Protocol of the Session on January 26, 2005

Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 59. Plenarsitzung des Hessischen Landtags, heiße Sie herzlich willkommen und wünsche einen guten Morgen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. Zur Tagesordnung halte ich fest, dass wir die Punkte 1, 3, 4, 5, 45 und 54 erledigt haben.Tagesordnungspunkt 13 wurde abgesetzt.

Ich will zwei Mitteilungen machen.

Zum einen als erste Erfahrung von gestern: Wir hören hier jedes Wort, das Sie sagen.

(Heiterkeit – Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir aber auch!)

Ja, in Ordnung. Das heißt also, ich kann selbst dann, wenn einer etwas sagt, was er als Zwischenruf meint, aber Angst hat,dass es hier gehört wird,sagen,dass ich es trotzdem höre.

(Jürgen Walter (SPD): Das ist unparlamentarisch!)

Das haben wir gestern einmal geübt. Ich werde es heute öfter üben.

Zweitens wurde ich gebeten, auf Folgendes hinzuweisen: Sie sehen, dass wir unter der Decke der Tribüne Kameras angebracht haben, und zwar drei Kameras. Die großen sind vom Hessischen Rundfunk, sind also unsere offiziellen Kameras, die die Öffentlichkeit herstellen. Da sehen Sie,dass auch kein Kameramann dahinter steht.Das ginge auch schlecht. Diese Kameras werden ferngesteuert. Sie müssen wissen,dass Sie über diese Kameras entdeckt werden können. Was ich noch klären muss, ist, ob wir erkennen können, wann welche Kamera an ist. Es wäre etwas fairer, wenn wir das wüssten, als wenn wir nicht wissen, welche gerade an ist. Das nur zu Ihrer Information. Die kleine Kamera dort hinten ist die Kamera, die die Übertragung in die Fernsehapparate gewährleistet, also die Hauskamera.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Regierung wollte doch überall Videoüberwachung! – Gegenruf des Ministerpräsidenten Roland Koch:Wir haben auch kein Problem!)

Aufgrund Ihres Zurufs stelle ich fest, Herr Al-Wazir: Hier vorne fehlt eine für Sie.

(Norbert Schmitt (SPD): Ich gehe davon aus, dass der Präsident Herrn Al-Wazir immer im Auge hat!)

Das reicht auch. Da haben Sie völlig Recht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zur Sache kommen.Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden.Ich hatte Ihnen gestern mitgeteilt, dass die Frau Stadtverordnetenvorsteherin uns heute kurz vor der Mittagspause die Ehre geben wird und uns anschließend zusammen mit Herrn Oberbürgermeister Diehl zu einem Begrüßungsumtrunk einladen wird.

Wir beginnen heute mit Tagesordnungspunkt 2: Regierungserklärung des Hessischen Ministerpräsidenten. Dann kommt Tagesordnungspunkt 6 und dann Tagesordnungspunkt 8. Nach der Mittagspause beginnen wir mit

Tagesordnungspunkt 15. Dann schließt sich der Erste Bericht des Petitionsausschusses an.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte wirklich um Ruhe. Die Petitionen bilden den Abschluss unserer heutigen Sitzung.

Meine Damen und Herren, Herr Staatsminister Riebel hat heute Termine als Bevollmächtigter des Landes Hessen in Berlin.

(Michael Siebel (SPD):Ach!)

Dann darf ich beginnen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 – –

(Anhaltende Unruhe)

Nein, ich warte noch ein bisschen. – Vielen Dank. – Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung des Hessischen Ministerpräsidenten betreffend „Moderne Strukturen für ein leistungsfähiges Hessen“

Es ist eine Redezeit von 30 Minuten vereinbart. Das Wort hat Herr Ministerpräsident Koch.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Normalerweise – das wird auch in den neuen räumlichen Verhältnissen hier so bleiben – ist im Fokus der Diskussion des Hessischen Landtags zwischen den Fraktionen und der Regierung die Frage von politischen Zielsetzungen in Form von Gestaltung: Was ist an politischen Zielsetzungen in der Bildungspolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Verkehrspolitik oder in anderen Fragen im Mittelpunkt?

