Protocol of the Session on June 9, 2005

Ich komme in der Abwägung zu der Überzeugung, dass es klüger ist,heute zu handeln,anstatt sich wegzuducken,dabei populärer zu sein und in drei Jahren nicht zu wissen, was man gemacht hat, und es der nächsten Generation gegenüber verantworten zu müssen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich mich noch einmal direkt an Ruth Wagner wenden, weil sie wahrscheinlich diejenige im Raum ist, die am ehesten nachvollzieht, was ich meine. In der Kontinuität von Regierungen in Hessen sind wir in dieser Frage nicht ganz frei, was die Erfahrungen angeht, tagespolitisch richtige oder falsche Entscheidungen über Kultur zu treffen. In

Darmstadt gab es in den Siebziger- und Achtzigerjahren, sehr von dir begleitet, die Diskussion um die Sammlung Ströher. Heute wissen wir: Es wäre besser gewesen, sie wäre in Darmstadt geblieben. Das ist eine der bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst des 20. Jahrhunderts.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir haben heute eine andere Debatte.Vielleicht kommt sie an anderer Stelle noch einmal wieder. Wenn Holbein einmal kommt, dann reden wir nicht über 13 Millionen c. Das weißt du, und das weiß ich.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Genau!)

Ich hoffe, wir haben das gelöst.Aber wir sind nicht sicher. Die Frage an die damalige Landesregierung – vergessen Sie dabei die Partei; das ist ziemlich parteiübergreifend – war: Baut ihr für eine große Sammlung, die privat zusammenkam, dort ein Museum? Es war in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre nicht sehr populär, Museen zu bauen.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Die Beträge waren im Vergleich zu dem, was die Sammlung heute wert wäre – – Man darf darüber nicht reden. Aber das wusste damals keiner.

Es war nicht möglich, dafür eine politische Mehrheit zu erlangen. Dann haben alle gekämpft, aus Verzweiflung, weil es nicht möglich war.Auch aus Verärgerung, aus Wut haben die Erben diese Sammlung dann zum Verkauf gestellt. Gleichzeitig mit dem Verkauf ist der Staat so panisch geworden, dass er genau zu diesem Zeitpunkt ganz schnell einen Museumsanbau gebaut hat.Am Ende gab es die Einweihung des Museumsanbaus, der in Ordnung ist und der gut ist für Darmstadt, allerdings war die Sammlung weg.

(Zuruf der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) – Gerhard Bökel (SPD): Sie war in Frankfurt gelandet!)

Für Darmstadt war sie weg. Die Geschichte der Rettung der Ströher-Sammlung hat an vielen Stellen etwas mit Walter Wallmann zu tun. Es war übrigens dann auch die Entscheidung von Walter Wallmann, gemeinsam mit den Kollegen der FDP, wenigstens den verbleibenden BeuysBlock zu kaufen. Dies geschah gegen den erbitterten Widerstand nicht nur der Bevölkerung, sondern sogar großer Teile der Regierungsfraktionen von damals. Das kann ich beurteilen, weil ich dabei war.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Heute gehen wir auch in diesen Zeiten durch das Land und die Welt, mit Frau Dr. Busch an der Spitze, die große Fähigkeiten hat,und versuchen,Teile der Kunst zurückzukaufen, die damals durch die Fahrlässigkeit des Landes, zum richtigen Zeitpunkt eine Entscheidung zu treffen, auch wenn sie unpopulär gewesen wäre,verloren ging.Mit der Kulturstiftung haben wir gerade ein Werk von Blinky Palermo gekauft, das damals dabei war.

(Minister Karlheinz Weimar: Blinky Palermo!)

Sie wissen,dass er Blinky Palermo heißt.Sie kennen ihn, also keine Sprachtests. – Insofern ist an dieser Stelle eine große Chance entgangen, weil man nicht zum richtigen Zeitpunkt das Richtige getan hat.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

In der Sache will ich noch etwas zu der Finanzierung sagen. Frau Abg. Wagner, Sie haben auch gesagt: Wir sind

auf einem Weg, über Einzelprojekte mit der Kulturstiftung zu reden.Wir glauben, dass da Finanzierungen möglich sind, frühestens im Jahr 2007. – Aber wir haben den vollen Betrag im Landtag genannt und bleiben auch dabei, weil wir keine Abrechnungen und Spekulationen mit anderen haben wollen.

