Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf und den Änderungsantrag in seiner Sitzung am 25. Januar 2005 behandelt, den Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP bei Stimmenthaltung der SPD angenommen und sodann mit den Stimmen der CDU und der FDP bei Stimmenthaltung der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die genannte Beschlussempfehlung getroffen.
Vielen Dank. – Ich sage es noch einmal, bei Gesetzentwürfen muss berichtet werden.Wenn ein Berichterstatter seinen Bericht vergessen hat, bekommt er ihn vom Präsidium. Hier oben wird nicht nach Parteien gefragt, hier wird geholfen. Das war schon immer so.
Ich rufe jetzt zur Abstimmung auf. Wer dem Gesetzentwurf der Landesregierung in zweiter Lesung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU und FDP. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – SPD und GRÜNE. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit Mehrheit beschlossen und zum Gesetz erhoben.
Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Gewährleistung eines bedarfsgerechten Betreuungsangebotes für Kinder unter drei Jahren nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz in Hessen – Drucks. 16/3497 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. – Das Wort hat Frau Kollegin Schulz-Asche, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema kinder- und familienfreundliche Gesellschaft ist endlich in aller Munde. Erst letzte Woche hat die Bundesregierung den Familienatlas 2005 vorgestellt, und sogar gestern Abend in der Harald-Schmidt-Show war Familienpolitik das zentrale Thema. Endlich, kann man sagen, ist das Thema angekommen. Das jahrzehntelang gültige konser
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Oh!)
Die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse haben in fast allen westeuropäischen Ländern familienpolitische Revolutionen ausgelöst. Sie haben dort die Regierungen und die Zivilgesellschaften zum Handeln gezwungen. Die Regierungen und Gesellschaften haben gehandelt.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis davon war ein völlig neuer Blick auf das, was eine Familie ist. In der Folge wurde die Bedeutung der Rolle von Familienmitgliedern und die Rolle der Politik neu definiert. Das Ergebnis war z. B., dass unser Wahlprogramm von 2003 wie folgt betitelt ist: „Kinder in den Mittelpunkt“.
Das neue europäische Familienbild, das sich um das Motto „Kinder in den Mittelpunkt“ rankt, bedeutet, dass wir davon ausgehen, dass jedes Kind, egal wie alt es ist, eine eigenständige Persönlichkeit ist, das neben den Grundrechten auch ein Recht auf individuelle Förderung und auf Partizipation hat.
Meine Damen und Herren, dieses neue Familienbild bedeutet, dass Männer und Frauen nicht nur in der Gesellschaft gleichberechtigt sind, dass sie nicht nur Arbeitskräfte oder nicht nur Eltern sind, sondern die neue Familie definiert sich als gleichberechtigtes Miteinander von Partnern, egal welchen Geschlechts, mit gemeinsamer Verantwortung für das Familienleben und mit gemeinsamer Verantwortung für das Familieneinkommen.
Dieses neue europäische Familienbild geht weiter davon aus, dass es Aufgabe der Gesellschaft ist, die Familien in ihren Aufgaben zu fördern und zu unterstützen. Wir haben gerade in der Antidiskriminierungsdiskussion gesehen,wie weit Sie von dieser europäischen Diskussion über Selbstbestimmtheit,über die Aufhebung von Diskriminierungen einzelner Personen entfernt sind.
Meine Damen und Herren, wir haben ein Familienbild – das ist das bittere Erbe der Ära Kohl –, das derart reaktionär ist, dass wir eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa haben und dass wir bei dem demographischen Alterungsprozess am schnellsten voranschreiten. Das, meine Damen und Herren, ist das Erbe der Ära Kohl.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU – Helmut Peuser (CDU): Lächerlich!)
Meine Damen und Herren, deswegen ist es ein wahrer Segen, dass das Thema Familie endlich in aller Munde ist. Aber es reicht nicht aus, dass es in aller Munde ist, nun müssen Taten folgen.
