(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie hoch muss es denn sein? – Zuruf des Abg. Jürgen Walter (SPD))
Damit wir darauf nicht mehr zurückkommen müssen, will ich vorher die Frage stellen: Ist es denn zwingend, dass wir uns auf einmal mit einem Wirtschaftswachstum von 1,4 % beschränken?
Betrachten wir die Industrieländer auf der Basis der Herbstprognose des Internationalen Währungsfonds – also Daten, die wir wahrscheinlich gemeinsam akzeptieren können. Dann stellen wir fest, dass wir hinter Irland, Luxemburg, Polen, der Slowakei, Ungarn – die lasse ich aus –, Frankreich, Dänemark, Belgien, Österreich, Italien und Japan liegen. Jedenfalls in der Liste des IWF sind wir das letzte Land. Die nächsten sind Japan – das in den letzten Jahren bekanntlich erhebliche Probleme hatte – mit 1,6 %, Italien mit 1,6 %, dann kommt Österreich mit 2,0 %,Belgien mit 2,1 %,Dänemark mit 2,1 %.Dann sind wir schon bei Frankreich mit 2,2 %, dann kommen die Niederlande mit 2,4 %, Schweden mit 2,8 %, Großbritannien mit 2,9 %, Norwegen mit 3,0 %, Spanien mit 3,2 %, die USA mit 3,3 %, Kanada mit 3,4 %. Dann kommen die schnell wachsenden Länder, mit denen wir uns gar nicht vergleichen – das sind Ungarn, die Slowakei und andere, die höhere Wachstumsraten haben als wir. Die nehme ich außerhalb des Rennens, denn wir wissen, die können wir nicht erreichen.
Aber die Regierung der Bundesrepublik Deutschland war doch im Jahr 2001 noch selbst der Meinung, man könne den Korridor von 2, 2,5 bis 3 % erreichen. Jetzt kann man sagen: Gott, wenn alle anderen Länder das nicht erreicht haben, wie soll ich das schaffen?
Diese Argumentation kann ich nicht ganz wegwischen. Aber die anderen haben es geschafft – und wir Deutsche haben es nicht geschafft.Wir haben einen Sonderschaden Bundesrepublik Deutschland, den – mit Verlaub – Sie in Berlin zu verantworten haben, nicht eine Landesregierung in Hessen. Das muss man nüchtern sehen.
Wenn es denn eine Landesverantwortung gäbe, dann könnte man auch nur freundlich darauf hinweisen: Statistisch gesehen liegt diese Wachstumsschwäche an uns si
Jetzt fragen wir: Wie hoch müsste das Wirtschaftswachstum denn sein? – Legen wir der Antwort das zugrunde, was die Bundesregierung im Jahr 2001 dem Arbeitskreis Steuerschätzungen und dem Finanzplanungsrat als ihre Annahme einer wirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt hat.
Wie Sie wissen, wurden für das Jahr 2002 2,0 % Wirtschaftswachstum angenommen. Auf der Grundlage einer verlängerten Basis wurden dann bis zu 2,5 % Wachstum zugrunde gelegt. Für die Jahre 2002, 2003, 2004 und 2005 wurden Zahlen auf der Basis von 2,5 % Wachstum berechnet. Über 2,5 % ging das nie hinaus.
Ich sage Ihnen: Es gibt weltweit keine Entschuldigung dafür, dass wir die Zahl nicht erreicht haben. Das ist unser hausgemachtes Problem. Jetzt können wir uns einmal anschauen – wir sind gerade in der Periode bis 2005 –, welche Steuereinnahmen des Staates Bundesrepublik Deutschland und seiner Gliederungen die Steuerschätzer in der Mai-Steuerschätzung 2001 angenommen haben und was wir nach den Zahlen, die der Bundesfinanzminister vorlegt, an Steuereinnahmen im Jahr 2005 tatsächlich zu erwarten haben. Da wir zwischendurch keine großen Steuerreformen gemacht haben, kann es daran nicht liegen. Die Steuerreformen waren im Jahre 2001 bereits alle beschlossen. Das Einzige, was sich verändert hat, sind die Wachstumsrate und die wirtschaftliche Entwicklung.
