Protocol of the Session on October 6, 2004

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir diesen Frauen die Rolle der Mutter und als verfügbares Wissenspotenzial ermöglichen wollen, brauchen wir dringend – ich wiederhole: dringend – gute und qualifizierte Betreuungsangebote,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und zwar mit einem umfangreichen zeitlichen Angebot.

Wir müssen auch realisieren, dass Familien mit Kindern unter drei Jahren in diesem Land oft über ein so geringes Einkommen verfügen, dass eben beide Elternteile arbeiten gehen müssen, um sich nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe zu befinden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, eines fehlt mir allerdings in der Begründung Ihres Antrags. Das betrifft die Notwendigkeit eines qualifizierten Betreuungsangebots für unsere Kinder unter drei Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit der frühkindlichen Entwicklungsphase für die Ausbildung kognitiver Kompetenzen und das Entstehen der Intelligenz verweisen.

Die frühkindliche Entwicklung wurde in der Vergangenheit unter anderen Schwerpunkten gesehen.Wir erinnern uns: Im letzten Jahrhundert wurden unsere Kleinen vorwiegend stramm gewickelt, um ihnen ein gerades Wachstum zu ermöglichen.Neben diesem orthopädischen Gesichtspunkt wurden andere Entwicklungsbereiche wenig oder gar nicht beachtet.

(Zuruf von der CDU)

In den letzten Jahrzehnten wurde der emotionalen Zuwendung gegenüber den Kleinkindern eine größere Bedeutung beigemessen. Dieser, wie ich finde, sehr positive

Ansatz hat es mit sich gebracht, dass die Bereitschaft zugenommen hat, sich intensiv mit den Kleinkindern zu beschäftigen und ihnen Umwelterfahrung und Sozialkontakte zu ermöglichen. Damit wird die kognitive Entwicklung begünstigt, ohne dass sich dies bis dahin überhaupt im Blickfeld befand.

In den letzten Jahren haben wir erfahren, dass wir neue Gedanken zur Entwicklung aufnehmen müssen. Das betrifft erst recht die Entwicklung im frühen Kindesalter. Heute gehen alle dominierenden Entwicklungsmodelle davon aus, dass die Entwicklung als eine Interaktion der Anlagen und der Umwelt anzusehen ist. Demnach ist der Teil der äußeren Einflüsse immer noch so groß, dass die Entwicklung der Intelligenz des Einzelnen gerade auch in dieser frühen Phase entscheidend geprägt wird. Es ist heute sowohl in der medizinischen als auch in der psychologischen Forschung unstrittig, dass Kinder gerade in den ersten Lebensjahren über ein Lernpotenzial verfügen, das für ihre kognitive, soziale und emotionale Entwicklung genutzt werden kann und besser genutzt werden sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Daraus folgt nicht zuletzt die Forderung der Kommission der OECD, die sie in der jüngst erfolgten Fortschreibung der PISA-Studie aufgestellt hat und derzufolge diese frühen Lebensjahre in ein Bildungssystem integriert werden sollten. Außerdem fordert die Kommission, dass endlich gehandelt werden soll.

(Beifall bei der SPD)

Diese Forderung wird von den Unterzeichnerinnen des „Aufrufs – Für mehr und bessere Kinder-Tagesbetreuung!“ mit der folgenden Aussage auf den Punkt gebracht – ich zitiere –:

... Deutschland ist im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn wenig erfolgreich in dem Bemühen, vorhandene Begabungspotenziale durch frühzeitige und geeignete Bildung und Betreuung zu entwickeln und zu nutzen.Und dies,obwohl wir seit langem wissen, dass die moderne Wissensgesellschaft keine wichtigere Ressource für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung kennt als den Bildungsstand und die Qualifikation ihrer Jugend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unterzeichnet haben diesen Aufruf unter anderem Rita Süssmuth, Hildegard Hamm-Brücher, Gesine Schwan und Frau Prof. Christiane Nüßlein-Vollhardt. Letztere ist eine der wenigen Nobelpreisträgerinnen, die wir haben. Daneben haben dann noch einige Schauspielerinnen und viele andere unterzeichnet.

Mit ihrer unnachahmlichen Verbalkraft hat diese Landesregierung die „Offensive für Kinderbetreuung“ ausgerufen und sich damit scheinbar des Problems angenommen. Wir sollten einmal auf die letzte Wahlperiode zurückblicken. Während dieser Zeit wurden 260 neue Betreuungsplätze geschaffen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hurra, so viele!)

Das war während der letzten Wahlperiode. Es geht jetzt weiter.

Momentan beträgt die Abdeckungsquote zwischen 3 und 5 %. Die Angaben schwanken immer etwas. Das hängt immer davon ab, wer da veröffentlicht. Der Bedarf wird

auf 20 % geschätzt. Demnach fehlen nach wie vor 30.000 Betreuungsplätze.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wenn wir in diesem Land bei der Schaffung neuer Betreuungsplätze mit der gleichen Geschwindigkeit weitermachen, in der das bisher erfolgte, werden wir mindestens 32 Jahre benötigen, um den angenommenen heute bestehenden Bedarf abzudecken.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist unglaublich!)

