Protocol of the Session on December 15, 2004

Herr Kollege Boddenberg, vielleicht sollten wir jetzt wieder zum Thema kommen. Nehmen Sie sich einfach die Zeit, vielleicht über Weihnachten – das würde ich Ihnen gönnen –, und denken Sie einmal über die Arroganz nach,

mit der Sie z. B. gestern Abend im Innenausschuss Gesetze vorlegen, Gesetze ändern, Artikel in ein Verfahren einbringen, obwohl keiner Ihrer Abgeordneten erklären kann, worum es bei dem, was Sie vorgelegt haben, eigentlich geht. Gott sei Dank konnte der Kollege Heidel von der FDP erklären,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der war vorbereitet!)

wie Ihre Gesetzentwürfe zu verstehen sind und was sich da tut. Es ist wirklich ein Armutszeugnis, was Sie gestern geleistet haben. Von daher wäre ich auf dieser Seite ganz ruhig.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Im Grundsatz kann man über den Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, durchaus offen und wertfrei reden.

(Volker Hoff (CDU):Arroganz der Opposition!)

Wir haben uns gestern Abend darauf verständigt, eine Anhörung zu diesem Thema durchzuführen. Ich glaube, man kann sich durchaus die Überlegung zu Eigen machen,die Verwaltung so zu organisieren,dass sie möglichst bürgernah, möglichst effizient und möglichst kostengünstig arbeitet und möglichst weit unten angesiedelt wird.

Ein Punkt wundert mich aber schon:Ich glaube,man hätte sich überlegen können,warum man,wenn es um die Kommunalisierung geht – das ist eine Begrifflichkeit, die man hier gar nicht so richtig verwenden kann; darauf komme ich gleich zu sprechen –, die Städte und Gemeinden ausgeblendet hat. Schließlich geht es doch darum, die Verwaltung auf die unteren Ebenen zu verlegen. Man sollte bei der Verwaltungsreform darüber nachdenken: Kann man die Verwaltung nicht noch weiter unten organisieren? Kann man sie nicht bei den Städten und Gemeinden ansiedeln?

Eine weitere Frage, die sich hier stellt und die auch im Innenausschuss und bei der Anhörung diskutiert werden sollte, lautet: Verhindert die Umorganisation bei den staatlichen Landräten eine weitere Debatte über Strukturreformen im Lande Hessen?

Stichwort: Regionalreform. Wie sieht eine Regionalreform in Hessen aus? Darüber haben wir im Landtag im Zusammenhang mit dem Ballungsraumgesetz schon lang und breit diskutiert – Stichwort: Regionalkreis. Ich glaube, dass man das weiterhin im Blick haben muss; denn wir müssen über die Verwaltungsebenen, die wir zurzeit bei den Landkreisen haben, noch einmal nachdenken. Allerdings glaube ich, dass der Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, eine Diskussion darüber letztlich nicht behindert. Von daher können wir in die Diskussion eintreten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zu dem Begriff „Kommunalisierung“. Sie sind Weltmeister im Wortschöpfen. Der Begriff „Zukunftssicherungsgesetz“ war ein Beweis dafür. Herr Metz macht wahrscheinlich nichts anderes,als solche Begrifflichkeiten zu erfinden.Aber wenn man den Begriff „Kommunalisierung“ analysiert, stellt man fest, dass das eigentlich eine Mogelpackung ist. Kommunalisierung bedeutet nämlich für mich, dass man das wirklich zu einer kommunalen Aufgabe macht.

(Reinhard Kahl (SPD): So ist das!)

Zu einer kommunalen Aufgabe machen Sie das aber nicht. Sie ändern § 4 der Hessischen Landkreisordnung.

Einerseits schreiben Sie im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Landrats von der „Erfüllung nach Weisung“. Andererseits führen Sie den neuen Begriff der „Auftragsverwaltung“ ein. Es ist also nicht so, wie der Kollege Haselbach gesagt hat, dass wir demnächst keinen janusköpfigen Landrat mehr haben werden. Wir werden ihn weiterhin haben. Er wird sogar noch einen dritten Kopf bekommen. Darüber werden wir uns unterhalten müssen.

Wir werden weiterhin einen staatlichen Landrat haben, der für die Bereiche, die Sie hier skizziert haben, zuständig ist. Er wird für die Kommunalaufsicht und für andere Aufgaben zuständig sein. Wir werden einen Landrat haben, der der Vorsitzende des Kreisausschusses ist. Außerdem wird der Landrat in den Bereichen tätig sein, die Sie in dem Gesetzentwurf formuliert haben: bei Weisungsaufgaben oder in der Auftragsverwaltung. Es ist die Frage, ob man, wenn man den Begriff „Kommunalisierung“ verwendet,

(Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Was schlagen Sie denn vor?)