Zwischen der Zahl, die damals prognostiziert worden ist, und der Zahl, die wir heute als Steuereinnahme des Staates zugrunde legen, liegen, bundesweit gerechnet, 70 Milliarden c im Jahr. Herr Kollege Al-Wazir, konkret bedeutet das für den Haushalt des Landes Hessen, dass die Einnahmen aus Steuern im Jahr 2005 um 2.186 Millionen c höher wären, als sie es jetzt sind. Man kann sich nicht die ganze Summe gutschreiben. Einen Teil bekommen die Kommunen, ein anderer Teil geht in den Länderfinanzausgleich. Den letzten Teil kann ich nicht berechnen, weil ich nicht weiß, wie gut es den anderen in dieser Zeit gegangen wäre. Aber man kann vielleicht davon ausgehen, dass die Hälfte der Steuereinnahmen übrig geblieben wäre.
Deswegen sage ich Ihnen schlicht und einfach: Die Tatsache, dass die Bundesregierung ihre eigenen, seit 2001 vorgegebenen Benchmarks unterschreitet, obwohl die anderen Länder der Europäischen Union sie erreichen, kostet diesen Landeshaushalt mehr als 1 Milliarde c netto und mehr als 2 Milliarden c brutto. Dafür gibt es eine politische Verantwortung. Die politische Verantwortung liegt leider nicht bei mir, sondern wir müssen sie hinnehmen und damit umgehen.
Damit hängt zusammen, wie man die Entwicklung in der Zukunft berechnet. Bei der zukünftigen Entwicklung ist allerdings ein gewaltiges Problem inzwischen nicht mehr wegzudiskutieren.Jedes Jahr strukturelle Krise verlängert den Wiederaufstieg in die Normalität. Bei der Strukturkrise, in der wir uns befinden – wir stecken nicht nur in einer Konjunkturkrise –, ist es leider Gottes das Schlimme, dass ein Jahr Abstieg mehr als ein Jahr Aufstieg erforderlich macht. Das heißt, wir können uns heute schon sicher sein, dass wir auf mittlere Sicht eine komplizierte Durststrecke vor uns haben.
Es ist die Frage, wie wir damit umgehen und wie wir das Problem lösen. Das muss man politisch streitig diskutieren.Dazu muss man sich die Deltas ansehen,die Sie selbst beschreiben. Sie haben die Vermögensveräußerungen kritisiert. Ich nenne hier nur den Betrag von 800 Millionen c. Sie sagen, das sei unwirtschaftlich, nach dem Motto:Wenn er schon etwas macht, macht er Schulden.
Sie haben gleichzeitig gesagt, die Schulden seien zu hoch. Auch wir finden das nicht gut. Wir brauchen in keinen Wettbewerb darüber einzutreten, wer das am schlechtesten findet. Sie haben – im Wesentlichen durch Einnahmesteigerungen: zwei Drittel Einnahmesteigerungen, ein Drittel Kürzungen – jeweils Vorschläge in der Größenordnung von 400 Millionen c vorgelegt. Bei der FDP war es am Ende aufgrund von Veräußerungen etwas mehr. Aber es ging jeweils um etwa 400 Millionen c.
Aber, meine Damen und Herren, das ist doch keine Antwort auf das Problem. Sie haben dankenswerterweise noch ein paar Anträge gestellt, in denen Sie erläutern, wofür Sie diese 400 Millionen c ausgeben wollen.Was wäre, wenn Ihre Rechnung richtig wäre? Verschulden wir uns in der Höhe, wie es jetzt geplant ist, und veräußern nur Vermögenswerte in Höhe von 400 Millionen c, oder veräußern wir weiterhin Vermögenswerte in Höhe von 800 Millionen c, sodass 400 Millionen c weniger in die Nettoneuverschuldung gehen?
In der Abwägung zwischen diesen Gesichtspunkten kann ich auf die Idee kommen, bei der Bildung und bei der inneren Sicherheit zu kürzen. Im Sozialbereich – den schließen Sie sowieso aus – ist nicht mehr viel zu kürzen. Er ist auch zu klein, um durch die Kürzungen dort den Landeshaushalt sanieren zu können. Er muss seinen Beitrag leisten, aber nicht mehr.