Ich möchte heute mit dieser Regierungserklärung Ihr Augenmerk ein Stück darauf richten, dass es im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren und der Strukturen, die wir damit schaffen, aber auch innerhalb dieser sehr großen Landesverwaltung, die eine Menge an öffentlichen Aufgaben wahrnimmt, aber dazu jedes Jahr auch eine Menge an Geld verbraucht,wesentliche Veränderungen und Modernisierungen in ihrer Struktur gibt, die für die Bürgerinnen und Bürger des Landes, für die Qualität der Erbringung unserer Leistungen genauso wichtig sind wie die Diskussion darüber, welche politischen Zielsetzungen mit dieser Verwaltung erreicht werden sollen. Ich möchte Ihnen sagen, dass die Modernisierung des Landes Hessen in diesem Sinne – Veränderung von Strukturen, schnellere Entscheidungswege, bessere Arbeitsmittel, größere Bürgernähe – inzwischen dazu geführt hat, dass unser Bundesland, das Bundesland Hessen, von vielen anderen als Maßstab dafür genommen wird, wie weit Verwaltungsreform erfolgreich geleistet werden kann.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Hessen ist in der Modernisierung inzwischen die Nummer eins, und „Hessen vorn“ – das wird jeder sehen, wenn er z. B. auf die CeBIT geht – ist inzwischen wieder ein Synonym für hessische Politik. Da hatten Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und GRÜNEN, einige Jahre für eine Auszeit gesorgt. Die haben wir beseitigt. Die Leute schauen in dieser Frage wieder auf das Land.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Das ist das Ergebnis einer Strategie, die 1999 – damals gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP – für die Veränderung der Landesverwaltung begonnen worden ist. Es ist aber auch – das will ich ausdrücklich zu Eingang sagen – die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung, auf die bei diesem Veränderungsprozess, und zwar nahezu auf jeden Einzelnen an jeder Stelle, sei es in den Strukturen oder bei den Arbeitsmitteln, auch eine Menge an Aufgaben, teilweise auch an Arbeitslast zugekommen ist, die sie bewältigt haben. Bei allen Diskussionen, die Sie sonst führen mögen, will ich doch sagen, ein Teil der Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu diesen Erfolgen führt, liegt auch darin, dass sie heute bessere Arbeitsmittel haben, schnellere Entscheidungen bekommen und eher in der Lage sind, ihre Aufgaben so zu erfüllen, wie sie es sich auch selbst vorstellen. Das gehört zu einer solchen Verwaltung.

(Beifall bei der CDU)

Das Stichwort der Modernisierung hat sehr unterschiedliche Facetten. Die Hessische Landesregierung hat sich gemeinsam mit den Landkreisen um die Frage der Verwaltung im Bereich der Arbeitslosen- und Sozialhilfe mehr Gedanken gemacht als andere in der Bundesrepublik Deutschland.Als es darum ging,welcher Landkreis sich in Gemeinschaft mit der Landesregierung eher zutraut, diese Aufgaben selbst zu übernehmen und sie nicht an eine zentrale deutsche Bürokratie abzugeben, die von Nürnberg aus gesteuert in jedes Dorf hinein Arbeitsverwaltung betreiben soll, haben sich eben mehr Landkreise aus Hessen beworben als aus jedem anderen Land der Bundesrepublik, und zwar ganz egal, ob es christdemokratisch oder sozialdemokratisch regierte sind, also Landkreise, die selbstbewusst genug sind, sich zuzutrauen, so etwas zu können. Deshalb ist Hessen heute das Musterland in diesem Bereich, und nahezu 50 % aller Hilfeempfänger werden dort in Zukunft mit kommunalen Instrumenten betreut. Das wird besser werden als auf der Bundesebene.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Wir betrachten das – das ist ein Novum, ein großer Vorteil – erstmals als eine Chance, in der unterschiedliche Verwaltungen auch tatsächlich in einem Wettbewerb um die gleiche Leistung miteinander stehen, in dem am Ende gemessen werden kann, ob zentrale oder dezentrale Strukturen besser sind, ob die Computerprogramme, die wir entwickelt und eingesetzt haben, ob die Art, wie man miteinander arbeitet und Erfahrungen austauscht,tatsächlich Menschen helfen, schneller wieder in Arbeit zu kommen, tatsächlich helfen, eine sachgerechtere Betreuung zu möglicherweise sogar vertretbareren Kosten zu haben. Dieser Wettbewerb ist bitter notwendig. Wenn Sie sehen, dass die Bundesagentur in diesen Tagen berichten musste, dass von 400.000 Vermittlungen, die sie im letzten Jahr in Deutschland insgesamt durchgeführt hat, 200.000 Vermittlungen in den zweiten Arbeitsmarkt, also in von ihr selbst geschaffene Programme, gingen, müssen Sie nüchtern feststellen, dass eine Verwaltung mit 100.000 Leuten im letzten Jahr 200.000 Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt vermittelt hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir dort einen Wettbewerb brauchen, ob man das nicht besser machen kann, ist eine Banalität. Aber in diesem Bundesland Hessen zeigen wir gemeinsam mit Niedersachsen und einigen wenigen anderen, dass dieser Wettbewerb möglich ist, und ich bin sicher, das

