Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit sowie eine besondere Aufmerksamkeit hier im Hause fest.
Zur Tagesordnung: Noch offen sind die Punkte 8, 9, 11 bis 38, 40 bis 42, 44 bis 46, 48 bis 50, 52 bis 65, 67 bis 70, 72 bis 75, 77, 78 und 80 bis 85.
Wir beginnen mit den beiden Aktuellen Stunden – das sind die Tagesordnungspunkte 67 bis 70 –, die zusammen aufgerufen werden. Wir haben uns bei den Tagesordnungspunkten 67 und 70 auf eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion verständigt. Bei den Tagesordnungspunkten 68 und 69 beträgt die Redezeit siebeneinhalb Minuten je Fraktion.
Danach kommt Tagesordnungspunkt 21. Es folgt Tagesordnungspunkt 72, die dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU für ein Gesetz zur Kommunalisierung des Landrats sowie des Oberbürgermeisters als Behörden der Landesverwaltung.
Herr Staatsminister Riebel hat sich wegen seiner Teilnahme an der Koordinationsgruppe zur Vorbereitung der Sitzung im Deutschen Bundestag für die heutige Plenarsitzung entschuldigt. Ferner ist Herr Staatsminister Grüttner entschuldigt, da er an der Konferenz der Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder teilnimmt. Herr Staatsminister Dr. Christean Wagner wird nach der Aktuellen Stunde wegen seiner Teilnahme an der Bundesrichterwahl in Berlin an unserer Plenarsitzung nicht mehr teilnehmen.
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Untätigkeit des Justizmi- nisters gefährdet die Arbeit der Staatsanwaltschaft) – Drucks. 16/3774 –
Der Stellenabbau im Sekretariatsdienst wird die größte hessische Staatsanwaltschaft kollabieren lassen.
Dieser Satz steht nicht in einer Verlautbarung der hessischen Opposition. Dieser Satz steht in einem offenen Brief der drei hessischen Verbände für Richter und Staatsanwälte, in der letzten Woche an den Justizminister gerichtet. Der Brief beschreibt die aktuelle Situation der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
Damit haben wir es jetzt schwarz auf weiß.Wir haben immer gesagt, die „Operation düstere Zukunft“, Ihre unverantwortliche Streichorgie, wird irgendwann dazu führen, dass der Kernbereich staatlicher Aufgaben gefährdet
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt verfolgt immerhin rund ein Drittel aller Straftaten in Hessen. Im letzten Jahr sind allein in der Stadt Frankfurt am Main 6.000 Straftaten hinzugekommen. Gleichzeitig werden durch die „Operation düstere Zukunft“ Stellen für Staatsanwälte gestrichen: Im letzten Jahr wurden zwei Stellen gestrichen, in diesem Jahr werden zwei Stellen gestrichen, und im nächsten Jahr fallen weitere 1,5 Stellen weg. Immer weniger Leute für die Verfolgung von immer mehr Straftaten – das kann nicht funktionieren.
Vermutlich wird sich der Herr Justizminister gleich ans Rednerpult stellen und den rechnerischen Personalzuwachs durch die Arbeitszeitverlängerung hinzurechnen. Sie wissen aber sicherlich, dass Staatsanwälte keine festgelegte Arbeitszeit haben. Sie müssen ihre Arbeit erledigen, ohne auf die Uhr zu schauen. Als die Arbeitszeitverlängerung eingeführt wurde, haben viele Staatsanwälte sarkastisch gesagt: Na prima, jetzt sollen wir nur noch 42 Stunden arbeiten. Dann sind wir ja früher zu Hause. – Die Staatsanwälte haben nämlich schon bisher bis zu 50 Stunden in der Woche gearbeitet.
Aus der Statistik ergibt sich eindeutig: Die hessischen Staatsanwälte hatten 1999 eine durchschnittliche Belastung von 120 % – gemessen an einem normalen staatsanwaltschaftlichen Dezernat. Die Belastung ist bis 2003 auf 137 % gestiegen. Das war vor der „Operation düstere Zukunft“. Jetzt sollen allein in Frankfurt weitere 5,5 Stellen wegfallen, und die Kolleginnen und Kollegen sollen die Arbeit mit erledigen. Niemand braucht sich zu wundern, dass wir sagen, die Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft ist gefährdet.