Das heißt, dass Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht sind, Kinderfreundlichkeit mit all seinen Facetten endlich zum Mittelpunkt des Handelns zu machen. Wenn
wir ernsthaft über Kinder- und Familienfreundlichkeit reden, brauchen wir einen familienpolitischen Aufbruch in diesem Land, der nicht zwischen Bund, Ländern und Kommunen zerredet werden darf. Meine Damen und Herren, das steht auch in Hessen auf der Tagesordnung.
Die Bundesregierung hat mit der Verabschiedung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes zum 1. Januar einen ganz wesentlichen Schritt dahin gemacht,dass sich auch die Betreuung der unter Dreijährigen wesentlich verbessern kann. Auch auf kommunaler Ebene und in vielen Betrieben in Hessen ist sehr viel auf den Weg gebracht worden. Es laufen bereits sehr viele Aktivitäten.Viele Gemeinden würden sogar gerne mehr für ihre Bürger und Bürgerinnen aller Altersgruppen tun, aber sie können es nicht alleine schaffen. Vor allen Dingen schaffen es die Städte und Kommunen in strukturschwachen Regionen nicht allein. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren von der CDU, da reicht Ihre Parteitagslyrik bei weitem nicht mehr aus. Sie versuchen, mit dem Beschluss Ihres Sonderparteitages – was man Ihnen nicht verdenken kann – den Eindruck eines modernen Familienbildes zu vermitteln. Jetzt reist die Sozialministerin durch das Land und versucht, ihre eigene Basis von dem Beschluss zu überzeugen. Meine Damen und Herren von der CDU, auf dem Weg zu einem modernen Familienbild haben Sie noch einen weiten Weg vor sich. Ich befürchte, dass es für die meisten Familien dann zu spät ist.
Meine Damen und Herren, im Moment handeln Sie nicht, sondern Sie betreiben eine rein virtuelle Familienpolitik, die sich darin erschöpft, Öffentlichkeitsarbeit über eben diese virtuelle Familienpolitik zu betreiben. Seit 2001 erzählt uns der Ministerpräsident, er wolle das Land zum Land der Tagesmütter machen. Im letzten Jahr haben Sie gerade einmal 800 Plätze geschaffen. Frau Lautenschläger, bei dieser Geschwindigkeit sind Sie Großmutter, bis Sie Ihre eigenen familienpolitischen Ziele erreicht haben.
Ein weiteres Beispiel für diese virtuelle Politik sind die beiden Modellkommunen, mit denen Sie jetzt durch die Lande reisen. Dort soll geprüft werden, ob Familienfreundlichkeit Auswirkungen auf die Geburtenrate hat. Wir wissen aus einer Vielzahl von europäischen und deutschen Kommunen, dass dies der Fall ist. Ihre Modellkommune ist doch lediglich ein Vorwand dafür, nicht tatsächlich aus familienpolitischen Gründen Geld in die Hand zu nehmen und die Kommunen in Hessen bei der Verwirklichung der Kinderfreundlichkeit zu unterstützen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Ihnen fällt immer nur Geld ein! Nichts anderes! Sie werden keine Kinder kaufen können!)
Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen ein Konzept vorgelegt, das dazu geführt hätte, dass Sie Ihr eigenes Parteiprogramm hätten umsetzen können. Das haben Sie mit einer Begründung abgelehnt, die so lapidar war, dass mir nicht einmal mehr der Grund einfällt. Stattdessen sagen Sie: 3,5 Millionen c für zwei Modellkommunen. Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen vorgerechnet, dass Sie allein in diesem Jahr 6.000 Plätze bräuchten. Das ko
stet ungefähr 22 Millionen c. Sie kommen mit 3,5 Millionen c und erzählen, Sie würden den familienpolitischen Aufbruch schaffen. Hören Sie auf, die Leute anzulügen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Petra Fuhrmann (SPD): Lächerlich! – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Sagen Sie, dass Sie kein Geld in die Hand nehmen wollen. Sagen Sie, dass Sie Hirschgeweihe kaufen wollen. Dann sagen Sie den Leuten die Wahrheit. Aber hören Sie auf, den Leuten vorzulügen, dass Sie Familienpolitik machen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang gleich mit einer anderen Lüge von Ihnen aufräumen. Sie behaupten, Ihre Offensive für Kinderbetreuung sei a) von Ihnen erfunden worden und sei b) ein Programm für die Kleinkinderbetreuung. Erstens. Das Sofortprogramm Kinderbetreuung existiert seit 1992. Zweitens ist Ihre Offensive kein Kleinkinderprogramm. Ich habe es Ihnen hier bereits mehrfach erzählt: Im Jahr 2003 sind 27.800 Bereuungsplätze gefördert worden, 21.600 davon für Grundschulkinder. Lediglich 4.000 Krippenplätze waren darunter. Meine Damen und Herren, mit der Offensive für Kinderbetreuung finanzieren Sie nicht den Ausbau der Kinderbetreuung, sondern Sie versuchen, die Versäumnisse der Ganztagsbetreuung in Grundschulen zu kitten.Das ist die Realität Ihrer Familienpolitik in diesem Lande.