wird zur Leistungssteigerung bei uns und bei der Bundesagentur für Arbeit führen.

(Beifall bei der CDU)

Aber das trifft natürlich auch andere große Bereiche,über die wir in politischen Fragen immer wieder reden. Die eine Frage ist: Wie wird Schule organisiert, was sind Bildungsziele? Aber die andere Frage ist:Wie setzen wir das, was wir für richtig halten und was eine Mehrheit des Landtags, in vielen Fragen ja in Wahrheit auch wir alle gemeinsam für richtig und notwendig halten,um? Wir haben inzwischen mit den Gesetzen, die der Hessische Landtag im letzten Jahr beschlossen hat,Strukturen geschaffen,die dazu führen, dass andere Bundesländer im Augenblick sehr genau schauen, was sie wie schnell davon übernehmen können, etwa in der Organisation der Lehrerausbildung.

Kein anderes Bundesland hat eine praxisorientiertere und enger zwischen Schule und Ausbildung verzahnte Lehrerausbildung. Kein anderes Bundesland formuliert den Anspruch an Lehrer klarer, ihr Leben lang an Ausund Weiterbildung teilzunehmen, als das Bundesland Hessen mit dem Gesetz,das am 1.Januar 2005 in Kraft getreten ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben jetzt mit Baden-Württemberg eine Vereinbarung darüber getroffen, wie der Mathematiktest aussehen soll, den wir gemeinsam einsetzen wollen. Es zeigt sich, dass unsere Entscheidung richtig ist, zu bewerten und die Leistungen der Schulen zu vergleichen und diese Vergleiche nicht nur im eigenen Land durchzuführen und schon gar nicht nur in einer Schule. Vielmehr muss man sie bei allem Respekt vor dem Föderalismus auch gemeinschaftlich durchführen, um zu sehen, was dabei herauskommt. So etwas zu machen ist also möglich. Inzwischen haben wir da auch erste Erfolge erzielt.

Wir mussten in diesem Landtag mit Ihnen teilweise harte Diskussionen darüber führen, ob es denn verantwortbar ist, dass man die Ergebnisse der Bewertungen und der Leistungsvergleiche der Schulen als ein Instrument zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Schulen im Wettbewerb untereinander benutzen und diese Daten überhaupt veröffentlichen darf. Sie sollten in der Zeitung lesen, was sozialdemokratische Kultusminister, wie etwa Herr Böger in Berlin, zur Frage des Vergleichs der Grundschulen sagt. Dann würden Sie feststellen, dass das inzwischen zu einem Grundelement der Arbeit im Schulsystem geworden ist. Als wir damit angefangen haben, war das fast schon political incorrect. In der Zwischenzeit ist das eine Selbstverständlichkeit. Wir haben in diesem Bereich den Maßstab gesetzt.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir haben eine Möglichkeit gefunden, die Instrumente so einzusetzen, dass das, was der Hessische Landtag mit seiner Mehrheit als Politik vorgibt und was auch die Leitlinien der Regierungspolitik sind, Realität werden kann und von den Bürgern, den Schülern, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes entsprechend erlebt werden kann. Wir werden diesen Weg Schritt für Schritt weiter beschreiten, wohl wissend, dass Eigenverantwortung und Dezentralität bei verbindlichen Rahmenvorgaben – diese muss die Landespolitik angesichts ihrer Verantwortung für Budget und Gesetzgebung vorgeben – die wesentliche Elemente sind, mit denen wir uns dabei

