Protocol of the Session on April 28, 2005

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie unseren Antrag, weil wir alle die Rechte jedes einzelnen Menschen im Blick haben. Ein Staat, der statt der Religion selbst Werte setzt, läuft Gefahr, diese Freiheit wie in einer Diktatur zu verletzen und so zu einer Gesinnungsdiktatur zu werden.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Völlig am Thema vorbei!)

Aus der „Bild“-Zeitung vom 11.04.2005 darf ich abschließend Wolfgang Thierse zitieren:

Zu DDR-Zeiten hat der Staat die Kirchen aus den Schulen verdrängt zugunsten eines staatlich verfügten Weltanschauungsunterrichts.

Das wollen wir nicht – Sie sicherlich auch nicht. Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein, den Religionsunterricht in Hessen zu stärken,damit die Freiheit der Religion gegenüber dem Staat erhalten bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat Frau Abg. Henzler für die Fraktion der FDP das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Entscheidung der Berliner SPD, auf Wunsch der PDS neben dem Wahlfach Religion einen verpflichtenden Werteunterricht einzuführen, hat zu einer bundesweiten Diskussion über den Religionsunterricht an den Schulen geführt. Das war das einzig Gute, was diese Initiative ausgelöst hat.

(Beifall bei der FDP)

Die Rot-Roten in Berlin sind mit dieser Absicht sowohl bei der FDP und der CDU als auch in ihren eigenen Reihen auf eine breite Front der Ablehnung gestoßen. Zu nennen sind z. B. Franz Müntefering und Bundeskanzler Schröder.Wolfgang Thierse wurde schon zitiert. Selbst die GEW ist dagegen.

In Hessen können sich die Fraktions- und die Parteiführung der SPD augenscheinlich wieder einmal nicht auf eine Sprachregelung einigen. Es gibt nämlich keinen Antrag der SPD zu diesem Thema.

(Zurufe von der CDU: Die sind sprachlos! – Frank- Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Blick in die Verfassung genügt, und dann hat sich alles erledigt!)

Dabei ist die Sache ganz einfach. Alle Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, brauchen ein Glaubensbekenntnis, dem sie folgen können, das ihnen Orientierung gibt und zu dem sie flüchten können, wenn sie sich von niemandem mehr verstanden wissen. Die Religion ist seit Anbeginn der Menschheit ein wichtiger Bestandteil aller Kulturen,und deshalb darf sie in der Schule nicht totgeschwiegen werden.

Die Anteilnahme gerade der Jugendlichen in aller Welt an dem Leiden und dem Tod des alten Papstes sowie an der Wahl des neuen Kirchenoberhauptes Benedikt des XVI. hat eindringlich bewiesen, dass Religion ein brennend wichtiges Thema ist und dass es ein dringendes Bedürfnis bei Kindern und Jugendlichen gibt, sich intensiv mit ihr zu beschäftigen und mehr über sie zu erfahren.

Selbst bei Grundschulkindern ist ein reges Interesse an Glaubensfragen zu erkennen. Sie stellen neugierige, forschende Fragen nach Gott, dem eigenen Leben und dem Tod, und sie benötigen verständliche Antworten auf ihre Sinnfragen. Bei der neuen Papstwahl haben Schüler einer dritten Klasse nachgefragt: „Was war denn da? Was ist ein Konklave?“, und sie haben den Unterricht von sich aus in diese Richtung geleitet. Ich finde, das zeigt sehr deutlich, wie früh sich Kinder mit diesen Themen befassen. Darüber hinaus sind Kinder aller Glaubensrichtungen sehr interessiert an religiösen Riten und Bräuchen – ein Wissen, das man ihnen nicht vorenthalten darf.

Die FDP lehnt daher einen verpflichtenden staatlichen Werteunterricht,wie er im rot-rot regierten Berlin geplant ist, strikt ab.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Unterricht ist nicht geeignet, Schülern eine Glaubensrichtung nahe zu bringen und ihnen Antworten auf persönliche, religionsspezifische Fragen zu geben.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Soll er gar nicht!)