Der Herr Innenminister, der im Augenblick nicht da ist, hat sich in der letzten Woche damit gebrüstet, dass die Aufklärungsquote gestiegen sei. Er hat verschwiegen, dass die Personalpolitik des Justizministers dazu führen wird, dass die Täter nicht mehr angemessen verfolgt werden können.
Die Quote des Personalabbaus im mittleren Dienst und bei den Angestellten beträgt allein bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt sage und schreibe 15 %. Das heißt, die Staatsanwälte sollen jetzt auch noch Sekretariatsaufgaben erledigen. Aber ein Staatsanwalt, der am Kopierer steht, kann keine Anklageschrift schreiben, und ein Staatsanwalt, der seine Post sortieren muss, kann kein Ermittlungsverfahren leiten. Es wird bald dazu kommen, dass die Staatsanwälte in Frankfurt mehr hinter ihren Akten herrennen als hinter den Tätern, die sie eigentlich verfolgen sollen.
Das ist nur deshalb so, weil die Landesregierung nicht in der Lage ist, für ausreichend Personal zu sorgen.
Der offene Brief der Verbände ist von drei Oberstaatsanwälten unterschrieben, die bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main arbeiten. Er zeigt deutlich, dass der Staatsanwaltschaft das Wasser bis zum Hals steht.Die drei
Oberstaatsanwälte haben bekanntermaßen einen obersten Dienstherrn, der außerordentlich nachtragend ist. Für alle drei wird der offene Brief offensichtlich „Edeka“ bedeuten,das Ende der Karriere.Das nehmen sie bewusst in Kauf, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, als die Öffentlichkeit zu informieren, und weil sie die Verantwortung wahrnehmen wollen, die dieser Minister nicht zu tragen bereit ist.
Es gehört keine große Fantasie dazu, zu prognostizieren, dass sich der Herr Minister gleich hierher stellen und die Verantwortung wieder einmal auf die Behördenleiter, auf die gemeinsame Verwaltungsstelle der OLGs und der Generalstaatsanwaltschaft,auf die Budgetierung und auf was auch immer abschieben wird. Ich stelle an dieser Stelle ganz klar fest: All dies ändert nichts an der politischen Verantwortung des Justizministers.
Niemand anderes als Sie, Herr Wagner, ist für eine funktionierende Justiz verantwortlich. Sie sind diesem Landtag dafür verantwortlich, Sie sind den Menschen in Hessen dafür verantwortlich, und Sie können sich da nicht immer wieder herausreden. Sie sind Teil des Problems. Wir haben einen Minister auf der Flucht – auf der Flucht vor der Verantwortung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Von dem üblichen Oppositionsgetöse, in der Rechtspolitik in der Regel von Herrn Dr. Jürgens verursacht, komme ich jetzt zur Sache.
Ich muss wirklich sagen: Eine schlichtere Polemik habe ich in Sachen Rechtspolitik selten gehört – auch nicht in den Zeiten meines Amtsvorgängers.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Doch, die Polemik von Wagner!)
Deshalb ist es ganz gut, wenn wir zur Sache sprechen. Die Fraktion der GRÜNEN macht sich den Inhalt eines offenen Briefes von drei Staatsanwälten zu Eigen und behauptet ohne jede weitere Sachkenntnis eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Fünfjahresplan funktioniert noch!)
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft und alle übrigen hessischen Staatsanwaltschaften sind angemessen ausgestattet.
Sie werden laufend modernisiert und stehen im Ländervergleich gut da. Die Aufrechterhaltung der Fähigkeit der Staatsanwaltschaften zur Verbrechensbekämpfung ist und bleibt höchste Priorität dieser Landesregierung.
Die nüchternen Fakten bestätigen das in jeder Hinsicht und entlarven die Behauptungen der GRÜNEN als bloße Unterstellungen und polemische Übertreibungen.
(Jürgen Walter (SPD): Sagen Sie endlich etwas zu dem Schreiben der Staatsanwälte! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaft Frankfurt ist, landesweit gesehen, nicht überdurchschnittlich hoch. Ich komme jetzt zu den einzelnen Fakten.
(Norbert Schmitt (SPD): Die anderen scheinen sich nicht zu trauen, sich zu äußern! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)