindertagesstätten an.Wenn man hier echte, gute, qualifizierte Bildungsangebote und individuelle Förderung betreiben will, muss hier das Land tatsächlich auch noch etwas dazugeben. Es kann nicht sein, dass man die Belastungen allein bei den Kommunen belässt.
Wir halten es für notwendig,dass es eine stufenweise Freistellung von Elternbeiträgen gibt, nachdem die Qualitätssicherung in den unterschiedlichen Einrichtungen auch finanziert werden konnte. Wir halten es auch für dringend notwendig, dass die Einführung der flexiblen Eingangsphase an allen Grundschulen zügig umgesetzt wird. Es macht keinen Sinn, wieder eine Verordnung zu stricken, wie wir jetzt gehört haben, dass die flexible Eingangsstufe nur dann auf weitere Grundschulen übertragen werden kann,wenn die personellen Bedingungen vorhanden sind.
Das wird Stillstand bedeuten. Damit ist der Bildungs- und Erziehungsplan, jedenfalls was den Übergang auf die Grundschule angeht, schon wieder Makulatur. Einen guten Übergang kann es nur geben, wenn es tatsächlich diese flexible Eingangsstufe gibt.
Sie sehen also – das ist der letzte Satz, Herr Präsident –, jenseits der Qualifizierung, auch des Personals, der Lehrerinnen und Erzieherinnen, liegt es in der Landeskompetenz, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Nur so wird der Bildungs- und Erziehungsplan auch tatsächlich ein Erfolg.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wenn seine Entstehung sehr lange gedauert hat – dieser Bildungs- und Erziehungsplan bildet eine Leitlinie für Eltern, Tagesmütter, Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen, und er ist daher sehr zu begrüßen.
Deutlich wird das auch daran,dass sich mittlerweile schon viele Tandems beworben haben, um ihn auszuprobieren. Ich hoffe sehr, dass die Auswahl der einzelnen Tandems sehr vielfältig ausfällt, dass z. B. auch Schulen und Kindertagesstätten in freier Trägerschaft und mit anderen pädagogischen Zielen als reguläre Kindergärten daran beteiligt werden, sodass man in der Erprobung und der Auswertung ein möglichst vielfältiges Bild erhält.
Meine lieben Damen von SPD und GRÜNEN, ich denke, man sollte bei solchen Sachen einfach einmal Chancen sehen und nicht von Anfang an die großen Bedenken auspacken und sagen, das könne nicht klappen ohne ein Extrakonzept, das könne nicht klappen ohne viel Geld.
Die Erzieherinnen und auch die Grundschullehrerinnen – das sieht man auch daran, dass sich viele beworben haben – sind alle schon viel weiter. Die freuen sich auf die Erprobung. Sie wollen danach handeln, und sie warten nicht erst darauf, dass ihnen das Land ein Konzept zur Umsetzung und genaue Vorgaben gibt.
Die Forderung dieses Bildungs- und Erziehungsplans ist, dass alle, die sich um Kinder kümmern, sich gemeinsam
auf den Weg machen sollen, den ihnen anvertrauten Kindern nicht nur Betreuung, nicht nur Kuschelecken, Selbstverwirklichung und Spielen im Sozialverband anzubieten, sondern sie sollen bereits im Kleinstkindalter gezielt auf bestimmte Bildungsziele hinarbeiten.
Schauen Sie sich einmal die Lehrpläne in den Schulen für Sozialpädagogik oder die Pläne in den Kindertagesstätten an.Wie war das bisher? Auch da muss man schlicht und ergreifend sagen, dass die Inhalte der Siebzigerjahre grüßen lassen. Da ging es um Friedenserziehung, um Umwelt, um Selbstverwirklichung. Wie spiele ich möglichst viel? Am besten überlasse ich die Kinder sich selber.– Von Bildung, von Erziehung, von Leisten und Lernen war damals überhaupt keine Rede.
Ich kann mich noch sehr genau an die Diskussion von 1995 bis 1999 über die Kuschelecken in den Grundschulen erinnern.Da war es schon verpönt,wenn die Kinder einen Stempel bekommen haben, und das Gesicht war einmal ernst und einmal lachend,weil die Leistung des lachenden Gesichtes besser war. Da hat man schon in den Grundschulen gesagt, man verwirrt die Kinder in dem Moment, in dem man ihnen Leistung abfordert und ihnen etwas beibringt.
Das war in den Kindertagesstätten natürlich genauso, und deswegen ist es sehr gut, dass jetzt endlich in den Kindertagesstätten begonnen wird, die Kinder auf die Schule vorzubereiten und Bildungsgrundlagen zu legen.
Die Forderung an die Kindertagesstätten, die Kinder auf die Schule vorzubereiten – ein zentraler Bestandteil dieses Bildungs- und Erziehungsplans –,war früher schon ein Fremdwort. Das wäre ja outputorientiert gewesen. Die Kinder wären Produkte gewesen, die auf die nächste Station vorbereitet werden sollten. Darüber durfte man vor fünf, sechs oder sieben Jahren überhaupt noch nicht diskutieren.
