Protocol of the Session on July 15, 2004

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unserer heutigen Plenarsitzung. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung: Es sind noch einige Punkte offen, und zwar die Punkte 9, 11 und 12, 14 bis 20, 22 bis 28, 30 bis 41, 43 bis 47, 49 und 50, 52 bis 58, 70 bis 73, 84 bis 87, 89 und 91 sowie 93 bis 96.

Meine Damen und Herren, zum Ablauf der Sitzung: Wir tagen heute, wie immer donnerstags, bis zur Erledigung der Tagesordnung bei einer Mittagspause von einer Stunde.

Begonnen wird mit den vier Anträgen betreffend eine Aktuelle Stunde,das sind die Tagesordnungspunkte 70 bis 73. Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion je Aktuelle Stunde geeinigt.Wir wollen das heute sehr diszipliniert halten, damit wir gut vorankommen.

Danach geht es weiter mit dem Tagesordnungspunkt 25, Antrag der Fraktion der FDP zum Thema Ladenschluss, Drucks. 16/2415. Hierzu mit aufgerufen werden Tagesordnungspunkt 50,Antrag der Fraktion der CDU, und Tagesordnungspunkt 89, Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD.

Danach folgt der Tagesordnungspunkt 87, die dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes, Drucks. 16/2521 zu Drucks. 16/2489 und zu Drucks. 16/1857.

Meine Damen und Herren, heute findet zu Beginn der Mittagspause im Raum 119 M die gemeinsame Sitzung des Europaausschusses und des Ausschusses für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz statt. Anschließend an diese gemeinsame Sitzung führt im gleichen Raum der Ausschuss für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz seine 18. Sitzung durch.

Meine Damen und Herren, wir haben ein Geburtstagskind in unseren Reihen. Unser Kollege Michael Boddenberg kann heute seinen 45. Geburtstag feiern. Dazu herzlichen Glückwunsch, Michael, Glück auf und Gottes Segen!

(Allgemeiner Beifall)

Wir freuen uns immer, wenn wir viele interessierte Besucher auf der Tribüne haben. Ich möchte heute, stellvertretend für alle Besuchergruppen, die katholische Kindertagesstätte St. Georg begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Ja, winkt einmal, okay.Wir freuen uns, dass ihr hier seid, und wünschen gute Unterhaltung.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 70 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Zypries und der Lauschangriff – mehr Wanzen sind der falsche Weg!) – Drucks. 16/2497 –

Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Kollege Hahn.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst von dieser Stelle an den Generalsekretär der hessischen CDU, Herrn Kollegen Boddenberg, alles Gute zum Geburtstag – und an Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen, geht der Wunsch, dass wir heute noch eine sehr angenehme Sitzung verbringen, damit wir dann in den Sommerurlaub fahren können und nach der Sommerpause ausgeruht wieder die Politik für dieses Land gemeinsam gestalten können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesverfassungsgericht hat sich am 3. März 2004 mit der Frage auseinander setzen müssen, ob der große Lauschangriff – ich benutze dieses Kampfwort gleich und verhaspele mich nicht in den anderen Begriffen, die Juristen dazu benutzen – grundsätzlich okay ist oder nicht. Karlsruhe hat entschieden – obwohl das zuvor viele anders gesehen haben –, dass die akustische Wohnraumüberwachung, die akustische Raumüberwachung rechtmäßig ist und den Polizeibehörden vom Grundsatz her die Möglichkeit gibt, sie im Rahmen der Verbrechensbekämpfung, aber auch im Rahmen der Prävention einzusetzen.

(Unruhe)

Einen Moment. – Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner.

Herr Justizminister, ich glaube schon, es ist am besten, wenn auf der Regierungsbank etwas leiser diskutiert wird – jedenfalls stört das den Redner weniger.

(Minister Dr. Christean Wagner: Ich habe zugehört, mein Lieber!)

Herr Justizminister, ich weiß das, andere Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben aber nicht zugehört.

Der große Lauschangriff ist also rechtmäßig, er ist grundsätzlich erlaubt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will darauf hinweisen, dass wir als Liberale schon stolz sind, dass das Bundesverfassungsgericht auf Antrag des Präsidiumsmitglieds der Bundes-FDP Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und unseres ehemaligen nordrhein-westfälischen Innenministers Dr. Burkhard Hirsch und des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Rudolf Baum festgestellt hat,dass der Lauschangriff nicht ausgeweitet werden darf, sondern nur sehr begrenzt einzusetzen ist. Denn es ist auch jedem klar:Wenn man mit einer Wanze in eine Wohnung hineinhört, so ist natürlich der intimste Bereich einer Personen in Gefahr. Man kann sich nicht mehr zurückziehen. Deshalb muss eine Abwägung zwischen dem Datenschutz auf der einen Seite und den Interessen des Staates auf der anderen Seite, Verbrechen aufzuklären bzw. zu verhindern, vorgenommen werden.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb war es die Botschaft aus Karlsruhe, künftig weniger Lauschangriffe zu führen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, man ist schon überrascht, wenn gerade die sozialdemokratische Bundesjustizministerin Zypries einen Referentenentwurf vorlegt, nach dem nunmehr mehr Lauschangriffe geführt werden sollen. Das verdreht die Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter vom 3. März und stellt sie auf den Kopf.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt weiß ich, dass in der Diskussion gesagt werden könnte – und insbesondere Sozialdemokraten werden sicherlich diesen Fehler begehen –, das war ein Referentenentwurf. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Referentenentwurf ist von der Bundesjustizministerin nicht nur genehmigt worden – sie steht also dahinter –, sondern er ist auch an alle Landesjustizverwaltungen, an alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, die in Organisationen vertreten sind, versandt worden, und alle sind aufgefordert worden, dazu ihre Meinung zu sagen. Ich glaube, der Hessische Landtag sollte heute seine Meinung dazu sagen. Dabei schließe ich mich der Justizministerin von Schleswig-Holstein, der GRÜNEN-Kollegin auch in der Föderalismuskommission Anne Lüttkes, an: Frau Zypries, ziehen Sie es zurück, versuchen Sie es noch einmal.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind dagegen, dass ein handwerklich absurder Gesetzentwurf Gesetz wird.Wenn jemand,dessen Aussage in der Hauptverhandlung nicht verwertet werden darf,zuvor abgehört werden darf, dann ist das handwerklich absurd.