So viel wollte ich zur „Offensive für Kinderbetreuung“ sagen.

Eigentlich sollte der Ausbau der Kinderbetreuung in diesem Bundesland absolute politische Priorität genießen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist für uns daher nicht nachvollziehbar – wir halten das für geradezu verantwortungslos –, dass diese Landesregierung den Entwurf des Tagesbetreuungsausbaugesetzes im Bundesrat ablehnt hat.

(Beifall des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

In der Begründung ihrer Ablehnung führen die von der Union geführten Länder verfassungsrechtliche Bedenken und die angeblich ungesicherte Finanzierung an.

Ich will hier nicht diskutieren, inwieweit die Behauptung von Frau Stewens aus Bayern zutreffend ist,dass den Ländern bei der Ausführung dieses Gesetzes keinerlei eigener politischer Gestaltungsspielraum eingeräumt werde. Die zahlreichen Öffnungsklauseln lassen mich anderes erkennen.

Wenn ich das Argument der Verfassungsbedenken politisch bewerten soll, so bleibt mir nur festzustellen, dass hier rechtliche Argumente vorgeschoben werden,um eine Blockade aus partei- und machtpolitischen Überlegungen mit dem Mäntelchen der Verfassungstreue zu bedecken.

(Beifall bei der SPD)

Kurz zur Finanzierung. Die Bundesregierung ist aufgrund der Erkenntnis der hohen gesamtgesellschaftlichen Relevanz bereit, ab 2005 bzw. schon ab 2004 den Kommunen jährlich 1,5 Milliarden c für den Ausbau der Kinderbetreuung bereitzustellen,obwohl sie dazu nicht verpflichtet ist. Im Übrigen wurde seinerzeit, als der Rechtsanspruch für die Betreuung von Kindern von drei bis sechs Jahren von der damaligen Bundesregierung eingeführt wurde – ich glaube,damals war die Bundesregierung schwarz-gelb, Herr Reißer –, nicht eine müde Mark vonseiten des Bundes zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der SPD)

Dagegen hat die Hessische Landesregierung kräftig dazu beigesteuert. Die war damals allerdings rot-grün.

(Ilona Dörr (Bergstraße) (CDU): Das stimmt überhaupt nicht! – Reinhard Kahl (SPD): Es war eine halbe Milliarde!)

Wir können das nachher genauer aufschlüsseln; es war sogar noch mehr. – Die Bundesministerin Schmidt hat in der Sitzung des Bundesrats am 24. September deutlich gemacht, dass die Kostenberechnung für den Betreuungsausbau sehr differenziert vorgenommen und wegen der angespannten Finanzlage der Kommunen durchgängig zugunsten der Kommunen gerechnet wurde. Vonseiten der Union wurde lediglich der sehr pauschale Vorwurf er

hoben, die Berechnungen seien zu niedrig. Ein Gegenmodell haben Sie übrigens bis heute nicht geliefert.

(Beifall bei der SPD)

Das Angebot der Ministerin steht nach wie vor, auch Frau Kollegin Schulz-Asche hat darauf hingewiesen, sich auf der Basis von Belegen im Detail zu unterhalten, um etwas zu verändern, Stichwort: Revisionsklausel.

Die Bundesregierung hat also ab 2005 die Kommunen um 2,5 Milliarden c verbindlich entlastet. 1,5 Milliarden c davon sollen für den Betreuungsausbau bereitstehen. Diese Summe wird allerdings erst in der Endphase ab 2009 in vollem Umfang benötigt werden. Vorher ist die Belastung der Kommunen weitaus geringer. Da die wesentliche Entlastung durch Hartz IV bei den Ländern entsteht, müssen diese ihr Wort geben und die Mittel an die Kommunen weitergeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn im Bundesrat von Frau Stewens und Frau Schnieber-Jastram aus Hamburg die Behauptung aufgestellt wird, es gebe keine Entlastung, so entlarven sich solche Äußerungen als reine Zweckbehauptungen; denn der Hamburger Finanzsenator hat die geleugneten Mittel bereits in den Haushalt 2005 und 2006 eingestellt.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Ihnen ist es bisher wirklich noch nicht gelungen, den Kosten- und Finanzierungsplan der Ministerin überzeugend zu widerlegen bzw. einen nachvollziehbaren eigenen Finanzplan aufzustellen. Wenn die Union ihre parteipolitisch motivierte Kritik im Sinne der Sache nicht hintanstellen will – das kann man nachvollziehen –, so muss sie sich die Frage gefallen lassen, warum sie das Gesetz nicht wenigstens so verstehen will, dass auch dann, wenn die Mittel verspätet oder in geringerer Höhe bei den Kommunen ankommen, diese damit immer noch mehr Geld außer der Reihe bekommen. Zusammen mit den Einsparungen, die sich bei den Betriebskosten der Kindergärten durch zurückgehende Kinderzahlen ergeben würden, wären wir in den nächsten Jahren bei der Betreuung der Kleinsten schon ein gewaltiges Stück weiter.

Meine Damen und Herren, Sie betreiben hier wie dort eine Politik des Alles oder Nichts, die Politik von Blockade und Demontage dieser Bundesregierung gegenüber um jeden Preis,