Diese politischen Vorgaben prägten damals und prägen auch heute die Ausbildung der Erzieherinnen. Ich hatte das Vergnügen, Herrn Haueisen bei einem Vortrag in Limburg zu hören.Er ist ein maßgeblicher Mitarbeiter bei diesem Bildungs- und Erziehungsplan gewesen. Er hat folgenden Leitspruch gesagt: Die Wirklichkeit besteht aus geronnenen Möglichkeiten. Die Veränderung der Wirklichkeit bedeutet, diese Möglichkeiten wieder flüssig zu machen. – Genau diesen Leitspruch sollte sich jede Kinderbetreuungseinrichtung, jeder Kindergarten und auch jede Grundschule zum Leitsatz machen.
Es geht darum, zu überprüfen: Wo stehe ich selbst? Welche geronnenen Möglichkeiten haben wir? Was haben wir nicht gemacht? Was könnten wir besser machen? Auf welchen Weg machen wir uns mit diesem Erziehungsplan für die Zukunft? – Er enthält ein abgestimmtes Handlungskonzept für Kindergärten und Grundschulen, für die Kinder zwischen null und zehn Jahren. Jeder Bereich sollte den nachfolgenden im Auge behalten. Ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Bildungs- und Erziehungsplanes ist, dass Kinder von Geburt an als selbstständige Charaktere zu sehen sind und in dieser Bewertung und dieser Bewe
gung mitzunehmen sind, dass man sie nicht von oben herab behandelt,sondern dass man sie von vornherein mit einbindet.
Natürlich kam dann wieder der Disput über die Verbindlichkeit dieser Leitlinie.Ja,sie ist relativ unverbindlich.Sie ist sehr viel unverbindlicher als der Bildungs- und Erziehungsplan von Bayern. Das hat aber auch seinen Grund. In Bayern sind die Träger der Kindertagesstätten entweder das Land Bayern oder die katholische Kirche. In Hessen haben Sie eine Trägervielfalt an freien Trägern, an kirchlichen Trägern, an privaten Trägern. Da können Sie nicht mit einer solchen Verbindlichkeit in einen solchen Plan gehen. Sie müssen relative Leitlinien vorgeben, Grundlagen legen, und die einzelnen Einrichtungen müssen für sich selbst daran weiterarbeiten.
Hochinteressant ist,dass jetzt auf Bundesebene,insbesondere von der SPD, entdeckt worden ist, dass man Bildung früher anbringen soll. Der Regierungsberater Karl Lauterbach fordert eine Zwangsganztagsschule für Kinder ab drei Jahren. Das ist eine horrende Vorstellung, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Auch die Begründung, es wäre für die Bildungs- und Gesundheitschancen der Kinder gut, wenn sie den Eltern den ganzen Tag weggenommen würden und mit drei Jahren in eine Schule geschickt würden, halte ich für wirklich abenteuerlich. Das Schlimmste ist, er tut damit den Bildungschancen der Kinder überhaupt nichts Gutes. Er verschreckt nur die Eltern.
Wir haben in einem Antrag im Januar 2004 bereits einen verbindlichen Rahmen für die Kindergärten gefordert, und wir haben die Einführung unserer so genannten Kinderschule gefordert. Es kam wieder die Forderung nach der flexiblen Einschulung für Kinder zwischen fünf und acht Jahren in die ersten zwei Schuljahre. Ich habe mich neulich einen ganzen Tag in einer Eingangsstufenklasse E 1 aufgehalten und habe die Kinder beobachtet.Man hat die Eingangsklasse erweitert, sodass selbst Kinder mit vier Jahren die Eingangsstufenklasse besuchen dürfen. Ich sage Ihnen: Die Altersspreizung und die Reifespreizung sind dermaßen hoch, selbst bei fünfjährigen Kindern oder Kindern, die vier Jahre alt sind.
Es geht doch nicht um das Modell, sondern es geht darum, dass man Kinder mit unterschiedlichem Alter in einer Gruppe zusammenführt, mit einer Betreuungsperson, und diese Betreuungsperson soll die Kinder mit vier, fünf, sechs und sieben Jahren genauso fördern können, als wenn sie Kinder in einer relativ einheitlichen Altersgruppe hat. Das ist meiner Meinung nach nicht machbar.
(Beifall bei der FDP – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein ganz anderes Modell! – Gernot Grumbach (SPD): Überall in der Welt passiert so etwas!)
Deshalb ist unser Vorschlag, alle Fünfjährigen zusammenzufassen, sehr viel erfolgversprechender. – Nun wird wieder nur über die Strukturveränderung diskutiert und nicht über die Inhalte. Die Erzieherinnenausbildung ist eines der Themen, die jetzt hochgezogen werden. Sie müsste
dringend auf Hochschulniveau oder Fachhochschulniveau angehoben werden. Dazu sage ich Ihnen ganz ehrlich: Die Diskussion setzt am völlig falschen Ende an. Die Ausbildung unserer Erzieherinnen ist absolut hochwertig. Sie dauert fünf Jahre, und sie ist sehr praxisorientiert.