die Verantwortlichkeiten des Kreistags vollkommen ausblendet.An dem Punkt gibt es Informations- und Diskussionsbedarf. Im Übrigen geht es auch in dem Diskurs derer, die sich mit Verwaltungsreformen beschäftigen, um Folgendes: Die Finanzverantwortung sollte man dort ansiedeln, wo auch die Aufgaben erfüllt werden. Die Kreistage haben nun darüber mitzureden, wie das Budget aussieht. Sie haben auch bei der Personalentwicklung ein Wort mitzureden.Aber sie werden keinen Zugriff auf die Themen haben. Es gibt also eine Trennung der Aufgabenund der Finanzverantwortung.Auch das ist eine Frage,mit der wir uns im Ausschuss näher befassen sollten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen stellt sich auch die Frage nach der Konnexität. Kollege Rudolph hat darauf hingewiesen. Sie haben jetzt zwar mit den Spitzenverbänden, sowohl mit dem Landkreistag als auch mit dem Städtetag, Vereinbarungen getroffen und Eckpunkte formuliert.Aber was ist, wenn sich eine gesetzliche Aufgabe so verändert, dass man beim Landrat mehr Personal benötigt und auch mehr Aufwand betreiben muss? Wie wird das abgerechnet? Dabei habe ich die Befürchtung, dass zwar mit dem Landkreistag und dem Städtetag eine Vereinbarung getroffen wurde, aber eine Ebene völlig ausgeblendet worden ist, die nachher unter Umständen die Rechnung zahlen muss. Wenn die Landkreise aufgrund von gesetzlichen Änderungen mehr Arbeit haben und auch mehr Personal beschäftigen müssen, wird das vielleicht zur Folge haben, dass der Kreistag die Kreisumlage neu beschließt und die Städte und Gemeinden, die jetzt nicht mit am Tisch gesessen haben, die Rechnung bezahlen müssen. Auch damit sollten wir uns noch einmal beschäftigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Folgende Aufgaben kommunalisieren Sie: die Gefahrenabwehr, das Veterinärwesen, die Landwirtschaft, die landwirtschaftliche Förderung und den Katastrophenschutz. Diese Aufgaben werden als Auftragsangelegenheit mit Weisungsrecht im Einzelfall organisiert. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass durch die Erfüllung dieser Aufgaben auch hessenweit gewisse Standards gesetzt werden müssen. Die Veterinärämter dürfen also in den verschiedenen Landkreisen nicht nach unterschiedlichen Grundsätzen arbeiten.Von daher denke ich, dass wir über hessenweite Standards reden müssen. Das ist der eine Punkt.

(Beifall des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Sogar der Kollege Heidel klatscht. – Auf der anderen Seite bedeutet es schon eine Ersparnis, wenn man erklärt: Wir geben euch zwar ein Grundgerüst für die Aufgabenerfüllung vor, aber wir überlassen es euch, wie ihr das als Kommune organisiert. – Von daher glaube ich, dass es durchaus zu Synergieeffekten kommen könnte und dass sowohl die Landesseite als auch die kommunale Seite davon profitieren werden.

Ich habe es gerade gesagt:Ich glaube,es ist richtig,dass die Landräte beim Veterinärwesen und bei der Lebensmittelüberwachung auf der Grundlage von Einzelweisungen tätig werden können. Das ist auch sinnvoll; denn wenn es z. B.kreisübergreifende Seuchen gibt,muss man gemeinsam reagieren können. Von daher ist es richtig, dass auch eine Einzelweisung festgeschrieben werden kann.

Herr Kollege Haselbach hat eben gerade skizziert, wie es um die Übernahme des Personals bestellt ist, wenn das so bleibt. Offensichtlich hat man an dem Punkt einen Kompromiss mit den Kommunalen Spitzenverbänden geschlossen.

(Günter Rudolph (SPD):Teilweise!)

Aber angesichts der Beträge, die hier gehandelt werden – die 1,6 Millionen c, die nachher verteilt werden sollen, und die 120.000 c, die über fünf Jahre noch aufwachsen –, stellt sich für mich die Frage, ob das nachher wirklich ausreicht, um die Aufgaben zu erfüllen. Dass Sie die Versorgungskosten für das Personal übernehmen, ist mir klar. Aber wir werden die Kommunalen Spitzenverbände fragen, ob das nachher reichen wird.

Dass die Versorgungslasten übernommen werden, habe ich gerade angesprochen. Die Personalausstattung, nämlich die 1,6 Millionen c, die Sie für die Schaffung von 40 Stellen bereitstellen, ist diskussionswürdig. Mich interessiert, wie das gerechnet worden ist und was die Kommunalen Spitzenverbände dazu sagen.

Zu den Unterbringungskosten. Das ist eine Lösung, auf die man sich durchaus einigen könnte. Ich glaube, dass aber der eine oder andere Landkreis sagen wird: Diese Immobilie wollen wir nicht übernehmen. Behaltet sie lieber. – Aber dass Sie den Kommunen die Immobilien anbieten und dass sie von ihnen übernommen werden können, ist im Prinzip ein vernünftiger Schritt.