Sie brauchen das aber dringend, Frau Hinz. – Eine allgemeine Wertevermittlung dieser Art sollte in allen Unterrichtsfächern erfolgen, so übrigens die GEW-Position. Das versteht sich somit von selbst, und es bedarf daher keines zusätzlichen verpflichtenden Unterrichtsfachs.

Die FDP ist der Auffassung, dass Religionsunterricht zur Unterweisung der Schüler in Glaubensfragen, zur Erkundung anderer Religionen und damit zum Verständnis und zur Vermittlung von Wertetraditionen sehr viel besser geeignet ist.

(Beifall bei der FDP)

Die Vermittlung von echten, vom Zeitgeist und von einer Fremdbestimmung durch die Politik unabhängigen Werten ist ohne einen Religionsbezug überhaupt nicht möglich.

Das langfristige Ziel der FDP ist ein Religionenkundeunterricht, der allen Kindern gemeinsam – in einem Klassenraum – das vermittelt, was man ihnen heute nach Gruppen getrennt beibringt.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist auch kein Bekenntnisunterricht!)

Laut Lehrplan ist es heute in jedem Religionsunterricht Pflicht, auch über andere Religionen zu informieren. Langfristig hielten wir es für viel besser, wenn man die Kinder gemeinsam unterrichten könnte.Aber das müsste in der Form eines Religionenkundeunterrichts erfolgen.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das geht nicht!)

Frau Hinz, das ist ein großer Unterschied. Das geht sehr wohl. – Bis es so weit ist, sind allerdings insbesondere in Hessen die christlichen Kirchen aufgerufen, sich einem gemeinsamen, überkonfessionellen Religionsunterricht nicht generell zu verschließen.

(Beifall bei der FDP)

Das gilt umso mehr, als der konfessionsgebundene Unterricht in unserem Land in der Realität leider ein recht stiefmütterliches Dasein fristet. Zum einen herrscht ein großer Lehrermangel in diesem Fach, zum anderen reicht an manchen Schulen die Schülerzahl sogar jahrgangsübergreifend nicht mehr aus, um den Unterricht konfessionsgebunden zu erteilen.

Liebe Kollegin Kölsch, gehen Sie einmal nach Kassel, Hanau oder Schwalbach, und besuchen Sie dort eine Hauptund Realschule oder eine Gesamtschule. An manchen Schulen gibt es leider gar keinen Religionsunterricht mehr, weil selbst jahrgangsübergreifend nicht einmal mehr neun Kinder zusammenkommen, die sich zu einer christlichen Konfession bekennen.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP fordert daher dringend eine Änderung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts in Hessen. Er muss stärker ökonomisch ausgerichtet werden.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ökumenisch! – Zuruf von der SPD: Ein schöner Versprecher!)

Ökumenisch, Entschuldigung. Wir haben den ganzen Morgen über die Wirtschaft diskutiert. – Der Religionsunterricht muss stärker ökumenisch ausgerichtet sein und sollte bei Bedarf in einen gemeinsamen Religionsunterricht umgewandelt werden. Er sollte konfessionell kooperativ unterrichtet werden.

Nach einem Erlass aus dem Jahr 1999 ist es zwar bereits jetzt möglich, dass Schüler in absoluten Ausnahmefällen am Religionsunterricht der jeweils anderen Konfession teilnehmen können. In der Praxis scheitern Anträge dieser Art jedoch meistens am Widerstand der Kirchen. Die Schulen befürworten einen gemeinsamen Religionsunterricht, da die Schüler dadurch die anderen Konfessionen und auch ihre Mitschüler besser kennen und verstehen lernen. Besonders in Schulen mit einem schwierigen sozialen und pädagogischen Umfeld ist das für das Schulklima nur förderlich.