Wenn man sich die Gesamtsumme und die Herausforderungen ansieht, die dahinter stehen: Sie steht in der Abwägung mit den anderen, populär oder unpopulär, wie Sie es hier gesagt haben, die einer Opposition so herrlich Polemik ermöglicht, wie Herr Al-Wazir es gezeigt hat.

Trotzdem glaube ich, es gibt eine Verpflichtung, in bestimmten Zeiten nicht nur Kommentare in Zeitungen zu lesen, sondern zu überlegen, was in zehn Jahren in den Zeitungen stehen wird. Unter dem Gesichtspunkt bitte ich Sie,dass Sie dem heute zustimmen,dass wir die Sammlung Erbach kaufen und dieser Region diese Chance für die Zukunft erhalten. – Vielen herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es folgt die zweite Runde. Ich weise darauf hin, dass wir aufgrund von § 73 eine Redezeitstruktur haben, die allen vier Fraktionen etwa die gleiche Redezeit von zehn Minuten gibt. – Das Wort hat der Kollege Walter für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident,liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, erlauben Sie mir eingangs eine Bemerkung. Sie haben eben gesagt, man sollte vorsichtig damit sein, Dinge zu zerschlagen, die man nachher nicht mehr reparieren kann.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das gilt für die Kooperation!)

Angesichts der Summe, um die es hier geht, die 13,3 Millionen c plus die Folgekosten, reden wir nahezu über die Hälfte des Anteils von dem, was in der „Operation düstere Zukunft“ im Sozialetat eingespart worden ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch das, was Sie da zerstört haben, ist nicht mehr zurückholbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte mir für meine Fraktion gewünscht, dass Sie diesen Gedanken, den Sie bei dem Schloss in Erbach eben geäußert haben, bei der Zerschlagung der sozialen Infrastruktur in unserem Lande einmal verfolgt hätten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt werden Sie sagen: Jetzt fangen sie wieder an, zu polemisieren, und vergleichen Dinge, die nicht vergleichbar sind.

(Rudi Haselbach (CDU): Sie polemisieren doch!)

Was haben Sie denn eben in Ihrer Rede gemacht, Herr Ministerpräsident? Sie haben versucht, den zunächst verzweifelten Beifall aus Ihrer Fraktion ein bisschen dadurch zu unterstützen, dass Sie einen Rückblick über die Geschichte gegeben haben und ein paar Dinge erklärt haben, von denen wir heute im Nachhinein wahrscheinlich alle sagen würden: Das hätte man so machen müssen. – Zum

Schluss hat es ein bisschen funktioniert, denn der Beifall in Ihrer Fraktion war nicht mehr ganz so zweifelhaft.

Wenn ich mir allerdings die Damen und Herren, die jetzt ein bisschen hämisch sagen, das ist für uns alles kein Thema, anschaue, bin ich mir relativ sicher: Bei Ihnen allen wird es im Wahlkreis in Zukunft eher mehr als weniger Themen und Projekte geben, wo Sie mit Ehrenamtlichen reden und sagen werden: Es ist alles ganz schlimm. Wir wünschten uns, dass das nicht geschlossen wird. Wir wünschten uns, dass diese Schule nicht geschlossen wird, dass diese Einrichtung nicht geschlossen wird. – Sie werden immer wieder den Hinweis auf die angespannte Haushaltssituation in der Kommune, im Land und im Bund machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDUFraktion, ob dieses Beschlusses, den Sie heute fassen wollen – zumindest haben Sie das angedroht –, werden Ihnen Ihre eigenen Leute in den Wahlkreisen und gar nicht einmal so sehr die Opposition aus Bösartigkeit sagen: Wenn ihr 13,3 Millionen c zur Verfügung habt, um einem verarmten Grafen ein Schloss in Erbach abzukaufen, werdet ihr uns nicht erklären können, warum die Grundschule vor Ort geschlossen werden muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Lannert,Sie wie auch der Ministerpräsident haben hervorgehoben, wie wichtig dieses Projekt für den Odenwald sei. Natürlich hat dieses Projekt eine Bedeutung für den Odenwald. Natürlich ist es ein schwieriges Problem. Natürlich sagt der Landrat aus dem Odenwald, er wünsche sich, dass das Schloss angekauft werde. Alles andere wäre überhaupt nicht zumutbar.Allerdings ist Ihr Argument, Frau Kollegin Lannert, die Besucherströme kämen in den Odenwald, wenn die Landesregierung das Schloss ankaufe, wenig stichhaltig. Bislang besuchen dieses Schloss – wenn ich es richtig sehe – 16.000 Besucher im Jahr.Welchen Unterschied sollte es bei den Besucherzahlen geben, wenn jetzt der Graf Eigentümer ist und nachher das Land Hessen Eigentümer wird? Was allein der Wechsel der Eigentümerstellung dazu beitragen soll, dass sich die Besuchermassen verdoppeln, verdreifachen oder gar vervierfachen, lässt sich mir nicht erklären. Sie haben das auch nicht erklärt. Sie hätten ja ein Konzept vorlegen können, liebe Landesregierung, aber das haben Sie bewusst nicht gemacht. In diesem Konzept wären nämlich die Folgekosten aufgetaucht.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Ich will jetzt einmal ganz offen reden, Herr Staatsminister Corts und Frau Lannert, weil Sie Herrn Reuter angesprochen haben. Die Tatsache, dass Michael Reuter hier mit Nein, gegen den Ankauf des Schlosses, stimmt, ist ein Akt der Treue gegenüber dem Odenwald und nicht der Untreue, wie Sie es darstellen, weil diese Folgekosten – –