Was diese Offensive gerade nicht macht, ist, die Kleinkinderbetreuung auszubauen. Deswegen ist Ihre Bilanz auch so mager. Seit 1999 hat es eine leichte Zunahme auf jetzt knapp unter 5 % gegeben.In der gleichen Zeit ist die Zahl der Kinder, um die es hier geht, von 185.000 auf 166.000 gefallen. Meine Damen und Herren, das ist der Erfolg Ihrer Familienpolitik.
Meine Damen und Herren, die Versäumnisse der hessischen Familienpolitik werden deutlich, wenn wir uns ansehen, dass die meisten Kommunen in Hessen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – das nach dem ab 1. Januar geltenden Tagesbetreuungsausbaugesetz erforderliche Angebot überhaupt nicht zur Verfügung stellen können.
Meine Damen und Herren, selbst Frankfurt mit einer Betreuungsquote von 22 % hat, wie wir wissen, wie übrigens alle Städte in Hessen, einen zusätzlichen Bedarf. Das heißt, auch hier sind die 22 % nicht bedarfsdeckend. Hier muss weiter zugelegt werden. Deswegen steht der Ausbau der Betreuungsangebote auch auf der Tagesordnung.
Frau Lautenschläger, wenn wir über das neue Kinderbild reden, das sich europaweit durchsetzt, dann reden wir – das möchte ich an der Stelle betonen – nicht nur über Quantität und Angebotsvielfalt, sondern wir reden auch über Qualität, und zwar sowohl in den Einrichtungen als auch in der Familienbetreuung, die Sie noch Tagespflege zu nennen pflegen. Auch hier hängt Deutschland Jahrzehnte zurück. Denn eine Familienideologie – das ist der eigentliche Hintergrund, warum es so schleppend losgeht –, in der das Kind als Person keine eigenen Rechte hat, wird automatisch die gesellschaftlichen Aufgaben,die sich
auf dieses Kind konzentrieren, vernachlässigen, das heißt die individuelle Förderung eines jeden Kindes. Das gleiche passiert übrigens im Moment in der Schulpolitik, wo eine individuelle Förderung nicht mehr möglich ist, wo aufgrund der Einsparung von tausend Lehrerstellen das, was hier gefordert wird, nämlich auf das einzelne Kind einzugehen, praktisch nicht mehr möglich ist.
Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, bei der individuellen Förderung den Bildungsauftrag der Familie zu unterstützen, aber auch zu ergänzen. Denn letztendlich wissen wir alle, die wir Mütter und Väter sind, dass Kinder vom ersten Tag an lernen, und zwar gerade in den ersten Lebensjahren mit einem Höllentempo. In anderen Ländern fließt das längst in Erziehungs- und Bildungspläne ein.
Ich nenne noch ein weiteres Beispiel für Ihre virtuelle Familienpolitik.Frau Lautenschläger hatte im Jahr 2003 eine Presseerklärung mit der Überschrift „Bayern und Hessen entwickeln bundesweit ersten Bildungsplan für Kinder von null bis zehn“ herausgegeben.
Meine Damen und Herren, das war 2003. Bayern ist inzwischen in der Erprobungsphase.Was ist in Hessen?
In Hessen ist dieser Plan noch nicht einmal der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Meine Damen und Herren, das ist virtuelle Familienpolitik. Sie reden, aber Sie handeln nicht.