Wir geben heute für die innere Sicherheit in Form von Polizei und Justiz, für die Bildung in Form von Schule und Hochschule,für das Bezahlen alter Schulden,für den Länderfinanzausgleich und für die Kommunen mehr als 80 % unseres Haushalts aus. Deshalb stellt sich die Frage: Taugen Ihre Vorschläge, um das Problem zu lösen? – Meine Antwort ist Nein.Wir befinden uns in diesem Bundesland auf einige Jahre in einer extrem krisenhaften Situation. Jetzt kann man sich fragen, ob das ein Problem unseres Bundeslandes ist, wodurch es sich von den anderen unterscheidet.
Ich sage, es ist ein Problem unseres Bundeslandes. Aber bedauerlicherweise unterscheidet es sich darin nicht von anderen Bundesländern. Im Gegenteil, ich stelle fest, dass wir es, wenn sich unser Bundesland schon von den anderen unterscheidet,offensichtlich nicht so schlecht gemacht haben.
Dazu möchte ich Ihnen ein paar Zahlen nennen. Diese Zahlen lassen Sie ja immer weg. Wenn wir in der Föderalismuskommission darüber reden, wer im Falle eines Stabilitätspaktsausgleichs beim Überschreiten der Verschuldensgrenze etwas dazu beitragen müsste, werden die Hessen diese Veranstaltung sehr entspannt betrachten können. Wir berechnen das nämlich nach Verschuldenskriterien:Wer trägt zu dem Defizit bei?
Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt hat kein Land eine niedrigere Verschuldung als wir. Bei der Pro-KopfVerschuldung wird es im nächsten Jahr nur ein Land ge
ben, das besser ist als wir. Das muss man anerkennen. Das ist Bayern.Aber die Bayern können auch auf 20 Jahre einer anderen Politik zurückschauen. Die Nettoneuverschuldung in Bayern wird im nächsten Jahr mit 88 c pro Kopf unter der aller anderen Länder liegen. An zweiter Stelle kommen die Hessen mit 183 c pro Kopf.
Dann kann man einmal schauen: Mecklenburg-Vorpommern liegt schon bei 337 c pro Kopf. Die Kollegen in Nordrhein-Westfalen liegen bei 208 c Nettoneuverschuldung pro Kopf. Rheinland-Pfalz ist bei 252 c, SachsenAnhalt bei 364 c,Thüringen bei 415 c.Ich lasse die Stadtstaaten weg, denn dort liegt die Pro-Kopf-Verschuldung viel höher. In Berlin liegt sie bei über 2.000 c. Wenn wir daran gemessen werden, ob wir uns stabilitätsgerecht verhalten und ob wir im Verhältnis zu unserer Einwohnerzahl und zu unseren Einnahmen wirtschaftlich mit dem Geld umgehen, müssen wir feststellen, dass wir trotz aller Probleme, die wir haben, immer zu den Besten in der Bundesrepublik Deutschland gehören.
Meine Damen und Herren, das kann bei Ihnen doch nicht zu einem völligen Wahrnehmungsverlust führen. Das rotgrün regierte Nordrhein-Westfalen, unmittelbar vor einer Wahl stehend und sicherlich nicht daran interessiert, schlechte Haushaltszahlen zu produzieren, ist dabei, mit dem zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2004 die veranschlagte Nettoneuverschuldung auf jetzt insgesamt 6,91 Milliarden c zu steigern. Der Haushalt ist zweieinhalbmal so groß wie unserer. Selbst wenn unser Haushalt dreimal so groß wäre, lägen wir noch unter 5 Milliarden c. Deren Nettoneuverschuldung ist 2 Milliarden c höher.
Ich möchte nicht in einen Wettbewerb mit NordrheinWestfalen eintreten. Aber wollen Sie von Frau Höhn, Herrn Vesper und Herrn Steinbrück behaupten, sie seien blöde Verschwender, die nicht wüssten, wie man einen Haushalt führt?
Ist das Ihr Vorschlag,oder können wir wenigstens eine Sekunde lang darüber nachdenken,dass es offensichtlich ein Problem in der gesamten Bundesrepublik Deutschland gibt und dass daher Ihre Argumentation, die sich nur auf den Landeshaushalt beruft, ein wenig zu – Entschuldigung – provinziell ist, um in der Debatte ernst genommen zu werden?
Übrigens übersteigt die Nettoneuverschuldung in den beiden Nachtragshaushalten in Nordrhein-Westfalen die Anfang des Jahres eingeplante Nettoneuverschuldung um 100 %. So viel zu Ihrem Argument, wie das eingeschätzt wird.