Als Liberale wollen wir, dass ein rechtsstaatlich bedenklicher, wenn nicht sogar verfassungswidriger Gesetzentwurf nicht Gesetz wird.

Die totale Überwachung, wie sie insbesondere bei Gesprächen zwischen Verteidigern und Beschuldigten, bei Gesprächen zwischen Theologen und Beschuldigten, aber auch bei der Arbeit von Journalisten vorgenommen werden soll,ist nicht das Prinzip eines liberalen Rechtsstaates, den wir Liberale wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist dieser Referentenentwurf von Frau Zypries ein Unding. Er hätte eigentlich gar nicht erst verschickt werden dürfen.

(Beifall bei der FDP)

Das zeigt aber, wie diese Regierung in Berlin zurzeit arbeitet.

Guido Westerwelle hatte vollkommen Recht, als er in der vergangen Woche – im Übrigen haben das auch führende Sozialdemokraten und GRÜNE, weniger Unionschristen gesagt – formuliert hat, dass mit dem Gesetzentwurf die Axt an das Fundament des Rechtsstaates gelegt wird. Mir als Liberalem reicht es nicht aus, dass in Nr. 7 des Entwurfs, über den wir uns hier unterhalten, Wenns und Abers stehen. Es ist auf alle Fälle jetzt möglich, dass ein Verteidigergespräch abgehört wird. Es ist auf alle Fälle jetzt möglich, dass ein Beichtgespräch abgehört wird. Das darf es noch nicht einmal als Möglichkeit geben.Da ist die Grenze im Abwägungsprozess gegenüber der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit des Staates weit überschritten.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb fasse ich zusammen. Anne Lütkes, die Justizministerin von Schleswig-Holstein, hat vollkommen

Recht. Frau Zypries, setzen, fünf, Sommerpause nutzen, ein rechtsstaatlich korrektes Gesetz vorlegen – dann wären wir gern bereit, darüber als Rechtsstaat zu diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Hofmann, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 3. März dieses Jahres den großen Lauschangriff für grundsätzlich verfassungskonform erklärt, aber auch klare rechtsstaatliche Grenzen aufgezeigt. Es hat insbesondere festgestellt, dass es einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung gibt, der zur unantastbaren Menschenwürde gehört und damit einer akustischen Überwachung entzogen ist. Es hat aber auch anerkannt, dass die Verfolgung und Aufklärung bestimmter und besonders schwerer Straftaten ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsstaates sind.

Die Bundesregierung hat bereits im Jahre 2003 mit der Beauftragung des Max-Planck-Instituts die Vorschriften der Telekommunikationsüberwachung und der akustischen Wohnraumüberwachung einer kritischen Überprüfung unterzogen. Das Max-Planck-Institut hat insbesondere im Bereich der Telekommunikationsüberwachung ein Gutachten vorgelegt und erhebliche Defizite in der Umsetzung aufgedeckt, etwa bei der Dokumentation der Entscheidungsgründe einer Anordnung zum Abhören oder der Benachrichtigung der Betroffenen und den Dokumentationspflichten einer Abhörmaßnahme.Diese Defizite sollten aus unserer Sicht auch in Hessen zügig abgestellt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der eine in sich geschlossene Gesamtregelung ist, den zielgerichteten Einsatz der Abhörmaßnahmen aber zulässt und die rechtsstaatlichen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung gemacht hat, etwa bezogen auf die Verwertung von Gesprächsinhalten, die zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören, die Löschung von Daten oder die Unterrichtung von Betroffenen, peinlich genau beachten wird.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das Wort „peinlich“ ist richtig!)

Herr Hahn,ich verstehe überhaupt nicht,warum Sie sich so aufregen. Ich glaube, Sie leben in der Vergangenheit. Denn wir Sozialdemokraten haben den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums in die Schublade zurückgelegt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ihr Sozialdemokraten!)

Für uns Sozialdemokraten wird es keine Ausweitung des Abhörens von Berufsgeheimnisträgern geben, d. h. kein Abhören bei Journalisten, Ärzten und Pfarrern. Auch für sie muss der absolute Abhörschutz gelten.

(Beifall bei der SDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Frau Zypries ist aus der SPD ausgetreten! – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))