In der Anhörung wird sich für uns die Frage stellen: Wie wirkt sich das in der Landwirtschaft aus? Was sagen die Verbände der Landwirtschaft zu dieser neuen Organisation? Ich glaube, wir müssen auch die Verbraucherschutzorganisationen dazu hören. Es ist wichtig, dass die hohen Standards, die wir im Verbraucherschutz haben, bewahrt werden und nicht darunter leiden, dass wir diese Bereiche kommunalisieren.Wir sollten also Standards festlegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beim Umweltschutz ist das genauso. Auch die Umweltschutzstandards müssen erhalten bleiben. Wir dürfen durch die Kommunalisierung keine Abwärtsspirale in Gang setzen, indem wir sagen: Die Standards werden alle abgebaut. Es soll jetzt nach dem Motto „Alles muss raus“ alles schön billig gemacht werden. – So nicht. Da glauben wir, wir brauchen unsere umwelt-, verbraucher- und landwirtschaftspolitischen Standards weiterhin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal die drei Punkte ansprechen, von denen ich glaube, dass wir sie diskutieren müssen.

Wie wird die Aufgabe nachher erfüllt? Sie muss fachlich gut erfüllt werden. Sie muss vom Personalbestand her gut erfüllt werden.Was wir nicht ausblenden sollten – von daher finde ich die Diskussion auch richtig –, ist, dass wir sie bürgernah und effizient erfüllen. Wir sollten immer im Blick haben, dass wir diejenigen, die die Leistung nachher in Anspruch nehmen, nicht ausblenden. Dann könnte ein Herunterbrechen der Verantwortung sinnvoll sein.

Ich glaube, dass wir die Konnexität im Blick haben müssen. Es kann nicht sein, dass das Land Aufgaben auf die Kommunen verlagert und dass die Kommunen nachher auf den Kosten sitzen bleiben.Da würde mich schon interessieren, was die Kommunalen Spitzenverbände in der Debatte mit Ihnen zur Konnexität gesagt haben. Daran machen wir auch ein Fragezeichen.

Wir sollten etwas machen, was Sie bisher bei der Verwaltungsreform nicht gemacht haben. Sie haben par ordre du mufti entschieden.Ich würde mir wünschen,dass man diesen Bereich der Kommunalisierung auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bespricht.Wir haben vorhin gehört, insgesamt 1.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind von dem Thema betroffen.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Wir sollten nicht so etwas machen wie Sie mit dem Zukunftssicherungsgesetz, das alles zu verordnen und die Menschen nicht einzubinden. Für etwas Neues, Zukunftsweisendes muss man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen. Denn die sind es letztendlich, die es mit dem Bürger vor Ort ausmachen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Herr Innenminister.

(Günter Rudolph (SPD): Herr Hahn ja gar nichts gesagt!)

Entschuldigung. – Herr Kollege Hahn hat das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema ist nicht neu.Wir haben es in der vergangenen Legislaturperiode schon einmal in diesem Hause in anderen Gremien erörtert. Es besteht ein Zwiespalt zwischen den Interessen der direkt gewählten Kommunalbeamten und der indirekt gewählten Vertreter in den Landkreisen auf der einen Seite und den Interessen der gewählten Vertretern des Hessischen Landtags und insbesondere der Minister und Staatssekretäre auf der anderen Seite.

Es macht wenig Sinn, wenn ich mich jetzt als dritter Redner noch darüber echauffiere, wie der Gesetzgebungsprozess seitens der Union angelegt worden ist. Er ist beschrieben worden, und komischerweise bin ich in letzter Zeit immer näher bei dem Kollegen Rudolph als bei den Kollegen der Union.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist gut so!)

Vielleicht wird das auch wieder anders werden. Aber ich verspreche der Union: Das wird nur dann anders, wenn das Verfahren wieder ordentlich gemacht wird.

(Beifall bei der FDP – Günter Rudolph (SPD): Da habe ich keine Hoffnung!)

Was wir gestern Abend in der gemeinsamen Sitzung vieler Ausschüsse dieses Hauses erleben mussten, war nicht gerade mit „Schönheitspreis“ zu umschreiben.Erstens haben wir uns gegenseitig eine Stunde des Lebens gekostet oder gestohlen. Zweitens haben wir das deshalb machen müssen, weil wiederum Gesetze eingebracht worden sind, die nicht von den Personen begründet werden konnten, die vor Ort waren. Es ist eine Leistung der FDP-Fraktion, dass Heinrich Heidel in dem einen Thema besser eingearbeitet war als die Unionschristen,die Antragsteller waren, und Heinrich Heidel die Begründung für das Gesetz gegeben hat.Vielleicht ist das die neue Aufgabe,die der FDP hier zukommt.

(Beifall bei der Abgeordneten der FDP)