Die Länder der Bundesrepublik Deutschland – auch Hessen – haben ein Problem. Hessens wirtschaftliche Entwicklung ist besser als die anderer Länder.Vielleicht fällt seine Verschuldensrate deshalb auch günstiger aus. Für sich gesehen können wir uns dafür aber nicht sehr viel kaufen. Wir müssen trotzdem darüber reden, wie wir in Zukunft mit den Veränderungen umgehen.
Eines geht nicht, nämlich zu glauben, allein durch das hessische Verhalten könne das Problem so weit gelöst werden, dass man in Zukunft sagt: Die Hessen haben kein Verschuldungsproblem wie die Nordrhein-Westfalen oder die Thüringer. Wir von SPD und GRÜNEN haben
Wir haben mit der „Operation sichere Zukunft“, die wir letztes Jahr in Angriff genommen haben, eine wichtige Voraussetzung für die Zukunft geschaffen. Es ist gut, zu erfahren, worüber Sie nicht reden. In der Hinsicht war es auch interessant, sich gestern den Redebeitrag des Kollegen Wagner von den GRÜNEN anzuhören. Sie verschweigen, welche Entwicklungen in der Einschätzung des Haushalts dazu geführt haben.
Der Hauptteil der „Operation sichere Zukunft“ bestand in der Frage, ob wir die Personalkosten reduzieren können. Das war der größte Brocken. Der zweitgrößte Brocken waren die allgemeinen Verwaltungskosten.
Das zusammen sind 600 Millionen c. Dann gab es noch 400 Millionen c, die aus Einmaleffekten oder Veräußerungen erwirtschaftet werden. Deshalb ist für die konsequente Entwicklung in der Zukunft auch nur relevant, dass wir darüber reden,ob diese 500 oder 600 Millionen c eingehalten werden oder nicht.
Sie können sehr einfach sehen: Diese 600 Millionen c sind eingehalten. – Sie sehen im ganzen Nachtragshaushalt Zahlen. Wir haben damals zehn Zwölftel, jetzt elf Zwölftel der Abrechnungen inklusive der noch vorzunehmenden Weihnachtszahlungen, die wir kennen. Wir werden diese sehr ehrgeizigen Einsparzahlen im Personalhaushalt mit einer ziemlichen Punktlandung erreichen. Es ist eine unglaubliche Leistung jedes einzelnen Kollegen in den Ressorts, aber insbesondere auch des Finanzministeriums. Die haben nämlich in den entscheidenden Punkten von Einsparungen und Koordination eine prima Haushaltsaufstellung gemacht.
Deshalb rechnen wir im nächsten Haushalt mit einer strukturellen Einsparung von 600 Millionen c weiter. Die wird im nächsten Jahr wieder eintreten. Jetzt muss man einmal einen Augenblick weiterrechnen, was das mittelfristig bedeutet. Die 600 Millionen c entwickeln sich durch die Berücksichtigung von Zinsen. Sie entwickeln sich dadurch, dass die Zahlen weiter wachsen, weil jetzt erst das, was an Personaleinsparungen im nächsten Jahr geplant ist, hinzukommt. Deshalb sage ich Ihnen: Allein mit der Maßnahme, die wir letztes Jahr mit der „Operation sichere Zukunft“ durchgeführt haben, werden wir im Jahre 2009, dem ersten Jahr nach der nächsten Landtagswahl, in dem ein vollständiger Haushalt aufgestellt werden kann, eine Entlastung haben, die, wenn man von den 500 Millionen c als unterer Grenze ausgeht, bei rund 4,047 Milliarden c liegt, wenn man von der oberen Grenze von 600 Millionen c ausgeht – weil ich darüber mit Ihnen nicht streiten will –, bei 4,6 Milliarden c liegt.
Wir haben zurzeit 21 Milliarden c Haushaltsbruttovolumen. Wir können durch die Strukturveränderungen beim Personal in diesem wachsenden Haushalt aber einen Anteil von etwa 4 Milliarden c konsolidieren und werden ihn nicht mehr haben, weil wir im letzten Jahr eine mutige und richtige Entscheidung getroffen haben, eingespart und nicht Leuten an anderer Stelle mehr Steuern abgenommen haben, weil das der richtige Weg ist, mit dem wir dorthin kommen.