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Wo war er denn bei der Abstimmung? Er ist hinausgegangen!)

Lieber Herr Gotthardt, machen Sie keinen Bundestagswahlkampf, und schreien Sie nicht so, meine Stimme ist ein bisschen angegriffen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben die zeitliche Perspektive von zehn Jahren angesprochen. Dazu möchte ich Folgendes anmerken.Der Regierungspräsident in Darmstadt hat eine Haushaltssperre über den Landkreis Odenwald verhängt. Die Stadt Erbach ist nun auch nicht eine der

reichsten Kommunen, die dies tragen können. Wie soll dies in dem Regionalverband mit den drei Trägern funktionieren? Sie wissen genau, dass die beiden Gebietskörperschaften Kommune und Landkreis schlicht überfordert sind.

Meine Damen und Herren, ich schaue mir einmal die Situation des Landeshaushaltes an. Für Sie ist es einfacher, weil Sie das über die Schulden regeln können. Für die Kommunen wird es schwieriger sein.

Ich komme auf die zentrale Frage zu sprechen, denn man kann eine Frage immer nur in der konkreten Situation und in der Zeit beantworten, in der man lebt. Es ist nun einmal so: Haushaltssperre, 31 Milliarden c Schulden beim Land, Einsparungen im Bildungsbereich sowie in allen Bereichen. In dieser Situation ist das, was Sie den Abgeordneten heute abnötigen, Herr Ministerpräsident, ein Akt der Untreue gegenüber den Staatsfinanzen in unserem Lande Hessen.Was Sie heute von den Abgeordneten verlangen, ist in keiner Weise vertretbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt jedoch einen Ausweg.Diesen Ausweg hat uns Frau Wagner aufgezeigt. Sie hat vorgeschlagen, die wertvollen und einzigartigen Stücke in diesem Schloss – nicht die Öllämpchen, wie es Frau Wagner ausgedrückt hat –, auf die es ankommt, über die Kulturstiftung der Länder zu erwerben. Ich kann an dieser Stelle zwar nicht nachvollziehen und abschätzen, ob es klappen kann oder nicht. Ich bin allerdings schon ein bisschen schockiert darüber, von Frau Wagner zu hören, die Landesregierung habe dies noch nicht einmal beantragt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Jetzt richte ich mich ganz konkret an Sie, Herr Gotthardt, der Sie als Geschäftsführer natürlich auch eine Rolle spielen: Muss diese Frage heute beantwortet werden? Muss die CDU-Fraktion heute diese Entscheidung treffen, nachdem uns Frau Wagner einige neue Tatsachen mitgeteilt hat? Können wir nicht in Verhandlungen eintreten, und Sie legen die Informationen vor, wenn wir wissen, wie die Verhandlungen ausgegangen sind? Bisher sehen wir nur eine verunsicherte CDU-Fraktion, die sagt: Für uns im Wahlkreis ist es ganz schlimm. Wir können es keinem Menschen erklären. Der Ministerpräsident hat es dem Grafen in die Hand zugesagt. In Bayern hätten wir so etwas „Spätzlewirtschaft“ genannt. Deshalb ziehen wir diese Sache jetzt auch durch.

Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union: Das ist ein Akt der Untreue gegen die Finanzen des Landes Hessen und gegen die Menschen des Landes Hessen.