beschäftigen. Das wird in Zukunft auch hinsichtlich der Frage gelten, inwieweit man die Schulen in größere Eigenverantwortung entlassen kann.

Jetzt hat das Modellprojekt „Selbstverantwortung plus“ mit 17 Berufsschulen begonnen. Wir werden in Kenntnis der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Organisationen Stück für Stück dafür sorgen, dass die Entscheidungen mehr und mehr vor Ort getroffen werden können. Das gilt aber nicht nur für die Schulen. Das gilt auch für die Hochschulen. Wenn Sie sich die in Europa geführte Diskussion über die Fragen anschauen, wie man Hochschulen,die staatlich finanziert sind und in staatlicher Verantwortung bleiben sollen, auf absehbare Zeit organisiert und wer da einen Maßstab setzt, dann werden Sie dabei immer wieder auf den Namen der Technischen Universität Darmstadt stoßen.Wir sind mit dem, was wir in Hessen mit unserem Organisationsmodell geschaffen haben, das Vorzeige- und das Vorbildmodell in den Diskussionen, die im Wissenschaftsrat und in der Hochschulrektorenkonferenz geführt werden. Hinsichtlich der Frage, wie man staatliche Finanzierung einerseits und Autonomie der Hochschule andererseits miteinander vereinbaren kann, werden in der europäischen Diskussion unsere Hochschulen als Maßstab genommen.Darauf können alle Hessen, aber insbesondere auch diejenigen, die in Darmstadt die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, sehr stolz sein.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das wurde dieser Tage eine kleine Revolution genannt.Es ist ein erster Schritt. Es ist ein Schritt im Kontext der Modernisierung der Inhalte. Wir haben nie gesagt, dass wir uns dabei nur auf die Frage der Organisation der Gremienarbeit und auf die Entscheidung beschränken, wer am Ende die Urkunde unterschreibt,mit der ein Professor berufen wird. Vielmehr muss die Eigenverantwortung auch wahrgenommen werden. Da gibt es mit Frau Ministerin Bulmahn häufig eine Diskussion darüber. Sie glaubt, nur wenn sie etwas sagt, würde irgendjemand etwas machen.

Man sollte sich anschauen, in welchem Umfang es Umstellungen in dem Ausbildungswesen der Hochschulen im Fachbereich Medizin bis zum heutigen Tag gegeben hat. Das fällt ausschließlich in die Kompetenz des Bundes. Wir, die Vertreter der Länder, können da nicht mitwirken. Sie können feststellen, dass auf diesem Sektor praktisch nichts passiert ist. Zum Vergleich sollten Sie sich einmal anschauen, was im Bundesland Hessen hinsichtlich der Umstellung auf die Abschlüsse Master und Bachelor geschehen ist. Da geht es um die Modernisierung der Hochschulen. 20 % aller Umstellungen, die es in Deutschland gegeben hat, sind in dem Bundesland Hessen erfolgt. Mit der Technischen Universität Darmstadt haben wir die erste Universität, die vollständig akkreditiert ihre Studiengänge umgestellt hat. Wir haben bei den Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt einen Studiengang,der umgestellt wurde und international akkreditiert ist. Niemand bestreitet, dass Hessen die Nummer eins bei der Umstellung der Studiengänge und deren internationaler Akkreditierung ist. Das ist eine Folge unserer Gesetzgebung.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Jörg-Uwe Hahn und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das alles hat etwas damit zu tun, dass wir versuchen, die beiden Grundelemente in der Modernisierung zusammenzuführen. Auf der einen Seite wollen wir unter