Im CDU/FDP-regierten Baden-Württemberg haben die beiden Landeskirchen, die evangelische und die katholische Landeskirche, einen revolutionären Schritt gewagt und im März 2005 eine Vereinbarung zur konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht unterschrieben. Diese Vereinbarung sieht einen konfessionell kooperativen Religionsunterricht mit gemischt konfessionellen Gruppen vor, die im Wechsel von katholischen und evangelischen Lehrkräften unterrichtet werden sollen. Somit wird ökumenische Offenheit erfahrbar gemacht. Ich darf aus dieser Vereinbarung zitieren:

Die evangelische Kirche und die katholische Kirche bieten wechselseitig Schülerinnen und Schülern der jeweils anderen Konfession die Teilnahme am eigenen Religionsunterricht mit allen Rechten und Pflichten an, wenn von der anderen Konfession kein eigener Religionsunterricht angeboten werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn selbst jahrgangsübergreifend keine Lerngruppen von mindestens acht Schülerinnen und Schülern der eigenen Konfession zustande kommen. Dieser konfessionelle Religionsunterricht ist offen für Schülerinnen und Schüler, die nicht der evangelischen oder der katholischen Kirche angehören, sofern sie selbst als religionsmündige Schülerinnen und Schüler oder Eltern nicht religionsmündiger Schülerinnen und Schüler die Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht wünschen.

Die FDP fordert die Landesregierung auf, mit den Kirchen in Hessen so schnell wie möglich die Voraussetzung für eine solche Vereinbarung zu schaffen. Schließlich beklagen die Kirchen selbst den Unterrichtsausfall und den Bedeutungsverlust des Fachs Religion. Sie haben sicher die Nachricht von Herrn Prof. Steinacker gelesen. Ein gemeinsamer Religionsunterricht wäre eine attraktive Lösung.

(Beifall bei der FDP)

Das Fach Ethik ist in Hessen in der Schulpraxis keine wirkliche Alternative zum Religionsunterricht, da auch hierfür die Lehrkräfte fehlen,Ethik daher häufig nicht angeboten werden kann und es für die Schüler nicht besonders attraktiv ist. Ein gemeinsamer Religionsunterricht,der auch für Nichtchristen offen ist,wie aus der oben zitierten Vereinbarung hervorgeht, könnte den Mangel an Ethiklehrern in Hessen ausgleichen helfen. Vielleicht würden sich dann sogar viele Schülerinnen und Schüler gegen den Ethikunterricht und für einen gemeinsamen Religionsunterricht entscheiden.

Dennoch steht die Landesregierung in der Pflicht, den Mangel an Ethiklehrern zu bekämpfen und endlich den seit 2001 angekündigten Ethikunterricht mit dem Schwerpunkt Islam auf den Weg zu bringen. Es wäre wichtig, im Ausschuss einen Sachstandsbericht dazu abzugeben.

(Beifall bei der FDP)

Junge Menschen suchen angesichts sich ändernder Familienstrukturen und ungewisser Zukunftsaussichten – das passt wiederum zu der Wirtschaftsdiskussion von heute morgen – stärker denn je Halt und Orientierung im Glauben. Da die religiöse Erziehung im Elternhaus heute oft zu kurz kommt, müssen die Schulen und die Kirchen einspringen und gemeinsam die Voraussetzung für einen modernen, den Bedürfnissen der Schüler gerecht werdenden Religionsunterricht schaffen.

Überlassen wir unsere Kinder nicht irgendwelchen staatlich vorgegebenen Wertevorstellungen, sondern geben wir ihnen einen Halt und eine Richtschnur im Religionsunterricht und im christlichen Glauben.

(Beifall bei der FDP)

Als nächste Rednerin spricht Frau Hinz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Wortlaut des CDU-Antrags hat mich etwas irritiert. Ich habe mir nämlich die Frage gestellt – diese Frage stelle ich Ihnen heute –: Wer will denn – so, wie es in Ihrem Antrag formuliert ist – heute in Hessen den Religionsunterricht abschaffen? Wer versucht denn, hier in Hessen offen oder durch die Hintertür einen staatlichen Zwangs-Werteunterricht einzuführen? Gibt es etwa in der CDU subversive Kräfte, die einen solchen Putsch im Landtag inszenieren und dies durchsetzen wollten? Oder warum haben Sie diesen Antrag hier so formuliert? Oder hat Sie etwa das Motto einer großen Zeitung, die heute hier schon öfter eine Rolle gespielt hat, in der letzten Woche beflügelt, das lautete „Wir sind Papst“?

(Allgemeine Heiterkeit)

Natürlich weiß ich, dass der Anlass dieses Antrages die Debatte um den Religions- und Werteunterricht in Berlin ist.

(Zuruf von der CDU: Na also!)